Wann ist man außerstande sich selbst zu unterhalten?

Normalerweise endet der Anspruch von Eltern auf Kindergeld mit dem 18. Lebensjahr der Kinder. Beginnt das Kind jedoch mit einer ersten Ausbildung oder einem Erststudium kann das Kindergeld bis zum 26. Geburtstag verlängert werden. Für ein Kind mit Behinderung kann sogar über den 26. Geburtstag hinaus Kindergeld bezogen werden. Über die Voraussetzungen und Bedingungen möchten wir dich im Folgenden informieren.

Wann ist man außerstande sich selbst zu unterhalten?

Auf einem Tisch liegen zwei Geldscheine. Ein fünfzig Euro und ein hundert Euro Schein liegen übereinander. Auf den beiden Geldscheinen wiederum liegt eine Silhouette aus Papier. Die Silhouette stellt von links nach rechts ein Mädchen, einen Mann, eine Frau und einen Jungen dar. Sie halten sich an der Hand und symbolisieren eine Familie.720×480 64 KB


Bildquelle: iStock.com/CalypsoArt 

Was ist das Kindergeld?

Das Kindergeld ist eine steuerliche Ausgleichszahlung an Eltern. 

Ansprechpartner für das Kindergeld sind die Familienkasse und die Finanzgerichte beziehungsweise der Bundesfinanzhof (BFH). 

Die gesetzlichen Regelungen zum Kindergeld sind im Einkommenssteuergesetz (EStG) festgehalten. Seit 01.01.2021 beträgt das Kindergeld 219 € im Monat für das erste und zweite Kind, 225 € für das dritte Kind und 250 € für jedes weitere Kind (§ 66 Abs. 1 Einkommenssteuergesetz). 

Für die Höhe spielt es keine Rolle wie alt das Kind ist oder ob eine Behinderung vorliegt. Kindergeld nach EStG ist somit keine Sozialleistung. 

Dann gibt es noch das Kindergeld nach § 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG), welches vom Kindergeld nach dem EstG zu unterscheiden ist. Nach dem BKGG ist das Kindergeld eine Sozialleistung und gilt für beschränkt Steuerpflichtige. Die Höhe des Kindergeldes nach BKGG entspricht der Höhe des Kindergeldes nach EStG.

Welche Personen dürfen Kindergeld beziehen?

Das Kindergeld ist grundsätzlich eine Leistung an die Eltern eines Kindes, nicht an das Kind selbst. Bezugsberechtigt sind also die Eltern. 

Neben diesen können auch weitere Personen, wie Geschwisterkinder, die nach dem Tod beider Elternteile das Geschwisterkind mit Behinderung betreuen oder Pflegeeltern, Kindergeld beziehen. Also Personen die mit dem Kind in einem sogenannten Pflegekindschaftsverhältnis stehen. Dies ist im Abschnitt A11 in der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz (PDF-Download) festgehalten. 

Daher stellen auch die (Pflege-) Eltern den Antrag auf Kindergeld, nicht das Kind.

Unter welchen Voraussetzungen gibt es Kindergeld für Kinder mit Behinderung, die bereits 26 Jahre alt sind?

Kindergeldanspruch für volljährige Kinder besteht über den 26. Geburtstag hinaus, wenn das Kind aufgrund einer Behinderung außerstande ist, für seinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen und die Behinderung vor dem 26. Geburtstag eingetreten ist (§ 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG)

Kindergeld für erwachsene Kinder mit Behinderung gibt es also nur, wenn  

  1. das erwachsene Kind mit Behinderung nicht selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann (jährliches Einkommen liegt unter dem gesetzlich festgelegten Grundfreibetrag),
     
  2. die Behinderung vor dem 25. Lebensjahr eingetreten ist,
     
  3. die Behinderung ursächlich dafür ist, dass der erwachsene Mensch nicht selbst für seinen Unterhalt sorgen kann.
     

Wichtig zu beachten:

  • Die Behinderung muss vor dem 26. Geburtstag eingetreten sein, jedoch nicht der Umstand, dass die Person sich nicht selbst unterhalten kann.
     
  • Bei Kindern, die bis einschließlich 1981 geboren wurden, muss die Behinderung vor dem 27. Geburtstag eingetreten sein.
     
  • Das Kindergeld kann rückwirkend nur für 6 Monate beantragt werden.
     
  • Kein Kindergeldanspruch besteht, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes ausreichend sind, um für die Kosten seines Lebensunterhalts aufzukommen.

