Kind 3 jahre spricht nicht versteht aber alles

Logopädie – Hilfe für Kinder, die nicht sprechen wollen


Kinder, die einfach nicht anfangen zu sprechen, bereiten ihren Eltern große Sorgen. Doch oft ist es nicht die Sprache allein, andere Auffälligkeiten kommen hinzu: das Kind kann nicht gut spielen, ist ängstlich, schüchtern oder auch allzu draufgängerisch.

Kinder, die einfach nicht anfangen zu sprechen, bereiten ihren Eltern große Sorgen. Doch oft ist es nicht die Sprache allein, andere Auffälligkeiten kommen hinzu: das Kind kann nicht gut spielen, ist ängstlich, schüchtern oder auch allzu draufgängerisch.

Sprachliche, Verhaltens- und Leistungsauffälligkeiten sind meist Ausdruck eines mehrdimensionalen Problems (betreffend der Motorik, Handlungsplanung, wie auch Probleme in der psychischen und sozialen Entwicklung). Beim Spracherwerb geht es also nicht darum Wörter und Sätze zu trainieren und zu korrigieren. Das Ziel besteht vielmehr darin, das Interesse des Kindes für seine Gegenstands- und Personenwelt zu wecken. Nur so kann das Kind auch das, was ihm seine Bezugspersonen anbieten und zeigen, aufnehmen und verarbeiten. Dann wird sich das Kind aktiver mit seiner Umwelt auseinandersetzen und die Möglichkeit erlangen seine Schwierigkeiten zu kompensieren.

Eltern Magazin sprach mit Frau Elke Rogy, diplomierte Logopädin, mit eigener logopädischer Praxis über die kindliche Sprachentwicklung.

Welche Entwicklungsschritte sind wichtig und warum?

Beim Spielen macht das Kind viele wichtige Erfahrungen mit verschiedenen Gegenständen, es „be- greift“ seine Welt und beginnt Vorstellungen davon aufzubauen. Im Alter von ein bis eineinhalb Jahren lernt das Kind die Funktion der Gegenstände kennen (Telefone zum Telefonieren, Löffel zum Essen etc.). Nun ist es aber auch wichtig ein Bild von sich selbst zu entwickeln. Im ersten Lebensjahr erlebt das Kind die Mutter so, als würde sie im gleichen Moment dasselbe denken und fühlen. Diese Beziehung ändert sich, wenn das Kind die ersten Schritte macht und Nähe und Distanz zur Mutter und zu anderen Bezugspersonen mitbestimmen kann. Das Wort „Nein“ erlangt große Bedeutung, und übt starke Faszination aus, sodass die Kinder die Wirkung des Wortes bald selbst ausprobieren: Trotzphase! Diese Auseinandersetzungen sind mühsam für Eltern und Kind, jedoch für die sprachliche und emotionale Entwicklung von größter Bedeutung. Wichtig in dieser Zeit ist die Entdeckung, dass der Andere eigene Gedanken und Gefühle hat, die nicht immer mit den eigenen übereinstimmen. Diese Erkenntnis ermöglicht es dem Kind ein Bild von sich selbst zu entwickeln, sich im Spiegel zu erkennen, sich selbst beim Namen zu nennen und später auch „ich“ zu sagen. Sobald sich das zweijährige Kind als eigenständige Person erlebt, wird es jetzt auch die Sprache benutzen, um eigene Gefühle und Gedanken mitzuteilen.

Wie denken und fühlen kleine Kinder?

Im Alter zwischen drei und fünf Jahren beginnen kleine Kinder sich Gedanken über die Welt und über sich selbst zu machen. Diese Auseinandersetzung mit der Welt, aber vor allem mit sich selbst lässt das Bewusstsein für den eigenen Körper (Körperwahrnehmung) wachsen. Sie beginnen sich zunehmend mit andern zu vergleichen (Geschwistern) und reagieren auf eigene Schwierigkeiten. Diese Gefühle machen Angst, führen zu unsicherem Verhalten und machen Kinder zu sehr empfindsamen Wesen. Häufig können Kinder die Grenzen zwischen Fantasie und Realität nicht klar ziehen und die verschiedensten Ängste können auftauchen. Wichtig ist es, dem Kind in solch bewegten Lebensphasen Sicherheit zu geben, Ängste ernst zu nehmen und auftauchende Fragen versuchen zu beantworten.

Wie kommt Sprache zustande?

