Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

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Founded in 1948. The journal presents analyses, comments, reports and court decisions on international public law.

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The Mohr Siebeck Publishing Company, www.mohr.de, founded in 1801, publishes monographs, series and journals in the fields of theology, Jewish studies, religious studies, philosophy, sociology, history, law and economics.  The authors of this renowned publishing company include scholars and researchers who are known throughout the entire world. Mohr Siebeck’s oldest journal is the Archiv für die civilistische Praxis founded in 1821. In addition to the predominantly German-language journals, Mohr Siebeck also publishes two English-language journals in economics, the FinanzArchiv/Public Finance Analysis (founded as Finanzarchiv in 1884) and the Journal of Institutional and Theoretical Economics, (founded as Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft in 1844). Another English-language journal is Jewish Studies Quarterly (founded in 1993). Many other journals have a high proportion of English-language articles, e.g. Archiv des Völkerrechts (founded in 1948), Early Christianty (founded in 2010), and Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationals Privatrecht (founded in 1927).  

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The Project Gutenberg EBook of Ein Volk in Waffen, by Sven Hedin

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Title: Ein Volk in Waffen

Author: Sven Hedin

Release Date: December 4, 2016 [EBook #53662]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN VOLK IN WAFFEN ***




Produced by Peter Becker and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net






Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Das Innere der Kathedrale von Mecheln am 15. Oktober 1914.

Sven Hedin

Den deutschen Soldaten gewidmet.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Leipzig: F. A. Brockhaus. 1915.

[S. 2] Dieses den tapferen deutschen Soldaten und ihren Angeh�rigen gewidmete B�chlein ist ein Auszug aus dem gleichnamigen Werk Sven Hedins, das im M�rz 1915 erscheinen wird. Diese gro�e Ausgabe umfa�t etwa 500 Seiten mit ungef�hr 250 Abbildungen und kostet geheftet 6, gebunden 10 M.

F. A Brockhaus.

Copyright 1915 by F. A. Brockhaus, Leipzig.

[S. 3] Inhalt.

Seite
Was ich will. Ein Vorwort 5
1. Wo ist das Gro�e Hauptquartier? 7
2. Kriegsbilder auf der Fahrt 10
3. Ein Franzose im Lazarett zu Ems 15
4. Feldpostbriefe 18
5. Verwundete und Gefangene 20
6. Im Hauptquartier 25
7. Der Kaiser 27
8. Zur f�nften Armee 33
9. Beim Kronprinzen 37
10. Hinter der Feuerlinie 40
11. Im Schrapnellfeuer 43
12. Madame Desserrey 46
13. Morgengrauen 49
14. Die �Brummer� bei Eclisfontaine 51
15. Verh�r franz�sischer Gefangener 54
16. Sturm auf Varennes 57
17. Das Feldlazarett in der Kirche von Romagne 61
18. Der letzte Abend beim Kronprinzen 65
19. Longwy 67
20. Ein Brief an den Kaiser 71
21. Die Eisenbahn im Kriege 72
22. Sedan — 1870! 80
23. Bei der vierten Armee 83
24. �Barbarische� Justiz 90
25. Der Krieg in der Luft 91
26. Deutsches Sanit�tswesen im Felde 98
27. Leben an der Front 102
28. Die Feld-Telephonstation 105
29. Am Scherenfernrohr 108
30. Feldgottesdienst 110
[S. 4]31. Nach Belgien 115
32. Die 42-cm-M�rser vor Namur 119
33. �Vandalismus� 122
34. Generalgouverneur Exzellenz von der Goltz 124
35. Antwerpen einen Tag nach seinem Fall 128
36. G�ste des Generalgouverneurs 137
37. An der Schelde 139
38. L�wen 142
39. Die wei�e und die schwarze Marie 143
40. �ber Gent und Br�gge nach Ostende 145
41. Das Bombardement von Ostende 149
42. Mein erster Abend in Bapaume 157
43. An der Front bei Lille 161
44. Die B(apaumer) Z(eitung) am Mittag 167
45. Im Sch�tzengraben 169
46. Allerseelen 174
47. �Lieb Vaterland, magst ruhig sein!� 179
48. Kronprinz Rupprecht von Bayern 180
49. Tommy Atkins in Gefangenschaft 183
50. Die englische L�ge 185
51. Heimw�rts 189

[S. 5] Was ich will. Ein Vorwort.

... Kein Schwede in verantwortlicher Stellung durfte eine Ahnung haben von meiner Reise an die deutsche Front. Unser Land geh�rt ja zu den neutralen Staaten, und auf seine Regierung durfte auch nicht der Schatten eines Verdachts fallen, da� ich in irgendeiner Art geheimer Mission reiste. Nein, der Anla� war ganz einfach. Ich sagte mir: In der Entfernung von einigen Tagereisen wird der gewaltigste Krieg der Weltgeschichte ausgefochten. Dieser Krieg mu� von grundlegender Bedeutung werden f�r die politische Entwicklung der n�chsten f�nfzig, hundert, vielleicht noch mehr Jahre. Seine Folgen m�ssen unbedingt das weitere Dasein der gegenw�rtigen Generation bestimmen. Der Krieg von 1870/71 wurde der Beginn eines neuen Zeitalters in Deutschlands Entwicklung. Dasselbe wird in noch viel h�herem Ma�e, im Guten oder B�sen, vom Krieg 1914 gelten! Alle politischen Probleme der n�chsten Zukunft m�ssen ohne Zweifel ihre Wurzeln in diesem gro�en deutschen Krieg haben. Gehen beide k�mpfenden Machtgruppen mit stark verringerten Kr�ften aus dem Streit hervor, so ist er in seinen erl�schenden Funken der Keim zu einem neuen, vielleicht noch mehr verheerenden Weltbrand. Siegt aber Deutschland auf der ganzen Linie, so wird die Weltkarte durchgreifende �nderungen erfahren, und Deutschland l��t dann in seiner bl�henden Machtf�lle keinen neuen Krieg mehr zu. Siegt Ru�land, so ist das Schicksal Schwedens und Norwegens besiegelt! Wie der Krieg auch endet, m�ssen gro�e und denkw�rdige Ereignisse aus ihm hervorgehen. Wie lehrreich mu� es also sein, ihn am[S. 6] Herde der die Zukunft umst�rzenden Ereignisse, in den zerst�rten Gegenden selbst zu studieren, wo die deutschen Soldaten das Schicksal ihres Landes und der ganzen germanischen Welt auf den Spitzen ihrer Bajonette tragen! Denn nur wer mit eigenen Augen gesehen, wie die Deutschen k�mpfen, kann ganz verstehen, was f�r Deutschland in diesem Krieg auf dem Spiele steht. Meine Fahrt an die Front war also in erster Linie eine politische Studienreise.

Aber auch andere Absichten und Gedanken lie�en mich Sehnsucht nach der Front empfinden. Ich wollte den Krieg als solchen sehen und kennen lernen, um auch f�r andere die Schatten- und die Lichtseiten des Krieges beschreiben zu k�nnen. Die Schattenseiten sind Ha�, Vernichtung, verbrannte H�user, vergeudete Ernten, Verwundete, Kr�ppel, Gr�ber, Trauer und Sorge. Aber auch Lichtseiten hat ein Krieg, der von einem einigen Volk ausgefochten wird, das leben und seine Selbst�ndigkeit bewahren will. Das sind die Einigkeit, Opferwilligkeit und Siegesgewi�heit der Deutschen. Und schlie�lich wollte ich mit eigenen Augen sehen, wie weit Zivilisation, Christentum und Friedensbestrebungen im Jahre 1914 nach Christi Geburt gediehen waren!

Im ersten Abschnitt des Krieges hatte die englische Presse die Deutschen barbarischer Grausamkeit gegen ihre Gefangenen und gegen verwundete Feinde beschuldigt. Keinen Augenblick hatte ich daran geglaubt, aber um der Germanen willen wollte ich die Verleumdung ausrotten und die Wahrheit zur Kenntnis der Allgemeinheit bringen. Kann man nichts anderes von einem Volk verlangen, das auf der H�he der Kultur stehen will, so doch mindestens das eine: da� es seinem Gegner nicht Verbrechen vorwirft, die er nie begangen hat. Deutsche Proteste gegen die Beschuldigungen der feindlichen Zeitungen n�tzten nat�rlich nichts. Vielleicht glaubt man mir, wenn ich vor Gott beteuere, da� ich keine Zeile niederschreibe, die nicht Wahrheit ist, und nichts anderes schildere, als was ich mit eigenen Augen gesehen habe....


[S. 7]1. Wo ist das Gro�e Hauptquartier?

Mit diesen Gedanken trug ich mich Anfang September; sie waren in mir selbst entstanden, ohne den Schatten eines Impulses von schwedischer oder deutscher Seite. Als ich meinen Beschlu� gefa�t hatte, wandte ich mich an den deutschen Gesandten in Stockholm, Exzellenz von Reichenau, der mit gr��ter Freundlichkeit meinen Wunsch an die betreffende Stelle in Deutschland weitergab. Nach acht Tagen erhielt ich die Antwort, mein Besuch an der Front werde willkommen sein. Schon am folgenden Tag, am 11. September, trat ich meine Reise ins Ungewisse an, und am 12. September lie� ich mich im Ausw�rtigen Amt in Berlin, Wilhelmstra�e Nr. 76, melden.

Der Unterstaatssekret�r Herr von Zimmermann, der den Minister des �u�eren in Berlin vertritt, solange Exzellenz von Jagow sich im Gro�en Hauptquartier aufh�lt, nimmt mich mit offenen Armen auf und teilt mir mit, das einzige, was er wisse, sei, da� ich mich nur geradeswegs zu Exzellenz von Moltke ins Gro�e Hauptquartier zu begeben habe.

�Aber wo ist das Gro�e Hauptquartier?� frage ich.

�Das ist Geheimnis�, antwortet Herr von Zimmermann l�chelnd.

�Aber wie soll ich dann hinkommen?�

�Der Chef des Generalstabs, General von Moltke, hat Befehl gegeben, da� ein Automobil zu Ihrer Verf�gung stehen soll. Sie k�nnen jederzeit aufbrechen. Als Begleiter erhalten Sie einen Offizier und einen Soldaten; Sie k�nnen in einer Tour Tag[S. 8] und Nacht fahren, aber auch selbst Weg und Reisezeit w�hlen. Mit einem Wort: Sie haben volle Freiheit.�

�Und dann?�

�Ihr weiteres Geschick h�ren Sie von Exzellenz von Moltke. Das einzige, woran Sie jetzt zu denken haben, ist, ihn aufzusuchen.�

�Und wo finde ich das Auto?�

�Dar�ber gibt Ihnen dieses Papier Bescheid.�

Herr von Zimmermann �berreichte mir ein vom Gro�en Generalstab unterzeichnetes Blatt etwa folgenden Inhalts: �Der Inhaber dieses Zeugnisses ist berechtigt, sich des Relais des Kaiserlichen Freiwilligen Automobilkorps bis ins Gro�e Hauptquartier zu bedienen. Was irgendwie seine Reise erleichtern kann, soll zu seiner Verf�gung stehen.�

Das Freiwillige Automobilkorps hatte in der Friedrichstra�e Nr. 243 sein Bureau; sein Chef war Dr. Arnoldi. Ich fand ihn in einem gro�en mit Offizieren und Ordonnanzen gef�llten Arbeitszimmer, dessen Tische mit Karten, Papieren und Telegrammen bedeckt waren, und wurde auch hier mit der gr��ten Liebensw�rdigkeit empfangen. Zun�chst bekam ich eine Karte der gro�en Relaisstra�e zu sehen. Und dann kam die Frage an mich: �Wollen Sie unabh�ngig von allen Bestimmungen oder wollen Sie Relais fahren, d. h. 700 Kilometer in 16 Stunden, 44 Kilometer die Stunde, in einer Tour?�

Ich dachte einen Augenblick nach und w�hlte dann: �unabh�ngig�. Denn wenn ich 16 Stunden reiste, h�tte ich den letzten und sicherlich interessantesten Teil der Fahrt in dunkler Nacht zur�cklegen m�ssen; ich war aber gekommen, um soviel wie m�glich zu sehen. Die Wegstrecke von Berlin bis zum Hauptquartier mu�te ein best�ndiges Crescendo sein: immer weiter vom Frieden fort — immer n�her den Kampflinien. Ich glaubte in meiner Unschuld, die Landstra�en in Westdeutschland m��ten von Soldaten und Fuhrwerken �berschwemmt sein. Keine Spur davon! Es dauerte lange, bis man des Gedr�nges wegen langsam[S. 9] fahren mu�te; und innerhalb Deutschlands geschehen ja alle Transporte per Bahn.

�Wer wird mein Chauffeur?�

�Ein Offizier, begleitet von einem Soldaten. Beide leisten ihre Dienstpflicht im Freiwilligen Automobilkorps.�

�Wer bestimmt den Offizier?�

�Ich; und ich denke eben an den Rittmeister von Krum aus W�rttemberg.�

Dr. Arnoldi dr�ckt auf einen Knopf und fragt die eintretende Ordonnanz, ob Rittmeister von Krum in der N�he ist. �Ja.� — �Bitten Sie ihn hierher zu kommen.� Und herein tritt in feldgrauer Uniform ein Offizier von vorteilhaftestem Aussehen und gewinnendem Wesen.

Rittmeister von Krum war aus dem aktiven Milit�rdienst ausgeschieden, aber bei Kriegsausbruch wieder unter die Fahnen getreten, und nach geltenden Mobilisierungsbestimmungen hatte er sein Automobil der Krone zur Verf�gung gestellt. Er f�hrt es selbst; der Soldat, der uns begleiten soll, ist in Friedenszeiten sein Chauffeur.

Am folgenden Tag war ich mit meinem Rittmeister unterwegs und equipierte mich feldm��ig von Kopf bis zu Fu�, von der Automobilm�tze bis zu den Schn�rstiefeln und Beinbinden, mit einem passend warmen Sportanzug, mit Pelzweste und Pelzrock, Regenmantel, warmem Filzhalstuch und einer Automobilbrille — die ich nie benutzt habe.

Der 15. September war der Tag des Aufbruchs. Rittmeister von Krum lenkte seinen Wagen selbst und mit bewundernswerter Sicherheit. Neben ihm sa� der Chauffeur, ein Unteroffizier aus W�rttemberg namens Deffner, ich selbst auf dem R�cksitz des Autos. Auf dem Boden des Wagens lag mein Gep�ck, zwei Taschen nur so gro�, da� ich sie im Notfall selbst h�tte tragen k�nnen. —


[S. 10]2. Kriegsbilder auf der Fahrt.

Felder und W�lder, H�fe und St�dte fliegen vor�ber, und der Geschwindigkeitsmesser zeigt auf 70 Kilometer.

Wannsee — Potsdam. Nichts deutet an, da� Deutschland eben seinen gr��ten Krieg erlebt. Gewaltige Ladungen duftenden Heus werden von den Wiesen hereingefahren. Es gibt also noch Pferde in Deutschland, die anderes ziehen als Kanonen und Munition. Die Fl�gel der Windm�hlen drehen sich knarrend und mahlen das Korn, das in Brot f�r Millionen von Soldaten und ihre Familien daheim verwandelt werden soll.

Wittenberg. Auf der Stra�e zieht ein Trupp Freiwilliger. Sie sehen fr�hlich in die Welt hinaus, marschieren k�nnen sie mit taktfesten Schritten, und sie singen ein munteres, belebendes Soldatenlied. An der n�chsten Stra�enecke ein neuer Trupp, der vom oder zum �bungsplatz marschiert, junge, kr�ftige M�nner von soldatischer Haltung; man sieht, wie sie sich darnach sehnen, ins Feld zu ziehen. Sie singen nicht, sie pfeifen eine gem�tliche Melodie, die ganz lustig zwischen den alten wittenbergischen H�usern erklingt. Es sind Germanen. Sie sind nicht geboren, um von slawischen oder lateinischen V�lkern besiegt zu werden. Ihre V�ter sind von Tacitus besungen worden und haben im Teutoburger Wald gesiegt. Nun sind sie w�rdige Nachkommen der alten Germanen, die sich unter den deutschen Adlern zum Kampf f�r die Freiheit zwischen Rhein und Weichsel und jenseits der gro�en Stromt�ler versammeln. Es ist gef�hrlich, Adler zu reizen; noch k�nnen sie ihre Horste verlassen und ihre Schwingen erheben! Jetzt hat Deutschlands Schicksalsstunde geschlagen, jetzt gilt es den Platz und die Zukunft der Germanen auf der Erde! H�rt das Echo ihrer stahlfesten Schritte in Wittenbergs Stra�en! So hallt es �hnlich in allen deutschen St�dten, wo die Freiwilligen zu den Fahnen str�men! Es ist eine V�lkerwanderung, deren gleichen die Welt noch nicht gesehen hat!

In Bitterfeld treffen wir ein, als gerade der Wochenmarkt in h�chstem Flor steht: Vor den Verkaufsst�nden malerisches Leben,[S. 11] farbenreich, altert�mlich und friedlich — kein Mensch kann hier ahnen, da� Deutschland im Krieg steht, und doch denken alle, auch die, die die kleinen Gesch�fte des Tags besorgen, nur einen einzigen Gedanken, den Krieg. Auf der Stra�e vor der Stadt sehen wir Frauen, die in ihre D�rfer zur�ckwandern oder fahren, nachdem sie auf dem Markt ihre Ein- und Verk�ufe gemacht haben. Bei den Braunkohlengruben vor Bitterfeld sind die K�rbe der Luftbahnen in voller Fahrt und f�hren die Kohle in die Fabriken, wo Briketts daraus verfertigt werden.

Bei jeder Br�cke, die wir passieren, �ber oder unter einem Bahngleis, stehen immer ein oder ein paar �ltere Landsturmleute; sie tragen dunkelblaue Uniformen, abends und in der Nacht graue M�ntel. Sie stehen mit verschr�nkten Armen, das Gewehr wagerecht unter den linken Arm geklemmt, und gehen langsam und treu am Kopf der Br�cke oder unter ihrer W�lbung, bis sie von Kameraden abgel�st werden. So oft das Auto mit seinem flatternden Kriegswimpel dahergefahren kommt, nehmen sie Stellung, Gewehr bei Fu�. Mindestens ein Armeekorps ist durch solchen Wachtdienst in der Heimat gebunden.

Auf der Hauptstra�e in Halle ist reges Leben, denn hier ist die gro�e Stra�e nach Merseburg und weiterhin nach dem westlichen Kampfplatz. W�hrend wir uns in der Stadt aufhielten, sausten noch verschiedene Milit�rautomobile vor�ber. Auch hier h�ngen in den Fenstern der Buchhandlungen gro�e Kriegskarten, und davor stehen Gruppen von Schuljungen, die laut und wichtig von dem sprechen, was die kleinen F�hnchen andeuten — vom Krieg.

Wir z�nden den Scheinwerfer des Automobils an und fahren aus Halle heraus, s�dlich an Merseburg vor�ber auf der Stra�e nach Naumburg, immer im Saaletal. Der scharfe Lichtschein erhellt die Landstra�e ein gutes St�ck voraus. Die Schnelligkeit ist auf 40 Kilometer in der Stunde herabgesetzt. Die Laubb�ume der Alleen werden von den Lampen von untenher beleuchtet; es sieht aus, als f�hre man durch einen unendlichen gr�nen Tunnel.[S. 12] In der Ferne, zu beiden Seiten der Stra�e, werden helle Perlenschn�re von gl�nzenden Lichtern sichtbar: die Fenster in D�rfern und H�fen, wo V�ter und M�tter, Geschwister, Jungfrauen und Kinder bei der Abendlampe sitzen und zum zwanzigsten Male die Feldpostbriefe und -karten lesen, die Soldaten von der Front in Frankreich oder in Belgien nach Hause geschickt haben. Ihre Anzahl geht in viele Millionen. Was steht wohl in diesen oft schwer leserlichen Briefen? Ich habe einige von ihnen gelesen. Da erz�hlt der Soldat den Seinen, wie es im Quartier geht, wie das Essen nach den Strapazen des Felddienstes schmeckt, wie ihm zumute ist, wenn die Granaten in seiner N�he krepieren und die Kameraden neben ihm fallen. Da steht auch, da� der Feind verloren ist und im Handumdrehen zur�ckgeworfen werden wird, wenn der General die Stunde f�r gekommen h�lt, um Sturm zu kommandieren. Da wird mit gutm�tiger Achtung von den Franzosen als tapferen, ehrlichen Soldaten gesprochen und von den Engl�ndern mit gl�hendem Ha�. Und schlie�lich sagt oft genug der Soldat, es k�nne keine Rede davon sein, da� er in die Heimat zur�ckkehrt, ehe er verwundet und, was Gott verh�ten wolle, kampfunf�hig geworden und ehe der Sieg �ber die Feinde des Deutschen Reiches erfochten ist. Denn das wissen die Soldaten vom Veteran bis zum j�ngsten Rekruten, da� Deutschland wohl bis an die Z�hne ger�stet war in Erwartung des Krieges, da� aber der Kaiser und die Staatsm�nner Deutschlands alles, was in ihrer Macht stand, taten, um ein Ungl�ck abzuwehren, das die ganze Erde treffen und unerh�rte Str�me von Blut und Tr�nen kosten mu�te, ein namenloses Elend in ver�deten H�usern und verw�steten D�rfern, unz�hlige N�chte des Wartens und der Unruhe und lange Jahre trostloser Sorge und Trauer.

Der Wirt im Hotel �Zum mutigen Ritter� in K�sen leistet uns bei einer Tasse Tee Gesellschaft und berichtet, da� alle seine Badeg�ste auf einmal verschwanden, als der Krieg ausbrach; der ganze Hotelbetrieb stehe still. �Aber was tut das,� f�gt er hinzu — �wenn wir nur siegen!�

[S. 13] 16. September. Wenn man sich im Goethehaus zu Weimar in diese Welt gro�er, teurer Erinnerungen hineinversenkt hat und pl�tzlich wieder auf die Stra�e hinaustretend eine Schar Landsturmleute sieht, die nach dem Schie�platz marschiert, dann mu� man sich die Augen reiben und sich zusammennehmen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Und dieses Volk, das einen Goethe hervorbrachte und jetzt mit gl�nzender Tapferkeit an einem halben Dutzend Fronten k�mpft, ist von einer ganzen Presse, von einer ganzen Nation ein Volk von Barbaren genannt worden! —

Erfurt–Gotha. Links von uns steigen die dunklen, regenschweren, neblichten H�hen des Th�ringer Waldes empor. Aber unser Weg f�hrt durch behagliche D�rfer mit freundlichen Fachwerkh�usern; schreiende G�nse und gackernde H�hner tun ihr m�glichstes, um von uns �berfahren zu werden oder wenigstens unsere Fahrt aufzuhalten. Schnell ist Eisenach erreicht und hinter uns. Die Stra�e biegt nun scharf nach S�dwesten ab, und in sch�n abgerundeten Windungen erklimmen wir die H�hen des Th�ringer Waldes. Tiefer, dunkler, k�hler Schatten; es duftet von feuchtem Erdboden und saftigen Nadeln; ab und zu erinnert die pr�chtige Gegend lebhaft an die Stra�e von Rawalpindi bis Kaschmir.

Marksuhl–H�nfeld in Hessen. An einem Tisch im Speisesaal des Gasthofs sitzt eine Krankenschwester, das Zeichen des Roten Kreuzes am Arm, und unterh�lt sich mit zwei Herren, offenbar �rzten, denn sie sprechen von der Pflege verwundeter Soldaten. Eine Schar J�ger tritt ein, ihre Taschen voll Rebh�hner und Hasen. Sie tragen gr�ne und braune Anz�ge und kecke, federgeschm�ckte Filzh�te, auf der Schulter die Gewehre. Sie sprechen eifrig vom Krieg, diesem Krieg, der alle besch�ftigt und alle waffent�chtigen Verwandten nach Westen oder Osten ruft.

Gelnhausen–Hanau. Unter uns flie�en die tr�ben Wassermassen des Mains. Es regnet stark. Die Stra�en sind aufgeweicht, aber doch immer gleich gut. Man merkt, da� man sich einer gro�en Stadt n�hert, der Verkehr auf der Stra�e nimmt zu.[S. 14] Die Menschen wohnen dichter beieinander, und die Telegraphendr�hte sammeln sich zu m�chtigen B�ndeln. Diese stummen Dr�hte, die doch immer sprechen und mehr wissen als wir — vielleicht durcheilt sie in diesem Augenblick die gro�e Neuigkeit, auf die ganz Deutschland wartet? Wir hofften, sie in K�sen anzutreffen, vielleicht erwartet sie uns in Frankfurt?

17. September. Frankfurt. Der Tag brach in freundlicher Sch�nheit an, trotzdem schwere Wolken am Himmel segelten. Wir mu�ten erst zu einer Tankstelle, um Benzin aufzuf�llen, und dann zum Immobilen Kraftwagendepot, wo immer alles vorhanden sein mu�, was zur Reparatur der Kriegsautomobile erforderlich sein kann. Hier holten wir f�nf Reservereifen, die rechts und hinten am Auto festgemacht wurden. Von Bezahlen ist nat�rlich keine Rede; die Autos gehen ja f�r Rechnung der Krone.

Endlich geht es weiter, und wir fahren durch Frankfurts lange Stra�en und seine westlichen Vorst�dte, die fast ganz aus Arbeiterwohnungen bestehen. Man denkt vielleicht, diese Arbeiter sympathisierten nicht mit dem Krieg, den Deutschland f�r seine Zukunft f�hrt? Weit gefehlt! Sozialdemokratische Arbeiter haben ihren Jungen, die auf den H�fen richtige Schlachten liefern und sich Kluck und Hindenburg nennen, kleine Helme und Holzschwerter geschenkt. — Wiesbaden–Eiserne Hand. In Langenschwalbach stechen die feinen Hotels grell ab von den ernsten Fahnen des Roten Kreuzes und den verwundeten Soldaten, die schon auf dem Wege der Besserung sind und auf Balkons und in den G�rten sitzen, um Luft zu sch�pfen. Dann windet sich die Stra�e j�h zu H�hen empor, wo die Luft klarer ist und ged�mpfte Aussichten auf lachende T�ler und waldbekleidete H�gel sich �ffnen.

Nassau an der Lahn. Bezaubernd sch�n ist dieses Land, herrlich seine Stra�en, majest�tisch seine W�lder in ihrer dunkeln, stummen Einsamkeit. Auf dem Gipfel eines H�gels thront eine alte Festung. Das Volk ist freundlich und gr��t und winkt,[S. 15] wohin wir kommen, und ein junges M�dchen wirft eine rote Rose in unser Auto — nicht f�r uns, vermute ich, sondern als Gru� an ihren Verlobten, der drau�en im Felde steht.

Die Lahn entlang — Ems. Wir lassen das Auto in einer Nebenstra�e halten und bleiben auf dem Fu�steig entbl��ten Hauptes stehen, um einen Leichenzug passieren zu sehen. Der Tote ist ein Major, der seinen Wunden erlegen ist. Die Musikkapelle spielt einen langsamen Trauermarsch; zwei Fahnen wehen vor dem schwarzen sarkophag�hnlichen Sarg, und diesem folgen die Mitglieder des Emser Kriegervereins, die Kampfgenossen, alle in Zylinder, langem Rock und schwarzer Halsbinde; den Schlu� bildet eine Schar verwundeter Soldaten, Rekonvaleszenten, die im Kursaal einquartiert sind. Langsam bewegt sich der feierliche Zug nach dem Bahnhof, denn die Leiche des Majors soll in seine Heimat bef�rdert werden. Nach einiger Zeit kam die Musikkapelle mit den Rekonvaleszenten zur�ck, aber diesmal spielte sie eine fr�hliche, belebte Melodie. Das sei so Sitte bei Milit�rbegr�bnissen, h�rte ich; erst die Trauer und die Ehrung des Toten, dann die R�ckkehr der Lebenden zum Leben und seinen t�glichen Freuden.


3. Ein Franzose im Lazarett zu Ems.

Im Kurhaus mit seinen vielen pr�chtigen Zimmern werden achtzig Verwundete gepflegt, und man erwartete mehr. Viele der Schwerverwundeten lagen in ihren Betten; wer sich bewegen konnte, sa� auf den Altanen, geno� die frische Luft und sehnte sich, das versicherte man mir �berall, an die Front zur�ck.