Wann ist das Kind außerstande sich selbst zu unterhalten?

Nach den Regelungen für das Kindergeld ist ein Mensch mit Behinderung erst dann im Stande, sich selbst zu unterhalten, wenn seine Einkünfte und Bezüge höher sind als sein Lebensbedarf.
Ein Mensch mit Behinderung ist außerstande sich selbst zu unterhalten, wenn er weniger als  10.347 € pro Jahr (Grundfreibetrag Stand: 2022) erwirtschaftet. Zu diesem Grundfreibetrag kann ein sogenannter Mehrbedarf geltend gemacht werden. Dieser richtet sich nach den individuellen Lebensumständen sowie der Art und Schwere der Behinderung (siehe unten). 

Zusätzlich können Menschen mit Behinderung den sogenannten Behinderten-Pauschbetrag geltend machen. Je nach Grad der Behinderung werden hier weitere Freibeträge gewährt. Informationen zum Behinderten-Pauschbetrag findest Du in unserem Fachbeitrag zum Thema „Steuererleichterungen“.

Einkünfte und Bezüge sowie der Lebensbedarf errechnen sich jeweils aus verschiedenen Bestandteilen, die Du im Folgenden nachlesen kannst.

1. Lebensbedarf

Der notwendige Lebensbedarf des Kindes mit Behinderung setzt sich zusammen aus

  • einer jährlich neu festgesetzten Einkommensgrenze (Grundfreibetrag), die  im Jahr 2022 bei 10.347 € (§ 32a EStG) Einkommen pro Jahr liegt, und
     
  • dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf.

Der individuelle behinderungsbedingte Mehrbedarf wiederum besteht aus unterschiedlichen Bestandteilen, je nachdem ob das Kind mit Behinderung in einer besonderen Wohnform (vollstationären Einrichtung) wohnt, eine teilstationäre Einrichtung (z. B. WfbM oder Tagesförderstätte) besucht oder keine dieser Leistungen in Anspruch nimmt.
 

Mehrbedarf bei Unterbringung in einer besonderer Wohnform (vollstationär)

  • Kosten für die Unterbringung (Heimkosten = Tagespflegesatz x 365). Von diesen Kosten ist der Wert der Verpflegung abzuziehen.
     
  • Betreuungsbedarf: Wurde ein Pflegegrad anerkannt, wird der Betrag des monatlichen Pflegegeldes, zuzüglich notwendiger persönlicher Betreuungsleistungen der Eltern, wenn diese von einem Amtsarzt bescheinigt wurden, angerechnet.
     
  • Fahrtbedarf: Fahrtkosten, die von einem Kostenträger oder einem anderen Dritten übernommen wurden bzw. ein pauschaler Fahrtbedarf, den die Familienkasse errechnet.
     
  • Sonstiger behinderungsbedingter Aufwand, z. B. erhöhte Bekleidungskosten oder Kosten für Erholungsaufwand
     

Mehrbedarf bei Besuch einer teilstationären Einrichtung  

  • Kosten für die teilstationäre Einrichtung. Von diesen Kosten ist der Wert der Verpflegung abzuziehen.
     
  • Betreuungsbedarf: Wurde ein Pflegegrad anerkannt, wird der Betrag des monatlichen Pflegegeldes, zuzüglich notwendiger persönlicher Betreuungsleistungen der Eltern, wenn diese von einem Amtsarzt bescheinigt wurden, angerechnet.
     
  • Fahrtbedarf: Fahrtkosten, die von einem Kostenträger oder einem anderen Dritten übernommen wurden bzw. ein pauschaler Fahrtbedarf, den die Familienkasse errechnet.
     
  • Sonstiger behinderungsbedingter Aufwand, z. B. erhöhte Bekleidungskosten oder Kosten für Erholungsaufwand
     

Mehrbedarf in den übrigen Fällen

  • Der entsprechende Behindertenpauschbetrag. Kann durch Einzelnachweise ein höherer Bedarf als der Pauschbetrag nachgewiesen werden, ersetzt dieser den Pauschbetrag.
     
  • Betreuungsbedarf: Wurde ein Pflegegrad anerkannt, wird der Betrag des monatlichen Pflegegeldes, zuzüglich notwendiger persönlicher Betreuungsleistungen der Eltern, wenn diese von einem Amtsarzt bescheinigt wurden, angerechnet.
     
  • Fahrtbedarf: Fahrtkosten, die von einem Kostenträger oder einem anderen Dritten übernommen wurden bzw. ein pauschaler Fahrtbedarf, den die Familienkasse errechnet.