Für die Entdeckung der Sprache braucht es zwei wichtige Voraussetzungen; erstens die Möglichkeit, sich etwas nicht Vorhandenes vorzustellen, und zweitens die Lust, dem Du etwas zu erzählen, im Wissen, dass diese andere Person nicht automatisch das gleiche denkt wie ich. Sprache kommt von jemandem, ist an ein DU gerichtet und bezieht sich auf etwas Drittes (Gegenstand oder Thema). Dieses Dreieck zwischen ICH, DU und GEGENSTAND, diese Verknüpfung der Welt der Dinge mit der Welt der Personen passiert über den triangulären Blickkontakt. Das Kind nimmt einen Gegenstand und schaut erwartungsvoll zu mir, als ob es fragen wollte „Was meinst du dazu?“. Dieser Blick zeigt, dass es sein Erlebnis mit dem Gegenstand (mit-)teilen möchte und bildet die Basis jedes kommunikativen Austausches. Das Kind entwickelt ein erstes Sprachverständnis, dass noch ganz an das Hier und Jetzt gebunden ist. Zwischen 12 und 18 Monaten beginnt das Kind die ersten Wörter zu produzieren (etwa 10 – 20 Wörter). Gegen Ende des zweiten Lebensjahres kann das Kind erste Vorstellungen aufbauen, das heißt es kann an einen Apfel denken, wenn es das Wort hört (und nicht sieht), und es kann ein bestimmtes Wort sagen, um mitzuteilen, dass es Durst hat. Das Verstehen und Sprechen ist nicht mehr an das Hier und Jetzt gebunden. Das Kind begreift, dass es mit seinen Wörtern etwas bewirken kann und beim Gegenüber etwas auslöst. Dies ist die eigentliche Entdeckung der Sprache. Jetzt möchte es natürlich mehr wissen über die Sprache und beginnt zu fragen („Was?“ „Wo?“). Es kommt in Folge zu einer richtigen „Sprachexplosion“, der Wortschatz nimmt stark zu und das Kind beginnt erste Sätze zu bilden.

Kind 3 jahre spricht nicht versteht aber alles

Wie verläuft die normale kindliche Sprachentwicklung?

Kinder erwerben im Rahmen des normalen Spracherwerbs bis zum vierten Lebensjahr die wichtigsten Meilensteine und Regeln. Ab dem 9. Lebensmonat entwickelt sich das Sprachverständnis, Kinder beginnen Äußerungen nachzuahmen und kommunizieren über Mimik und einfache Gesten (winke- winke, etc.) Ab dem ersten Lebensjahr produziert das Kind willentlich erste Wörter, Einwortsätze ab ca. 1- 1,5 Jahren. Ab 18 Monaten werden einzelne Wörter aneinandergereiht („Mama Ball“, „Papa Arbeit“), zwischen 18 und 24 Monaten beginnt das erste Fragealter („Brot haben?“) und das Kind produziert ungeformte Mehrwortsätze. Ab 3 Jahren formt das Kind grammatikalisch richtige Mehrwortsätze, und mit 3,5 Jahren werden auch komplexe Nebensätze gebildet. Ab dem 4. Lebensjahr tritt das Kind ins zweite Fragealter ein, erweitert grammatikalische Formen und Wortschatz – mit 4 Jahren sollte das Kind eigentlich Sätze bilden können wie ein Erwachsener. Bis auf die Laute Sch und R sollte es alle Laute richtig aussprechen können.

Was können Eltern tun, um ihr Kind (sprachlich) zu fördern?

Eine der wesentlichen Möglichkeiten Kinder sprachlich zu fördern, ist mit Interesse zuzuhören, was sie zu sagen haben. Darüber mit dem Kind sprechen, was es umgibt und was es erlebt und wo es mit Interesse dabei ist. Die Auswahl der Bilderbücher nach den Interessen und Erlebnissen des Kindes richten. Die Fehler des Kindes nicht korrigieren, sondern seine Äußerungen verstärken, indem man das Gesagte richtig wiederholt (korrigiertes Feed- Back). Kinder nicht zum Nachsprechen auffordern, sondern helfen die Bedeutung der Sprache zu entdecken, z. Bsp. Wünsche und Bedürfnisse zu äußern. Dem Kind Zeit geben sich sprachlich auszudrücken, so wenig wie möglich unterbrechen. Mit Hilfe von kleinen Sprechspielen, Reimen, Versen und Geschichten  weckt man die Sprechfreude des Kindes und fördert es spielerisch.

Woran erkennt man verzögerte Sprachentwicklung und welche Schwierigkeiten beim „Sprechenlernen“ können noch auftreten?

