Wieviel Liter Milch gibt eine Kuh im Jahr

Ohne Zucht keine Hochleistungskuh

Fragt man nach der Verantwortung für die gesundheitliche Situation der Milchkühe, so wird neben der Landwirtschaft vor allem auf die Zucht verwiesen. Schließlich wäre ohne sie unsere moderne Hochleistungsmilchkuh gar nicht erst denkbar. Laut Martens müsse die Zucht weg von der Fokussierung auf Leistung, wenn es den Kühen besser gehen soll.

Jürgen Hartmann ist der Geschäftsführer des Zuchtunternehmens Rinder-Union West, Hartwig Meinikmann ist der Abteilungsleiter für den Bereich Zucht. Ihren Beruf verfolgen sie mit echter Leidenschaft, wer mit ihnen spricht, merkt das sofort. Noch immer sei die Milchleistung das wichtigste Kriterium, nach dem gezüchtet wird, sagen sie.

Kuhgesundheit wird in der Zucht wichtiger

Doch es verändert sich durchaus etwas. Früher waren Milchleistung und äußeres Erscheinungsbild die einzigen Merkmale, nach denen gezüchtet wurde. Dazu gab es schlicht die meisten und am weitesten zurückreichenden Daten, erklärt Meinikmann. Heute sehe es anders aus. Denn je mehr Informationen über die „Abgangsgründe“ der Kühe erhoben wurden, desto mehr rückten auch Zuchtwerte wie „Nutzungsdauer“ und „Gesundheit“ in den Fokus. Meinikmann nennt es einen “Meilenstein in der Weiterentwicklung der Zucht, dass wir von der reinen Leistungsbetrachtung wegkommen“.

Letztlich hänge es vor allem an der Datengrundlage und die habe es vor 20 oder 30 Jahren nicht gegeben. Außerdem spiele der technische Fortschritt eine Rolle. Die verschiedenen Modelle, um Zuchtwerte zu berechnen, seien äußerst komplex. Es gebe viele externe Effekte, die berücksichtigt werden müssen. Dafür benötige man eine entsprechende Rechenleistung, auf die die Zucht heute zurückgreifen könne.

Es gibt neue Zuchtwerte

Dass sich in der Zucht etwas bewegt, lässt sich auch anhand von Zahlen festmachen. Im sogenannten RZG, dem „Relativzuchtwert gesamt“, werden alle für die Zucht relevanten Kriterien nach Gewichtung zusammengefasst. Darin waren zwar schon länger einige Merkmale enthalten, die die Gesundheit der Kühe mit beeinflussen, beispielsweise die „Nutzungsdauer“, „Fruchtbarkeit“ oder der „somatische Zellgehalt der Milch“.

Seit April 2021 gibt es jedoch einen neuen RZG. Im Gegensatz zum alten bezieht er die Gesundheit der Tiere direkt mit ein – zu 18 Prozent. Die Milchleistung ist zwar immer noch das Merkmal mit dem größten Gewicht. Doch der Anteil liegt beim neuen RZG nur noch bei 36 Prozent statt bei 45 Prozent wie beim alten.

Neben dem RZG gibt es auch noch den RZEuro. Dieser Wert wurde im August 2020 eingeführt. Allen relevanten Merkmalen wurde hier ein ökonomischer Einfluss zugeordnet, nach dem sich die entsprechende Gewichtung ergibt. Auf die „Leistung“ (41 Prozent) folgen „Nutzungsdauer“ (27 Prozent) und „Gesundheit“ (16 Prozent).

Milchkuh und Tierschutzgesetz

Im Grunde ist die Veränderung in der Zucht eine gute Nachricht. Doch Martens sieht darin auch „das ungewollte Eingeständnis verbunden, dass die bisherige phänotypische Zucht mit ‚Nebenwirkungen‘ oder Gesundheitsrisiken verbunden war“.

Entsprechend seien die Zuchtanstrengungen der Vergangenheit mit genetischen Krankheitsrisiken verbunden, die als Nachweis eines Verstoßes gegen den Paragraph 11b des Tierschutzgesetzes angesehen werden müssten. Es ist der sogenannte „Qualzuchtparagraph“. Dort steht:

„Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch biotechnische Maßnahmen zu verändern, soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse oder im Falle der Veränderung Erkenntnisse, die Veränderungen durch biotechnische Maßnahmen betreffen, erwarten lassen, dass als Folge der Zucht oder Veränderung

1. bei der Nachzucht, den biotechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder

2. bei den Nachkommen

a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten,
b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
c) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.“

Und auch heute noch sieht Martens „die Überforderung eines Tieres verboten, die offensichtlich postpartal mit dem raschen Anstieg der Milchleistung und der dazu erforderlichen Steigerung des Stoffwechsels um den Faktor 3-5 bis zum Peak der Milchleistung gegeben ist“.