2. Einkünfte und Bezüge (Finanzielle Mittel)

Dem Lebensbedarf des Kindes sind die Einnahmen des Kindes gegenüberzustellen, die sich aus den Einkünften und Bezügen zusammensetzen.

Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit, aus nichtselbständiger Arbeit (z. B. Arbeitsentgelt in der WfbM), aus Kapitalvermögen (z. B. Zinsen, Dividenden), aus Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte (z. B. Renten, Spekulationsgewinne) abzüglich der Werbungskostenpauschale in Höhe von 1000 €.

Bezüge, d.h. alle steuerfreien Einnahmen, egal ob diese als Geld- oder als Sachbezüge bezogen wurden. Der Wert der Sachbezüge wird nach der Sachbezugsverordnung bestimmt. Bezüge sind z. B. Arbeitslosengeld, Grundsicherung, Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege, Sachbezüge für Unterkunft und Verpflegung, eine steuerfreie Unfallrente sowie tatsächlich erhaltenes Pflegegeld abzüglich der Kostenpauschale in Höhe von 180 €.

Das Vermögen des Kindes wird bei der Frage, ob es in der Lage ist sich selbst zu unterhalten nicht mehr berücksichtigt. Lediglich die Kapitalerträge (z. B. Zinsen) zählen zum Einkommen (BFH Urteil vom 19. August 2002, VIII R 17/02 und VIII R 51/01).
 

Berechnungsbeispiel (Stand der Beispielrechnung: 2022)

Diese Beispielrechnung bezieht sich auf ein Kind mit Behinderung, mit einem Pflegegrad 2 und einem GdB von 70, das bei seinen Eltern wohnt und in einer WfbM arbeitet. Die Fahrtkosten werden vom Sozialhilfeträger übernommen.

Lebensbedarf:

Grundbedarf (aktuellen Grundfreibetrag findest Du in § 32a EStG)10.347 € Pauschbetrag für Menschen mit Behinderung (nach § 33b Abs. 3 EStG)1.780 €

Kosten der Beschäftigung in einer Werkstatt (1.250 € x 12 Monate)

abzüglich Verpflegungskosten (107 € x 12 Monate gemäß §2 SvEV)                                                     

 

13.716 €

Pflegebedarf (Pflegegeld des Pflegegrades 2: 316 € x 12 Monate)3.792 €Fahrtkosten zur Werkstatt (nach SGB IX 100 € x 12)1.200 €Summe30.835 €

 

Einkünfte und Bezüge:

Einkünfte aus nicht selbstständiger Tätigkeit § 19 EStG (250 € x 12 Monate) 
abzüglich Werbungskostenpauschale (1.000 €)2000 €Erwerbsminderungsrente (820 € x 12 Monate) abzüglich Werbungskostenpauschale (102€)9.738 €Eingliederungshilfe für die WfbM (nach SGB IX; 1.250 € abzgl. Kostenbeitrag 60 € x 12 Monate) 14.280 €Sozialversicherungsbeiträge (72 € x 12 Monate)– 864 €Pflegegeld (316 € x 12 Monate)3.792 €Eingliederungshilfe für Fahrten zur Werkstatt (nach SGB IX; 100 € x 12 Monate)1.200 €abzüglich der Kostenpauschale– 180 €Summe29.966 €


Im Beispiel sind die Einkünfte und Bezüge niedriger als der Lebensbedarf: In diesem Falle wäre dein Kind außerstande, sich selbst zu unterhalten und Du würdest Kindergeld erhalten.

Weitere Beispielrechnungen und ausführliche Erklärungen findest Du im Merkblatt "Kindergeld für erwachsene Menschen mit Behinderung" (PDF-Download) des Bundesverbands für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. und in der Dienstanweisung Kindergeld (PDF-Download). In den jeweiligen Anweisungen wird bei den Beispielen unter anderem noch weiterführend zwischen teil- und vollstationär unterschieden.

Wie muss die Behinderung nachgewiesen werden?

Um Kindergeld für dein volljähriges Kind mit Behinderung zu beantragen, musst Du die Behinderung deines Kindes nachweisen. Dazu benötigst Du eine Bescheinigung/Gutachten, aus dem folgenden Informationen hervor gehen:

  • Vorliegen der Behinderung
     
  • Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit
     
  • Beginn der Behinderung (wenn dein Kind das 25. Lebensjahr bereits vollendet hat)


Für den Nachweis reicht in der Regel der Schwerbehindertenausweis deines Kindes. Hat dein Kind keinen Schwerbehindertenausweis kannst Du auch folgende Dokumente beilegen:

  • Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes
     
  • Rentenbescheid
     
  • Pflegegeld-Bescheid
     
  • ärztliches Gutachten.