Im Alter zwischen drei und dreieinhalb Jahren beginnen fast alle Kinder zu sprechen. Ab diesem Alter hat das Kind die Fähigkeit, Sprache direkt zu kopieren. Satzteile, welche im Alltag häufig geäußert werden, speichert das Kind und gibt es in den entsprechenden Situationen wieder (zum Beispiel: „das da“, „haben wir noch“, „das is“ etc.). Dieses Sprechen bleibt ganz an das Hier und Jetzt gebunden, ist also mehr ein Kommentar als eine echte Mitteilung. Das Kind begleitet sein Tun mit sprachlichen Äußerungen, doch es fehlt der Anspruch damit wirklich etwas beim Anderen zu bewirken. Oft versuchen die Kinder im Alter zwischen 4 und 5 Jahren ihre Schwierigkeiten im motorischen Bereich, Wahrnehmungsbereich etc. durch viel Sprechen zu kompensieren. Sie finden rasch Strategien, wie sie auch die Sprachverständnisprobleme überdecken (stellen ununterbrochen Fragen, ohne eine Antwort hören zu wollen, produzieren selbst viele Ja- Antworten). Häufig zeigen diese Kinder im Alter von 4-5 Jahren eine Sprachentwicklungsverzögerung, die im Zusammenhang mit dem verspäteten Sprechbeginn steht. Sie können ihre sprachlichen Fähigkeiten nicht aktiv erweitern, innerhalb der Sätze lassen sie viele Wörter aus oder haben Schwierigkeiten mit der Wortreihenfolge (Dysgrammatismus); sie können viele Laute nicht korrekt artikulieren, oder lassen sie innerhalb der Wörter weg (Dyslalie) und ihr Wortschatz ist häufig eingeschränkt. Später interessieren sich einige Kinder lange Zeit nicht für die Welt der Buchstaben oder schreiben und lesen in fehlerhafter Weise (Legasthenie). Manchmal sind auch Verhaltensschwierigkeiten zu beobachten. Sie tun sich schwer im Kontakt mit anderen Kindern, sie können sich schlecht konzentrieren und scheinen überaktiv oder passiv, verträumt. Grundsätzlich muss man zwei Vorgänge in der Sprachentwicklung unterscheiden: Sprache und Sprechen. Entdeckt ein 15 Monate altes Kind einen Ball und sagt „Ball“, so kann es zwar das Wort aussprechen – mit Sprache hat es aber wenig zu tun. Sprache d.h. der Spracherwerb ermöglicht dem Kind von einem Ball zu sprechen, wenn er nicht da ist. Das Wissen ich kann dem Anderen – der Mama – vom Ball erzählen, und sie „versteht“.

Bei welchen Problemen in Zusammenhang mit Spracherwerb wird Logopädie eingesetzt?

Das Problem vieler Kinder ist das mangelnde Interesse an den angebotenen Spielen und Wörtern ihrer Umwelt. Den Eltern gelingt es demnach nur schwer, das Kind in seiner Entwicklung zu „be- gleiten“, wenn bedeutungsvolle Handlungen und Gespräche nicht „ankommen“. Daraus resultierende Verzögerungen bzw. Probleme im Spracherwerb stehen meist im Zusammenhang mit kleineren oder größeren Auffälligkeiten in der motorischen Entwicklung, in der (akustischen) Wahrnehmungsverarbeitung und der psycho- emotionalen Entwicklung. Die Verknüpfung verschiedener Entwicklungsschwierigkeiten macht es dem Kind unmöglich die Sprache zu entdecken, es beginnt nicht zu fragen, äußert nur wenige einzelne Wörter, hat Probleme im Sprachverständnis. Beim Spielen muss sich das Kind häufig vermehrt auf die Handlung konzentrieren, um die oben genannten Schwierigkeiten zu kompensieren. Oder es manipuliert Gegenstände nur sehr oberflächlich, ist demnach rasch frustriert und wandert von einem Spielzeug zum nächsten. In beiden Fällen fällt es dem Kind schwer Bau- oder Symbolspiele zu entwickeln und sein Handeln hat wenig Bedeutung. Die Kinder wirken unzufrieden, unkonzentriert, werden hyperaktiv und oft auch aggressiv – andere ziehen sich zurück, spielen immer wieder dieselben Spiele (Autoschlangen bauen, Puzzle bauen etc.) und interessieren sich wenig für Neues. Die meisten Kinder zeigen auch wenig Interesse sich mit der Erwachsenenwelt, das heißt  der Personenwelt auseinanderzusetzen. Viele Kinder machen ihre ersten Schritte verspätet und es ist schwierig sich aus der sicheren Beziehung zur Mutter langsam zu lösen. Loslösungsprobleme bedingen beispielsweise oft eine fehlende Trotzphase, die Anwesenheit der Mutter muss auch noch im Alter von drei, vier Jahren immer kontrolliert werden und die Kinder trauen sich selbst nur wenig zu und resignieren sofort wenn sie auf Schwierigkeiten stoßen. Gleichzeitig fehlt den Kindern durch die Verzögerung des Loslösungsprozesses auch die Notwendigkeit eigene Absichten und Gefühle sprachlich mitzuteilen, da die meisten Mütter ihre Kinder auch ohne Sprache gut verstehen.

Wie verläuft eine logopädische Behandlung? Was passiert in einer frühen Sprachtherapie?