Denn in Paragraph 3 des Tierschutzgesetzes heißt es: „Es ist verboten, einem Tier außer in Notfällen Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen“.

Gezielte Zucht auf Gesundheit ist schwer

Wenn man sich also in der Zucht schon bemüht, warum hat man dann den Anteil der Gesundheit nicht noch viel höher angesetzt? Laut Hartmann liegt das daran, dass der genetische Anteil, der für die Gesundheit der Kühe verantwortlich ist, vergleichsweise gering ist. Der Großteil hänge von der Umwelt ab, entsprechend schwierig sei es, gezielt auf die Gesundheit hin zu züchten.

Es geht nicht darum, nach Prinzipien zu züchten

Und natürlich sei die Milchkuh letztlich auch ein Nutztier, mit dem die Landwirt:innen Geld verdienen müssten. Die Zuchtwerte müssen demnach ökonomisch Sinn machen. „Sonst werden sie nicht beachtet“, sagt Hartmann. Anspruch der Rinder-Union West sei es nicht, nach Prinzipien zu züchten. Das heißt: Den Wert nur noch auf Gesundheit und Nutzungsdauer zu legen, würden sie schon machen – solange die Bauern und Bäuerinnen das akzeptieren.

Ein weiterer Knackpunkt in der Zucht: die Unterversorgung der Kühe insbesondere zu Beginn der Laktation nach der Geburt des Kalbes. Da gebe es „keine richtige Antwort aus der Zuchtwelt“, räumt Hartmann ein und erklärt die Schwierigkeit: Züchte man auf viel Futteraufnahme, damit die Kuh das Energiedefizit ausgleichen kann, dann fresse sie schließlich zu viel.

Denn während die Kuh zu Beginn der Milchabgabephase ein hohes Defizit hat und entsprechend viel Futter benötigt, sieht es zum Ende der Phase gegenteilig aus. Im Grunde müsse man also auf eine hohe Futteraufnahme zu Beginn der Laktation und eine niedrige zum Ende hin züchten. Doch das ist derzeit noch ein Zielkonflikt.

Günstiges Sperma bevorzugt

Noch ein Problem, das sich auch auf die Zucht auswirkt: Viele Bauern und Bäuerinnen sind knapp bei Kasse. Sie bevorzugen daher günstiges Sperma, sagen Hartmann und Meinikmann. Doch neue Zuchtbullen, die die aktuellen Zuchtwerte inklusive Gesundheitsfaktoren berücksichtigen, sind auch die teuersten. Das verlangsame die züchterische Entwicklung hin zu einer gesünderen Kuh zusätzlich.

Dabei sind die Folgen der neuen Zuchtwerte ohnehin erst zeitversetzt sichtbar. Eine Kuh, die heute auf dieser Basis gezüchtet und geboren wird, hat noch ihr ganzes Leben vor sich. Bis also tatsächlich auch in den Abgangsraten und -gründen sichtbar wird, ob die neuen Zuchtwerte zu gesünderen und langlebigeren Kühen führen, werden noch über zehn Jahre vergehen, schätzt Hartmann.

Immerhin: Wer heute einen Blick auf die Abgangsraten wirft, der stellt fest, dass diese in den vergangenen 20 Jahren mehr oder weniger konstant bleiben – bei steigender Milchleistung. Das zeigt, dass es zumindest gegenläufige Effekte geben könnte, die der Lebensdauer der Milchkühe zugutekommen.

Daten widersprechen sich scheinbar

Das Rechenzentrum „vit“, das unter anderem die Datengrundlage für die Zucht zur Verfügung stellt, findet insgesamt sogar einen leicht positiven Zusammenhang zwischen Milchleistung und Gesundheitsmerkmalen. Allein die Gesundheit des Euters wird demnach schlechter, wenn die Milchleistung steigt. Alle anderen Merkmale wie die Gesundheit der Klauen oder die Stoffwechselstabilität korrelieren laut den „vit“-Daten positiv mit der Milchleistung.

Andere Studien hingegen zeigen unabhängig voneinander einen negativen Zusammenhang, das heißt: je höher die Milchleistung, desto schlechter der Gesundheitszustand der Kühe. Wie kann das sein?

Die Ergebnisse des „vit“ basieren auf einer riesigen Datenmenge. Entsprechend ist das Rechenzentrum durchaus in der Lage, hochsignifikante Korrelationen zu ermitteln. Weder Martens noch Sundrum sehen einen Anlass, die Zahlen anzuzweifeln. Allerdings würden in die Analyse zahlreiche Daten sowohl von kranken und gesunden Tieren mit hohen Leistungen einfließen als auch von kranken und gesunden Tieren mit niedrigen Leistungen. „Am Ende werden so die Zusammenhänge zwischen Milchleistungs- und Erkrankungsniveau nivelliert“, erklärt Sundrum.