Achte auf die Gültigkeitsdauer deiner Dokumente.

Wann ist eine Behinderung ursächlich?

Die Behinderung deines Kindes muss Ursache dafür sein, dass dein Kind seinen Lebensunterhalt nicht selbst erwirtschaften kann. Dies ist in den folgenden Fällen gegeben (siehe DA-KG A 19.3 (PDF-Download)):

  • Merkzeichen „H“ (Hilflos) im Schwerbehindertenausweis, oder
     
  • Pflegegrad 4 oder 5, oder
     
  • Erwerbsminderungsrente bewilligt ist oder eine dauerhafte volle Erwerbsminderung nach § 45 SGB XII festgestellt ist, oder
     
  • das Kind arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) oder in einer Tagesförderstätte betreut wird, oder
     
  • das Kind bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII, oder
     
  • das Kind in einer besonderen Wohnform lebt oder
     
  • es liegt ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 vor und das Kind wird für einen Beruf ausgebildet

In besonderen Fällen reicht auch eine sogenannte Mitursächlichkeit der Behinderung aus. Das bedeutet, das Kind ist zwar grundsätzlich in der Lage auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten, allerdings führt die Behinderung zu erheblichen Einschränkungen der Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt (BFH Urteil vom 19.11.2008 – III R 105/07 auf der Seite des Bundesfinanzhofs).

Wo beantrage ich Kindergeld für ein erwachsenes Kind mit Behinderung?

Den Antrag auf Kindergeld (falls Du bereits Kindergeld beziehst genügt ein Kurzantrag) kannst Du auf der Seite der Arbeitsagentur herunterladen. Bitte beantrage das Kindergeld bei der Familienkasse der Arbeitsagentur in deinem Bezirk. Angehörige des öffentlichen Dienstes und Empfänger von Versorgungsbezügen müssen den Antrag bei der Familienkasse der zuständigen Bezügestelle stellen.

Du kannst den Antrag online stellen, persönlich in deiner Familienkasse abgeben, per Post zusenden oder durch einen Beauftragten abgeben lassen.

Bei der Beantragung muss grundsätzlich ein Schwerbehindertenausweis oder ein entsprechendes Dokument (z. B. Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes, Rentenbescheid oder Pflegegeld-Bescheid) vorgelegt werden. Nach Ablauf der Gültigkeit ist der verlängerte Nachweis erneut vorzulegen.

Wie hängt das Kindergeld mit anderen steuerlichen Vergünstigungen zusammen?

Das Elterneinkommen bleibt unberücksichtigt. Viele steuerliche Vergünstigungen, die Eltern eines behinderten Kindes geltend machen können, hängen davon ab, ob das Kind berücksichtigungsfähig im Sinne des EStG ist. Dies ist der Fall, wenn die Eltern für dieses Kind kindergeldberechtigt sind.

Zu den Folgeansprüchen zählen beispielsweise:

  • Beihilfeberechtigung in der Beamtenversorgung
     
  • Übertragung des Behinderten-Pauschbetrags auf die Eltern

Wenn Eltern Sozialhilfe beziehen, dann wird das Kindergeld entsprechend angerechnet und an das Sozialamt abgeführt. Dennoch sollte aufgrund der daraus resultierenden Folgeansprüchen auf jeden Fall Kindergeld beantragt werden.

Auszahlung des Kindergelds

Wird das Kindergeld nicht auf das Konto der Eltern, sondern direkt auf das Konto des Kindes mit Behinderung ausgezahlt oder von den Eltern dorthin sofort weiter überwiesen, gilt es als Einkommen des Kindes und führt unter Umständen dazu, dass die Leistungen der Grundsicherung gekürzt werden. Zum Teil treten die Sozialämter direkt an die Eltern heran und bitten diese, das Kindergeld an das Kind weiterzuleiten. Dazu bist Du jedoch nicht verpflichtet und solltest unbedingt widersprechen.

Darf das Sozialamt einen Teil des Kindergeldes abzweigen?

In § 74 des Einkommenssteuergesetzes heißt es, dass das Kindergeld auch an die Stelle ausgezahlt werden kann, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn Kindergeldberechtigte (also im Regelfall die Eltern) ihre gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht erfüllen.