In einem ersten Schritt (Diagnostik) untersuche ich die für den Spracherwerb wichtigen Entwicklungsbereiche und erstelle ein Entwicklungsprofil. In der Therapiesituation sowie in der Untersuchungssituation hat das Medium Spiel eine zentrale Bedeutung. Ich beobachte das Kind im Umgang mit Material und Spielgegenständen (Auseinandersetzung mit der Gegenstandswelt), erfasse seine sozial- kommunikativen Fähigkeiten (Umgang mit der Personenwelt), verfolge seine symbolische Spielentwicklung und kläre die sprachlich- expressiven Fähigkeiten sowie das Sprachverständnis ab. Dieser ganzheitliche Blick lässt zu herauszufinden, wo die speziellen Probleme des Kindes liegen und was die Gründe für die blockierte Sprachentwicklung sein könnten. In einem zweiten Schritt versuche ich gemeinsam mit den Eltern die Zusammenhänge des verzögerten Sprechbeginns bzw. der sprachlichen Auffälligkeiten mit den Auffälligkeiten im Spiel sowie im sozial- kommunikativen Verhalten aufzudecken. Das Kind soll entdecken dass es spannend ist, was andere tun und zu sagen haben. Wenn dies gelingt, das heißt das Kind herausfindet wofür es sich interessiert und den Wunsch entwickelt es dem anderen mitzuteilen und zu zeigen, wenn es auftauchende Probleme für sich lösen oder die Therapeutin auffordert zu helfen, also Fragen stellt, dann hat es die Bedeutung der Sprache entdeckt.

Was ist das Ziel einer logopädischen Behandlung?

Es geht darum dem Kind Wege und Möglichkeiten zu zeigen, welche ihm erlauben, die Welt selbständig- trotz möglicher Einschränkungen oder Schwierigkeiten zu entdecken und sich anzueignen. Gelingt dies, wird es sich beim Ausführen dieser Tätigkeit selbst fördern. Das Ziel einer Therapie ist dann erreicht, wenn das Kind nicht (mehr) gefördert werden muss, weil es eigene Wege zur Entdeckung der Welt und der Sprache entwickeln kann und wenn nötig Andere um Hilfe und Unterstützung bitten kann. Selbstbestimmendes, entdeckendes Lernen ist natürlich nur dann möglich, wenn das Kind Bezugspersonen hat, welche ihm Sicherheit, Geborgenheit und Unterstützung geben können, welche auf seine Bedürfnisse und Absichten eingehen und den Wunsch haben ihm die Welt zu zeigen.

Literaturangabe:

Die Entdeckung der Sprache, Barbara Zollinger, Haupt Verlag Wenn Kinder die Sprache nicht entdecken, Barbara Zollinger (Hrsg.), Haupt Verlag Kinder im Vorschulalter, B. Zollinger (Hrsg.) Babyjahre, Remo H. Largo, Piper Verlag  „Zehn kleine Fingerchen…“ von Cornelia Nitsch „Der neue Daumen Knuddeldick“, Waltraud Singer, Erika Schirmer, Otto Maier Verlag „Komm, erzähl mir was“, Agnes Niegl

Wann ist ein Kind ein Late Talker?

Late Talker („Späte Sprecher”) sind Kinder, die im Alter von 24 Monaten weniger als 50 Wörter und / oder keine Zwei-Wort-Sätze bilden können (Rescorla, 1989). Ihre bisherige allgemeine Entwicklung (Hören, Intelligenz, Motorik) ist in der Regel unauffällig verlaufen, d.h. es liegt keine Hörstörung oder IQ-Minderung vor.

Wie muss ein Kind mit 3 Jahren Sprechen können?

Die magische Grenze mit drei Jahren: Das Kind versteht längere Sätze und Geschichten. Das Kind spricht vollständige, grammatikalisch noch nicht korrekte Sätze. Es spricht von sich in der Ich-Form. Der Wortschatz umfasst mehr als 500 Wörter.

Sind Kinder die später Sprechen weniger intelligent?

Bis zum zweiten Geburtstag umfasst der Wortschatz der Kinder rund 200 Wörter. Es benutzt diese nun ganz bewusst und weiß, was sie bedeuten. Das Kind versucht dadurch auch immer mehr, seine Bedürfnisse und seine Autonomie auszudrücken. Späte Sprecher sind also völlig normal und auch nicht weniger intelligent.

Was tun wenn ein Kind mit 4 Jahren noch nicht spricht?

Vereinbare einen Termin beim Kinderarzt bzw. Sprachtherapeuten: Meist fällt das Schweigen eines Kindes im Vorschulalter auf, gerade wenn es nach dem Kindergartenstart nach 4-8. Wochen immer noch nicht sprechen mag, ist es sinnvoll sich professionelle Hilfe bei einem Sprachtherapeuten oder Logopäden zu holen.