Viele Tierhalter:innen unterschätzen das Krankheitsaufkommen

Zudem kommen die Angaben zu den Erkrankungen von den Landwirt:innen selbst. Dass das zu Ungenauigkeiten führen kann, zeigt eine im Juni 2020 abgeschlossene repräsentative Querschnittsstudie zu Tiergesundheit, Hygiene und Biosicherheit in 765 deutschen Milchkuhbetrieben. Dabei wurden sowohl die Tierhalter:innen befragt als auch eigene Untersuchungen vorgenommen. Ein Ergebnis: Viele Tierhalter:innen unterschätzten das Krankheitsaufkommen ihre Kühe deutlich.

Letztlich ließen sich jedoch ohnehin nicht alle tierschutzrelevanten Probleme auf den einen Faktor „Leistungsniveau“ reduzieren, sagt Sundrum. „Auf einigen Betrieben spielt das Leistungsniveau eine Rolle bezüglich der unfreiwilligen Abgänge, auf anderen Betrieben wiederum ist der Effekt gering.“ Maßgeblich seien daher nicht die überbetrieblichen, sondern die einzelbetrieblichen und tierindividuellen Zusammenhänge.

Dass es durchaus auch Betriebe mit Kühen gibt, die sehr, sehr viel Milch geben und trotzdem gesund sind, zeigt für Martens lediglich, dass ein gutes Management der Landwirt:innen genetische Risiken kompensieren kann. Trotzdem rechtfertigten gute Beispiele nicht „das grundsätzlich bestehende System der hohen Erkrankungen, der vorzeitigen Abgänge und der ökonomisch unsinnig kurzen Nutzungsdauer“.

Daten, Daten, Daten

Um die gesundheitliche Situation der Milchkühe zu verbessern, müsse laut Sundrum zunächst umfassend untersucht werden, warum die Tiere unter den spezifischen Bedingungen erkranken, unter denen sie gehalten werden. Entscheidend sei nicht allein die Milchleistung, sondern vor allem, wie gut und wie lange die Tiere in der Lage sind, die Leistung unter den Umständen zu erbringen, in denen sie sich befinden. „Sind die Lebensbedingungen nicht optimal, wird eine Kuh krank, sobald sie damit überfordert ist, sich entsprechend anzupassen.“

Ob eine Kuh krank wird oder nicht, hängt also von sehr vielen Faktoren ab, die sowohl genetisch als auch umweltbedingt sind. Je mehr Daten zur gesamten Situation der Kühe existieren, je mehr Daten darüber erhoben werden können, was die Gesundheit einer Kuh fördert oder ihr schadet, und je deutlicher gezeigt werden kann, dass sich die Mühe auch wirtschaftlich für die Landwirt:innen rentiert, umso besser stehen die Chancen der zukünftigen Kühe, älter und gesünder zu werden als ihre heutigen Artgenossen.

Wie viel Liter Milch gibt eine normale Kuh pro Tag?

Während eine Mutterkuh auf natürliche Weise rund vier Liter Milch pro Tag produzieren würde, erzeugt eine auf Milchleistung gezüchtete Kuh in einem Zeitraum von zehn Monaten ca. 28 Liter Milch pro Tag.

Wie viele Jahre gibt eine Kuh Milch?

Hochleistungskühe. Noch vor 25 Jahren waren Bauern stolz auf Milchkühe mit einer Lebensleistung von 100 000 Litern Milch. Diese Milchmenge hatten die Kühe in 15 bis 20 Lebensjahren gegeben. Heute gibt es Hochleistungskühe, die bis zu 30 000 Liter Milch pro Jahr geben.

Wie viel Milch gibt eine Turbokuh?

40 bis 50 Liter Milch täglich. Für einen einzigen Liter Milch muss die Kuh rund 500 Liter Blut durch ihr Euter pumpen. Eigentlich kein Problem. Doch die moderne Turbo-Kuh gibt nicht ein paar Liter für ein Kälbchen, sondern 40 bis 50 Liter täglich für den Massenmarkt.

Wie viel Liter Milch braucht man für 1 kg Käse?

Für 1 kg Käse benötigt man demnach zwischen 4 Liter (zB Frischkäse) und 13 Liter (zB Hartkäse) pasteurisierte Milch oder Rohmilch. (Für einen Laib Emmentaler ca. 75–80 kg benötigt man rund 1.000 Liter frische, silofreie Rohmilch.)