Auch ein junger franz�sischer Leutnant hatte, schwer verwundet, im Kurhaus Unterkunft gefunden. Mit welcher sch�ndlichen Grausamkeit sollten nach den Meldungen der englischen Presse die Deutschen ihre franz�sischen Gefangenen behandeln! Ich konnte daher dem Wunsche nicht widerstehen, mich zu erkundigen, was der Franzose selbst dar�ber zu sagen hatte. An seinem Zimmer war nichts auszusetzen, es lag unmittelbar gegen�ber einem der sechs[S. 16] kleinen R�ume, in denen K�nig Wilhelm I. 1867–1887 Jahr f�r Jahr einige Zeit zubrachte. Der Verwundete wurde von einem deutschen Arzt gepflegt, der die besten Hoffnungen f�r seine Wiederherstellung hatte, und von zwei barmherzigen Schwestern, von denen die eine franz�sisch sprach. Auf meine Frage, ob er mit der Pflege, die ihm in Deutschland zuteil wurde, zufrieden sei, antwortete der Leutnant aus �berzeugtem Herzen heraus mit Ja!

Er lag in einem gro�en Bett, und sein Gesicht war kaum weniger bleich als die reinen wei�en Bettlaken, aber er sah gut aus mit seinem kurzgeschorenen Haar, der edlen Nase, dem schwachen Schnurrbart �ber den feingeschnittenen Lippen, und seine schwarzen franz�sischen Augen erz�hlten von Lebenslust und scharfem Verstand. Er berichtete, er sei im Juni von Guinea heimgekehrt und habe gerade vor der Hochzeit gestanden, als der Krieg ausbrach und ihn von der Braut und den Eltern wegri�. In dem Gefecht bei Rossignol in Belgien traf ihn die Kugel. Es war ein entsetzlicher Tag. Er k�mpfte im Feuer der Granaten, Maschinen- und Handgewehre. Die Kugel drang ihm durch Knie und Unterschenkel. Er fiel und blieb die ganze Nacht auf dem Schlachtfeld liegen. Am n�chsten Tag las ihn die deutsche Ambulanz auf, und er wurde etappenweise bis Ems bef�rdert. Ende August war Kaiser Wilhelm in Ems gewesen, und als er erfuhr, da� ein verwundeter Franzose da sei, hatte er ihn besucht. Der Leutnant erz�hlte, der Kaiser habe sich in ausgezeichnetem Franz�sisch nach seiner Verwundung und seinem Befinden erkundigt. Ich sagte ihm, ich w�rde wahrscheinlich binnen kurzem den Kaiser treffen und dann Seiner Majest�t mitteilen, welchen Eindruck der hohe Besuch auf den Verwundeten gemacht habe. Als ich mich sp�ter des freiwillig �bernommenen Auftrags entledigte, zeigte sich, da� der Kaiser sich sehr wohl des franz�sischen Leutnants erinnerte und sich �ber seine voraussichtliche Genesung freute.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Feldk�che.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Feldbarbier.

Schlie�lich fragte ich den Kranken, ob ich ihm einen Dienst erweisen k�nnte, soweit das von den deutschen Beh�rden erlaubt sei. Er schien auf diese Frage gewartet zu haben. Tag und[S. 17] Nacht hatte er �ber dem einzigen Gedanken gebr�tet: wie k�nnen meine Eltern und meine Braut erfahren, da� ich lebe und es mir gut geht? ich bin ja in Feindesland und habe keine Postgelegenheit! Ich bat ihn um seine Adresse, und er schrieb in mein Tagebuch: Monsieur Verrier-Cachet, Horticulteur, 52 Rue du Quinconce, Angers, Marne et Loire. Bald darauf sa� ich an einem Schreibtisch, berichtete auf offener Postkarte und in deutscher Sprache das Schicksal des Leutnants Verrier und schickte die Karte an meine Familie in Stockholm, die durch Vermittlung des franz�sischen Gesandten die Nachricht an obenstehende Adresse bef�rdern sollte. Und da� die Nachricht ans Ziel kam und gro�e Freude bereitete, das wei� ich; denn ich habe sp�ter aus Verriers Elternhaus die herzlichsten Gr��e erhalten.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Kleines Biwak.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Feldpostbriefe.

Oft bin ich seither schweren und z�gernden Schritts durch Feld- und Kriegslazarette gewandert, besonders durch die S�le, in denen verwundete Franzosen, Engl�nder und Belgier lagen und die langsam verrinnenden Stunden z�hlten. Wie leicht h�tte ich, der ich meine Freiheit und gesunde Glieder hatte, Postkarten in die Welt hinausschicken und sehns�chtig Harrende von ihrer Unruhe erl�sen k�nnen! Nichts ist so peinigend und schwer zu tragen wie die Ungewi�heit �ber das Schicksal derer, die man liebt. Wenn in der Verlustliste der Name eines Sohnes, Bruders oder Ehemanns unter den Vermi�ten steht, ist das Leid f�r die Daheimgebliebenen gr��er, als wenn er gefallen w�re. Zwar besteht noch die Hoffnung, da� er am Leben sei, aber sie wird von unheimlichen Vorstellungen verdr�ngt: man sieht ihn verwundet, verblutend, einsam und verlassen in Nacht, K�lte und Durst. Oft habe ich mir Vorw�rfe gemacht, da� ich solche Postkarten nicht schrieb. Aber ich tr�stete mich damit, da� ich einmal kein Recht dazu hatte, mich in die Bestimmungen hineinzumischen, die die deutschen Milit�rbeh�rden �ber die Verbindung Verwundeter mit ihrer Heimat getroffen hatten, und dann waren ihrer auch allzu viele. Immer sah ich schon am Abend des Tages ein, da� das Wirken als barmherziger Bruder eine hoffnungslose[S. 18] Aufgabe gewesen w�re. �brigens wurde vom Beginn des Oktober an allen Gefangenen, also auch den Verwundeten, der Briefwechsel mit ihrer Heimat gestattet, nachdem die franz�sische Regierung den Grundsatz der Gegenseitigkeit anerkannt hatte. —

Wir betrachteten noch den Denkstein, der an die bedeutungsvolle, feste Antwort erinnert, die K�nig Wilhelm am 13. Juli 1870, 9 Uhr 10 Minuten vormittags dem franz�sischen Minister Benedetti gab, jene Antwort, die der Anla� zum Franz�sisch-Deutschen Kriege wurde. Und nun nach 44 Jahren standen wir wieder am selben Fleck! Nun war der Revanchegedanke zum Ausbruch reif geworden — soweit nicht andere b�se M�chte Frankreichs Sehnsucht nach Rache f�r Elsa�-Lothringen benutzt haben, um selber daraus Vorteil zu ziehen und den Aufschwung aufzuhalten, den Deutschland inzwischen genommen hat. Denn ich habe genaue Kenner versichern h�ren, da� der Revanchegedanke in weiten Kreisen des franz�sischen Volkes mit den Jahren im Abnehmen begriffen war. Eine nahe Zukunft wird entscheiden, wen die Verantwortung daf�r trifft.


4. Feldpostbriefe.

Der Rhein in seiner gewaltigen Pracht. Wir kreuzen ihn auf einer langen Pontonbr�cke, auf der die Wachtposten zahlreicher als sonst stehen, und sind in Koblenz. Da, wo die Mosel in den Rhein m�ndet, steht ein Reiterdenkmal des alten Kaisers Wilhelm; der Sockel tr�gt die denkw�rdigen Worte: �Nimmer wird das Reich zerst�ret, wenn ihr einig seid und treu.� Heute bewahrheitet sich dieses Wort vor Deutschland und der ganzen Welt.

Die Stra�e f�hrt uns auf das rechte Ufer der Mosel, wo eine Steinbr�cke in sch�nem Bogen von Ufer zu Ufer f�hrt und ein paar Moseldampfer unter der Roten Kreuz-Flagge verankert liegen. Ein Gewirr von engen Gassen, wimmelnd von Stra�enbahnen, Droschken, Karren und Volk und vor allen Dingen von[S. 19] deutschen Soldaten. Die Landschaft liegt unbeschreiblich sch�n an diesen ewigen Flu�windungen; eine Stadt nach der andern lugt hinter den Vorgebirgen hervor, und graue H�user mit ihren schwarzen Schieferd�chern und sch�ne Kirchen l�sen sich von dem gr�nen Hintergrund.

Schlie�lich erreichen wir Treis, wo eine lustige F�hre, wie ich sie von den sibirischen Fl�ssen kenne, uns auf das linke Ufer hin�berf�hrt. Dort setzten wir unsere schnelle Fahrt fort. Wir kamen an mehreren Milit�rz�gen vor�ber und begegneten auch einem Lazarettzug, dessen beide erste Wagen verwundete Franzosen beherbergten, die �brigen deutsche. Den Franzosen ging es weder besser noch schlechter als den Deutschen. Alle lagen auf Stroh. Die Schiebet�ren in diesen zum Lazarett eingerichteten G�terwagen standen offen, um den Kranken frische Luft zu verschaffen.

In der Stadt Eller rasten wir einige Zeit in einem Wirtshaus, dessen Wirt, Herr Meinze, uns mit allem unterh�lt, was er vom Krieg wei�. Sein T�chterchen springt davon und bringt einen Brief, der eben vom Sohn der Familie angelangt ist, einem zweiundzwanzigj�hrigen Potsdamer Garde-Ulanen. Der Briefschreiber beklagt sich, da� er einen Monat lang kein Wort von zu Hause geh�rt habe. Er sei in einem Gefecht gewesen, in dem ein franz�sischer Flieger eine Bombe auf eine Batterie herabwarf, drei Mann t�tete und zwanzig verwundete. �ber seine englischen Gegner spricht er mit gro�er Verachtung. Er vergi�t, da�, man mag �ber die englische Leitung sagen was man will, die Soldaten doch t�chtig sind, gro�e pers�nliche Tapferkeit zeigen und sich mit L�wenmut und Todesverachtung schlagen. Seinen Brief beginnt er mit den Worten: �Liebe Eltern und Schwester�, und am Schlu� gibt er der Hoffnung Ausdruck, da� Deutschland bald mit seinen Feinden fertig werden m�ge. Der bezeichnende Zug all dieser Feldpostbriefe ist die unbefangene Beurteilung der Lage und der blinde Glaube der Soldaten an die un�berwindliche Macht des Heeres und den schlie�lichen Sieg. Wenn ich falle, das bedeutet nichts — ob ich bei dem Triumphzug der heimkehrenden[S. 20] Krieger durch das Brandenburger Tor dabei bin oder nicht, was tut's? — aber Deutschland soll siegen, wenn nicht fr�her, doch sobald die Fr�hlingsblumen aus meinem Grab hervorwachsen!


5. Verwundete und Gefangene.

Der n�chste Weg nach Trier. — �Nach Wittlich?� fragt Rittmeister von Krum in einem Dorf, als er des Wegs nicht sicher ist. — �Nach Paris!� antworten ein paar muntere M�dchen, die uns die Richtung zeigen. Als wir endlich vor dem �Trierischen Hof� in Trier haltmachten, war es bereits dunkel. Wir waren durchn��t und wollten uns nur trocknen, um dann die Reise nach Luxemburg fortzusetzen. Da aber der unbarmherzige Regen mehr zu- als abnahm und in Luxemburg kein Zimmer zu bekommen war, beschlossen wir, zu bleiben, wo wir waren. Im Restaurant wimmelte es von Offizieren, und auf den Stra�en gingen die Soldaten in ihren grauen M�nteln. �Wo ist das Gro�e Hauptquartier?� fragten wir bald hier, bald da. Keiner wu�te es. Einige meinten, es sei in Luxemburg, andere, es sei nach Belgien verlegt. Nun, dachten wir, wir werden schon allm�hlich hinkommen.

Im �Trierischen Hof� waren wirklich noch ein paar Zimmer frei, in denen wir es uns bequem machten. Mein pr�chtiger Freund Krum erz�hlte mir, da� in Kriegszeiten alle Offiziere das Recht haben, sich einzuquartieren, wo sie wollen. Ein Zimmer mit Fr�hst�ck soll kostenlos zu ihrer Verf�gung stehen; Mittagessen und sonstige Bek�stigung m�ssen sie bezahlen. Der Offizier hat nur eine gedruckte Quittung auszuf�llen, die er dem Wirt beim Aufbruch statt klingender M�nze �bergibt. Gegen diese Quittung bekommt der Wirt von der betreffenden Milit�rbeh�rde sein Geld, doch nicht die gleiche Summe wie in Friedenszeiten, denn die Taxe wird niedriger angesetzt als unter normalen Verh�ltnissen. Dasselbe gilt von Pferden, Wagen und allem, was im Krieg gebraucht wird; es wird von besonderen Kommissionen abgesch�tzt und mit Quittungen bezahlt. In Trier war kein[S. 21] Auto aufzutreiben, nicht einmal eine Droschke, da alle Pferde fort waren. Als daher unser Wirt ein Telegramm erhielt, sein leicht verwundeter Sohn sei gegen 3 Uhr nachts zu erwarten, konnte er kein Fahrzeug auftreiben, um ihn abzuholen. Unser Automobil durften wir ihm nicht leihen; schlie�lich fand er das Auto eines Arztes und traf seinen Sohn bei ganz gutem Humor.

In besserem Gang waren die Stra�enbahnen, und einer solchen bedienten wir uns, als wir am Abend die Horn-Kaserne aufsuchten, in der sonst das Infanterieregiment Nr. 29 von Horn liegt. Jetzt war das ganze Regiment im Feld und die Kaserne ein Lazarett. Sie kann tausend Soldaten aufnehmen, aber nur f�nfhundert Verwundete, denn diese brauchen mehr Raum und Platz f�r �rzte und Krankenw�rter; au�erdem werden mehrere Zimmer als Operationss�le, Bader�ume usw. in Anspruch genommen. Bei unserem Besuch waren nur 220 Pl�tze belegt; 150 von ihnen hatten Franzosen inne. Sechs �rzte und ein Oberarzt, dazu eine ganze Schar von Rote-Kreuz-Schwestern pflegten die Verwundeten.

Mit einigen jungen �rzten schritten wir durch einen langen Korridor und besahen zun�chst einige Operationss�le, die beim Ausbruch des Krieges in aller Eile hergerichtet und dann, soweit m�glich, ganz modern ausger�stet worden waren. Die Operationstische standen in der Mitte der Zimmer, die Wasserleitungen, Becken, Apparate, eine Masse chirurgischer Instrumente, alles in bester Ordnung. W�nde und Boden dieser S�le waren mit �lfarbe gestrichen. Es wurden hier im Durchschnitt f�nfzehn Operationen am Tage vorgenommen. �hnlich waren mehrere andere Kasernen in Trier in Krankenh�user umgewandelt worden.

Dann betraten wir einen gro�en Saal mit deutschen Verwundeten. Alle waren vergn�gt und munter, befanden sich vortrefflich und konnten sich keine sorgsamere Pflege denken, als sie in diesem Lazarett erhielten. Nur wurde ihnen die Zeit allzu lang; sie mu�ten immer an ihre Kameraden in den Sch�tzengr�ben denken, sehnten sich in den Krieg zur�ck und hofften, bald[S. 22] wieder auf die Beine zu kommen, d. h. diejenigen, die wu�ten, da� sie nicht Kr�ppel f�rs Leben waren!

In einem andern Saal wurden franz�sische Soldaten gepflegt. Auch hier unterhielten wir uns mit einigen Patienten. Sie waren alle h�flich und mitteilsam, lie�en aber den fr�hlichen Lebensmut der Deutschen vermissen, was ja auch kein Wunder war, da sie sich in Feindesland befanden und von aller Verbindung mit der Heimat abgeschnitten waren. Einer von ihnen war bei Rossignol verwundet worden, wie Leutnant Verrier, den er aber nicht kannte. Er hatte einen Schu� durch die linke Hand und durch das linke Bein, das der Arzt hatte amputieren m�ssen. Bei seiner Verwundung hatte er die Kraft und die Geistesgegenwart gehabt, bis zu einem Graben zu kriechen, wo er vor Wind und Wetter und Feuer gesch�tzt war; einige Fetzen aus seinem Mantel hatte er um seine Wunden gewickelt. Tags darauf fanden ihn deutsche Sanit�tssoldaten, legten ihm den ersten ordentlichen Verband an und trugen ihn ins n�chste Feldlazarett, von wo er vor kurzem mit der Eisenbahn ins Trierer Kriegslazarett transportiert worden war.

Der andere Soldat hatte zwei N�chte auf dem Feld gelegen und unsagbar an Durst gelitten. Einige Male hatten Deutsche, die an ihm vor�berkamen, ihm Wasser und Schokolade gegeben. Schlie�lich hatte man Gelegenheit gefunden, ihn in das Verwundetenlager zu bringen. Wie sein Kamerad sprach er seine Dankbarkeit aus �ber die Behandlung, die ihm in Trier zuteil wurde, und aus mehreren Betten in der Nachbarschaft erscholl Zustimmung. Die beiden deutschen �rzte, die uns begleiteten, erz�hlten, die franz�sischen Verwundeten wollten gew�hnlich das Lazarett nicht verlassen, da sie wie einfache Gefangene behandelt werden, sobald sie wieder auf die Beine gekommen sind. Diese Auffassung ist ganz nat�rlich und wird sicher von allen Verwundeten geteilt, welcher Nation sie auch angeh�ren m�gen, denn es ist behaglicher, in seinem warmen Bett zu liegen und auf alle Weise gepflegt zu werden, als in einer Baracke zu wohnen oder[S. 23] in einem Gefangenenlager inmitten von Senegalnegern, Marokkanern und Indern!

Schlie�lich kamen wir in ein Zimmer, in dem drei franz�sische Offiziere lagen. Einer von ihnen, der einen Lungenschu� hatte, schlief gut und lie� sich durch unsere Unterhaltung nicht st�ren. Der andere hatte einen gef�hrlicheren Lungenschu�, wurde immer von einem b�sen Husten geplagt, der ihm bei jedem Anfall den Kopf vor- und r�ckw�rts warf. Sein Zustand wurde f�r kritisch angesehen; auch wenn man die Adresse seiner Angeh�rigen gewu�t h�tte, w�re es keine Freude gewesen, sie von seinem Befinden zu unterrichten. Der dritte, ein gro�er, wohlbeleibter Kapit�n, hatte mehrere Jahre im s�dlichsten Marokko Dienste getan und war an K�mpfe mit den Tuaregs in der Sahara gew�hnt. Aber dieser Krieg war doch etwas ganz anderes. �Terrible!� Von seiner afrikanischen Garnison her war er in diesen furchtbaren Krieg gerufen worden. In einem Gefecht in Belgien hatte eine Kugel ihm den rechten Fu� zerschmettert, w�hrend eine andere ihm ein paar Finger abri�. Er meinte sich zu erinnern, da� ihm bereits auf dem Schlachtfeld seine Wunden von deutschen Sanit�tssoldaten oder �rzten sorgsam verbunden worden seien; dann war in einem Feldlazarett sein Verband erneuert worden. Als verh�ltnism��ig Leichtverwundeten hatte man ihn nach Luxemburg gebracht und jetzt nach Trier. Wahrscheinlich wu�te er, da� er, sobald er geheilt war, mit all den Vorteilen seines Ranges in Gefangenschaft gehalten und au�erdem die H�lfte des Soldes bekommen w�rde, den er in seiner Heimat bezog. Nun lag er da, der Kapit�n mit den freundlichen Augen, der Adlernase und dem Vollbart, und versicherte jovial und gutm�tig, da� er �ber absolut nichts zu klagen habe, nur �ber das Geschick, das ihm versage, noch weiter f�r sein Land zu k�mpfen. Aber er trug sein hartes Schicksal als Philosoph und als Mann. Ein L�cheln umschwebte seine Lippen, und er war dankbar f�r die Hilfe, die er empfing, und f�r das Interesse, das ihm die unbekannten G�ste erwiesen.

[S. 24] Die jungen �rzte, die uns f�hrten, berichteten, da� die deutschen Soldaten sich immer und ohne Ausnahme an die Front zur�cksehnten, soweit ihr Zustand solche Gedanken nicht einfach unm�glich machte. Bei den Franzosen sei die Stimmung eine andere: �Alles — nur nicht zur�ck an die Front!� Auch das ist aus psychologischen Gr�nden ganz nat�rlich. Nichts dr�ckt den Soldaten so nieder und demoralisiert ihn so, wie eben die Gefangenschaft. Er spielt die Rolle des Schw�cheren, er lebt ausschlie�lich von der Gnade anderer, seine Kraft ist ersch�pft, seine Initiative gel�hmt und seine Kampflust vergebens. Da sagt er, um pers�nliche Vorteile zu gewinnen und aus einer an und f�r sich widrigen Situation das Beste herauszuschlagen, manches, was er jenseits der Feuerlinie niemals gesagt h�tte. Deshalb w�rde man jedem Heere unrecht tun, wenn man seinen Kampfwert nach den Aussagen der Gefangenen beurteilen wollte.

Hierin findet man vielleicht auch die Erkl�rung f�r das Faktum, da� in dem Trierer Lazarett, wenigstens in der Horn-Kaserne, die Sterblichkeit unter den Franzosen viel gr��er war als unter den Deutschen. Die Wunden der Deutschen heilen leichter und schneller als die der Franzosen, und das psychologische Moment ist dabei von unverkennbarer Wirkung. Der deutsche Soldat kann Zeitungen lesen und mit seinen Angeh�rigen Briefe wechseln. Der franz�sische Soldat ist ganz und gar von der �u�eren Welt abgeschnitten, ein Nachteil, von dem bis Ende September auch die in Frankreich gefangenen Deutschen betroffen wurden. (Vergl. oben S. 18.) Und ein Gefangener, der nichts von dem Gang des Kampfes erf�hrt, leidet doppelt unter dem Eindruck, besiegt zu sein. Diese trostlosen Gedanken wirken auf seinen Zustand zur�ck und vermindern seine Widerstandskraft, er wird Fatalist und vermag nicht gegen den Tod anzuk�mpfen. Er gibt alles verloren und hofft nicht einmal auf Wiederherstellung und Heimkehr.


[S. 25]6. Im Hauptquartier.

Als wir am Morgen des 18. September Trier verlie�en, waren wir �ber die geographische Lage des Hauptquartiers genau so wenig unterrichtet wie in Berlin. Wieder fuhren wir �ber die Mosel und warfen einen Blick hinauf auf die H�hen, wo am 4. August Franzosen in Zivil den Luftschiffern, die die deutsche Mobilisierung erkunden wollten, Lichtsignale gegeben hatten. Bei der Flugstation machten wir halt und betrachteten die �Tauben� in ihrem �Taubenschlag� von Zelttuch.

Dann nehmen wir Abschied von der Mosel. Links haben wir bereits die Stra�en nach Metz und Saarbr�cken hinter uns, und nicht weit nach S�den liegt die Grenze Lothringens. Hinter Wasserbillig kreuzen wir den kleinen Flu� Sauer und sind damit im Gro�herzogtum Luxemburg. An einem Eisenbahngleis h�lt uns ein unendlich langer, leerer Zug auf; er f�hrt nach Deutschland, um Soldaten zu holen. Das Volk in Luxemburg mustert uns mit gleichg�ltigen Blicken. Es ist vorbei mit dem Gr��en und freundlichen Winken. Hier gr��t niemand, und niemand verr�t seine Gedanken — freundliche Gedanken k�nnen es gerade nicht sein.

Schlie�lich schl�ngelt sich unser Weg in ein sch�nes Tal hinab. Auf dessen Grund liegt ein Teil der kleinen und lieblichen Stadt Luxemburg.

Nunmehr aber beginnen wir zu suchen, denn ohne Zweifel ist hier das Hauptquartier. Wachtposten mit geschultertem Gewehr stehen an den Eing�ngen zu allen Hotels, �berall werden Soldaten sichtbar, Offiziere eilen in Automobilen vor�ber. Auf einem Markt sind gro�e Zelte f�r Pferde aufgeschlagen, und vor ihnen stehen pfeiferauchende Wachtposten. Und auf einem andern Markt stehen ganze Reihen von Kraftwagen, beladen mit Benzin und �l in zylindrischen Gef��en.

Bei unsern Nachforschungen m�ssen wir die milit�rische Ordnung beobachten und fahren daher auf das Haus zu, wo der Generalstab sich einquartiert hat, und das unter gew�hnlichen Verh�ltnissen eine Schule ist. Krum geht hinauf und kommt bald[S. 26] mit dem Bescheid zur�ck, da� wir uns bei Oberstleutnant von Hahnke zu melden haben. Der schickt uns zum Generalstabschef Exzellenz von Moltke, der eben mit seiner liebensw�rdigen schwedischen Gemahlin am Mittagstisch im �K�lnischen Hof� sitzt. Frau von Moltke steht im Dienste des Roten Kreuzes und war in dieser Eigenschaft zu kurzem Besuche in Luxemburg eingetroffen. An ihrem Tische f�hlte ich mich fast wie daheim, ich war ja so oft in ihrem gastfreien Hause in Berlin gewesen. Ruhig, als w�re er im Man�ver, z�ndete sich der General seine Zigarre an und unterrichtete sich genau �ber meine Pl�ne und W�nsche. Ich m�chte die Front sehen, erkl�rte ich ihm, soweit mir das �berhaupt erlaubt werden k�nne, und ich h�tte die Absicht, zu schildern, was ich mit eigenen Augen vom Krieg sehen w�rde. Wenn m�glich, wollte ich einen Eindruck von einer modernen Schlacht gewinnen; auch hoffte ich Gelegenheit zu finden, die okkupierten Teile von Belgien zu besuchen.

Der General dachte eine Weile nach. Die Erlaubnis zum Besuch der Front hatte ich bereits erhalten; es blieb also nur noch zu bestimmen, wo ich am besten meine Studien beginnen konnte. Die Armee des Kronprinzen war die n�chste und in ein paar Stunden zu erreichen. Der General erkl�rte sich also bereit, alles f�r meine Reise ordnen zu lassen; binnen kurzem sollte ich �ber das Programm n�heres h�ren. �Sicher sind Sie nat�rlich nicht innerhalb des Operationsgebietes, es ist nicht weit bis dahin, wenn Sie genau aufpassen, h�ren Sie den Kanonendonner von Verdun.�

Im Lauf des Tages wurde mir ein vom Generalstabschef unterzeichneter �Ausweis� zugestellt. Er enthielt die Erlaubnis, dem Gang der Ereignisse bei den verschiedenen Truppenteilen des Heeres beizuwohnen, ferner die Bitte an alle Kommandobeh�rden, mir das weiteste Entgegenkommen zu bezeigen und mich mit Rat und Tat zu unterst�tzen. Dieses Papier war ein �Sesam �ffne dich�; es gab mir fast unbeschr�nkte Bewegungsfreiheit.

[S. 27] Das Gro�e Hauptquartier ist das Herz der Armee, oder richtiger sein Gehirn; hier werden alle Pl�ne entworfen, von hier gehen alle Befehle aus. �hnlich verh�lt es sich auch in Frankreich, Ru�land und �sterreich. Deshalb ist das Gro�e Hauptquartier ein unerh�rt verwickelter Apparat mit einer im voraus bis ins einzelne festgestellten Organisation. Wenn sich so ein Apparat in einer kleinen Stadt wie Luxemburg niederl��t, werden alle Hotels, Schulen, Kasernen, alle �ffentlichen Geb�ude und viele Privath�user f�r die Einquartierung in Anspruch genommen. Das Land, das Gegenstand der Invasion ist, kann nichts tun, als sich in sein Schicksal finden. Aber nichts wird ohne weiteres genommen, alles wird nach dem Krieg ersetzt. In einem Hotel war das Kriegsministerium einquartiert, in einer Schule der Generalstab, in einem Privathaus das Bureau des Automobilkorps usw. General Moltke wohnte im �K�lnischen Hof�, der Reichskanzler und der Minister des �u�eren in einem �u�erst eleganten Privathaus, die meisten Herren vom Stab und vom Gefolge des Kaisers im Hotel Staar, wo auch mir ein Zimmer zur Verf�gung stand.

Wenn ich mich aus leichtbegreiflichen Gr�nden nicht weiter beim Gro�en Hauptquartier aufhalten kann, so mu� ich doch etwas �ber Einen Mann sagen, den ich dort traf, und den ich f�r eine der gr��ten und merkw�rdigsten Gestalten der Geschichte, den m�chtigsten und imposantesten Herrscher unserer Zeit, und au�erdem f�r einen der genialsten und interessantesten Menschen halte.


7. Der Kaiser.

Als Wilhelm II. im Juni 1913 sein f�nfundzwanzigj�hriges Regierungsjubil�um als Deutscher Kaiser feierte, schrieb ich in einer deutschen Zeitung u. a. folgende Worte �ber ihn, die zum gro�en Teil bereits in Erf�llung gegangen sind: �Durch seine starke und m�chtige Pers�nlichkeit dr�ckt Wilhelm II. dem Zeitalter, dem er angeh�rt, sein Gepr�ge auf. Bisher geschah dies im Zeichen des Friedens. Was die Zukunft im Scho�e tr�gt, wei� niemand, aber so viel wissen wir, da� keine fremde Macht[S. 28] Deutschlands Ehre und Sicherheit zu nahe treten darf. Und wenn unfreundliche G�tter einmal blutige Runen an seinen Himmel schreiben, dann wird der Kaiser t�tig und impulsiv wie in den Tagen des Friedens seine Legionen ins Feuer f�hren, und die goldenen Adler seines Helms werden ihnen den Weg zu neuen Siegen zeigen.�

Es wird wohl auch f�r alle Zeiten in der Geschichte als unersch�tterliches Faktum bestehen bleiben, da� Kaiser Wilhelm im Lauf eines Vierteljahrhunderts sein m�glichstes tat, um die Unwetter des Krieges von Deutschlands Grenzen fernzuhalten. Mehr als einmal hat der Ausbruch eines Krieges an einem Haar gehangen, und alle sind darin einig, da� des Kaisers pers�nliches Eingreifen eine Katastrophe abgewendet hat. Noch vor nicht langer Zeit war der Weltkrieg n�her als die Mitwelt ahnte — auch damals gab die Friedensliebe des Kaisers den Ausschlag. Viele tadelten ihn deswegen und nannten seine Haltung unentschlossen und nachgiebig. Aber auch hier wird das Urteil der Geschichte zu seinen Gunsten ausfallen. W�hrenddessen r�stete sich Deutschland f�r die blutigen Ereignisse, an deren bevorstehendem Ausbruch kein klar sehender Mensch zweifeln konnte. Auf die Dauer war der Kampf f�r die Erhaltung des Friedens hoffnungslos. Das sah niemand deutlicher als der Kaiser selbst, und deshalb hat er w�hrend seiner ganzen Regierungszeit daran gearbeitet, die Streitkraft des Reiches zu Wasser und zu Land zu st�rken. In dieser Stunde schwimmt die Flotte wie ein gigantisches Monument auf dem Meere, ein Monument der klugen und klaren Voraussicht ihres Urhebers. Denn der Kaiser selbst ist es, der im Verein mit seinem un�bertrefflichen Gro�admiral Tirpitz die schwimmenden Festungen geschaffen hat, ohne welche Deutschlands Lage verzweifelt gewesen w�re, als England mit seiner Kriegserkl�rung kam.

Gleich bei meiner Ankunft in Luxemburg hatte ich die Ehre, f�r den n�chsten Tag 1 Uhr bei Kaiser Wilhelm zu Mittag eingeladen zu werden. Die meisten G�ste wohnten im Hotel Staar, und die Automobile sollten von dort rechtzeitig abgehen. Ich fuhr[S. 29] mit dem Generaladjutanten Exzellenz von Gontard. Der Kaiser wohnte im Haus des Deutschen Gesandten und hatte seine Privatr�ume eine Treppe hoch. Im Erdgescho� war die Kanzlei, wo gewaltige Karten �ber die Kriegsschaupl�tze auf Staffeleien aufgestellt waren; daneben war der Speisesaal, ein ganz kleiner Raum.

In der Kanzlei versammelten sich die G�ste, alle in einfacher Uniform ohne allen Zierat. Ich selbst war in Alltagskleidung. Unter dem Gefolge des Kaisers fand ich ein paar alte Bekannte, den Generaladjutanten von Plessen und Admiral von M�ller, der aus Smaaland stammt und so gut Schwedisch spricht wie Deutsch. Im �brigen bemerkte ich die Exzellenzen und Adjutanten von Treutler, Frhr. von Marschall, von Mutius, Generalarzt Dr. von Ilberg, den F�rsten Ple� und von Arnim. Wir waren also zehn Mann.

Punkt 1 Uhr wird die T�r des Vestib�ls ge�ffnet, und Kaiser Wilhelm tritt mit festen, ruhigen Schritten herein. Aller Augen richten sich auf die mittelgro�e, kraftvoll gebaute Gestalt. Es wird vollkommene Stille, man f�hlt: eine gro�e Pers�nlichkeit ist ins Zimmer getreten. Der ganze, sonst so anspruchslose Raum hat eine unerh�rte Bedeutung erhalten. Hier ist die Achse, um die sich die Weltereignisse drehen. Hier ist das Beratungszimmer, von dem aus der Krieg geleitet wird. �Deutschland soll zermalmt werden�, sagen seine Feinde. �Magst ruhig sein�, sagt das deutsche Heer zu seinem Vaterland. Und hier steht in unserer Mitte sein oberster Kriegsherr, ein Bild der Mannhaftigkeit, Entschlossenheit und offenen Ehrlichkeit. Ihn umkreisen die Gedanken der ganzen Welt; er ist Gegenstand der Liebe, blinden Vertrauens, der Bewunderung, aber auch der Furcht, des Hasses und der Verleumdung. Ihn, der den Frieden liebt, umrast der gr��te Krieg der Geschichte, und um seinen Namen tobt der Kampf. Ein Mann, der in einem stammverwandten Reiche einen so unsinnigen Ha� und so sch�ndliche Schm�hungen hat erwecken k�nnen, mu� in Wahrheit ein sehr bedeutender Mann sein, denn sonst w�rden ihn seine Verleumder in Frieden lassen und die Schalen[S. 30] ihres Zornes �ber einen andern ausleeren, der mehr zu f�rchten ist. Aber alles, was Verleumdung, Feigheit und Weiberklatsch ausdenken kann, ergie�t sich �ber sein Haupt. Seine Absichten werden verdreht, seine Worte mi�deutet, seine Handlungen zu Verbrechen gestempelt. Aber in ganz Deutschland, im ganzen deutschen Heer erklingt sein Lob. Bei den Feldgottesdiensten und in allen Kirchen Deutschlands, an Wochen- und Feiertagen wird br�nstig f�r sein Wohlergehen gebetet. �Magst ruhig sein!� k�nnen die Soldaten ihrem Kaiser sagen; und sie ihrerseits wissen, da� er niemals seine Pflicht vers�umt, und da� er nie zur�ckweichen wird, ehe Deutschlands Zukunft gesichert ist.

Es ist kein Kaiser Karl V., kein Imperator, der in die Kanzlei tritt. Es ist ein Offizier in der denkbar einfachsten Uniform, einem kurzen, graublauen Waffenrock mit doppelten Knopfreihen, dunkeln Beinkleidern und gelben Feldstiefeln. Nicht einmal das kleine schwarz-wei�e Band des Eisernen Kreuzes schm�ckt ihn. Aber es ist eine fesselnde und gewinnende Pers�nlichkeit, ein h�flicher und freundlicher Weltmann. Seine scharfe Auffassung und sein gl�nzendes Charakterisierungsverm�gen verraten den Beobachter und K�nstler, sein kluges Sprechen den Staatsmann, seine energische Haltung, seine ausdrucksvollen Bewegungen und pr�chtigen Schlachtenschilderungen den Feldherrn, sein verbindliches Wesen Bescheidenheit und Menschenfreundlichkeit, und seine m�nnlichen, befehlenden Worte den Herrscher, der an Gehorsam gew�hnt ist. Gl�cklich das Volk, das besonders in unruhigen Zeiten einen Herrscher besitzt, der das Vertrauen aller genie�t, und an dessen Beruf niemand zweifelt.

Aber es ist auch ein Paar Augen, die eine wunderbar magnetische Kraft haben und alle fesseln, sobald der Kaiser hereintritt. Es ist, als w�rde der ganze Raum heller, wenn man den ruhigen blauen Augen des Kaisers begegnet. Seine Augen sind merkw�rdig ausdrucksvoll. Sie erz�hlen vor allem von unersch�tterlicher Willenskraft und eiserner Energie. Sie erz�hlen von Wehmut �ber die Blindheit derer, die nicht einsehen wollen, da� er nur[S. 31] das will, was Gott gef�llig und seinem Volke n�tzlich ist. Sie erz�hlen auch von sprudelndem Witz, von durchdringendem Verstand, dem nichts Menschliches fremd ist, und von unwiderstehlichem Humor. Sie erz�hlen von Ehrlichkeit, Wahrheitsliebe und einer Aufrichtigkeit, die niemals den Blick abirren l��t, der einem fest und unersch�tterlich durch Mark und Bein dringt.

Das Gef�hl von Verzagtheit, das man vielleicht gehabt hat, w�hrend man auf den m�chtigsten und merkw�rdigsten Mann der Erde wartete, verschwindet spurlos, sobald der Kaiser nach einem mehr als kr�ftigen Handschlag und herzlicher Begr��ung zu sprechen begonnen hat. Seine Stimme ist m�nnlich, milit�risch, er spricht au�erordentlich deutlich, ohne eine einzige Silbe zu verschlucken. Er sucht nie nach einem Wort, sondern trifft immer den Nagel auf den Kopf, oft mit sehr kr�ftigem Ausdruck. Er begleitet seine Rede mit hastigen und ausdrucksvollen Bewegungen des rechten Arms, w�hrend der linke in Ruhe bleibt. Seine Rede flie�t spannend und interessant dahin. Sie wird oft von blitzschnellen Fragen unterbrochen, die man sich bem�hen mu�, ebenso schnell und klar zu beantworten, und gelingt einem das, so kann man des Kaisers Zufriedenheit bemerken. Er ist �u�erst impulsiv, und seine Rede ist eine Mischung von Ernst und Scherz. Eine kluge Antwort oder eine lustige Anekdote l�sen bei ihm ein herzliches Lachen aus, das auch seine Schultern ersch�ttern kann.

Auf Befehl des Kaisers gingen wir in den Speisesaal. Admiral von M�ller sa� links, ich rechts von dem hohen Wirt, ihm gegen�ber der Generaladjutant von Gontard.

Der Mittagstisch war einfach gedeckt. Der einzige Luxus war die goldene Klingel, die vor dem Kuvert des Kaisers stand, und mit der er klingelte, sobald ein neues Gericht hereingetragen werden sollte. Das Mittagessen war ebenso einfach: Suppe, Fleisch mit Gem�se, Nachspeise und Fr�chte mit Rotwein. Ich bin selten so hungrig gewesen, als nachdem ich von des Kaisers Tisch aufgestanden war! Nicht wegen der geringen Anzahl der Gerichte, sondern weil niemals eine Pause im Gespr�ch entstand, bis die[S. 32] Klingel zum letztenmal erscholl, alles sich erhob, und die feldm��ig uniformierten Lakaien unsere St�hle wegr�ckten. Der Kaiser sprach fast die ganze Zeit mit mir. Er kn�pfte an meinen letzten Vortrag in Berlin an, dem er beigewohnt hatte; Tibet, wo ich so unruhige Zeiten erlebte, werde wohl bald das einzige Land auf der Erde sein, das Ruhe habe. Dann sprach er von der Weltlage und den St�rmen, die �ber Europa hinbrausen. Mich freute besonders, zu h�ren, mit welcher Achtung und Sympathie sich der Kaiser �ber Frankreich aussprach. Er beklagte die Notwendigkeit, die ihn gegen seinen Wunsch gezwungen habe, sein Heer gegen die Franzosen zu f�hren, und er hoffte, da� die Zeit kommen werde, da Deutsche und Franzosen gute Nachbarschaft halten k�nnten. Auf dieses Ziel habe er sechsundzwanzig Jahre hingearbeitet, und er hoffe, da� eine ganz neue Ordnung der Dinge aus dem gegenw�rtigen Krieg hervorgehen werde. Eine Verst�ndigung zwischen Deutschland und Frankreich werde mit Notwendigkeit ein unersch�tterliches Bollwerk f�r den zuk�nftigen Frieden schaffen. Erst aber den Sieg �ber die un�bersehbaren Heere, die vier Gro�m�chte gegen Deutschlands Grenzen und die deutschen Besitzungen in fremden Weltteilen werfen, dann ein ehrenvoller und nach allen Seiten hin Sicherheit schaffender Friede und schlie�lich der gro�e und festgebaute Weltfriede. Vor allem setzt der Kaiser sein Vertrauen in Gott, aber er verl��t sich auch blind auf das deutsche Volk und seine gro�e, herrliche Armee. Er vertraut auf die gl�nzende Tapferkeit und die Todesverachtung der Soldaten und auf das Offizierkorps, das sie zu Wasser und zu Lande f�hrt.

Wenn die Franzosen eine Ahnung von der wirklichen Denkweise des Kaisers h�tten, w�rden sie ihn ganz anders beurteilen als jetzt. Und niemand wird wohl glauben, da� ich die Verantwortung auf mich nehmen k�nnte, dem Kaiser andere Urteile in den Mund zu legen als die, die er wirklich gef�llt hat und die ich selbst von ihm geh�rt habe. Das hie�e die Gastfreundschaft, die ich an der Front genossen habe, �bel lohnen.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Schlo� in Stenay, Hauptquartier des deutschen Kronprinzen.
(Vgl. Seite 37.)

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Franz�sische Gefangene.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Das zerst�rte Dun an der Maas.
(Vgl. Seite 41.)

[S. 33] Auf dem Tisch in der Kanzlei standen Zigarren und Zigaretten und ein brennendes Licht. Hier wurde die Unterhaltung lebhaft fortgesetzt, in Ernst und Scherz, Erz�hlungen von Kriegsgreueln und lustige Anekdoten wechselten ab, bis der Kaiser sich verabschiedete, mir eine gl�ckliche und lehrreiche Reise w�nschte und in seine Zimmer hinaufging, wo gewi� ganze Berge von Papieren und Briefen, Rapporten und Telegrammen ihn erwarteten.

Alles Gerede, da� der Kaiser unter dem Krieg gealtert sei, da� der Krieg mit all seiner M�he und Unruhe seine Kr�fte und seine Gesundheit verzehrt habe, ist Dichtung. Sein Haar ist nicht st�rker ergraut als vor dem Krieg, sein Gesicht hat Farbe, und er ist so wenig abgezehrt und mager, da� er im Gegenteil von Leben und Kraft strotzt. Ein Mann von Kaiser Wilhelms Art ist in seinem Element, wenn die Macht der Verh�ltnisse ihn zwingt, alles was er besitzt und vor allem sich selbst zum Nutzen und zur Ehre seines Reiches einzusetzen.


8. Zur f�nften Armee.

Der neue Begleiter, den mir General Moltke f�r die Fahrt in das Hauptquartier des Kronprinzen gegeben hatte, hie� Hans von Gwinner und war ein Sohn des gro�en Bank- und Bagdadbahndirektors in Berlin; lebhaft und energisch lenkte er selbst sein Automobil. Bald sa� ich an seiner Seite, w�hrend der uns begleitende Soldat im Wagen Platz nahm.

In str�mendem Regen ging es aus der Stadt hinaus. Der Weg war schl�pfrig, aber wir fuhren mit rasender Geschwindigkeit. Wir waren sp�t aufgebrochen und wollten noch vor Anbruch der Nacht ans Ziel kommen; sonst war man nicht sicher vor Franktireurs. Bei der f�nften Armee hatte man neulich einen Trupp Franktireurs gefangen genommen und ohne Pardon erschossen.

Unser Weg f�hrt nach Westen. Bei Redingen �berschreiten wir die Grenze von Franz�sisch-Lothringen. �Karabiner laden�, ruft der Leutnant hastig dem Soldaten zu. Ich sehe mich unwillk�rlich[S. 34] um, vermag aber nichts Ungew�hnliches zu bemerken; es war auch nur eine Vorsichtsma�regel, aber der Befehl klang eigent�mlich, als ich ihn zum erstenmal h�rte. Im ersten franz�sischen Ort, Longlaville, sah man zahlreiche Spuren von deutschen Granaten, aber die Fabriken und ihre hohen Essen waren geschont. Auch in der Mitte und an den Seiten der Landstra�e hatten die Granaten gewaltige L�cher gerissen, und so mancher Baum war von einem Kanonenschu� gef�llt. Von einigen H�usern ist nicht viel mehr �brig als die Mauern; von andern hat ein Streifschu� nur das Dach weggerissen. Die Bahn an der Au�enseite der Landstra�e ist �bel zugerichtet, und hier und da sind ihre Schienen wie Stahldraht aufgewickelt. Auf den Kircht�rmen ist oft das Dach abgedeckt, eine besondere Vorliebe der Franzosen, um offenen Spielraum f�r die Maschinengewehre und Beobachtungspunkte f�r die Offiziere zu schaffen, die die deutschen Artilleriestellungen und die Wirkung des franz�sischen Feuers erkunden sollen.

�Wo geht der Weg nach Longwy?� fragt Gwinner. — �Geradeaus.� Die Antworten sind stets h�flich, wenn auch die Wut im Herzen klopft. Eins der beiden detachierten Forts von Longwy bleibt rechts liegen, und bald darauf sind wir in der kleinen Fabrikstadt, die in einem Tal gelegen und rings von H�hen umgeben ist. Auf einer dieser H�hen liegt die Festung Longwy, die gleich zu Anfang des Kriegs nach �u�erst heftiger Beschie�ung von den Deutschen mit Leichtigkeit eingenommen wurde. Tot und verlassen sah die Stadt keineswegs aus, denn ein gro�er Teil der Einwohner war zur�ckgekehrt, nachdem der Krieg weiter nach Westen vorger�ckt war, und das Leben fing wieder an so gut wie es ging in seine alten Bahnen zur�ckzukehren.

Vor der Stadt standen die nackten, schwarzen Mauern eines ausgebrannten Hauses; aus seinen Fenstern hatte man auf deutsche Truppen geschossen, die deswegen nach Kriegssitte das Geb�ude in Brand steckten. �berall, wohin man sich wendet, Spuren des Kriegs: auf den �ckern und an den Grabenr�ndern fortgeworfene[S. 35] franz�sische Tornister und Uniformst�cke; im Stra�engraben ein umgest�rztes Automobil, r�cksichtslos beiseite geschoben, um nicht den Verkehr zu st�ren; ein St�ck weiter ein Motorlastwagen. Hier Tr�mmer von Gewehren und Munitionswagen, dort halbmondf�rmige W�lle zum Schutz f�r Feldkanonen. Ein Grab mit Holzkreuz, dann wieder eins — eine ganze Reihe von Gr�bern — Soldatengr�ber! In der Mitte der Stra�e ein paar mit Regenwasser gef�llte Granatl�cher; sie k�nnen gef�hrlich werden, wenn man sie in der Schnelligkeit f�r seichte Pf�tzen h�lt; aber Gwinner kennt diese Stra�e schon. Rechts und links vom Wege tiefe, schmale Sch�tzengr�ben mit kleinen W�llen als Brustwehr und Gewehrst�tze. Die Soldaten sind jetzt fort, und stumm liegen diese �cker, auf denen vor einem Monat 300000 Mann gek�mpft haben! Auf manchem Feld wurde die Ernte von deutschen Truppen geborgen. An den Grabenr�ndern, in W�ldchen und Geb�schen sieht man niedrige, aus Zweigen und �sten gebaute H�tten, in denen die franz�sischen Soldaten vor Regen und K�lte Schutz suchten. Die deutsche Infanterie dagegen hat Zelte, und jeder Soldat tr�gt auf seinem Tornister eine Zeltbahn.

Unser Weg f�hrt durch ein St�ck Wald. Die Franzosen wissen ihre Stellungen in waldigem Gel�nde sehr geschickt zu halten. Sie verstecken Maschinengewehre in den Baumkronen. Von Fl�ssen durchzogene T�ler und Waldgegenden betrachten daher die Deutschen als schwer zu erobern. Auf offenerem Gel�nde wie im mittleren und s�dlichen Frankreich l��t sich leichter im Sturm vorgehen.

Die Hauptstra�e von Longwy sieht trostlos aus. Eine lange Strecke weit kein Haus mehr, nur Ruinen, Schutthaufen, nackte Mauern mit g�hnenden Fenster�ffnungen. Nur an den Br�cken schultern deutsche Wachtposten ihr Gewehr, sonst kein Mensch! Die Stadt No�rs ist niedergebrannt und ihr Kirchturm zusammengeschossen, da ein Maschinengewehr von dem Platz aus gesungen hat, wo sonst die Glocken zum Abendgebet rufen. Aber nirgends Leichen, keine gefallenen Soldaten, keine toten Pferde; alle sind[S. 36] von den Deutschen begraben worden, damit sie nicht die Luft verpesten und Seuchen hervorrufen. Doch an die Heimsuchungen des Krieges erinnert noch genug. L�ngs einer Hecke eine Reihe Strohh�tten, weiterhin umgeworfene Wagen, mit denen die Franzosen versuchten, die vortreffliche, zu beiden Seiten mit B�umen bepflanzte Chaussee zu sperren. Nebenher l�uft die Telegraphenlinie, die von den Verteidigern zerst�rt, dann aber wieder von deutschen Telegraphenarbeitern instand gesetzt wurde. —

In Marville wird der Verkehr lebhafter. Gleich neben der Stra�e auf einem Felde hat eine Proviantkolonne ihre mit bogenf�rmigen Zeltd�chern versehenen Wagen im Viereck aufgestellt. Sie rasten, und die Leute haben ihre Lagerfeuer f�r die Nacht angez�ndet. Um die Wagenburg stehen Wachtposten.

Eine Strecke weiter hat wieder eine Proviantkolonne von einfacheren Wagen haltgemacht. Sie d�rfen des Verkehrs wegen nicht auf der Stra�e halten; auch ist es leichter, eine gesammelte Kolonne zu bewachen und wenn n�tig zu verteidigen. Hier �berholen wir einen Motoromnibus mit Feldpost f�r die f�nfte Armee; er donnert mit gewaltigem L�rm auf der harten Chaussee einher. Nun wird die Stra�e wieder von einer Proviantkolonne eingeengt, die noch in Bewegung ist. Da m�ssen wir langsamer fahren, damit die Pferde der eskortierenden Reiter nicht scheu werden und mit dem Auto zusammensto�en. —

Schon haben wir Montm�dy erreicht, dessen kleine Festung sich ergeben hat, ehe sie beschossen wurde. Bevor aber die Besatzung abzog, sprengte sie den Eisenbahntunnel, der durch den Berg f�hrt. Die Deutschen gingen deshalb sofort daran, eine neue Eisenbahn um den Berg herum zu legen; mit diesem Bau waren franz�sische Gefangene noch besch�ftigt. Ein wunderlicher Anblick, diese Soldaten in ihren blauen und roten Uniformen arbeiten zu sehen, bewacht von deutschen Soldaten in feldgrauer Uniform und mit geschultertem Gewehr.

Gegen Abend kl�rt sich das Wetter auf, und die Sonne geht rot unter wie eine gl�hende Kugel. Ihre letzten Strahlen treffen[S. 37] einen Transport franz�sischer Gefangener, die m�de und gebeugt nach Montm�dy wandern, bewacht von deutschen Soldaten.

Nun wird vor uns das Maastal sichtbar und die kleine Stadt Stenay.


9. Beim Kronprinzen.

Wir halten vor dem Haus des Armeeoberkommandos. Hier traf ich einen meiner Freunde aus dem Gro�en Hauptquartier, den Landrat und Reichstagsabgeordneten Freiherrn von Maltzahn, der zu den pers�nlichen Freunden des Kronprinzen geh�rt. Er teilte mir mit, da� ich erwartet werde und mich beeilen m�sse, um bis zum Abendessen um acht Uhr fertig zu sein. Wir fuhren also bis zu dem kleinen franz�sischen Schlo�, wo der Kronprinz Quartier genommen hatte.

Milit�risch uniformierte Lakaien nahmen meine Bagage in Empfang und f�hrten mich in mein Zimmer im ersten Stock, neben den Privatgem�chern des Kronprinzen. Bald darauf klopfte der diensthabende Hofmarschall Kammerherr von Behr, ein freundlicher junger Mann von feinem und ansprechendem Aussehen, an meine T�r, um mich zum Abendessen zu holen. Wir gingen durch das obere Vestib�l auf die Treppe hinaus und wurden von deren Absatz aus Zeuge einer sch�nen Zeremonie: Im Hausflur stand eine Anzahl Offiziere in einer Reihe, ihnen gegen�ber etwa zwanzig Soldaten. Dann erschien der Kronprinz, gro�, schlank, aufrecht, in wei�em Waffenrock mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse und trat sichern Schrittes zwischen beide Reihen. Ein Herr des Gefolges trug ihm eine Schachtel mit Eisernen Kreuzen nach. Der Kronprinz nahm eins und �berreichte es dem n�chsten Offizier, dankte ihm f�r die Dienste, die er Kaiser und Reich geleistet habe, und gratulierte mit kr�ftigem Handschlag dem neu ernannten Ritter. Nachdem die Offiziere ihre Orden f�r bewiesene Tapferkeit erhalten hatten, kam die Reihe an die Soldaten; das Zeremoniell war dabei dasselbe wie bei den Offizieren.

[S. 38] Nachdem die Ritter des Eisernen Kreuzes fort waren, gingen wir ins Vestib�l hinab. Hier kam mir der Kronprinz entgegen und hie� mich in seinem Quartier und auf dem Kriegsschauplatz herzlich willkommen. Bei dem Essen waren folgende Herren zugegen: der Chef des Stabs der f�nften Armee, Exzellenz Generalleutnant Schmidt von Knobelsdorf, Kammerherr von Behr, Generaloberarzt Professor Widenmann, die Majore von der Planitz, M�ller und Heymann, Leutnant von Zobeltitz und einige Mitglieder des Stabs, die von der Arbeit im Felde sp�ter zur�ckkehrten und am Ende des Tisches Platz nahmen.

Was man beim deutschen Kronprinzen i�t? Nun, hier ist der Speisezettel: Kohlsuppe, Pfefferfleisch mit Kartoffeln, Entenbraten mit Salat, Fr�chte, Wein, Kaffee und Zigarren. Und wovon spricht man an seinem Tisch? Nun, das ist kaum m�glich zu erz�hlen, denn wir bewegten uns so gut wie �ber die ganze Erde. Der Kronprinz begann, wie der Kaiser, mit Tibet, und von da aus hatten wir ja blo� einen Katzensprung �ber den Himalaja bis zu den Palmen im Hugli-Delta, zu den Pagoden in Benares, zum silbernen Mond �ber dem Tadsch-Mahal, den Tigern in den Dschungeln und dem kristallklaren Widerhall der indischen Wogen an den Klippen von Malabar Point bei Bombay. Wir sprachen von alten, unverge�lichen Erinnerungen, von gemeinsamen Freunden, die zu Feinden geworden. Und wir sprachen vom Krieg und seinen Greueln und von den furchtbaren Opfern, die er fordert. �Das hilft nichts,� sagte der Kronprinz, �das Vaterland fordert alles von uns, und wir wollen, wir m�ssen siegen, wenn auch die ganze Welt gegen uns zu Felde zieht.� —

�Ist es nicht wunderlich, da� hier eine so gro�e Ruhe herrscht? Wir leben ja heute abend wie im tiefsten Frieden, und doch haben wir blo� ein paar Stunden Wegs bis zu den Feuerlinien!� sagt mein erlauchter Wirt, nachdem er einen kurzen, pr�zisen und befriedigenden Rapport angeh�rt hat, den ein eingetretener Offizier mit lauter Stimme vortrug.

[S. 39] �Ja, Kaiserliche Hoheit, ich hatte mir das Oberkommando einer Armee wie einen summenden Bienenkorb vorgestellt und finde nun in Wirklichkeit nicht einen Schimmer von Unruhe oder Nervosit�t, �berall nur Ruhe und Sicherheit. Was ich aber am liebsten sehen m�chte, das w�re eine Schlacht, denn ich vermute, da� ich mir ebenso wie die meisten andern Laien eine ganz falsche Vorstellung davon mache.�

Der Kronprinz l�chelt und antwortet: �Ja, Schlachtenmaler wie Neuville und Detaille haben in unsern Tagen wenig Gelegenheit, ihre Kunst anzuwenden. Von den K�mpfenden sieht man nicht viel, da sie sich im Gel�nde und in den Sch�tzengr�ben verborgen halten, und es ist gef�hrlich, einem Bajonettangriff zu nahe zu kommen, wenn man nicht dienstlich dort zu tun hat. Im gro�en und ganzen w�chst der Abstand zwischen den K�mpfenden mit der Vervollkommnung der Feuerwaffen. Wer die beste Artillerie hat, hat die beste Aussicht, zu siegen. F�r uns ist die feldgraue Uniform ein gro�er Vorteil, wir verschwinden im Gel�nde, w�hrend die grellfarbigen Uniformen der Franzosen auf weite Entfernung hin sichtbar sind. Eine Schlacht zu sehen ist fast unm�glich, nicht einmal der Heerf�hrer, der sie leitet, sieht viel davon. Seine Leitung geschieht durch Rapporte, Ordonnanzen und Telephon. Als Zuschauer auf einer Anh�he in der N�he Aufstellung zu nehmen ist nicht anzuraten. Man kann da ziemlich sicher sein, da� man f�r einen Beobachter gehalten wird, der das Artilleriefeuer leitet und deshalb das Ziel der feindlichen Schrapnells ist. Sie werden jedoch bei Ihrem Besuch hier Gelegenheit bekommen, so viel zu sehen, wie �berhaupt gesehen werden kann.�

Wie die Stimmung beim Kronprinzen von Deutschland war! Fr�hlich, jugendfrisch und ungezwungen. Man merkte nichts von h�fischer Steifheit, sogar der General, der sonst die strengste Disziplin aufrechterhielt, war von dem herrschenden kameradschaftlichen Geiste angesteckt. Eine Folge der gewaltigen Arbeitslast, die auf ihm ruhte, war jedoch, da� er f�r gew�hnlich sp�ter als die andern zu Tisch kam. Das Abendessen und das Zusammensein[S. 40] nachher zog sich bis gegen 11 Uhr hin. Das waren die einzigen Stunden, wo man sich in Ruhe traf, denn tags�ber waren alle bei ihren Arbeiten, und der Kronprinz �bernahm dann an den dazu geeigneten Orten an der Front die Oberleitung.


10. Hinter der Feuerlinie.

21. September. Fr�hzeitig wird geweckt, denn um sieben Uhr war Fr�hst�ck, bei dem sich alles um den Kronprinzen versammelte. Dann bat mich der Kronprinz, ihn in das Haus des Generalstabs zu begleiten, wo ein �Feldzugsplan� f�r mich entworfen werden solle. Der General hielt es f�r das Richtigste, da� ich erst einmal das Artilleriefeuer bei Septsarges s�he. Drei Offiziere erhielten entsprechende Auftr�ge. Major Matthia� war Leiter der Fahrt, ein Soldat Automobilf�hrer.

Das Auto ist fertig und wir nehmen Platz. Mit rasender Geschwindigkeit fahren wir nach S�den, und ich will nicht leugnen, da� sich meiner jetzt eine steigende Spannung bem�chtigte. Denn das hier war kein Man�ver, sondern der Krieg selbst, der gr��te Krieg, der jemals auf Erden ausgefochten wurde, und wir waren an der Westfront, den Franzosen gegen�ber, die mit Recht als die besten Soldaten unter Deutschlands Widersachern angesehen wurden. Von Minute zu Minute n�herten wir uns der Feuerlinie, und wenn das Auto an den Kurven die Geschwindigkeit verlangsamte, h�rte man die Kanonade immer deutlicher, diese dumpfen schweren Sch�sse, von denen die Erde erzitterte. —

Die Stra�e ist voll von Proviantkolonnen, die nach S�den ziehen, von unz�hligen Bagagewagen, die leer nach Norden fahren, um bei irgendeiner Eisenbahnstation neuen Proviant zu holen; von frischen Truppen, jungen, kr�ftigen Soldaten, die direkt aus Deutschland kommen. Aber fr�hlich und guter Dinge sind sie alle; sie singen lustige Soldatenweisen, rauchen ihre Pfeifen und ihre Zigarren, lachen und schwatzen, als z�gen sie hinaus zu einem l�ndlichen Volksfest. In Wirklichkeit aber ziehen sie hinaus, um die L�cken zu f�llen, die das Feuer der Franzosen in die[S. 41] Reihen ihrer Kameraden gerissen hat. Sie sind Ersatztruppen, aber ich finde kein einziges Gesicht, das ein Vorgef�hl des nahen Todes verr�t. Den Kanonendonner h�ren sie deutlicher als wir, denn das Surren des Automobils �bert�nt alle anderen Laute. Aber sie scheinen an der dumpfen Musik Gefallen zu finden, und doch ist ihr Platz weit vor den Artilleriestellungen!

Wir rasen durch Dun. Man kann kaum von mehr als einer Stra�e in dieser kleinen, sch�n gelegenen Stadt an der Maas reden. Aber wie furchtbar ist sie verw�stet! Ein wehmutsvoller Trost, da� ihre H�user von der eigenen Artillerie der Franzosen zusammengeschossen wurden, um den Deutschen den Aufenthalt in Dun so ungem�tlich wie m�glich zu machen. Dun ist jetzt Etappenort mit Etappenkommandantur, Etappenlazarett, Etappenmagazin und gro�em Lager von Waffen und Munition. Bis hierher reicht die Eisenbahn unter preu�ischem Betrieb; hier werden auch die Vorr�te aus den Eisenbahnwagen umgeladen und vom Tro� weiterbef�rdert.

Nun merkt man, da� wir uns dem Feuer n�hern. Die ganze Stra�e wimmelt von Milit�r. Hier eine Schar Verwundeter, Kopf, Hand oder Arm verbunden; dort eine Munitionskolonne, eine endlose Reihe Wagen, sie sind voll beladen mit grober Munition, Granaten f�r die 21-cm-M�rser bei Septsarges und seine Nachbard�rfer an der Front. Jedes Gespann von sechs Pferden samt dem zweiteiligen Munitionswagen erfordert sechs Soldaten. Drei reiten auf den linksgehenden Sattelpferden, zwei sitzen auf dem Bock der vorderen Wagenh�lfte und einer nach r�ckw�rts gewendet auf der hinteren Wagenh�lfte. Sie haben Mauserpistolen links im G�rtel, die S�bel der Reiter sind links am Sattel befestigt. Was tut es, da� die Uniformen der Leute so schmutzig sind wie der Lehm und der Schlamm des Feldes; das ganze Gespann ist doch h�chst malerisch mit seinen starken, schweren Ger�ten, seinen Deichseln, Lederriemen, Seilen und seinem ganzen Geschirr. Ein Reiter singt, ein anderer pfeift, ein dritter schreit ein widerspenstiges Nebenpferd an; hinten auf einem Wagen sitzen ein paar und[S. 42] drehen Zigaretten, bei der rumpelnden Bewegung des Wagens gar nicht so einfach. Zuletzt kommt die Feldk�che der Mannschaft mit Proviant und einigen B�ndeln Holz. Und immer klingt es in unsern Ohren, dies ewige �Tramp, Tramp�, wenn die Kolonnen vorbeiziehen, ein niemals versiegender Strom von Kriegern, Pferden, Proviant und Munition.

Endlich haben wir die Spitze der gro�en Kolonne erreicht. Hier reiten ein paar Offiziere, der Kolonnenf�hrer und seine n�chsten Leute. Sie gr��en. Kaum haben wir sie verlassen, da sind wir schon am Ende einer neuen Munitionskolonne; ihre Wagen sind mit je drei Soldaten bemannt und von vier Pferden gezogen, von denen nur das vordere linke beritten ist.

An den Stra�enseiten fallen zahllose gro�e, tiefe L�cher auf. Hier hat das Feuer ordentlich gehaust. Das sehen wir nur allzu gut, sobald wir wieder an die Maas herunterkommen, da, wo das Dorf Vilosnes so schlimm mitgenommen wurde. Aber mitten in der Verw�stung bl�ht das Soldatenleben: da halten Proviantkolonnen mit unz�hligen Wagen, rasten gro�e Abteilungen von Ersatztruppen, die sich ungeniert auf dem nassen Erdboden rings um ihre Gewehrpyramiden herum ausgestreckt haben, reiten Feldgendarmen in gr�nen Uniformen und werden die gefallenen Bagagepferde ersetzt, denn in Vilosnes haben die Deutschen ein Pferdedepot eingerichtet.

Nun donnern die Kanonen m�chtig, und wir haben nicht mehr weit bis zu den deutschen Batterien. Noch ist keine Gefahr. Die unz�hligen Granatl�cher um uns stammen nicht aus den letzten Tagen. Seitdem hier die Granaten fielen, sind die Deutschen weiter vorger�ckt. Aber wir sind unmittelbar hinter den Feuerlinien; deshalb h�ufen sich hier alle Vorr�te, die zur Ern�hrung von Menschen n�tig sind, sowie Pferde, Kanonen und Gewehre. Mitten im Schlamm der �cker, Felder und Wiesen haben die Proviantkolonnen und Feldlazarette ihre Biwaks. Nirgendwo auch nur ein handgro�er Fleck, wo man einen trockenen Schlafplatz f�r die Nacht herrichten k�nnte! Vermutlich schlafen[S. 43] die Leute auf den Wagen, soweit der Raum reicht. Abgeh�rtet und frisch wie sie sind, klagen sie nicht, sie singen nur.


11. Im Schrapnellfeuer.

Beim Dorf Dannevoux, das voller Ersatztruppen ist, kommen wir dem Feuer noch n�her.

Sechs Kilometer weiter liegt Septsarges. Der Weg dorthin ist schon im Schu�bereich der franz�sischen Batterien, und von Zeit zu Zeit schlagen Granaten neben ihm ein. Aber wir fahren noch im Schutz einer schwachen Gel�ndewelle im S�den, und es ist ein Gl�ck, da� eine Panne uns zum Halten zwingt, w�hrend wir noch in Deckung sind; denn ein kleines St�ck weiter vorn wird man von den franz�sischen Beobachtungsposten gesehen und zieht dann mit aller Wahrscheinlichkeit das Feuer auf sich; die franz�sische Artillerie ist so eifrig, da� sie ihre Munition auf einen einzigen Menschen verschwendet.

Das Auto ist wieder in Ordnung. �Schnell �ber die H�he!� kommandiert Major Matthia�. Leichter gesagt als getan, denn der Landweg ist schmal und ein vollst�ndiges Moorbad, worin schwere Wagen bodenlos tiefe Furchen hinterlassen haben. Links im S�den werden zwei franz�sische Fesselballons sichtbar; ein keineswegs behagliches Gef�hl, denn sie stehen mit den Batterien unter ihnen in telephonischer Verbindung. Es wirkt auch gerade nicht ermunternd, am Wegrand Holzkreuze auf frischen Gr�bern zu sehen. Dort im Graben ein totes Pferd — der Granatl�cher sind schon so viele, da� wir ihnen keine Aufmerksamkeit mehr schenken — neben der Stra�e eine Kolonne, die Hafer f�r die Pferde der M�rserbatterie gebracht hat. Schon sind wir in n�chster N�he der ersten Batterien mit je vier dieser gewaltigen Brummer. Zwischen zwei solchen Stellungen fahren wir w�hrend des Feuerns durch. �Laden!� kommandiert ein Hauptmann — �Fertig zum Feuer!� — gleich darauf �Feuer!� — alle vier Sch�sse gehen fast gleichzeitig los. Blitzschnell f�hrt ein Feuerb�schel aus der M�ndung. Ein Schu� erdr�hnt, da� man[S. 44] sich die Ohren zuh�lt und das Land ringsum erzittert, und dann h�rt man das eigent�mliche, unheimliche Pfeifen, wenn die Projektile in die franz�sischen Stellungen hin�bersausen. Jeder M�rser hat einen Schutzschild; bei den Kanonen findet die Bedienung in Erdh�hlen Deckung, falls das Feuer der Franzosen der Batterie allzu hart zusetzen sollte.

In Septsarges standen auch die Feldk�chen bereit mit ihren rauchenden Schornsteinen. Tags�ber wird das Essen gekocht, und sobald es dunkel ist, fahren die Feldk�chen in die N�he der Sch�tzengr�ben, wobei sie immer soviel als m�glich im Gel�nde Deckung suchen. Die Mannschaften in den Sch�tzengr�ben wissen, wo die K�chen zu finden sind, und begeben sich im Schutz der Dunkelheit dahin, um sich ihre Blecht�pfe mit siedender Fleischbr�he f�llen zu lassen.

Im Dorf erkundigten wir uns bei ein paar Offizieren nach dem Stand der Dinge und fuhren dann bis zu einem gesch�tzten Platz, wo wir unsern Wagen verlie�en. Darauf gingen wir weiter hinauf nach S�den, wobei wir die n�chste M�rserbatterie links und eine Position von Feldartillerie rechts hatten. Auch die Mannschaften der Feldartillerie hatten sich neben den Kanonen Erdh�hlen gegraben und mit Zweigen, Stroh und Laub gedeckt, um sich vor franz�sischen Fliegern zu verbergen. Vom Automobil aus gingen wir etwa achthundert Meter auf das franz�sische Feuer zu. Die Sch�tzengr�ben sind zwei ziemlich parallel laufende, einige hundert Meter voneinander entfernte Linien. Hinter ihnen sind die Artilleriestellungen, ebenfalls in zwei fast parallelen Linien. Wir bewegten uns also jetzt zwischen den deutschen Artilleriestellungen und den deutschen Sch�tzengr�ben, d. h. in dem Gebiet, das das Ziel der franz�sischen Artillerie war. Wir beobachteten daher alle Vorsichtsma�regeln, die sich aus dem Gel�nde ergaben. Unser Ziel war ein Beobachtungsstand oben auf der Anh�he, wo ein paar Artillerieoffiziere unbeweglich wie Bilds�ulen bei ihren auf Holzstativen ruhenden Scherenfernrohren standen. Sie leiteten das Feuer der M�rserbatterie und meldeten mittels Telephon,[S. 45] wo die Granaten einschlugen, ob die Sch�sse zu niedrig oder zu hoch gingen, zu weit rechts oder zu weit links vom Ziel, das nach den Meldungen der Patrouillen und Flieger festgelegt wird.

Unten gingen wir noch einigerma�en sicher, da wir nicht von der franz�sischen Front aus gesehen werden konnten. �Achten Sie auf die Telephondr�hte!� rief Matthia�, der an der Spitze ging, als wir einige Leitungen im Grase �berschritten. Nun erreichten wir etwa die Mitte des Abhangs, wo uns die Franzosen von mehreren Punkten aus sehen konnten, und stiegen dann in einen langen Laufgraben hinab, der bis in die N�he des Beobachtungspostens f�hrte. Der Graben war wenig mehr als einen Meter tief und wir mu�ten stark geb�ckt gehen, um nicht gesehen zu werden. Infolge der Absch�ssigkeit des Terrains war zwar das meiste Wasser abgelaufen, was aber noch vorhanden war, gen�gte, um den Boden des Grabens in einen graubraunen Lehmbrei zu verwandeln, worin man mit schweren Sohlen ausglitt und bis zur Mitte des Schienbeins einsank.

Die Beobachter stehen oben in ihren M�nteln auf der Spitze des H�gels, eine niedrige, kurze Brustwehr vor sich. Im allgemeinen ist man auf solch einem Punkt nicht gerade willkommen, denn man kann die Aufmerksamkeit der Franzosen wecken und die Beobachter in Lebensgefahr bringen. Sie gr��ten denn auch nur kurz und fuhren fort, das franz�sische Feuer zu beobachten, unbeweglich wie Bilds�ulen. Wir gingen den letzten Abschnitt im G�nsemarsch, damit es wenigstens von den gerade gegen�berliegenden Batterien aus scheinen sollte, als k�me blo� ein Mann und wir nicht zerstreut auf der Spitze des H�gels mehr Bewegung verursachten. Auf den Hacken sitzend, beobachteten wir das Land im S�den in der Richtung nach Malancourt und orientierten uns so gut es ging. Der Major erkl�rte gerade, welche H�hen, W�lder, D�rfer und Chausseen von den Deutschen genommen worden waren und wo die franz�sischen Stellungen begannen, als ein Schrapnell in unserer unmittelbaren N�he explodierte, gleich links von uns. �Deckung!� rief Major Matthia�[S. 46] und warf sich der L�nge nach hinter der Brustwehr nieder. Wir waren kaum seinem Beispiel gefolgt, als drei neue Schrapnells in etwas weiterer Entfernung niedergingen. Offenbar hatte uns der franz�sische Beobachter doch gesehen und das Feuer einer Batterie gerade auf uns einstellen lassen. Wir hielten es daher f�r das kl�gste, einen sichreren Platz aufzusuchen. Zun�chst gingen wir wieder zu der M�rserbatterie hinab. W�hrend der n�chste Schu� geladen wurde, entwarf ich die beigef�gte, sehr unvollkommene Skizze, aber es verlangt wohl niemand, da� man Geistesgegenwart und Kaltbl�tigkeit zu ausf�hrlichen Zeichnungen hat, wenn man jeden Augenblick mit Schrapnells �bersch�ttet werden kann. Das Bild zeigt das M�rserrohr, gesenkt zum Laden, rechts auf einer Trage ruht ein Gescho�.


12. Madame Desserrey.

Es war noch hell, als ich nach Stenay zur�ckkam. Am Eingang des Schlosses sa� der Kronprinz und ruhte sich aus; er war eben vom Tagesdienst zur�ckgekehrt. Sp�ter machte ich noch einen Spaziergang durch die Stadt. Bei den Maasbr�cken wurde ich von den Wachtposten angehalten, die mich bestimmt aber h�flich aufforderten, meinen Ausweis vorzuzeigen. Es ist ja nicht weiter verwunderlich, da� ich ihnen verd�chtig vorkam, da ich ein Skizzenbuch unter dem Arm trug. Blo� einer von ihnen, ein ehrenwerter Landwehrmann, erkl�rte querk�pfig, mein Ausweis sei nicht gen�gend. �Also der Generalstabschef General Moltke imponiert Ihnen nicht?� �Nein, der Ausweis mu� von der f�nften Armee abgestempelt sein�, antwortete er. Ein paar Kameraden von ihm retteten die Situation, nachdem sie den Ausweis gelesen und versichert hatten, da� General Moltke ihnen gen�ge.

Nach einem kurzen Besuch im Lazarett, das in einer franz�sischen Artilleriekaserne eingerichtet war, kehrte ich um und blieb erstaunt am Eingang eines Ladens stehen, in dem Soldaten aus und ein gingen. Da ich h�rte, wie ein paar Soldaten verzweifelte Anstrengungen machten, sich mit den Inhaberinnen des Ladens zu[S. 47] verst�ndigen, erbot ich mich zum Dolmetsch. Es war ein Gesch�ft f�r Damenartikel, Wei�waren, Schn�rleiber, Spitzen, Taschent�cher, Str�mpfe, Parf�ms, Seife und andere n�tzliche Toilettengegenst�nde. Die Inhaberin, Frau Desserrey, war seit drei Jahren Witwe und lebte mit ihren drei Kindern und einer Schwester von diesem kleinen Gesch�ft. Die Soldaten im Laden wollten Hemden kaufen, und Madame Desserrey wollte ihnen begreiflich machen, da� sie ihnen alles, was sie verlangten, n�hen wolle, wenn sie ihr den Stoff dazu schafften. Mit diesem Bescheid waren die Soldaten zufrieden, kauften ein paar Schachteln Seife und zogen ihrer Wege. Ich fragte Madame Desserrey, ob der Krieg sie nicht ruiniert habe, doch hatte sie bisher noch keinen Verlust gehabt; sie hoffte, �ber den Herbst und Winter hinwegzukommen und bald den Krieg beendet zu sehen.

�Und wie finden Sie die deutschen Soldaten?� fragte ich.

�Sie haben mir und den Meinen nicht das geringste getan, sind immer h�flich und nehmen sich nichts heraus. Was sie von meinem Lager brauchen konnten, haben sie gekauft und ehrlich bezahlt; ich k�nnte ein gro�es Gesch�ft machen, wenn ich nur neue Waren aus Luxemburg erhielte. Ich und noch drei andere sind die einzigen, die hier ihre L�den offenhalten; alle �brigen haben geschlossen und sind beim Herannahen der Deutschen geflohen.�

Im Laden standen zwei Strickmaschinen, daran sa�en die achtzehnj�hrige Blanche Desserrey und ihre vierzehnj�hrige Schwester und strickten Str�mpfe f�r die deutschen Soldaten, w�hrend ihr elfj�hriger Bruder drau�en auf der Treppe sa� und dem Soldatenleben zusah. Fr�ulein Blanche war bezaubernd, sah aber leidend aus und hatte einen wehm�tigen Zug in ihren schwarzen Augen und einen Hoffnungsanker an ihrer Brosche. Ich fragte sie, ob sie viele Freunde drau�en im Krieg habe. Ja, antwortete sie und sie sehne sich nach ihren Freunden, die aus der Stadt gefl�chtet seien. �Wie entsetzlich ist nicht dieser Krieg!� rief sie, �welches Ungl�ck f�r alle!� Dann fragte sie, ob man auch heute an der[S. 48] Front hart k�mpfe; sie hatte den Kanonendonner am fr�hen Morgen geh�rt. Ja, man k�mpfte erbittert, Deutsche und Franzosen, und mancher tapfere und vielversprechende junge Mann starb f�r sein Vaterland. Fr�ulein Blanche n�hte nicht nur f�r Soldaten, sie tr�umte auch die sch�nsten Tr�ume, und ihr Herz war rein und ohne Falsch; sie war liebensw�rdig und konnte obendrein lachen inmitten aller Einquartierungssorgen und beim Str�mpfestricken, ja man merkte, da� sie die Freude zu den verg�nglichsten Dingen in dieser Welt z�hlte. Die deutschen Soldaten, die hereinkamen, betrachteten sie mit Interesse und begegneten ihr achtungsvoll. Sie selbst versicherte, sie habe nie Anla� gehabt, sich �ber ihr Benehmen zu beklagen; sie ahnte aber nicht, da� sie auch den St�rksten mit einem Blick ihrer Augen entwaffnen konnte.

Soyez comme l'oiseau,
Pench� pour un instant
Sur les rameaux trop fr�les,
Il sent plier la branche,
Mais il chante pourtant,
Sachant qu'il a des ailes.

Blanche Desserrey h�tte die Heldin eines r�hrenden Romans abgeben k�nnen!

Ich f�r meinen Teil hatte keine Zeit f�r Romane. Als ich auf die Stra�e hinaustrat, schlug die Uhr des Kirchturms ihre sechs alten franz�sischen Schl�ge, und ich begab mich auf mein Zimmer, um einige Aufzeichnungen zu machen. Pl�tzlich klopfte es. �Herein!� rief ich mit Korporalstimme. Und herein trat der Kronprinz, mit einem gro�en Buche unter dem Arm. Ich bat meinen hohen Gast, auf dem Sofa Platz zu nehmen; dort sa�en wir denn und plauderten, bis es Zeit wurde, sich f�r das sp�te Mittagessen zurechtzumachen.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Brummer im Feuer bei Septsarges.
(Vgl. Seite 46.)

Das Buch aber, das der Kronprinz gebracht hatte und das er mich bat, als Andenken zu behalten, hie� �Deutschland in Waffen� und enthielt, neben Beitr�gen aus verschiedenen Federn, eine Reihe von hervorragend gut ausgef�hrten und wiedergegebenen[S. 49] farbigen Darstellungen der verschiedenen deutschen Truppengattungen im Dienst, im Man�ver und im Krieg und der deutschen Kriegsflotte auf hoher See. Der Kronprinz selbst hat das Werk unter dem Beistand hervorragender Meister herausgegeben.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

General Feldmarschall von Haeseler.             General von Mudra am Scherenfernrohr.
Bei Eclisfontaine.
(Vgl. Seite 57.)


13. Morgengrauen.

22. September. W�hrend des Essens machte mir der Kronprinz den Vorschlag, den Major Matthia� zu begleiten, den der Dienst nach Eclisfontaine rief. Von dort aus sollte der Sturm auf Varennes und die umliegenden D�rfer unternommen werden, die die Deutschen schon einmal in Besitz gehabt, dann aber aus taktischen Gr�nden wieder ger�umt hatten.

�4 Uhr wurde ich geweckt. Ich z�ndete mein Licht an, �ffnete das Fenster und sah in die Nacht hinaus. Es war pechdunkel, nur einige Sterne schimmerten durch die Baumkronen des Parks hindurch — lautlose Stille, nur der langsame Schritt der Wachen war zu vernehmen.

Um 4 Uhr sa� ich einsam beim Fr�hst�ck. Ein Soldat begleitete mich mit einer Laterne zur Wohnung des Majors Matthia�, wo das Automobil mit einem jungen Leutnant und einem Soldaten wartete. Wir nahmen, in Pelze geh�llt, Platz und rollten zur Stadt hinaus. Vor uns her die hellen Lichtb�ndel des Scheinwerfers; in so fr�her Morgenstunde reichten sie aber nicht weit. Dichter Nebel lagerte auf der Erde. Wir fuhren daher behutsam, schon weil die Stra�e jetzt voll wandernder Kolonnen war. Der Verkehr auf der Etappenlinie funktionierte auch w�hrend der Nacht. Nimmt denn dieser ewige Zug niemals ein Ende? Wahrhaftig, Deutschland scheint unersch�pflich an lebender Kraft und Material.

In dem Nebel erscheinen die B�ume wie Spukgestalten, die Posten stehen. Noch seltsamer nehmen sich in dieser ungew�hnlichen, malerischen Beleuchtung die Kolonnen aus. Die Reiter, den Mantel �ber den Schultern, sitzen auf geduldigen, schnaufenden Pferden und tr�umen; einer nach dem andern taucht aus dem Nebel auf, je nachdem das Licht der Scheinwerfer auf sie f�llt.[S. 50] Ein Pferd scheut vor dem Licht und vor dem Surren der Maschine, sein Reiter schreckt aus seinen Tr�umen empor; er sch�ttelt sich, setzt sich im Sattel wieder zurecht, und der Zug geht weiter. Neue Reiter tauchen auf, immer einer nach dem andern, unz�hlige Pferdehufe trappeln die Stra�e daher, und die R�der der schweren Bagagewagen knirschen und �chzen in dem Morast, der sich an ihnen festsaugt und in unf�rmigen Klumpen wieder herunterf�llt.

Da wird neben der Stra�e ein rotgelber Schein sichtbar. Wir kommen n�her — er wird st�rker und farbiger: es ist das Lagerfeuer eines Biwaks, von dem sich m�de Soldatengestalten als scharfe Silhouetten abheben. Sie kochen etwas �ber dem Feuer, vielleicht Kaffee oder Tee, und mancher von ihnen raucht schon seine erste Pfeife. Ebenso dunkel und nebelverh�llt wie die Nacht, die sich noch um sie ausbreitet, ist das Geschick, das sie heute erwartet! Es liegt in der Luft, da� heute etwas bevorsteht, ein neuer Kampf an der Front. Aber f�r die Soldaten ist das nichts Neues, nichts Ungew�hnliches oder Aufregendes. F�r sie ist es das t�gliche Brot, denn an der Front wird immerfort gek�mpft, und das Schicksal ruft sie hinaus in das Feuer. Vielleicht ist es ihnen bestimmt, gerade heute zu fallen und die Anzahl der Gr�ber und Holzkreuze an den Stra�engr�ben zu vermehren. Vielleicht war diese dunkle Nacht die letzte in ihrem Leben! Zum letztenmal haben sie wenigstens gut geschlafen; das Biwakfeuer verbreitete eine freundliche und behagliche W�rme.

Neue Feuer werden sichtbar; um alle bewegen sich Gruppen von Soldaten, Soldaten und immer wieder Soldaten. An einer Stelle m�ssen wir eine Weile halten, da wir mit dem ungeb�rdigen Pferd eines Reiters zusammengeraten sind. Hier h�ren wir die kriegerischen Stimmen der Nacht von allen Seiten: das Knarren der Wagen, das Klirren der Waffen, das Getrampel der Pferde, die Unterhaltung der Mannschaften und die strengen Kommandorufe der F�hrer. Es sind Truppen, die an die Front marschieren.


[S. 51]14. Die �Brummer� bei Eclisfontaine.

Um �7 ist Eclisfontaine erreicht. Der Nebel h�ngt in Fetzen und Draperien, bald leichter, bald dichter, ist aber hartn�ckig und trotzt noch immer der aufgehenden Sonne. Es ist heute ein bedeutungsvoller Tag f�r die Deutschen; sie wollen angreifen und nach Varennes vorr�cken. Nur der Nebel hindert sie, und es geht schon auf 8. Die Infanterie soll schon im Vorr�cken sein und an der �u�ersten Front in heftigem Kampf stehen. Die Artillerie mu� noch warten, ehe sie ihre Stellungen vorschieben kann. Doch von den Pl�tzen, wo die Batterien jetzt stehen, beginnen sie ihren Morgengesang. Die Sch�sse fallen aus verschiedenen Richtungen immer h�ufiger. Ganz nahe dem Dorf sind Feldhaubitzen und schwere M�rser. Die Sch�sse, die schw�cher und dumpfer klingen, kommen von franz�sischer Seite. Manchmal h�rt man vier und sechs Sch�sse fast zu gleicher Zeit; dann vergeht eine Pause bis zur n�chsten Salve.

Ein Offizier begleitet mich die Chaussee entlang durch das Dorf. In einem kleinen Haus laufen alle Dr�hte des Feldtelephons zusammen; hier sitzt ein halbes Dutzend Offiziere an einem langen Tisch, Telephonh�rer am Ohr und Karten vor sich. Hier sammeln sich von der Front die Meldungen �ber den Verlauf der Schlacht, �ber Ver�nderungen der franz�sischen und deutschen Stellungen und �ber die daraus sich ergebenden W�nsche und Bed�rfnisse.

Mit Freund Matthia� gehe ich ein St�ck weiter nach S�dwesten bis zu dem Punkt, von wo aus die Generalit�t die deutschen Operationen leitet. Das Gel�nde steigt bis zu diesem Punkt langsam an; er hat eine dominierende Lage und erlaubt einen vortrefflichen Ausblick �ber das ganze Gebiet, auf dem der Kampf tobt. Hier steht der kommandierende General von Mudra; in seiner Gesellschaft auch der 78j�hrige Feldmarschall von Haeseler, der jetzt kein Kommando hat, aber dem Wunsch nicht widerstehen konnte, in der N�he seines alten Korps zu sein, dort, wo es f�r Deutschlands Ehre k�mpft. Von mehreren Offizieren umgeben,[S. 52] standen die beiden Gener�le den ganzen Tag mitten auf der Landstra�e. Unmittelbar neben der Stra�e stand auf seinem Holzstativ ein Scherenfernrohr, und an diesem Fernrohr ein Hauptmann, der unabl�ssig seine Beobachtungen meldete. Von Zeit zu Zeit trat der kommandierende General selbst ans Fernrohr.

Der Ort, auf dem wir standen, war nicht ganz ungef�hrlich. Ein Soldat in der N�he der Telephonstation erhielt eine Gewehrkugel in den R�cken, eigent�mlicherweise ohne verwundet zu werden; er fiel nur infolge des Sto�es oder vielleicht vor Schreck um. Die Kugel, die aus weiter Entfernung kam, hatte ihre Kraft eingeb��t. Ein anderer wurde leicht verwundet, ebenfalls von einer Gewehrkugel. Drei Schrapnells explodierten ganz in unserer N�he, aber in allzu gro�er H�he, um lebensgef�hrlich zu sein.

Von einem Punkt in der N�he von Eclisfontaine hatte man eine vortreffliche Aussicht nach S�dwest in der Richtung auf Varennes. Hier sa�, wohlbeleibt und jovial, auf einem Stuhl mitten auf der Landstra�e der Divisionsgeneral Graf Pfeil. Seitdem der Nebel fast spurlos verschwunden war, traten auch die Umrisse des Argonner Waldes hervor. In einer Entfernung von drei Kilometern nach Varennes zu steigt das Gel�nde zu einem flachen Kamm an, der ein paar deutsche Feldartilleriebatterien sch�tzt, die von hier aus mit blo�em Auge leicht sichtbar sind. Gleich links von diesen Stellungen geht die deutsche Infanterie vor. Durchs Fernglas sieht man die Soldaten in stark geb�ckter Stellung vorr�cken, um solange als m�glich von der H�he gesch�tzt zu sein, die die Kanonen deckt. Wahrscheinlich haben aber die Franzosen die Infanterie schon gesichtet; unaufh�rlich explodieren Schrapnells �ber ihren Linien; ein wei�es W�lkchen nach dem andern taucht auf, und aus seiner Mitte schie�t ein Blitz hervor. Einmal z�hlten wir acht solcher W�lkchen, die gleichzeitig �ber den Soldaten schwebten und sie mit einem Regen von Bleikugeln �bersch�tteten. Zuweilen schlagen in ihrer N�he auch Granaten ein, leicht erkennbar an den dunkelgrauen S�ulen von Erde, Lehm und Pulver, die entstehen, sobald sie auftreffen.

[S. 53] Gleich s�dlich von der H�he im S�dwesten und durch diese unsern Blicken entzogen, liegen starke Kr�fte der deutschen Infanterie in langen Sch�tzengr�ben. Diesseits der Batterien sieht man im Gel�nde zwei halbmondf�rmige dunkle Flecke, die sich im Fernrohr in Soldaten aufl�sen; sie sitzen und liegen, haben aber Gewehr und Bajonett zur Hand, um die Kanonen gegen einen �berrumplungsversuch zu sch�tzen. Die Kanonen sind in die Erde eingegraben, durch Erdw�lle gedeckt und nach der Feuerseite zu stark maskiert. Heute morgen war noch keine franz�sische Infanterie und Kavallerie zu sehen; auf der feindlichen Seite k�mpfte blo� Artillerie, die nach Aussage der deutschen Offiziere vortrefflich scho�; nur waren die Geschosse oft sogenannte Blindg�nger, die nicht explodieren.

Pl�tzlich donnert es um uns von allen Seiten, auch von hinten; eine Batterie von vier 21-cm-M�rsern ist bis zum Dorfe vorger�ckt und steht nur hundert Meter von uns entfernt. Der Boden zittert bei jedem Schu�. Die vier Sch�sse fallen rasch hintereinander, nur ein paar Sekunden Pause ist zwischen ihnen. Dann h�rt man eine halbe Minute oder l�nger �ber sich ein zischendes, singendes Pfeifen und sieht unwillk�rlich nach oben. Doch sieht man die Geschosse nur, wenn man hinter dem M�rser m�glichst in der Verl�ngerung der Flugbahnfl�che steht. Die vier Geschosse fahren gemeinsam durch die Luft und singen den gleichen Gesang in gleich hohem Ton. Zuweilen scheint er zu ersterben, aber nach einer Weile ist er wieder deutlich vernehmbar; das kommt vielleicht von der Windrichtung. Die M�rsergeschosse brauchen ein paar Minuten bis zum Ziel; der H�hepunkt ihrer Flugbahn liegt Tausende von Metern �ber der Erde — eine schwindelerregende Reise f�r diese zentnerschweren Geschosse. Die Geschosse der Feldkanonen, die gew�hnlich auf nur drei Kilometer Entfernung eingestellt werden, kommen in einer halben Minute ans Ziel.

Die vier �Brummer� der Batterie warfen ein ums andere Mal ihre schweren Granaten zu den Franzosen hin�ber; jeder[S. 54] Schu� sollte wer wei� wie vielen Menschen den Tod bringen. Doch schien ihre Hauptaufgabe zu sein, den Gegner aus Varennes zu vertreiben, das nur sechs Kilometer s�dwestlich von Eclisfontaine liegt.

Am Abend fragte ich einen der Beobachter, was das heutige Feuer wohl koste. Er machte schnell eine Berechnung f�r 24 Batterien Feldhaubitzen und 8 Batterien schwere Kanonen und M�rser; die Durchschnittskosten f�r jeden Schu� berechnete er auf 50 Mark, die Anzahl der Sch�sse auf zw�lftausend; das macht 600000 Mark f�r einen einzigen Tag und f�r einen ganz kleinen Teil der deutschen Front! Andere aber meinten, die Berechnung sei in jeder Beziehung zu hoch. Auf alle F�lle verbraucht die Artillerie ungeheure Summen in einem Krieg wie diesem, wo sie die Hauptwaffe ist. —


15. Verh�r franz�sischer Gefangener.

Zwei deutsche Soldaten mit geladenem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett eskortieren franz�sische Gefangene nach Eclisfontaine. Die meisten sehen gleichg�ltig aus, und ihr Blick verr�t nur den einen Gedanken: Nun ist alles verloren, nun ist es aus mit uns! Andere sehen tief niedergeschlagen aus und haben geweint. Die Kraft ihrer Arme ist Frankreich entzogen, jetzt, wo sie am meisten gebraucht werden.

Ich war gerade in Gesellschaft des Brigadegenerals Bernhard, als die Franzosen in ihren blauen Waffenr�cken und den weiten roten Pumphosen daherkamen; die Uniformen waren abgerissen und schmutzig, kein Wunder, wenn man Tage und N�chte im Sch�tzengraben gelegen hat. General Bernhard trat zu ihnen und kommandierte Halt; dann lie� er sie einen Halbkreis bilden und begann, sich mit mehreren zu unterhalten. Einer war in Auxerre ausgehoben und am elften Mobilisierungstag �ber Bar-le-Duc nach Varennes transportiert worden, wo er seitdem gestanden hatte. Man macht ein Verzeichnis der Gefangenen und gewinnt so wertvolle Ausk�nfte �ber die Zusammensetzung der[S. 55] feindlichen Truppen, �ber Regimenter, Brigaden und Armeekorps und ihre Stellung an der Front. Der General fragte auch die Gefangenen, wie es mit ihrer Verpflegung st�nde; die Antworten lauteten sehr ungleich. Die meisten waren zufrieden; nur einige behaupteten, sie h�tten in der letzten Woche nur zweimal warmes Essen bekommen, da sie zuf�llig weit entfernt von der n�chsten Feldk�che gestanden h�tten.

Schlie�lich wurde an die Gefangenen die Frage gerichtet, ob sie Tageb�cher h�tten, und acht oder neun antworteten: Ja! Die B�cher wurden dem General �bergeben, der sie behielt. Auch dadurch gewinnt man wichtige Aufschl�sse �ber die feindlichen Truppenbewegungen, oft aus scheinbar bedeutungslosen Aufzeichnungen, die nur der Fachmann zu deuten wei�. General Bernhard las uns sp�ter aus einem dieser Tageb�cher das letzte St�ck vor, das der Gefangene tags vorher geschrieben hatte. Da stand u. a.: �Die Preu�en beschie�en Varennes. Sie schie�en gut, heute nacht traf eine ihrer Granaten den General X., als er sich eben niedergelegt hatte.� General Bernhard sagte, die franz�sischen Gefangenen ben�hmen sich immer h�flich und aufmerksam und beantworteten alle Fragen korrekt und wahrheitsgetreu. In den meisten F�llen redeten sie ihn �mon g�n�ral� an und bewiesen damit, da� sie �ber die deutschen Rangabzeichen orientiert waren, auch bei der gleichmachenden Felduniform. Und der General sprach zu den Gefangenen ohne jede Spur milit�rischer Strenge und ohne die �berhebung, die Rang und Macht leicht einfl��en k�nnen.

W�hrend des Verh�rs wandte sich ein franz�sischer Unteroffizier mit blondem Vollbart an mich und fragte: �Was wird man mit uns tun?� Ich antwortete: �Man wird Ihnen warme Suppe und Brot geben, und Verwundete werden �rztlicher Hilfe �berantwortet.� Der Mann sah mich fragend und erstaunt an, offenbar im Zweifel, ob das wirklich wahr w�re. Dann wies er auf einen seiner Kameraden, der einen blutenden Streifschu� am Nacken hatte. Ein deutscher Leutnant �bergab ihn sofort einem Sanit�tssoldaten.

[S. 56] So bekam ich auch jetzt in unmittelbarer N�he des Schlachtfeldes eine Best�tigung dessen, was ich fr�her im Lazarett gesehen hatte: da� die franz�sischen Gefangenen bei den Deutschen eine in jeder Hinsicht humane und wohlwollende Behandlung erfahren, und ich will im Namen der Wahrheit feierlich erkl�ren, da� die gegenteiligen Behauptungen gewisser feindlicher Bl�tter niedrige L�ge und sch�ndliche Verleumdung sind. Wenn einmal der Tag des Friedens kommt und die franz�sischen Gefangenen nach Hause zur�ckkehren, werden sie selbst daf�r Zeugnis ablegen k�nnen. Vielleicht werden einige von ihnen sich auch an Eclisfontaine erinnern.

Sp�ter kamen neue Scharen von Franzosen. Sie waren beim Bajonettangriff der Deutschen gefangen genommen worden. Einer war am 5. August aus Konstantinopel heimgerufen worden, ein anderer berichtete, er sei Reservist, und es beginne an Leuten zu mangeln. Mit ihnen unterhielt sich der Feldmarschall und sein vortrefflicher Adjutant Rechberg, der ein beneidenswert gutes Franz�sisch sprach.

In einer Gruppe waffenloser Franzosen befand sich auch ein Hauptmann. Er hatte einen Schu� durch den Schenkel, hinkte stark und st�tzte sich auf zwei Soldaten; er hatte ein vornehmes und offenes Aussehen. Als seine Schar verh�rt werden sollte, wurde ihm ein Stuhl angeboten, denn er sah sehr bleich aus.

�Schmerzt die Wunde sehr, mon capitaine?� fragte ein deutscher Offizier.

�Nein, gar nicht, sie ist ganz unbedeutend�, antwortete er.

�Haben Sie im Kampf gro�e Verluste erlitten?�

�Keine besonderen, wir k�nnen alle L�cken ausf�llen.�

�Sie sehen m�de aus, es ist Ihnen sicher in der letzten Zeit schlecht gegangen?�

�Nein, durchaus nicht, ich habe keine Not gelitten.�

�Es tut Ihnen leid, unter den Gefangenen zu sein?�

�Ja�, antwortete er schwer und bestimmt und ohne aufzusehen.

[S. 57] Er geh�rte nicht zu denen, die die Gefangennahme demoralisiert. Als das Verh�r geschlossen war, gr��te er und verschwand mit seiner blauroten Schar an der n�chsten Stra�enkr�mmung.


16. Sturm auf Varennes.

Nach und nach merkt auch der Uneingeweihte gewisse Ver�nderungen in der Situation. Die Artilleristen reiten mit ihren pr�chtigen Gespannen zu den zwei Batterien im S�dwesten mit dem Argonner Wald im Hintergrund. Eine Munitionskolonne folgt ihnen. Die Kanonen haben eine Weile geschwiegen; jetzt wird aufgeprotzt, die Pferde vorgespannt, die Munition in die Wagen gepackt, die Bedienung springt auf ihre Pl�tze, die Reiter in die S�ttel, und als alles fertig ist, rollen die Batterien in einem sch�nen Bogen in voller Fahrt davon und verschwinden bald hinter der Anh�he. Westlich davon sieht man neue Sch�tzenlinien in s�dwestlicher Richtung zum Sturm vorgehen. Man h�rt deutlich das unbehagliche schnarrende Ger�usch der Maschinengewehre bei der Infanterie. Die Angreifer haben Gel�nde gewonnen und r�cken in neue Stellungen vor.

Ich gehe zum Beobachtungsplatz zur�ck. Der alte Feldmarschall, der schon 1870 mitgek�mpft hat und nun das Recht h�tte, m�de zu sein, hat sich endlich bewegen lassen, auf einem Rohrstuhl Platz zu nehmen. Da sitzt er nun, lebt in seinen Erinnerungen auf und kann die Augen nicht vom Kampf und von den wei�en Schrapnellwolken abwenden. Sein Blick ist streng und ernst, sein Gesicht von tiefen, scharfen Falten und Runzeln gefurcht, sein graues Haar h�ngt um ihn wie eine M�hne. Er scheint am liebsten mit sich allein zu sein, aber wenn man ihn anredet, ist er voller Leben. In stattlicher, milit�rischer Haltung steht General von Mudra an seinem Scherenfernrohr und beobachtet. Den roten Kragen auf dem sonst hellblaugrauen Mantel hat er in die H�he geschlagen, in der Hand h�lt er eine Karte der Gegend, links tr�gt er eine Feldtasche mit Karten, Aufzeichnungen, Feder, Zirkeln und dergleichen.

[S. 58] Eine dritte Batterie deutsche Feldartillerie ist vorger�ckt und hat sich eine neue Stellung gesucht. Und eine dritte Linie Infanterie folgt den beiden ersten und st�rmt in der Richtung auf Varennes. Die Mannschaften springen mit gesenktem Bajonett in stark zerstreuter Ordnung, um dem feindlichen Feuer ein weniger kompaktes Ziel zu geben, und verschwinden hinter der n�chsten Anh�he — Gewehrfeuer knallt im Tal, begleitet vom Geknatter der Maschinengewehre — nach ein paar Minuten laute Hurrarufe: eine neue feindliche Stellung ist genommen!

Die kleine Aktion, die nur ein Glied in einer Kette ist, verursacht lebhafte Bewegung in Eclisfontaine. Zuerst fahren die Wagen des Feldlazaretts in voller Fahrt dahin, wo der Kampf stattgefunden hat; dann ziehen einige Kompanien Infanterie vor�ber, um die L�cken auszuf�llen. Kleine Patrouillen von Ulanen mit wagrecht gehaltenen Lanzen reiten im Galopp nach Varennes. Schlie�lich f�hrt die Feldk�che vor�ber mit rauchenden Schornsteinen; die K�che sitzen auf den K�chenwagen.

Auf den Abh�ngen s�dlich sieht man kleine Gruppen von acht oder zehn Mann mit Bahren und einem Sch�ferhund, der verstreute und vergessene Verwundete in den Gr�ben und Furchen suchen mu�. Sobald er einen Verwundeten gefunden hat, bleibt er stehen und ruft durch Bellen die Sanit�tssoldaten mit der Bahre herbei.

Das Artilleriefeuer der Franzosen hat nachgelassen, da sie ihre Stellungen in dem Ma�e, wie die Deutschen vorr�ckten, weiter zur�ckverlegen mu�ten.

Varennes, die kleine Stadt, in der Ludwig XVI. am 22. Juni 1791 erkannt und gefangen genommen wurde, um nach Paris zur�ckgef�hrt zu werden, steht nun in hellen Flammen, und eine braungelbe Rauchs�ule steigt aus seinen brennenden H�usern empor. Auch Cheppy brennt und weiterhin Bourcuilles. Der Kirchturm von Cheppy reckt seine trotzige Spitze aus dem Gew�lk von Rauch und Funken empor.

Westlich liegt das weite Tal, das von der Aire durchflossen wird, einem Nebenflu� der Aisne. Varennes liegt an der Aire,[S. 59] die im Osten den ber�hmten Argonner Wald begrenzt. Nach S�den zu durch das Tal st�rmen w�rttembergische Truppen; ein Teil ihres rechten Fl�gels zieht durch die Ausl�ufer des Argonner Waldes. Man erkennt ihr Vorr�cken ganz deutlich durch das Scherenfernrohr, das jederzeit zu meiner Verf�gung steht. Um aber die kleinen wei�en m�rderischen Buketts zu sehen, die entstehen, wenn die Schrapnells gerade �ber den W�rttembergern explodieren, dazu braucht man kein Fernrohr. Das Feuer wird von deutschen Schrapnells erwidert, die in weiterer Entfernung und mehr nach links sichtbar werden.

Eine Munitionskolonne, die hinter der flachen Anh�he s�dlich Schutz gefunden hat, erh�lt Befehl, vorzur�cken. Der n�chste Weg w�re, nach S�dwesten die Chaussee zu verfolgen, auf der ich mich den ganzen Tag aufgehalten habe. Aber dieser Weg ist gef�hrlich; die dunkle Linie der Kolonne w�re von den neuen franz�sischen Stellungen aus sichtbar und w�rde ein vortreffliches Ziel geben, au�erdem das Feuer auf die deutsche Oberleitung lenken. Die Kolonne hatte sich eben auf der Chaussee in Bewegung gesetzt, als ihr F�hrer den Befehl erhielt, hinter den gro�en M�rsern zu fahren. Die Kolonne f�hrte leichte Munition f�r Gewehre und Maschinengewehre. Dahin, wo Munition gebraucht wird, fahren sie erst in der Nacht. Doch tritt selten oder nie Patronenmangel ein, da die Patronentaschen der Verwundeten und Gefallenen von ihren noch kampff�higen Kameraden geleert werden.

Eine Batterie leichte Haubitzen wird jetzt im Norden der Chaussee sichtbar. Ihre Gespanne schwenken mit ihren Feldst�cken in sch�nem Bogen nach S�den. In Wests�dwest springen sechs Granaten in einer Entfernung von zwei Kilometern. Sie waren f�r die dort kurz vorher vorr�ckenden W�rttemberger bestimmt. Aber jetzt ist keine Seele mehr auf dem Platz, au�er vielleicht einem zur�ckgebliebenen Sanit�tssoldaten.

Um 6 Uhr z�hlte ich acht brennende D�rfer, von denen jedoch eins links vom Argonner Wald und im Operationsbereich des benachbarten Armeekorps lag. Wie viel verw�stete H�user, wie viel[S. 60] vernichtetes Privateigentum! Zwar wird die Bev�lkerung sich und ihre transportf�hige Habe rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben; aber wie mag es in den tausend Wohnungen aussehen, wenn die Menschen zur�ckkehren! Kann man ohne tiefes Mitgef�hl mit den unschuldigen Leuten sein, die am meisten unter dem Krieg zu leiden haben? Und ist man ein Feind Frankreichs, wenn man eine Ententepolitik verurteilt, die so namenloses Ungl�ck �ber die nord�stlichen Provinzen der Republik gebracht hat? Wer mit eigenen Augen all diese Folgen des Krieges, Kummer, Armut und Vernichtung sah, m��te sich selbst verachten, wenn er nicht laut die Politik verurteilte, die allein an all diesem Ungl�ck Schuld tr�gt!

�Aber warum r�ckt nicht auch die Armeeleitung vor?� fragte ich, nachdem die Truppen sechs oder sieben Kilometer vor der letzten Linie Stellung genommen hatten.

�Weil man die Telegraphen- und Telephonleitungen nicht sofort verl�ngern und das ganze System von Verbindungen mit der neuen Frontlinie �ndern kann.�

Am folgenden Tag wurde Varennes genommen und damit die ganze Maschinerie ein St�ck weiter nach S�dwesten vorgeschoben.

Aber nun begann der heutige Tag zur Neige zu gehen; die Sonne n�herte sich den Wipfeln des Argonner Waldes. Ein lehrreicher Tag f�r mich! Von der T�tigkeit an der deutschen Front hatte ich eine klare Vorstellung bekommen, von den Franzosen aber nichts anderes gesehen als ihr Feuer und die Gefangenen. Ich hatte die unglaublich sichere und ruhige Leitung des deutschen Oberkommandos bewundert. Es war wie ein Spiel, das unter gewissen Voraussetzungen gewonnen werden mu�te. Und wenn all diese Voraussetzungen im voraus gegeben und bekannt waren, dann hegte niemand den geringsten Zweifel am Ausgang. Und die Voraussetzungen waren: ausgezeichnetes Menschenmaterial, wirkliche Ritter ohne Furcht und Tadel, ein Volk, das in Friedenszeiten willig ist, genug und mehr als genug f�r die Verteidigung[S. 61] des Reiches zu opfern und, wenn der Krieg ausbricht, bereit ist, auch das Leben zu opfern zur Verteidigung der Heimat f�r seine Freiheit und seine Ehre, eine Ausbildung, die gen�gend lang ist, um die einzelnen Soldaten und die gro�en Truppenverb�nde unwiderstehlich zu machen, und ein Material, bei dessen Anschaffung man weder geschachert noch kompromisselt hat. Der Ausgang des Tageskampfes erweckte daher keine Verwunderung. Man h�rte keine Gl�ckw�nsche, keinen Jubel — man sprach davon wie von der nat�rlichsten Sache der Welt!


17. Das Feldlazarett in der Kirche zu Romagne.

Auf der R�ckfahrt nach Stenay m�ssen wir gerade vor dem Feldlazarett halten. Der Stabsarzt steht auf der Stra�e und gibt seine Befehle �ber Behandlung und Verteilung der neu angekommenen Verwundeten. Ich werde ihm vorgestellt, und er will mich nicht loslassen, ehe ich das Feldlazarett gesehen habe. �An die Front kommen, den Krieg studieren und das Lazarett in Romagne nicht sehen, nein, Herr Doktor, das geht nicht! Sie haben den ganzen Tag gesehen, wie die Verwundeten von der Feuerlinie hereinkommen, nachdem sie ihre erste provisorische Pflege auf dem Schlachtfeld erhielten. Sie haben den Hauptsammelplatz bei Eclisfontaine gesehen. Nun m�ssen Sie auch die dritte Etappe sehen, das Feldlazarett hier.�

Und damit f�hrte mich der Stabsarzt in die kleine, sch�ne, alte katholische Kirche. Die Sonne war untergegangen, und D�mmerung breitete sich �ber Frankreich. Es war dunkel in der Kirche, aber noch waren die kostbaren gemalten Fenster zu unterscheiden, und vorn am Altar brannte ein einsamer Leuchter, der die Dunkelheit eher vermehrte als verminderte. Achtzig verwundete Deutsche lagen hier. Die Kirchenb�nke waren paarweise zusammengestellt, so da� sie mit den R�ckenlehnen ger�umige Kisten bildeten, die mit Stroh gef�llt waren. In jedem solchen Bett lag ein schwer verwundeter Soldat. Die B�nke reichten aber nicht f�r alle. Die �brigen lagen an den W�nden auf aufgesch�ttetem[S. 62] Stroh. Jeder hatte seine Decke, und der Zwischenraum zwischen den Lagern war so gro�, da� Arzt und Sanit�tssoldaten ungehindert an jedes Bett herantreten konnten. Sobald es der Zustand der Patienten erlaubt, werden sie weiter nach Deutschland geschickt, um neuen Verwundeten Platz zu machen. Nur die lebensgef�hrlich Verletzten, die den Transport nicht ertragen, bleiben da, um in Frieden zu sterben oder, wenn m�glich, zu Kr�ppeln geheilt zu werden.

Am Altar, im Schein des Leuchters, waren mehrere junge �rzte mit einem eben angekommenen Patienten besch�ftigt, der sich einer Operation unterziehen mu�te. Ein Licht wurde herbeigeschafft, und der Stabsarzt f�hrte mich von Bett zu Bett und berichtete unerm�dlich �ber die verschiedenen F�lle. Die Pforten der Kirche waren geschlossen; von drau�en h�rte man das Gerassel der Kolonnen und das Trappeln der Pferde. Aber eine seltsame, fast unheimliche Stille herrschte hier im Innern; man f�hlte, da� hier ein Kampf zwischen Leben und Tod ausgefochten wurde. Schwere Atemz�ge, aber keine Klagen, ab und zu ein Seufzer, aber kein Jammern. Keiner zeigte sich schw�cher als der andere, keiner st�rte die Ruhe der Kameraden. Die meisten schliefen oder schienen zu schlafen, todm�de von den K�mpfen des Tages.

Wir schreiten von einem Bett zum andern und fl�stern, um nicht die Schlafenden zu wecken und nicht die feierliche Stimmung zu st�ren. Achtzig Helden, die heute mit Freuden ihr Blut f�r ihr Land geopfert haben! Noch schlummern sie unter den Eisernen Kreuzen — bald werden viele von ihnen unter den Holzkreuzen auf dem Kirchhof zu Romagne schlummern. Hier einer, der einen Schu� durch das empfindlichste Organ des Unterleibes erhalten hat. Er ist so bleich wie seine sonnenverbrannte, in den Sch�tzengr�ben verwitterte Haut es zul��t, und sein Puls ist am Verl�schen, aber seine Augen stehen offen, und sein Blick wandert weit von der Erde in unbekannte L�nder. Andere Bilder sieht er jetzt als vor kurzem in den Sch�tzengr�ben. Welch himmelweiter Unterschied! Nach der Unruhe drau�en an der Front versinkt[S. 63] er schon in die gro�e lange Ruhe. Mitten unter seinen Kameraden kam er mir so einsam und verlassen vor, und ich mu�te der Verwandten daheim denken, die noch hofften und nun bald weinen sollten. �Er lebt nicht bis zum Sonnenaufgang?� fragte ich den Stabsarzt. �Nein, er beginnt schon zu erkalten.�

Ein Schulgeb�ude in unmittelbarer N�he der Kirche war ebenfalls Feldlazarett. In allen Zimmern, wo sonst franz�sische Kinder Libert�, Egalit�, Fraternit� lernen, lagen nun verwundete Deutsche. Ein Schulzimmer war zum provisorischen Operationssaal geworden. Im Feld mu� man sich helfen, so gut man kann. Und man leistet das denkbar M�gliche mit dem, was gerade zu Gebote steht. Ein paar junge Chirurgen standen, wei� gekleidet, an einer auf hohen B�cken stehenden Tischplatte, auf die ein lebensfrischer, sch�ner junger Soldat gelegt wurde. Beide F��e waren ihm durchschossen, aber er war noch froh und munter und rief seelenruhig: �Schneiden Sie mich nicht.� Eine barmherzige Schwester, die einzige, die so nahe an der Front war, denn sonst herrscht im Operationsbereich des Feldheers ausschlie�lich milit�rische Organisation, l�ste den ersten Verband, der mit dem ausgetretenen Blut zu einer festen Masse zusammengebacken war. Es tat weh, als der Verband abgerissen und die Wunde entbl��t wurde. Aber der Soldat bi� die Z�hne zusammen und gab keinen Laut von sich. Das linke Bein war �ber dem Fu�gelenk zerschmettert; selbst ein Laie konnte erkennen, da� es eine sehr schlimme Wunde war. Im Augenblick konnte nichts getan werden; er bekam eine Schiene und einen neuen Verband und dankte herzlich daf�r, da� man so gut zu ihm war. Dann wurde er von zwei Sanit�tssoldaten in ein freies Bett getragen und schien entschlossen, nur zu schlafen und alles zu vergessen. �Wird er seine F��e behalten?� fragte ich den Arzt. �Bei dem einen ist keine Gefahr, aber der andere, den wir eben verbunden haben — nun, in drei Tagen werden wir sehen. Ich werde schon mein Bestes tun —� und er sch�ttelte den Kopf.

Die verwundeten franz�sischen Gefangenen waren auf Strohlagern[S. 64] in einem Vorratsraum untergebracht; hier sollten sie die erste Pflege erhalten und dann in ein Lazarett gebracht werden. Sie waren gerade dabei, Brot und eine nahrhafte warme Suppe zu essen. Und sie a�en mit gl�nzendem Appetit und waren allem Anschein nach guten Muts; ein paar waren geradezu lustig und lachten �ber ihre Scherze. Auf meine Frage nach ihrem Befinden antworteten sie: �Wenn es uns die letzten vierzehn Tage so gut gegangen w�re wie jetzt, dann w�re es uns gar nicht schlecht gegangen.�

Drau�en auf der Stra�e stand eine gro�e Schar verwundeter Deutscher und Franzosen, die Pflege suchten. An der Front wurde immer noch gek�mpft, neue Scharen von Verwundeten waren im Lauf der Nacht zu erwarten, die �rzte kamen nicht zur Ruhe. Die Franzosen standen in einem Haufen f�r sich. Ich trat an einen von ihnen heran; er hatte den ganzen Kopf verbunden; man sah wenig mehr als Augen und Nase. Auf meine Frage, wo er verwundet sei, zeigte er mit der linken Hand auf die linke Scheitelh�lfte und dann auf die Unterseite des rechten Unterkiefers. Ich fragte den Stabsarzt, ob es m�glich sei, da� der Mann stehen und gehen, sehen und h�ren k�nne, nachdem ihm ein Schu� senkrecht durch den Kopf gegangen war. Er antwortete, man habe den Verwundeten noch nicht untersucht, aber es k�men die merkw�rdigsten Verwundungen vor. Die Kugeln schlagen in den armen Menschenleibern, die oft die erstaunlichsten Pr�fungen bestehen m�ssen, die seltsamsten Wege ein.

Die Franzosen, versicherte der Stabsarzt, seien bewundernswert geduldig. Sie k�nnten wer wei� wie lange warten, ohne ein Wort oder eine Miene der Ungeduld. Wenn der Arzt einen Franzosen behandeln wolle, sei es obendrein fast Regel, da� der Verwundete sage: �Meine Kameraden brauchen die Hilfe n�tiger; ich kann warten.� Oder: �Behandeln Sie bitte erst den Mann da — er ist Familienvater, und seine Frau lebt in k�mmerlichen Verh�ltnissen.� Das gleiche Urteil habe ich auch von andern deutschen �rzten geh�rt.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Ordonnanzen.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Kaffeek�che im Felde.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Die Kirche in Longwy mit durchschossenem Gew�lbe und erhaltener Kanzel.
(Vgl. Seite 68.)

[S. 65] So folgt die Barmherzigkeit in Gestalt der Heilkunst den Spuren des grauenvollen Krieges. Was sind all diese �rzte, Assistenten, Sanit�tssoldaten, Schwestern anderes als rettende Engel, die mit dem Engel des Todes um das Leben der Verwundeten k�mpfen! Was sind die Krankenautomobile, Bahren und die eifrigen Sch�ferhunde anderes als der Verblutenden Freunde und Bundesgenossen, die die Ernte auf den blutigen Feldern bergen. Hier geht die Vers�hnung getreulich mit dem Krieg Hand in Hand, wie das Symbol des Roten Kreuzes die Farben des Bluts mit dem Sinnbild der christlichen Liebe vereint.


18. Der letzte Abend beim Kronprinzen.

23. September. Den Tag verbrachte ich in Dun an der Maas, das durch die Beschie�ung besonders seitens der Franzosen sehr gelitten hatte. Gegen �6 Uhr kehrte der Kronprinz mit seinen Herren von Romagne zur�ck; ich sollte ihn in Dun erwarten. Ich ging �ber die Br�cke zur Stadt hinaus, als eben die vornehmen Automobile mit der Bezeichnung �Generaloberkommando der f�nften Armee� in voller Fahrt dahergerast kamen. Beim Chauffeur auf dem ersten sa� der Kronprinz im Mantel mit rotem Kragen. Er gab mir ein Zeichen, aufzusteigen, und ich nahm hinter ihm Platz. Er unterhielt sich eine Weile mit den Offizieren; dann ging es weiter. Aber langsam, denn wir begegneten gerade einem Infanterieregiment. Die Mannschaften fa�ten ihre Helme an der Spitze, hoben sie in die H�he und stimmten ein Hurra an, als gelte es einen Bajonettangriff auf einen franz�sischen Sch�tzengraben; es galt aber dem Chef der f�nften Armee und dem Erben des Reichs. Wir fuhren wie durch ein brausendes Meer von donnernden Hurrarufen, bis zu den letzten kleinen Gruppen von zwei und drei Mann. Zuletzt stand noch ein einsamer Wachtposten an der Stra�e; auch er schrie aus Leibeskr�ften! Als dann der Kronprinz wieder seine Automobilbrille aufsetzte und den Mantelkragen hochschlug, war er nicht mehr zu erkennen, am wenigsten von den Reitern, die auf ihre Pferde[S. 66] aufzupassen hatten. Aber, so versicherte er mir, nichts freue ihn mehr, als sich so von den Soldaten gesch�tzt und verstanden zu sehen; sei es doch die vornehmste Pflicht eines F�rsten, sich des Vertrauens seines Volkes w�rdig zu zeigen, und f�r ihn kein gr��eres Gl�ck, als so zum deutschen Volk zu stehen.

Bei Tisch war die Stimmung so fr�hlich und ungezwungen wie gew�hnlich, trotzdem man begeisterte Reden, Trinkspr�che und Hurrarufe h�tte erwarten k�nnen. Varennes war genommen worden, und die Nachricht von Weddigens Tat auf dem Meer war eingelaufen. Aber man hielt keine Reden und rief auch nicht Hurra. Der Kronprinz nahm die Neuigkeiten mit derselben w�rdigen Ruhe auf, er freute sich, verzog aber keine Miene, nur seine Augen bekamen einen feuchteren Glanz. Die Unterhaltung drehte sich dann eine Weile um die Frage, ob die Unterseeboote gegen�ber den schwimmenden Festungen die gleiche Bedeutung erhalten w�rden wie die 42-cm-M�rser gegen�ber den Landbefestigungen. Dann sprach man von andern Dingen, und die Stimmung war kameradschaftlich und gem�tlich wie immer an diesem Tisch. Die unersch�tterliche Ruhe der Deutschen, besonders der Oberbefehlshaber, gegen�ber den Erfolgen hat mich oft in Erstaunen und Bewunderung versetzt. Sie nehmen die Erfolge als die nat�rlichste Sache von der Welt, und wenn ein Erfolg Woche f�r Woche ausbleibt, so bewahren sie dieselbe Ruhe in dem Bewu�tsein, da� er kommen wird und kommen mu�! Die Oberleitung wei�, was sie zu tun hat, um das Ziel zu erreichen; alle andern, vom Feldmarschall bis zum Rekruten, hegen blindes Vertrauen zu ihr, und das ganze deutsche Volk vertraut ebenso blind dem Heer und der Flotte. Solch ein Volk kann nicht besiegt werden! Alles geht mit mathematischer Genauigkeit und Notwendigkeit. Daher diese Sicherheit und Ruhe, und daher war am Tisch des Kronprinzen die Stimmung nicht aufger�umter als sonst.

Gleich vor Dun, auf der n�rdlichen Seite der Stra�e nach Romagne, liegt ein einsames Grab, das Kreuz mit Kr�nzen �bersch�ttet.[S. 67] Dort ruht ein Hauptmann, der mit seiner kleinen Schar inmitten des Feuers aushielt, als die Franzosen ihre eigene Stadt beschossen, und schlie�lich auf seinem Posten fiel. Sein Andenken war unter der Besatzung von Dun ebenso frisch wie die Blumen auf seinem Grab, die stets erneuert wurden. Und er war blo� einer unter Millionen! Dem Deutschen scheint es die einfachste Sache von der Welt, sein Blut hinzugeben und zu sterben. Nein, ein solches Volk kann nicht besiegt werden!

W�hrend des Essens kam der Generaloberarzt Professor Widenmann; er hatte im Lazarett nach unserm Freunde Freiherrn von Maltzahn gesehen, dem ein Automobilungl�ck zugesto�en war. Das Auto war an einer Stra�enwendung gest�rzt und kam mit seiner ganzen Schwere auf von Maltzahns Brust zu liegen. Ein paar Rippen waren ihm gebrochen, dazu ein Beinbruch, eine Gehirnersch�tterung und der allgemeine Chock. Sein Zustand war sehr beunruhigend, aber der Arzt hoffte auf seine Wiederherstellung. Professor Widenmann wird mir unverge�lich sein. Er hatte die ganze Welt bereist, war wohlbekannt in Afrika und nahe am Gipfel des Kilimandscharo gewesen, als Wind und Wetter ihn zwangen, umzukehren. Wir hatten gemeinsame Freunde nah und fern und unterhielten uns noch lange, nachdem die andern ihre Zimmer aufgesucht hatten, an diesem letzten Abend, den ich beim Kronprinzen des Deutschen Reichs verlebte.


19. Longwy.

Bei der Ausfahrt hatte ich Longwy nicht besichtigen k�nnen, dessen oberer Teil, in Vaubans Festung gelegen, so furchtbar durch den Krieg gelitten hat, w�hrend die Fabrikstadt im Tal der Chiers unbesch�digt blieb. Ich fuhr also bei der R�ckkehr ins Gro�e Hauptquartier am 24. September hinauf und �ber die beiden Festungsgr�ben und bis zu dem Tor, das eine Erinnerungstafel an Vauban schm�ckt. Jetzt wehte dar�ber die deutsche Flagge.

Der Wachtposten forderte meinen Ausweis. In den Tunnelg�ngen schulterten mehrere Posten ihr Gewehr; nach innen zu[S. 68] haben sie ihre Wohnungen und ihre K�che. An den Mauern kleben gro�e Plakate: �Arm�e de Terre et arm�e de Mer� und darunter zwei sich kreuzende Trikoloren; �Ordre de mobilisation g�n�rale� mit allem, was dazu geh�rt, und schlie�lich die Bekanntgabe, da� Sonntag den 2. August 1914 der erste Mobilisierungstag sei. Diese Order kostet Frankreich Str�me seines edelsten Blutes, zerst�rt seine nord�stlichen Provinzen und hat die kleine Stadt innerhalb der Mauern in einen einzigen Schutthaufen verwandelt.

Am Anfang der Hauptstra�e, die Longwy durchschneidet, standen einige franz�sische Arbeiter und nahmen das Pulver aus franz�sischen Handgranaten heraus, um sie unsch�dlich zu machen. Kein Erdbeben h�tte diese Stra�e in ihrer ganzen L�nge schlimmer verw�sten k�nnen als die Granaten. Nicht ein einziges Haus ist stehengeblieben. Als die Artillerie des Invasionsheers Longwy zu beschie�en begann, wurde den Einwohnern befohlen, den Ort zu verlassen, und die meisten zogen ihres Wegs. Einige jedoch wollten bleiben; von ihnen wurden etwa sechzig, darunter mehrere Frauen, unter den Ruinen begraben.

In der Kirche eine Verw�stung ohnegleichen: die W�lbungen des Seitenschiffs eingest�rzt, an den �brigen klafften gewaltige L�cher von Granaten, deren Splitter �ber die S�ulen herabgeregnet sind und tiefe Furchen in sie gerissen haben. Von den bunten Glasfenstern sind kaum einige Splitter �brig; nur von den Bleieinfassungen sieht man hier und da noch Spuren. Aber die Kanzel, von der aus die christlichen Wahrheiten verk�ndet wurden, ist unber�hrt geblieben, und h�tte ein Priester dort w�hrend der Beschie�ung gestanden, wie der griechische Patriarch in Konstantinopel, als die T�rken die Hagia Sophia st�rmten, so w�re ihm nicht ein Haar gekr�mmt worden, und man w�rde von einem Wunder gesprochen haben. Vor dem Frieden des Hochaltars schreckten die Granaten nicht zur�ck; er war ein Tr�mmerhaufen auf dem Boden des Chors, und eine dicke Schicht Kalkstaub bedeckte ihn. Im Langschiff war es nicht m�glich, vorw�rts[S. 69] zu dringen, denn die Orgel mit ihren abgeplatteten Pfeifen und die Ch�re mit ihren B�nken und Br�stungen bildeten einen einzigen Haufen von Ger�mpel, Brettern, Bewurf, Ornamentbruchst�cken, Betst�hlen und kirchlichen Ger�ten, alles fast bis zur Unkenntlichkeit zertr�mmert.

Der untere Teil der festen Kirchenmauern ist verh�ltnism��ig verschont geblieben, und gerade hier sind die rechteckigen Bilder in Hochrelief aus der Leidensgeschichte Jesu. Unter einem, das vollst�ndig unbesch�digt geblieben ist, standen die Worte: �J�sus tombe pour la deuxi�me fois.� Das Gesicht des Erl�sers dr�ckt unsagbaren Schmerz aus, wie unter der Last des Kreuzes und der S�nden der Menschen. O Eitelkeit der Welt! Auf einer Steintafel liest man die gut erhaltene Inschrift: �Hanc ecclesiam Ludovici XIV jussu et pecunia procurante Vauban erectam primar. benedixit lapidem 22 martii 1683� ... usw. Nun waren die Orgelt�ne verstummt, und von der Kanzel erklangen keine Trostworte mehr; durch die offenen W�lbungen klagte nur noch der Wind: �Alles ist eitel.�

Drau�en war die Verw�stung ebenso. Hier stand das Skelett eines Automobils, dort lag das Gerippe eines Zweirads ohne R�der unter Haufen von Tornistern und Uniformst�cken, zerbeulten Blecht�pfen, S�belscheiden, Gewehrkolben und — Pfeifen, Kinderspielsachen, Farbenk�sten und Holztieren, Leitungsrohren, Balkongel�ndern und Gittern, St�hlen und Tischen, alles in einem Wirrwarr von Steinen, Ziegeln und Schutt. Pompeji ist weniger verw�stet als diese Stadt, und mein altes Lou-lan im Herzen der W�ste, wo die Vernichtung ebenso viele Jahrhunderte ihre Ernte gehalten hat wie in Longwy Tage, sieht weniger trostlos aus als Vaubans befestigte Stadt!

In den Stra�en war es spukhaft still, nur hier und da tickte es in den Fugen, und mit einem scharrenden Laut fielen kleine Steine von den Mauern. Der Wind rumorte in den aufgerissenen flachen D�chern, und die herunterh�ngenden Dachrinnen nickten wie festgebundene Schlangen. Hier und da an einer Ecke war[S. 70] noch ein Stra�ennamen zu lesen: �Rue des Ecoles� oder �Rue Stanislas�.

Im Schutt lagen noch Postkarten, gebleicht und zerm�rbt von Sonne und Regen. Ich hob eine auf und las die Adresse: �Monsieur Crombez, Subsistant au 164 de Ligne, Longwy-haut.� Die Karte enthielt nur die Worte: �Le Mans, 22. August. Lieber Kamerad. Ich bin gl�cklich nach Mans gekommen und habe meine Zeugnisse dem Chef direkt geschickt. Hoffentlich habe ich bald das Vergn�gen, Dich wiederzusehen. H....� Ob dieser Crombez jemals den Gru� seines Kameraden erhalten und das sch�ne Bild auf der Karte gesehen hat, das den Zusammenflu� der Huisne und Sarthe darstellt? Oder steht er in den Verlustlisten als tot oder vermi�t?

Den kleinen Markt vor der Kirche bekr�nzt ein Viereck von B�umen. Viele von ihnen waren niedergeschlagen und lagen nun da, ein Haufen Reisig und Brennholz. Auf diesen Markt hinaus ging auch die hohle, zertr�mmerte Fassade eines Hauses, �ber dessen Portal man die Worte �H�tel de Ville� zu erkennen glaubte und die Jahreszahl 1731. Sein Vestib�l mit Eingang zum Bureau de Police war ein einziger Kehrichthaufen von Kleiderfetzen, M�beln und Papier. Das Polizeiarchiv lag umhergestreut; darunter die ganze Auflage einer kleinen Schrift: �Trait� pour l'�clairage au gaz de la ville de Longwy, du 9 Janvier 1912 au 23 d�cembre 1961.� Sie sollte also f�r ganze f�nfzig Jahre gelten. Bei der Drucklegung des Heftes ahnte noch niemand, da� das Gas schon 1914 verl�schen w�rde. Die Bl�tter raschelten, wenn der Wind durch die �den R�ume strich.

Der untere Stadtteil zeigte dagegen keine andern Spuren vom Krieg als wenige deutsche Uniformen. Das deutsche Milit�r wanderte seelenruhig durch die Stra�en der eroberten Stadt, in deren Zentrum die Zivilbev�lkerung ganz zahlreich war.

Kurze Zeit darauf fuhr ich �ber die Grenze nach Luxemburg und erreichte bei Sonnenuntergang wieder die Hauptstadt des kleinen Gro�herzogtums.


[S. 71]20. Ein Brief an den Kaiser.

Durch den Hofmarschall Freiherrn von Reischach erhielt ich am 25. September eine Einladung zur Mittagstafel des Kaisers f�r 1 Uhr. Unter den Anwesenden waren au�er dem Hofmarschall die Herren von Plessen, von Gontard und von Buch, letzterer deutscher Gesandter in Luxemburg; ferner der Feldprediger des Kaisers und einige Adjutanten. Am Vormittag war die Nachricht von Prinz Oskars Krankheit eingetroffen; er hatte sich durch �beranstrengung eine Art Herzkrampf zugezogen. Ich erwartete daher, den Kaiser niedergeschlagen zu finden, aber keine Spur davon. In jugendlicher, milit�rischer Haltung trat er herein, hie� mich wieder mit kr�ftigem H�ndedruck willkommen und nahm einen Brief aus der Tasche, den er mich aufmerksam zu lesen bat, w�hrend er sich mit seinen Herren unterhielt. Der Brief war direkt an den Kaiser gerichtet; ein Feldwebel, der neben Prinz Joachim gestanden hatte, als dieser verwundet wurde, schilderte darin, wie tapfer und vorbildlich sich der Prinz benommen hatte. Der Bericht war einfach und ohne jeden Wortprunk, aber er zeigte, wie fest und tief die Treue wurzelt, die das deutsche Heer mit seinem obersten Kriegsherrn verbindet; sie macht die beiden zu dem festen und unersch�tterlichen Felsen, auf dem das Deutsche Reich erbaut ist. Als der Kaiser zur�ckkam und mich fragte, was ich von dem Briefe d�chte, antwortete ich blo�: �Es mu� Ew. Majest�t eine Freude sein, solche Gr��e aus den breiten Schichten des Volks zu erhalten.�

�Ja,� antwortete er, �nichts freut mich so sehr wie die Beweise von der Treue des Volks und seinem unmittelbaren Zusammenhang mit meiner Armee. Einen Brief wie diesen verwahre ich unter meinen wertvollsten Papieren.�

Dann sprachen wir von Prinz Oskars Krankheit. Im Zusammenhang damit �u�erte der Kaiser: �Nun ist auch Hohenzollernblut geflossen. Ich habe sechs S�hne und einen Schwiegersohn im Krieg, und von den vielen deutschen F�rsten, die an der[S. 72] Front k�mpfen, haben schon mehrere ihr Leben f�r Deutschlands Sache geopfert.� Im �brigen drehte sich die Unterhaltung um meine Erlebnisse bei der f�nften Armee und die Kriegsereignisse.

Den Beschlu� des Tages bildete ein Abendessen beim Reichskanzler von Bethmann-Hollweg.


21. Die Eisenbahn im Kriege.

26. September. Kurz vor 9 sollte ich auf dem Bahnhof sein und den Zug benutzen, der ein Weimarer Landsturmbataillon nach Charleville bef�rderte. Aber �ber Nacht war der Fahrplan ge�ndert worden, der Landsturmzug ging erst sp�ter; dagegen stand ein Munitionszug zur Abfahrt nach Sedan bereit, zweiundzwanzig offene, mit Planen bedeckte Wagen und ein paar geschlossene. In dem einen der letzteren nahm ich Platz. Meine Nachbarn waren Bedeckungsmannschaften, zehn oder zw�lf Mann Ersatzreserve; sie kamen von Mainz und hatten in diesem Zug acht Tage und acht N�chte zugebracht! Unser Wagen hatte sich aus dem Nordosten Deutschlands hierher verirrt; er trug die Bezeichnung: �Preu�.-Hess. Staatseisenbahnen, Nord-Ost�, und in meinem Abteil hing eine Karte �ber die Bahnstrecke Berlin-Memel.

Eine menschenfreundliche Seele im Hotel Staar hatte mir geraten, Proviant mitzunehmen, da es mehr als zweifelhaft sei, ob ich unterwegs etwas E�bares auftreiben k�nnte. Also wurden mir mit dem �brigen Gep�ck vier t�chtige Butterbrote mit Schinken und K�se, drei Eier und zwei Flaschen Mineralwasser ins Kupee gebracht.

Dann ging es h�bsch langsam los, aus dem Luxemburger Bahnhof heraus, an einem stehenden Zug vor�ber, der mit plaudernden, rauchenden, lachenden Soldaten vollbepackt war, die ausgezeichneter Stimmung zu sein schienen. Die Fahrt ging an gem�tlichen D�rfern, H�fen und W�ldern vor�ber, an Wiesen mit grasenden Rindern, Feldern mit pfl�genden Bauern, an Landstra�en und Chausseen mit langen Baumreihen. In Luxemburg gab's keine zusammengeschossenen H�user, keine obdachlosen Menschen.[S. 73] Wohl war die Einquartierung deutscher Truppen wenig angenehm, aber die Luxemburger haben alles bei Heller und Pfennig ersetzt bekommen.

Auf den Stra�en keine Truppen, keine knarrenden Kolonnen. Wie das kommt, so nahe der Front? Nun, soweit die Eisenbahnen gehen und in Zusammenhang mit dem deutschen Eisenbahnnetz stehen, besorgen sie den ganzen Transport bis zum Beginn der Etappenstra�en, wo es keine Eisenbahnen gibt. Deshalb sieht das Land zu beiden Seiten der Bahn so idyllisch aus, und das einzige, was an den Krieg erinnert, ist der Trubel an den Haltestellen und die Posten, die die Bahn bewachen und oft so dicht stehen, da� der eine den andern sehen kann. Deutsche Eisenbahntruppen besorgen den Betrieb und Landsturm die Bewachung.

Unser Gleis f�hrt �ber Mamer und Kapellen. Das Gel�nde ist schwach gewellt, nach allen Seiten breiten sich flache, sonnenbestrahlte Felder. Zwischen zwei Stationen halten wir. Warum? Auf dem Nebengleis kommt ein gewaltiger Zug mit lauter leeren G�terwagen; keine Menschenseele ist darin, man h�rt, wie leer sie sind; mit hohler Resonanz rasseln sie vor�ber; sie haben irgendeiner Armee Verst�rkungen gebracht und gehen nun nach Luxemburg zur�ck, um neue Mannschaften zu holen. —

Sterpenich! Wir sind also in Belgien. Die Landschaft ist die gleiche, auch hier deutsche Wachtposten, auch hier pfl�gende Bauern auf den �ckern wie in Luxemburg. Nicht einmal die Zollrevision erinnert uns daran, da� wir ein neues Land betreten: der Krieg rei�t alle Schranken nieder.

In Arlon halten wir l�nger. Im S�dwesten h�rt man Kanonendonner; ob er aber von Verdun oder vom Argonner Wald herkommt, k�nnen meine Reisekameraden nicht entscheiden; er klingt dumpf, aber deutlich.

Zuweilen f�hrt der Zug mit gew�hnlicher Geschwindigkeit, aber bald bereut er das und f�hrt wieder langsam, als ob die Last von Toten, die er in Form von Geschossen mit sich f�hrt, die Ersch�tterung nicht vertr�ge. Der Bahnk�rper liegt nun hoch,[S. 74] und wir fahren auf einer Br�cke �ber eine Landstra�e. Unten steht ein Soldat mit einem Gewehr und sieht zum Zug hinauf.

Da pl�tzlich ein Dorf, zusammengeschossen und einge�schert, nur noch aus kahlen Mauern bestehend, die zwischen B�umen hervorlugen. Eine Allee ist zum Teil umgehauen, auch die B�ume am Rande eines Geh�lzes in der N�he der Bahn sind gef�llt. Wohl um die Bewachung zu erleichtern und Attentaten vorzubeugen? Nein; weiterhin sind die St�mme aufgestapelt, ein G�terzug wartet auf sie; sie sollen als Bahnschwellen dienen.

�Langsam fahren!� steht an scharfen Kurven auf gro�en Schildern; die deutschen Lokomotivf�hrer f�hlen sich noch nicht so heimisch. Doch ist der Verkehr nicht besonders lebhaft; man begegnet nur wenigen Z�gen auf dieser zweispurigen Bahn.

Lavaux — Cousteumont — Hamipre, kleine Stationen; die Soldaten sitzen in guter Ruh, rauchen Zigarren und lesen die neuesten Zeitungen. Longlier-Neufchateau, eine gr��ere Station; vom Kupeefenster aus werden einige zerst�rte H�user sichtbar. Bei Libramont geraten wir dicht neben einen gewaltigen Truppenzug, der wie wir Sedan zum Ziel hat. Der ganze Zug ist laubgeschm�ckt, als ging es zu einem Sommerfest. Drau�en zwischen den Wagenfenstern liest man mit Kreide geschriebene Spr�chlein, die von der guten Laune der Passagiere zeugen, z. B. �Auf zum Mittagessen nach Paris; steht schon bereit�, und andere derartige Scherze. Unter fr�hlichem Singen und Lachen rollt der Zug seinem unbekannten Schicksal zu.

Nach einst�ndigem Aufenthalt kommt die Reihe wieder an uns, und wir fahren �ber Felder, auf denen duftende Hafergarben wie Soldaten in Reih' und Glied stehen. Eine Br�cke ist zu Beginn der Invasion gesprengt worden, offenbar um den Bahnverkehr zu st�ren, der unter ihrem Bogen hindurchf�hrt. Nun sind Eisenbahnbautruppen damit besch�ftigt, sie wieder herzustellen. Sonst sieht man von der Bahn aus in Belgisch-Luxemburg nicht viel von den Wirkungen des Kriegs.

Von Libramont aus geht die Fahrt endlich nach S�dwesten.[S. 75] Auf einer kleinen Station halten wir wiederum unmittelbar neben einem Truppenzug und gleiten langsam an ihm vor�ber. Im Wagen dritter Klasse haben die Soldaten Tornister, Gewehre, Waffenr�cke und Patronentaschen aufgeh�ngt, alles in malerischer, kriegerischer Unordnung. Einige Leute liegen auf den B�nken und schlafen, andere sitzen, die Beine �bereinandergeschlagen, rauchen, lesen, plaudern oder betrachten das Leben drau�en. In den Kupees erster und zweiter Klasse fahren Offiziere und Unteroffiziere. Es ist Kavallerie; den Schlu� des Zuges bilden die G�terwagen mit den Pferden, in jedem Wagen sechs, je drei und drei mit den K�pfen gegeneinander; von der mittleren Wagen�ffnung mit den Schiebet�ren sind sie durch Balken getrennt, die an kurzen Ketten h�ngen; an den Balken sind ihre Halfter festgemacht. Zwischen den Balken, also in der Mitte des Wagens, steht auf B�cken ein Tisch mit zwei B�nken. Hier sitzen ein paar Leute, die gerade mit ihrem Mittagessen besch�ftigt sind.

Bertrix! Wieder eine Stunde Aufenthalt. Ein leerer Zug aus Sedan verursacht die Verz�gerung. Durch das Fenster f�ngt man unfreiwillig kleine Brocken von der Unterhaltung der Soldaten auf. �Hast du geh�rt, da� die Belgier in der N�he von Arlon eine geheime Funkenstation haben sollen, der man noch nicht auf die Spur gekommen ist?� — �Auf alle F�lle war das eine Glanzleistung von Weddigen.� — �Aber die Verluste zu Land sind viel gr��er als die zur See. Der Untergang eines Unterseebootes bedeutet zwanzig Mann, ein Sturm zu Land aber zehn- oder hundertmal mehr.� — �Ist es wahr, da� Reims erobert ist?� — �Der rechte Fl�gel scheint ein gutes St�ck zur�ckgegangen zu sein.� — Alle Ger�chte gedeihen �ppig an den Bahnstationen.

Der Stationsvorsteher kommt in mein Abteil, um mir Gesellschaft zu leisten. Er erz�hlt mir, da� die Steinbr�cke, �ber die wir vorher gefahren sind, am 19. August von den Belgiern gesprengt worden sei, als hier hei� gek�mpft wurde. �Wir Eisenbahner,� f�gt er hinzu, �wir m�ssen hier sitzen und d�rfen den[S. 76] Kanonendonner nur aus der Ferne anh�ren. Ins Feuer, wie die andern, d�rfen wir nicht.� — �Aber Ihre Arbeit ist doch ebenso wichtig; wie st�nde es mit dem Feuer an der Front, mit der Verpflegung und den Ersatztruppen, wenn Sie nicht den Eisenbahnbetrieb in Ordnung hielten!� — �Gewi�, aber es ist eine f�rchterliche Geduldprobe.�

Endlich kommt der erwartete Zug heran. �Haben Sie keine neuen Zeitungen?� rufen Wachtposten und Eisenbahnarbeiter, als wir langsam vor�berfahren. �Ich habe schon alle weggegeben, die ich hatte�, antworte ich. Aber ich finde noch eine Nummer der Trierischen Zeitung, und am n�chsten Ort, wo mehrere Soldaten beieinander stehen, werfe ich sie hinaus. Wie eifrig die Leute die Neuigkeiten verschlingen; einer liest vor, die andern h�ren zu.

Hier begegnen wir einem lustigen Zug: einige Wagen sind als Reparaturwerkst�tten eingerichtet. Da stehen Hobelb�nke und Schleifsteine, da liegen S�gen, Mei�el, �xte und H�mmer herum. Andere Wagen sind gestopft voll von Zweir�dern, Schubkarren, Spaten, Spie�en, �xten und Hacken und andern Werkzeugen, die man bei Pionierarbeiten, Barrikaden und Sch�tzengr�ben braucht. Hinter einem langen Tunnel �ffnet sich eine herrliche Landschaft, st�rker gewellt als die bisherige; unter uns kreuzen sich mehrere gro�e Landstra�en. An der n�chsten senkt sich der Bahnk�rper j�h herab. Unten ist eine Wachtstube, in der mehrere Landst�rmer nach der Arbeit ausruhen und die Stunde abwarten, wo ihre Kameraden abgel�st werden sollen. Eine Schar graugekleideter Arbeiter geht, den Spaten auf der Schulter, die Strecke entlang. An einer kleinen Haltestelle stehen etwa vierzig graue und blaue Soldaten um ihre Gewehre herum. Es nimmt auch nie ein Ende mit den Soldaten! Welche Massen werden nicht allein an den Eisenbahnlinien verbraucht.

Die Sonne geht unter. Hinter einem neuen Tunnel �ffnet sich im Tal unter uns die Aussicht auf den gewundenen Flu�lauf der Semois. Neue Scharen zur�ckkehrender Arbeiter. �Noch[S. 77] zwanzig Kilometer bis zur franz�sischen Grenze�, erkl�rt der eine; ein anderer zeigt in der N�he eines zerst�rten Dorfes auf eine Anh�he, wo mehrere Massengr�ber zu liegen scheinen. Die D�mmerung schreitet weiter und geht in Nacht �ber. Schade, da� man die Aussicht auf dieses herrliche Land verliert. Die Bahn wendet sich in vielen Kurven, bald steigend, bald fallend. Beim Ansteigen geht es hoffnungslos langsam, der Zug qu�lt sich, und das Holz der Wagen seufzt unter der Schwere seiner Last.

Wieder ein Tunnel in Sicht; an seinem Eingang eine kleine H�tte, in der einige Landst�rmer sich eben ihr Abendbrot bereiten. Der Zug f�hrt so langsam, da� wir einige Worte mit ihnen wechseln k�nnen. Dann geht's h�bsch sachte in die dunkle �ffnung hinein. Die Lokomotive st�hnt und keucht aus Leibeskr�ften, der Tunnel f�llt sich mit Rauch, und man schlie�t die Fenster. Es geht immer langsamer. Nun kann die Maschine es nicht mehr schaffen, da stehen wir!

Einer meiner Reisekameraden holt in der Finsternis eine kleine Lampe hervor, die die Stimmung erh�ht. Der Rauch wird kompakter und dringt in das Kupee herein; wenn das noch lange dauert, ersticken wir alle. Ich �ffne einen Augenblick das Fenster und sehe hinaus — nur Nacht und Rauch, aber durch den Rauch sieht man die Funken, die von der Lokomotive spr�hen, die neue Kraft zu sammeln scheint. Unser Zug ist mit Munition beladen, und sollte sie gerade hier im Tunnel in die Luft fliegen, dann bekommen die Eisenbahntruppen in den n�chsten Tagen viel zu tun!

Die Lokomotive prustet wieder und f�ngt an, sich zu bewegen. Vorn wird ein Licht sichtbar, vermutlich die M�ndung des Tunnels. Nein, nur eine Laterne, deren Schein vom Rauch ged�mpft wird. Eine Weile sp�ter wieder ein Licht, als ob es endlich tagen wollte; es ist aber nur der Feuerschein der Maschine. H�rt denn dieser ewige Tunnel niemals auf? Mehr als eine halbe Stunde sind wir darin. Da wird es endlich heller, und wir atmen wieder frische Luft. Aber vom Tag ist nicht mehr viel �brig;[S. 78] die D�mmerung verwischt die Umrisse der Landschaft, und �ber der Erde schwebt der Halbmond gelb und sp�ttisch.

Gegen 8 Uhr ist der Mond wei� geworden und sitzt in den Baumwipfeln. Die Nacht ist hell und kalt. Wie leicht w�re es f�r Franktireurs, aus den Schlupfwinkeln des Waldes heraus ihre Kugeln in die schwach erleuchteten Fenster des Zugs zu senden. Aber kein Schu� erschallt, es ist lautlos still drau�en, nichts erinnert an den Krieg, man ist wie im tiefsten Frieden.

Um Mitternacht verschlief ich den Rest unserer Fahrt. Um 3 Uhr morgens weckte mich einer meiner Nachbarn: wir waren in Sedan. Achtzehn Stunden waren wir unterwegs gewesen. Der Chef der Kommandantur, Major von Plato, war bereits um diese fr�he Morgenstunde auf den Beinen, heiter und guter Dinge, hie� mich herzlich willkommen und stellte mir ein Zimmer im Bahnhof zur Verf�gung. Bevor ich aber meine neue Wohnung in Besitz nahm, mu�te ich mit dem Major und ein paar andern Offizieren, die ebenso munter und lebhaft waren wie er, Tee trinken. Das zeitige Fr�hst�ck lieferte die Kriegsverpflegungsanstalt, in der sechzehn freiwillige Helferinnen bis zu viertausend Verwundete an einem Tag bek�stigt hatten. In einer K�che brodelten best�ndig gewaltige Kessel mit kr�ftiger Suppe. Neben der Station hatte man gleich nach der Besitznahme in zwei Tagen einen Holzschuppen gebaut, in dem die Truppen, Verwundete und Unverwundete durcheinander, ihre Mahlzeiten an langen Tischen einnehmen konnten. Auch jetzt waren viele Pl�tze besetzt, und drau�en stand ein ganzer Trupp Landwehr zweiten Aufgebots und wartete auf den Morgenkaffee mit Br�tchen. Jeder sollte auch seine Portion Brot und Fleisch auf die Fahrt an die Front mitnehmen. Alle waren heiter und guter Dinge, und niemand konnte vermuten, da� diese M�nner binnen kurzem vor dem Feind stehen w�rden, um zu siegen oder zu sterben. Im Durchschnitt hatten t�glich f�nftausend Mann Sedan auf dem Wege zur Front passiert. Fleisch und Gem�se f�r ihren Unterhalt liefert das besetzte Land, der B�rgermeister mu� es herbeischaffen — das ist[S. 79] so Kriegsgesetz, und man sieht daher leicht ein, wie vorteilhaft es f�r eine Armee ist, in Feindesland zu k�mpfen. Das besetzte Land mu� ja nicht nur seine eigene Armee, sondern auch die des Gegners ern�hren. Solange es Getreide gab, wurde auch das eingefordert, aber Ende September mu�te f�r den Brotbedarf der Soldaten Mehl aus Deutschland beschafft werden. In der Kaffeek�che brodelte ein Dutzend gro�e Kessel, und eine alte Franz�sin rumorte zwischen ihnen unterhaltungs- und lachlustig. —

Das Zimmer, das mir nun zugeteilt wurde, war urspr�nglich f�r Major Plato und seinen Adjutanten bestimmt; sie sollten sich abwechselnd darin ausruhen. Aber bisher hatten sie es noch nicht benutzen k�nnen, da sie Tag und Nacht durcharbeiteten und zwischendurch oft in den Kleidern in der Bahnhofswirtschaft schliefen, die als Kommandanturbureau diente. Im Wartesaal III. Klasse war das Quartier der Stationswache. Die Leute lagen auf dem Boden und machten sich gerade f�r die Arbeit des neuen Tages bereit.

Unsere Runde f�hrte uns auch in die Wartes�le und Magazine, die als Lazarett eingerichtet waren. In einem lagen nur schwerverwundete Franzosen, die von Schwestern des Roten Kreuzes und �rzten gepflegt wurden. Ein anderer Saal war den Deutschen �berlassen, die bald den Transport nach Osten ertragen konnten. Auch hier bekam ich einen lebhaften Eindruck davon, wie wichtig es ist, so schnell als m�glich die Krankens�le, die zur Verf�gung stehen, zu r�umen. Eben war die Mitteilung eingegangen, da� ein Zug mit Verwundeten auf dem Weg nach Sedan sei, und da� f�nfhundert Krankenwagen von der Front angefordert w�rden — was auf heftige K�mpfe und blutige Ereignisse schlie�en lie�. Als der gemeldete Zug ankam, entstand auf dem Bahnsteig Leben und Bewegung. Die Schwestern und ihre freiwilligen Tr�ger eilten von Wagen zu Wagen mit Eimern und Kannen voll rauchenden Kaffees und gro�en, runden K�rben voll Brot; Sanit�tssoldaten standen mit ihren Bahren bereit, um die Schwerverwundeten zu den Autobussen und damit in das[S. 80] St�dtische Lazarett zu schaffen. Alles geht wie geschmiert, es ist Lust und Leben in diesem Liebeswerk. Wieviel auch kommen, so reicht das Essen doch immer zu, die Bahren und Betten gehen nicht aus, und die hilfreichen H�nde werden nie m�de. Den verwundeten Franzosen wird dieselbe freundliche Behandlung zuteil wie den Deutschen, vielleicht eine noch freundlichere, denn fast alle haben ein Gef�hl von Mitleid gegen�ber denen, die in Feindeshand gefallen sind und au�er ihren eigenen Wunden noch f�hlen m�ssen, wie ihr Vaterland blutet. Die Station Sedan ist wie ein summender Bienenkorb. Hier kommen Z�ge mit frischen Truppen herein, und dort halten Transporte von Gefangenen und Verwundeten. Zwar liegt die Nacht kalt und sternenhell auf der Stadt, aber f�r die, die im Dienst der Krankenpflege auf der Station arbeiten, gibt es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht, und es ist mir ein R�tsel, wie sie dieses Leben aushalten. Die Kraft, die sie aufrecht erh�lt und vor M�digkeit bewahrt, ist die Liebe zum Vaterland, das seinen gr��ten und schicksalsschwersten Kampf ausficht.


22. Sedan — 1870!

Am Nachmittag machte ich mit Major Heyn und ein paar andern Offizieren, von denen einer Richter in Frankfurt a. M. war und jetzt Kriegsgerichtsrat, eine Automobilfahrt zu geschichtlich ber�hmten Orten au�erhalb Sedans, Pl�tzen, deren blo�er Name bei allen Franzosen Gef�hle der Trauer weckt.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Das Weberhaus bei Donchery, wo am 2. Sept. 1870 Napoleon und Bismarck ihre Unterredung hatten.
(Vgl. Seite 82.)

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Landst�rmer am Grabe eines Kameraden.

In der N�he des Dorfes Fr�nois, wo am Vormittag des 2. September 1870 die Kapitulation unterzeichnet wurde, besuchen wir das kleine Schlo� Bellevue, wo K�nig Wilhelm am selben Tage seine Zusammenkunft mit Kaiser Napoleon III. hatte. Die beiden Monarchen trafen sich in der kleinen Glasveranda im Erdgescho�, die eine Art Vorhalle bildet. Die M�bel von damals sind alle verschwunden, und kein Andenken aus jener Zeit ist erhalten. Doch nein! Die alte, w�rdige und vornehme Dame, die noch jetzt das Schlo� besitzt und, von Alter und Kummer[S. 81] gebeugt, jetzt zum zweitenmal nach vierundvierzig Jahren alle Phasen eines franz�sisch-deutschen Krieges erlebt hat! Ihr Haar war schneewei�, und sie ging geb�ckt, aber sie trug ihr Haupt hoch und war stolz und ehrfurchtgebietend. Wir fragten sie, ob wir das Innere des Schlosses besichtigen k�nnten, aber sie bat uns, davon abzustehen, und wir achteten diesen Wunsch nat�rlich. Da� die Soldaten, die ihr Weg an Bellevue vor�berf�hrt, gern die ber�hmte Veranda sehen wollen, ist ja weiter nicht zu verwundern, aber die alte Dame bat, man m�ge diese Besuche einstellen. Sie wolle Frieden haben und mit ihrem Kummer allein sein. �C'est bien malheureux, c'est tr�s, tr�s triste�, sagte sie ein ums andere Mal, und sie selber wie ihre Worte erweckten das tiefste Mitgef�hl. Bellevue erhebt seinen runden Turm wie eine Klippe, die von den Sturmwogen der beiden gr��ten Kriege der neueren Geschichte umsp�lt ist.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

�rzte in einer Soldatenh�tte hinter den Sch�tzenlinien bei Rouvroy.
(Vgl. Seite 88.)

Unser n�chstes Ziel ist die kleine Stadt Donchery, die jetzt einen doppelt traurigen Eindruck macht. Hier verhandelten am Sp�tabend des 1. September 1870 die Gener�le Moltke und Wimpffen �ber die Kapitulation. Auch Bismarck war dabei und mehrere Offiziere von beiden Seiten. Das Haus, in dem die Verhandlung stattfand, wurde in dem jetzigen Krieg zerst�rt. Aber Anton von Werners Gem�lde existiert noch. Es wirkt auf den Beschauer fast ersch�tternd. Rechts die germanische Eisenkraft, die Entschlossenheit, die keine Kompromisse duldet, links das geschlagene Frankreich in seinem tiefsten Ungl�ck. Wohl zieht Moltke unsere Blicke auf sich, wie er, die Hand auf den Tisch gest�tzt, dasteht und kategorisch verlangt, da� sich das ganze franz�sische Heer gefangen geben soll, und wohl betrachten wir mit gespannter Aufmerksamkeit den eisernen Kanzler, wie er, die H�nde am S�belknauf, dasitzt und auf die Antwort wartet. Die Hauptfigur des Bildes ist aber doch Wimpffen. Er ist gerade von dem Schlag getroffen, den die �bergabebedingungen f�r ihn und ganz Frankreich bedeuten. Er h�lt es nicht mehr aus, er ist aufgestanden, um zu gehen. Aber er schwankt und mu� sich auf den[S. 82] Tisch und einen Stuhl st�tzen. Das Licht der Lampe f�llt auf sein Gesicht, das den tiefsten Schmerz und Kummer verr�t. Weshalb hat er sich zum Oberbefehl �ber die Armee gedr�ngt, nachdem Mac Mahon verwundet worden war und Ducrot zu seinem Stellvertreter ausersehen hatte? Nun wird sein Name in der Erinnerung auf ewig mit diesem Ungl�ckstag verbunden bleiben. Ein Bild Bonapartes h�ngt an der Wand; der gro�e Kaiser scheint dem ungl�cklichen General einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. Die Gesichter seiner Begleiter verraten tiefsten Schmerz und Dem�tigung. Nicht weniger ernst stehen die Preu�en auf der andern Seite des Zimmers. Ihre Z�ge zeigen Bewunderung f�r die gl�nzende Tapferkeit des franz�sischen Heers und f�r eine Todesverachtung, die eines besseren Geschicks w�rdig gewesen w�re. Der K�nstler hat eine Stimmung hervorgerufen, die uns ahnen l��t: alle Anwesende sind sich dessen bewu�t, da� dieser Tag in der Erinnerung als einer der ungl�cklichsten in Frankreichs, als einer der gr��ten in Preu�ens Geschichte fortleben wird.

Auf der R�ckkehr nach Sedan besuchten wir auch das Haus, in dem am fr�hen Morgen des 2. September Napoleon und Bismarck ihre Unterredung hatten. Von seinem Gefolge und ein paar Reitern begleitet, kam der Kaiser in einem Landauer nach Sedan gefahren. Er war ausgestiegen und stand, gebrochen und vorzeitig gealtert, auf seinen Stock gest�tzt, als Bismarck heranritt. Auch diesen Augenblick hat Werner auf einem seiner Gem�lde verewigt. Sie gingen dann ins Haus, stiegen die schmale, halsbrecherische Treppe hinauf und nahmen im hintersten der beiden gr��eren Zimmer Platz. Der Wirt, der Weber Fournaise, wurde entfernt, aber seine siebenundzwanzigj�hrige Frau hielt sich im Vorderzimmer auf. Und Madame Fournaise ist noch am Leben, eine freundliche alte Frau, die das Leben mit philosophischer Ruhe betrachtet, das doch so schlimm mit ihrem Eigentum verfahren ist. Das einzige, was sie emp�rte, war, da� zwei Gewehrkugeln durch ihr Fenster gegangen waren und sich in die Decke[S. 83] gebohrt hatten. Sie hielt uns im �brigen einen richtigen Vortrag �ber den denkw�rdigen Tag vor vierundvierzig Jahren und entsann sich jeder Kleinigkeit. Der Kaiser war freundlich und herablassend, Bismarck lustig und scherzhaft zu ihr gewesen. Und als die Unterhaltung zu Ende war und die beiden Herren ihrer Wege gingen, hatte der Kaiser ihr vier Zwanzigfrankst�cke geschenkt, die sie noch unter Glas und Rahmen und mit folgender Unterschrift aufbewahrt: �Donn�s par sa Majest� l'Empereur Napol�on III � Madame Fournaise le 2 Septembre 1870.� Zur Erinnerung an unsern Besuch sollten wir den Stempel bewahren, den sie in unsere Notizb�cher dr�ckte: �Maison de la 1re entrevue Donchery.� Das Haus selbst ist bekannt unter dem Namen Maison du Tisserand oder das Weberhaus.

Wir fuhren auf einer andern Stra�e nach Sedan zur�ck, um einen fl�chtigen Blick auf die Festungswerke zu werfen, die seit 1870 geschleift sind, und von den H�hen der Umgebung die sch�ne Aussicht auf die ungl�ckliche Stadt zu genie�en. In Sedan kann man nicht fr�hlich sein. Es liegt einem bleischwer auf der Brust. Da ist ein Volk, das gelitten hat und leidet, ein edles, flei�iges und sparsames Volk, das am G�ngelband der republikanischen Demokratie an einen Abgrund von Ungl�ck gef�hrt wurde, ein Volk, das eines besseren Schicksals w�rdig w�re als f�r eigenn�tzige Freunde zu verbluten, dessen Kinder vergebens die anscheinend stolzen, in Wirklichkeit aber leeren und hohlen Worte stammeln: �Libert�, Egalit�, Fraternit�!� Was ist das f�r eine Br�derlichkeit, die nie an etwas anderes denkt als an Rache! Was ist das f�r eine Gleichheit, die politischen Zwecken die Ersparnisse des Volks aufopfert! Und was ist das f�r eine Freiheit, die dieses selbe Volk der am despotischsten regierten Macht der Erde in die Arme treibt!


23. Bei der vierten Armee.

Im Hotel Croix d'Or in Sedan wohnte Exzellenz General Freiherr von Seckendorff, der Etappeninspektor der vierten Armee. Der Chef seines Stabs ist Oberst von Kemnitz; er hat[S. 84] eine gewaltige Schar Offiziere unter sich, dazu die schwere Verantwortung f�r die Verbindungslinien der vierten Armee. Man kann wohl sagen, da� durch seine H�nde ganze Armeen und endlose Reihen von Kolonnen gehen. Er mu� Ankunft und Marsch der Ersatztruppen kontrollieren und ist daf�r verantwortlich, da� sie zur rechten Zeit ankommen. Er hat daf�r zu sorgen, da� Kleider, Waffen, Munition und Verpflegung in gen�gender Menge vorhanden sind. Er hat einen Generaloberarzt bei der Etappeninspektion unter sich, und dieser ist wieder verantwortlich f�r jedes Lazarett an den achtundzwanzig Etappenorten wie f�r Bef�rderung und Behandlung der Verwundeten im allgemeinen. Die Bewegungen der Sanit�tskolonnen fallen also auch unter die Etappeninspektion. Der vielseitige General hat au�erdem die Gefangenentransporte und die ewig hin und her rollenden Motorwagen der Feldposten zu �berwachen.

General Seckendorff hatte demnach alle H�nde voll zu tun und arbeitete auch wie ein Pferd; des war ich Zeuge. Er hielt tadellose Disziplin auf seinen Stra�en und inspizierte sie t�glich in eigener Person. Er war schon zw�lftausend Kilometer in seinem eleganten gedeckten Automobil gefahren. Auf den Landstra�en f�hrte er strenges Regiment und konnte, wenn es n�tig war, Soldaten und Offiziere anfahren wie ein L�we. Zu mir war er liebensw�rdig und freundlich wie lauer Zephirwind. Er nahm mich mit offenen Armen auf und lud mich ein, zum Abendessen im gro�en Saal des Hotels zu bleiben.

Hier versammelten sich etwa vierzig von den dreihundert Offizieren, die damals in Sedan wohnten, unter ihnen ein F�rst Hohenlohe, der beim Roten Kreuz besch�ftigt war. Bei unserm Eintreten standen die Herren schon an ihren Pl�tzen vor dem langen Tisch und den kleinen Nebentischen, und der General stellte mich gleich allen mit einigen ebenso kr�ftigen wie liebensw�rdigen Worten vor. Es gab dieselbe Kost wie f�r die Soldaten, Reissuppe, Hammelfleisch mit Bohnen und Kartoffeln und gef�llte Pfannkuchen — das letzte Gericht ein Sonntagsluxus.

[S. 85] Nach einem angenehm verbrachten Abend und nachdem mich der General eingeladen hatte, ihn am n�chsten Tage nach Vouziers zu begleiten, ging ich um Mitternacht durch das stille, menschenleere Sedan. Der Weg von der Place Turenne bis zum Bahnhof, wo ich wohnte, ist ziemlich lang, und er wurde von den sechs Wachtposten nicht verk�rzt, die einer nach dem andern aus dem Dunkel auftauchten und mich anhielten als einen verd�chtigen Nachtwanderer, der vielleicht in ungesetzlichen Gesch�ften unterwegs war. Jeder mu�te General Moltkes Brief lesen und mich dann meinem Schicksal und dem n�chsten Wachtposten �berlassen. Aber alle waren ruhig und h�flich, und sie taten ihre Pflicht. Als ich an den letzten kam, kurz vor dem Bahnhof, trat ich auf ihn zu und fragte ihn, ob er etwas dagegen h�tte, meinen Ausweis zu lesen. Er antwortete l�chelnd: �Ich vermute, der ist schon oft genug gelesen worden; �brigens hab' ich Sie in Gesellschaft des Chefs der Kommandantur gesehen.�

Am 28. September begab ich mich fr�hmorgens in den Gasthof �Zum goldenen Kreuz� und war bald darauf mit General Seckendorff und seinem Adjutanten auf dem Weg an die Front der vierten Armee. Die Stra�e f�hrt nach S�dwesten in der N�he des Ardenner Kanals, der ein paarmal gekreuzt wird. Unser erstes Ziel war die Stadt Vouziers, bis wohin die Eisenbahn ging. Trotzdem benutzen zahlreiche Kolonnen die Chaussee, neben der auf den Feldern malerische Biwaks sichtbar werden. Hier und da raucht es noch von einem Lagerfeuer, �ber dessen Glut die Soldaten ihr Fr�hst�ck zubereitet haben. Zwischen den Kastanien und Ahornen, deren Laub sich schon verf�rbt, bewegt sich das bunte, kriegerische Landstra�enleben, an das wir schon gew�hnt sind: Soldaten und Fuhrwerk einer gro�en Etappenlinie, Proviant- und Munitionswagen, Lazarettautos und ganze Reihen altmodischer gelber Postwagen, die Feldpostbriefe bef�rdern und nach Deutschland �ber Trier fahren, wo die erste Sortierung geschieht. Die unentbehrlichen Feldgendarmen in ihren gr�nen Uniformen reiten auf und ab und passen auf. Ein ausgedientes Pferd hat[S. 86] seinen Gnadenschu� erhalten und wird eben beiseite geschleppt; ein Blutstrom flie�t aus seinen N�stern und r�tet den Staub der Landstra�e.

Wir fahren durch mehrere D�rfer, darunter Tannay und Lechesne am Ardenner Kanal, und halten kurze Zeit in Vouziers am Westufer der Aisne. Der General nimmt von ein paar Offizieren der Etappenkommandantur die Berichte entgegen �ber das, was sich seit gestern zugetragen hat. Dann geht die Fahrt weiter nach S�den auf der Chaussee, die nach S�chault und Cernay f�hrt. In dem zuletzt genannten Dorf sind wir zwanzig Kilometer westlich von Varennes. Aber zwischen diesen beiden Orten breitet sich der Argonner Wald aus, in dem noch hei� gek�mpft wird. Von Cernay geht nach Westen die gro�e Landstra�e nach Reims. Auf den ersten sechzehn Kilometern dieser Stra�e, d. h. bis zum Dorf Somme Py, hatte ich Gelegenheit, einige h�chst interessante Punkte zu besichtigen. Denn diese Stra�e war Ende September die letzte nach S�den, die in dieser Gegend vom deutschen Heer besetzt worden war.

Das erste Dorf westlich von Cernay ist Rouvroy, und weiter wollten wir heute nicht fahren. Wir machten einen kurzen Aufenthalt und a�en unser einfaches, feldm��iges Fr�hst�ck, lange, schmale Scheiben von Kommi�brot mit Butter und Schinken und ein Glas Rotwein. Der General hatte ein besonderes Automobil mit voll Weinflaschen, die er an die Soldaten verteilen lie�. Mit dem Wein braucht man in diesen Gegenden, wo auch die Bauern ihre wohlversehenen Weinkeller haben, nicht zu sparen. Aber nichts wird ohne weiteres genommen, alles wird den Eigent�mern nach dem Krieg ersetzt, und es geh�rt zu den Friedensbedingungen, da� der verlierende Teil jede Quittung �ber Sachen bezahlt, die w�hrend der Besetzung requiriert worden sind. Der einzelne darf nicht Schaden leiden unter dem Krieg; es ist Pflicht des Staats, die pers�nlichen Verluste zu ersetzen, wenn er das Eigentum des einzelnen nicht gegen die Invasion zu sch�tzen vermocht hat. Und wenn die Invasionsmacht den Krieg[S. 87] verliert, so ist es ihre rechtm��ige Strafe, f�r die Verluste aufzukommen.

Vielleicht wird jemand sagen, es sei nicht recht, die Soldaten Wein trinken zu lassen. Im Osten haben ja die Russen den Versuch gemacht, w�hrend des Kriegs ein Generalverbot einzuf�hren, und sie sind mit dem Ergebnis zufrieden. Ohne Zweifel ist diese Kraft�u�erung an und f�r sich bewundernswert. Aber ich glaube doch, da� ein Schluck Rot- oder Wei�wein hier und da den Soldaten nur guttut. Absolute Enthaltsamkeit zu predigen, ist keine Kunst f�r den, der nicht die N�chte in kalten, feuchten Sch�tzengr�ben zu frieren braucht, in denen man nicht das kleinste Feuer anz�nden darf.

In Rouvroy stiegen wir aus und gingen das sacht ansteigende Gel�nde zu Fu� weiter �ber Felder, Gr�ben und durch W�lder. Hier war das Land voller Granatl�cher, und man konnte nicht wissen, wo der n�chste Feuerregen niedergehen w�rde. Zahlreiche Geschosse lagen rings verstreut, und ich nahm einen sogenannten �Ausbl�ser� mit, der beim Krepieren nicht geplatzt war.

Weiter oben hatten wir Gelegenheit, zu sehen, wie die Ersatztruppen sich auf der Linie eingerichtet hatten, auf der sie warten, bis sie ihre Kameraden in den Sch�tzengr�ben abl�sen. Sie lagen teils am Waldrand, teils im Wald selbst, wo sie sich halb unterirdische, mit �sten, Zweigen und Laub gedeckte H�hlen gegraben hatten, die nicht nur als Wohnst�tten dienten, sondern auch zur Deckung vor den Fliegern. Diese Lager sind immer nach Norden verlegt, damit sie vom Wald gedeckt sind und von den franz�sischen Stellungen aus nicht gesehen werden. Da sie so gut maskiert sind, darf man in den H�hlen kleine Feuer anz�nden.

An einer Stelle des Waldrandes hatte ein Sanit�tswagen im Schutz einiger dunklen Fichten haltgemacht. Er war beladen mit Verbandzeug, Heilmitteln, Bahren und andern Sachen, die zur ersten Behandlung der Verwundeten n�tig sind. Das Gespann verf�gte �ber ein Reservepferd, das gut zu brauchen war, falls eins der gew�hnlichen Wagenpferde erschossen werden mu�te. Ein[S. 88] anderer Wagen, der zur selben Sanit�tskolonne geh�rte, war mit einem graugelben Verdeck �berspannt. Beide f�hrten Flagge und Zeichen des Roten Kreuzes. �ber die Pferde waren graue Decken gebreitet, um ihnen einen Farbton zu geben, der soviel als m�glich mit dem des Landes �bereinstimmte, alles zum Schutz gegen Flieger.

In einer kleinen Soldatenh�tte in der N�he hatten sich vier �rzte der Kolonne eingerichtet. Sie hatten eben ihr Fr�hst�ck beendet, das aus der n�chsten Feldk�che geholt wurde, wo auch ich die ebenso kr�ftige als wohlschmeckende Kost versuchte. Oben auf der H�he, von wo aus sich eine Aussicht �ber die franz�sischen Stellungen darbot, trafen wir mehrere Offiziere, und unter einem m�chtigen Strohdach eine Anzahl Soldaten verschiedener Waffengattungen. In der N�he hatte man zwei Soldaten im Schatten eines kleinen W�ldchens beerdigt. An den Querarmen der Kreuze hingen frische Kr�nze, die verrieten, da� die Tapfern, die hier ruhten, erst k�rzlich dem franz�sischen Feuer zum Opfer gefallen waren. Ihre Helme schm�ckten die einfachen Grabh�gel.

Auf der R�ckfahrt, die auf einer �stlicher gelegenen Stra�e �ber die D�rfer Cond�, Autry und Grand Pr� f�hrte, holten wir vier Kompagnien Landsturm ein, an deren Spitze ein Musikkorps marschierte. Es ist ungew�hnlich, so nahe der Front Regimentsmusik zu h�ren, wo alles so still wie m�glich sein soll und nur die Kanonen und Gewehre ihre laute Sprache sprechen. Der General lie� unser Auto die ganze Truppe entlangfahren; dann lie� er neben dem Weg halten, stieg aus und wir folgten ihm. Die ganze Schar mu�te nun vor�berziehen; als die erste Kompagnie kam, rief er: �Guten Tag, erste Kompagnie!� Ebenso begr��te er die �brigen und wurde von ihnen wieder gegr��t. Es war ein sch�ner Anblick, diese kr�ftigen M�nner und ihren elastischen Gang zu sehen und ihre dunkelblauen Uniformen, die sich scharf von dem gelblichen Laub der B�ume abhoben, und ebenso pr�chtig war der General mit dem energischen, aber freundlichen Blick, dem wei�en, wohlgepflegten Schnurrbart und dem stahlgrauen Haar. Gerade und aufrecht stand er in seinem[S. 89] grauen Mantel da, die H�nde auf dem R�cken. Er h�tte sich nicht die M�he zu machen brauchen, auszusteigen und zu gr��en, aber es freute seine Kriegerseele, diese M�nner zu betrachten, die Haus und Heim, Frau und Kind verlassen hatten, um f�r das Vaterland zu siegen oder zu sterben. Dann fuhren wir an ihnen zum zweitenmal vor�ber und lauschten wieder dem anfeuernden Parademarsch, der schlie�lich hinter uns verklang.

Bei der R�ckkehr nach Vouziers �bergab mich der General dem Rittmeister von Behr, einem Bruder des Kammerherrn, einem lebhaften, fr�hlichen Herrn, der dem General versprach, da� mir nichts abgehen solle. Und er hielt Wort, denn die reichliche Woche, die ich bei ihm und seinen Kameraden zubrachte, hatte ich Gelegenheit, viel zu sehen und zu lernen und mit vielen t�chtigen M�nnern bekannt zu werden; von Behr hatte schon l�ngst seinen Abschied genommen, aber bei Kriegsausbruch trat er wieder bei den K�rassieren ein und f�hrte eine Reserveschwadron.

Am 29. September war ich zum Abendbrot bei dem Chef der vierten Armee Herzog Albrecht von W�rttemberg eingeladen. Unter den G�sten waren auch der Kriegsminister Exzellenz von Falkenhayn, der Stabschef General Ilse und die drei jungen S�hne des Herzogs, alle drei pr�chtige, sch�ne und begabte J�nglinge. Sie taten Dienst an der Front und hatten sich schon bei mehreren Gelegenheiten durch T�chtigkeit und Tapferkeit ausgezeichnet. Gegen Schlu� der Tafel erhob sich der j�ngste von ihnen; er stand an einem andern Teil der Front und mu�te dorthin zur�ck. Er ging um den Tisch herum, nahm von allen Abschied und kam schlie�lich zu seinem Vater. Der Herzog nahm seinen Kopf zwischen beide H�nde und k��te ihn, sagte aber kein Wort. Keine Szene, keine Tr�nen, keine Ermahnungen, sich nicht unn�tig dem Feuer und andern Gefahren auszusetzen. Es war wie ein gew�hnliches �Gute Nacht, morgen sehen wir uns wieder�. Und doch, f�r wie viele Offiziere und Soldaten gibt es in diesem Krieg kein �morgen�! Wie viele Familien sehen beim Abschied von ihren Lieben diese zum letztenmal! Wie viele Bande werden f�r immer[S. 90] zerrissen! Eine Schwester vom Roten Kreuz hatte vierundzwanzig Verwandte im Feld, und man sprach von einem Vater, der acht S�hne drau�en hatte und einen neunten sechzehnj�hrigen, der sich darnach sehnte, ihrem Beispiel zu folgen. Das ganze deutsche Volk hat in den letzten Monaten eine Seelenst�rke und -gr��e an den Tag gelegt, die in unserer Zeit nicht ihresgleichen hat!


24. �Barbarische� Justiz.

Als ich �nach Hause� kam, sa�en Rittmeister von Behr und seine Freunde Graf Eichst�tt und Freiherr von Tschammer noch plaudernd beisammen, und ich gesellte mich zu ihnen. Wir sprachen eben von den Ereignissen des Tages, als ein Rittmeister hereintrat und meldete, Einwohner von zwei etwa zw�lf Kilometer entfernten D�rfern, die schon anderthalb Monate in den H�nden der Deutschen waren, h�tten auf Soldaten geschossen. Aus dem einen Dorf sollten daher alle M�nner, aus dem andern alle M�nner, Frauen und Kinder gefangen in die Stadt gebracht werden. Der Unterschied schien darauf zu beruhen, da� man in dem einen Dorf auf Flieger geschossen hatte, in dem andern auf Truppen. Hundert Mann Landsturm und eine Schwadron berittener Landsturm sollten sich nachts 1 Uhr nach den beiden D�rfern begeben. W�hrend die Reiter an allen Stra�enecken Posto fa�ten und jeden Fluchtversuch verhinderten, sollten Haus f�r Haus von der Infanterie durchsucht und alle Einwohner gefangen genommen werden. In der Stadt sollten sie dann vor das Kriegsgericht gestellt und die Schuldigen erschossen werden. So verlangt es das strenge Kriegsgesetz. Es gibt keine Gnade, keine Rettung. Die armen Leute taten mir unendlich leid. Was konnten sie mit einigen armseligen Sch�ssen gegen eine ganze Armee ausrichten! Glaubten sie vielleicht den t�richten Ger�chten, die Br�cken der Pioniere seien nur gebaut, um den R�ckzug der deutschen Heere vorzubereiten, und das Kriegsgl�ck sei in der letzten Zeit ganz umgeschlagen? Und woher hatten sie diese Neuigkeiten? Nat�rlich nur von der Zivilbev�lkerung selbst. Wer aber solche[S. 91] Ger�chte in die Welt setzte, nahm eine ungeheure Verantwortung f�r das Leben seiner Landsleute auf sich und gewann dabei nichts.

�Wie erging es nun den Ungl�cklichen?� wird man fragen. Schon am n�chsten Tag hatte ich Gelegenheit, sie auf der Anklagebank zu sehen: lauter alte Leute, Bauern und ihre Frauen; die letzteren weinten und sahen verwundert drein, die M�nner zeigten ein ganz gleichg�ltiges Aussehen. Der Krieg hatte ihnen schon alles genommen, das Leben hatte f�r sie keinen besonderen Wert mehr. In den wenigen Tagen, die das Verh�r dauerte, litten sie keine Not. Ich sah sie einmal in einem Hof an einem gro�en Tisch beim Mittagessen sitzen. Das Herz dr�ngte mich, f�r sie F�rbitte einzulegen und an die Barmherzigkeit zu appellieren; der Verstand aber sagte mir, da� man sich nicht in die vom Kriegsgesetz befohlenen Beschl�sse der milit�rischen Obrigkeit mischen kann und darf. Deshalb mu� man sein Herz hart werden lassen und kalt wie Eis. Aber wie ging es ihnen nun? Wurden sie wirklich an einen Baum gebunden und erschossen? Nach ein paar Tagen fragte ich einen meiner Freunde nach ihrem Geschick. �Sie wurden alle freigesprochen,� sagte er, �aus Mangel an Beweisen. Die T�ter waren offenbar schon gefl�chtet, als unser Landsturm kam; die Verd�chtigen wurden alle in ihre H�user und Geh�fte zur�ckgef�hrt.�

Man soll nicht meinen, da� die deutschen Kriegsgerichte solche F�lle leichthin und im Handumdrehen erledigen, als wenn ein Menschenleben in dem eroberten Lande keinen Wert h�tte. Nein, die Kriegsgerichte der �Barbaren� sind h�chst gewissenhaft, unparteiisch und human.


25. Der Krieg in der Luft.

Eine der Fahrten, die ich von Sedan aus mit Rittmeister von Behr unternahm, f�hrte mich �ber Cernay, Cond� und Challerange. In dem ersten Dorf nahm ich ein paar Bilder von einer Munitionskolonne auf, einigen Soldaten, die sich auf einem Hof ihr Mittagbrot zubereiten, und einer marschbereiten Kompagnie, die ihre[S. 92] Instruktion erh�lt, bevor sie an die Front geht. Im n�chsten Dorf sahen wir eine Schar pr�chtiger Landsturmleute, gleichfalls zur Instruktion aufgestellt, und ein Biwak von �berdeckten Wagen und Pferden. Am sch�nsten war aber doch die Munitionskolonne, deren Wagen unter die �berh�ngenden Zweige des Waldrandes neben dem Weg gefahren und au�erdem mit Laubb�schen bedeckt waren, um gegen franz�sische Flieger gesch�tzt zu sein. Eine Kolonne Feldlazarettwagen war wom�glich noch gr�ndlicher maskiert und wartete unter den B�umen, nachdem die Pferde abgespannt waren. Etwas weiterhin hatte sich eine Sanit�tsabteilung im Laubwald selbst niedergelassen, um in der N�he zu sein, falls Verwundete die ersten Verb�nde brauchten. Ihre Flaggen, das Rote Kreuz auf wei�em Grund, schimmerten aus dem Laubwerk hervor. Dieselbe Vorsichtsma�regel hatte man f�r die Feldk�chen getroffen, die ebenfalls unter den B�umen Deckung gesucht hatten.

Die franz�sischen Flieger waren jeden Nachmittag zwischen 5 und 6 Uhr in T�tigkeit. Sie haben eine doppelte Mission: teils mit ihren Bomben Schaden anzurichten, teils Truppenbewegungen und Artilleriestellungen zu beobachten. Die Br�cke �ber die Dormoise in Autry war vor zwei Tagen einem Bombenattentat ausgesetzt gewesen, das zwei Mann t�tete, die Br�cke aber unbesch�digt lie�. An einem andern Platz in unserer N�he wurde ein Soldat von einem der scheu�lichen eisernen Pfeile getroffen, die die Flieger aus einer H�he von etwa 2500 Metern herabwerfen. Sie gehen noch durch das Pferd hindurch, nachdem sie einen Mann am Kopf getroffen haben. Sie fallen n�mlich mit der Geschwindigkeit einer Flintenkugel und sind schwerer als diese. In Grand Pr� wurde vor einigen Tagen ein Hauptmann von einem Pfeil get�tet und siebenundzwanzig Mann wurden von einer Bombe desselben Aeroplans verwundet. Als vorige Woche in einer kleinen Stadt hier in der N�he der Bau einer Eisenbahnlinie beendet wurde, fielen drei Bomben in unmittelbarer N�he des Bahnhofs nieder, ohne jedoch Schaden anzurichten. Der Flieger wurde mit Schrapnells aus einer sogenannten Ballonabwehrkanone[S. 93] beschossen, aber nicht getroffen. An wichtigen Stellen in Deutschland stehen st�ndig Wachen gegen feindliche Flieger. Wenn einer nachts �ber einer Stadt schwebt, werden mehrere Scheinwerfer auf ihn eingestellt; er wird vom Licht geblendet und verliert die M�glichkeit, sich zu orientieren. Im n�chsten Kirchturm beginnen die Maschinengewehre zu singen und ihn mit einem Regen von Kugeln zu �bersch�tten.

Truppen, Batterien und Kolonnen suchen die Deckung, die das Gel�nde bietet, nicht nur, um Bomben und Pfeilen zu entgehen, sondern auch und vor allem, um ihre Stellungen und Bewegungen geheimzuhalten. Der Flieger hat verschiedene Methoden, den Seinen Mitteilungen zugehen zu lassen. Er gibt vermutlich teils direkte Signale, z. B. mit Flaggen oder elektrischen Lampen, deren Licht man mit dem Fernrohr von der Erde aus deutlich sehen kann. Wenn ein Flieger Kolonnen oder Truppen am Rand eines kleinen W�ldchens liegen sieht oder sie dort vermutet, zeichnet er am Himmelsgew�lbe durch seinen Flug die Umrisse des fraglichen Gebietes ab, und sofort werden Granaten dorthin geschleudert. Eine der wichtigsten Aufgaben der Flieger ist es also, das Artilleriefeuer zu lenken. Wenn eine franz�sische Batterie sich die Aufgabe gestellt hat, eine deutsche Batterie zu beschie�en und wom�glich zu zerst�ren, deren ungef�hre Lage dem Flieger bekannt ist, so steigt dieser in der N�he des Ziels auf und lenkt das franz�sische Feuer. Wenn die Granaten zu kurz niedergehen, beschreibt der Flieger einen Kreis mit kleinen Durchmessern. Dann wird der Abstand verl�ngert. Wird dieser zu gro�, so da� die Granate hinter das Ziel f�llt, dann beschreibt der Flieger einen Kreis mit gro�em Durchmesser. Fallen die Granaten links vom Ziel, dann macht er eine Schwenkung nach rechts, fallen sie rechts vom Ziel, dann macht er eine Schwenkung nach links. Auf diese Weise stellt er das Feuer immer n�her auf das Ziel ein und erreicht das allein durch seine Bewegungen in der Luft. Es versteht sich von selbst, da� alle diese Kunstgriffe ebenso geschickt von den Deutschen pariert werden. Merkt eine Batterie, da� ein feindlicher[S. 94] Flieger sie beobachtet und das Feuer n�her kommt, dann h�rt sie mit Schie�en auf und ver�ndert in der Nacht ihren Standort.

Das im �brigen so ungl�ckliche Verh�ngnis, da� der Kriegsschauplatz in ihr eigenes Land verlegt ist, bietet den Franzosen den Vorteil, da� sie von der Zivilbev�lkerung wertvolle Erkundigungen einziehen k�nnen. Unter ihr k�nnen nat�rlich leicht Personen verborgen werden, die durch gewisse Zeichen oder durch n�chtliche Lichtsignale die Bewegungen der Deutschen verraten. Hat sich ein Stab oder ein Oberkommando in einem Ort niedergelassen, dann werden die franz�sischen Beobachter durch vereinbarte Signale davon unterrichtet, und da� diese richtig aufgefa�t werden, merkt man bald am Artilleriefeuer. Signale k�nnen auch tags�ber gegeben werden, z. B. dadurch, da� ein Bauer seine Herde an eine gewisse Stelle treibt. �ber die Moral einer solchen Auskundschaftung m�gen die Ansichten geteilt sein. Aber es ist sicher, da� jedes Volk, das ein Invasionsheer in seinem Lande dulden mu�, mit denselben Mitteln dem Feinde zu schaden suchen w�rde.

Fortdauernde Bewegungen sind das beste Mittel gegen Spionage und direkte Auskundschaftung. Diese Bewegungen werden in der Nacht vorgenommen. Am Tag h�lt man sich still unter den B�umen verborgen. Und die Deutschen sind Meister in der Verlegung ihrer Truppen. Die gro�e Beweglichkeit der deutschen Armee, die Schnelligkeit, mit der ihre verschiedenen Einheiten hin und her geworfen werden, und die hoch gesteigerte Marschf�higkeit der Infanterie, das sind so einige Ursachen, die diese Armee zu der ersten der Welt gemacht haben.

Sp�ter fuhr ich mit Rittmeister von Behr auf den deutschen Flugplatz bei X., wo sechs Gotha-Tauben mit Mercedes-Motoren in gro�en gelben Zelten standen. Der einen Taube hatten Schrapnellkugeln einen Fl�gel durchbohrt, und der Schwanz war mit kleinen Lappen geflickt; solche �Pflaster� werden fast als Medaillen f�r Tapferkeit im Felde angesehen. Je mehr Narben der Aeroplan hat, desto mehr Gefahren war der Flieger ausgesetzt, desto mehr hat er �ber dem Feuer der Feinde aufs Spiel gesetzt. Ich[S. 95] wei� nicht, welches Gef�hl am unangenehmsten ist: einen fremden Flieger gerade �ber sich zu haben oder zu wissen, da� eine Ballonabwehrkanone gerade unter einem steht und zielt!

W�hrend wir auf dem Flugplatz waren, stiegen zwei Tauben auf. Es ist unendlich sch�n, ihre weichen, leichten Bewegungen zu sehen. Ehe man wei�, wie es geschieht, verlassen die feinen R�der den Erdboden, die Taube steigt langsam �ber das Feld empor und gleitet �ber die Baumwipfel dahin. Dann erhebt sie sich in Spiralen immer mehr �ber die Erde, und die zwei gewaltigen Eisernen Kreuze unter ihren Fl�geln werden immer kleiner. Sie macht es wie die Brieftaube, die erst bis zu einer gewissen H�he ansteigt, um einen orientierenden �berblick �ber das Land zu gewinnen, und dann in gerader Linie auf ihr Ziel losschie�t. Denn als unsere erste Gotha-Taube gen�gend hoch gestiegen war, ging sie aus der letzten Spirale direkt nach S�den auf die franz�sischen Stellungen zu und weit �ber diese hin. Dort mu� der Beobachter, der mit Karte, Notizbuch und Fernrohr vorn sitzt, seine Beobachtungen machen und dann mit seinen Berichten zur�ckkommen, wenn er nicht w�hrend der Fahrt heruntergeschossen wird. �ber der feindlichen Stellung geht man in eine H�he von 2000 oder 2500 Metern, um einigerma�en vor dem Feuer von unten sicher zu sein. Aber schon 600 Meter hoch bekommen der Flieger und sein Kamerad ein Gef�hl von Ruhe, das dann mit jeden weiteren hundert Metern zunimmt. Nach einer Weile stieg die zweite Taube auf und folgte der Spur der ersten. —

Ein deutscher Flieger in Bapaume hat mir sp�ter mancherlei von seinen Erfahrungen erz�hlt. Er braucht gew�hnlich dreiviertel Stunden, um in eine H�he von 2000 Metern zu gelangen, und erst wenn er so hoch gekommen ist, fliegt er �ber die franz�sischen Linien. Die Aussicht ist brillant. Er hat die Landschaft, in der der Kampf ausgefochten wird, direkt unter sich. Bei klarem, sch�nem Wetter sieht er alles, die marschierenden Truppen, die Munitionskolonnen und die Trainwagen, auch wenn sie mit Laub gedeckt sind. Er sieht die Artilleriestellungen, wenn sie auch noch[S. 96] so gut in Hecken und B�schen versteckt sind; ja er sieht auch einzelne Reiter und Wanderer auf den Landstra�en.

Aber noch anderes sieht er auf seiner luftigen Fahrt: das Feuer und die Rauchwolken aus den deutschen und franz�sischen Kanonen, die Niederschl�ge und Explosionen. Es donnert und blitzt unter ihm von allen Seiten, und nicht genug damit: die Franzosen richten ihre Abwehrkanonen gegen ihn, um seine Flugmaschine zu zerst�ren und ihn zu t�ten. Ein Schrapnell nach dem andern krepiert in seiner N�he. Er ist in ungeheurer Spannung, das gestand er gern zu. Noch war er nicht verwundet worden, aber die Fl�gel seines Aeroplans zeigten mehrere Schrapnell�cher, die mit kleinen Pflastern ausgebessert waren. Er h�rt die Maschinengewehre und die Gewehre knattern und wei�, da� sie auf ihn gerichtet sind, und da� er mit dem Fernrohr von allen Seiten beobachtet wird. Wenn er dies ewige Donnern h�rt und wei�, da� er jeden Augenblick getroffen werden und fallen kann, mu� er sich zusammennehmen, um nicht seine Kaltbl�tigkeit zu verlieren, denn in einer solchen Situation geben auch die st�rksten Nerven nach.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Roter-Kreuz-Wagen bei Rouvroy.

Er tut seine Pflicht, er darf nicht nachgeben. Die Nervenspannung kann er nicht �berwinden, denn er ist ein Mensch. Aber er kehrt nicht um, bevor er seinen Auftrag ausgef�hrt und erfahren hat, was er wissen will. Seine Aufmerksamkeit ist aufs h�chste angespannt, er sieht und h�rt alles, nichts entgeht ihm. Er bemerkt auch schon auf weite Entfernung den franz�sischen Aeroplan, der auf ihn lossteuert. Aber er �ndert seinen Kurs nicht. Sie kommen sich immer n�her. Keiner denkt daran, auszuweichen. Ein Zuschauer mu� sich sagen, sie gehen einer unvermeidlichen Katastrophe entgegen, sie gehen ins Verderben. Aber so weit setzen sie ihren Flug doch nicht fort, denn bei einem Zusammensto� st�rzen sie beide herunter und finden den Tod, und das betrachtet man auf beiden Seiten als unn�tz und unpraktisch. Der eine weicht daher rechtzeitig aus. Der Franzose ist oft mit einem Maschinengewehr bewaffnet, das f�r seinen deutschen Kollegen bestimmt ist. Daher geht der Deutsche mit Hilfe eines hastigen[S. 97] Griffs im rechten Augenblick entweder unter oder �ber seinen Gegner hinweg. Kommt er unter ihn, so wird das Maschinengewehr, das nicht nach unten schie�en kann, unsch�dlich. Steht er �ber seinem Gegner, dann erh�lt er einen Schutz durch den leichtgepanzerten Boden des Aeroplans. Die Hauptsache ist, da� er nicht in derselben Ebene wie der andere bleibt. Aber es kann sein, da� auch der Franzose aufsteigt, und da� ein Wettstreit entsteht, sich in der H�he zu �berbieten. Oft umkreisen sie sich lange wie ein paar spielende Eintagsfliegen, n�hern sich einander, trennen sich, verfolgen und schie�en, weichen aber immer einem Zusammensto� aus. Es ist eine unbeschreibliche Spannung, und unterdes donnern unten die Kanonen und belauern die Soldaten sich in ihren Sch�tzengr�ben.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Sanit�tskraftwagen in Sedan.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Verwundetentransport in Sedan.

Wenn alles normal geht, kann der Flieger drei Stunden in der Luft bleiben. Hat er seine Aufgabe ausgef�hrt, so fliegt er nach der deutschen Seite zur�ck, h�lt den Motor an und gleitet in vier Minuten, die jedoch unendlich lang erscheinen, herab. Er geht im Gleitflug herunter und kann unter gewissen Verh�ltnissen landen, ohne wieder den Motor in Gang zu setzen. Mit einem Gef�hl des Behagens setzt er die F��e wieder auf das feste Land. Wirkliche Ruhe hat er jedoch selten, denn gerade die Fliegerstationen werden von feindlichen Bombenwerfern gern aufgesucht.

Die franz�sischen Flieger steigen oft ohne Beobachter auf, um mehr Bomben mitnehmen zu k�nnen. Ist der Apparat mit zwei Personen belastet, so k�nnen nur drei Bomben mitgenommen werden, sonst sechs oder mehr. Eine Bombe wiegt 10 Kilogramm und ist einen halben Meter hoch. Die Treffsicherheit richtet sich nach der �bung. Die meisten Bomben richten keinen Schaden an. Am h�ufigsten werden Pferde getroffen. Als ich in Bapaume war, flog ein Flieger �ber ein Biwak in der N�he. F�nf Mann hielten es f�r ratsam, unter einem schwer belasteten Bagagewagen Schutz zu suchen. Aber der Wagen wurde getroffen, und von den Leuten fanden sich nur noch Fetzen vor, als Hilfe anlangte.

[S. 98] Ich habe schon fr�her von der unerh�rt wichtigen Rolle gesprochen, die die Flugmaschinen in diesem Krieg gespielt haben, und da� sie w�hrend der ersten Monate des Kriegs immer mehr verfeinert und vervollkommnet worden sind. Mein Gew�hrsmann in Bapaume glaubte behaupten zu k�nnen, da� derjenige, der die besten Flugmaschinen und die geschicktesten Flieger hat, in einem Stellungskrieg gewinnt, einem wirklichen Festungskrieg, wie er jetzt an der Westfront ausgefochten wird.


26. Deutsches Sanit�tswesen im Felde.

Ich habe mich bei meinem Besuch an der Front oft bei den Verwundeten aufgehalten und werde auch weiter noch manchmal auf sie zur�ckkommen. Es ist daher vielleicht an der Zeit, einen kurzen �berblick �ber System und Organisation des deutschen Sanit�tswesens im Felde zu geben.

Geographisch hat man zwischen zwei gro�en Gebieten zu unterscheiden, dem Operationsgebiet, in dem die k�mpfenden Armeen sich befinden, und dem Etappengebiet, durch das die Verbindung mit der Heimat hergestellt wird.

Jede Truppe hat ihr Truppensanit�tspersonal; seine Aufgabe ist es, f�r ihr Wohlbefinden zu sorgen, ihre Hygiene zu beaufsichtigen, sie vor verdorbenen Nahrungsmitteln zu bewahren, das Brunnenwasser zu untersuchen usw. So ist es Sache des Regiments-, Bataillons- und Abteilungsarztes, sowohl die allgemeine Gesundheitspflege zu �berwachen, als auch die erste Hilfe im Felde zu leisten. Wenn die Truppe in den Kampf geht, ist es Pflicht des Truppenarztes, einen Truppenverbandplatz auszuw�hlen und einzurichten.

Jedes Armeekorps hat drei Sanit�tskompagnien, und diese richten unmittelbar hinter der Feuerlinie die drei sogenannten Hauptverbandpl�tze ein. Jede der drei Sanit�tskompagnien verf�gt �ber acht oder neun �rzte, eine gro�e Anzahl Krankentr�ger, Sanit�tssoldaten, Apotheker usw., alle unter der Bezeichnung �Sanit�tspersonal� zusammengefa�t. Jede Sanit�tskompagnie[S. 99] hat acht zweisp�nnige Krankenwagen, die mit Arzneimitteln, Bahren und Verbandzeug versehen sind.

Jedes Armeekorps hat zw�lf Feldlazarette, die an geeigneten Stellen hinter der Front eingerichtet werden. Sie m�ssen an m�glichst gesch�tzte Orte gelegt werden und sind darauf eingerichtet, auch wenn die Front vorr�ckt, dort zu bleiben. Von den Truppenverbandpl�tzen und den Hauptverbandpl�tzen kommen die Verwundeten in das n�chste fertige Feldlazarett.

Dieses hat seine eigenen Wagen und eine vollst�ndige Lazarettausr�stung, als da sind Matratzen oder leere S�cke, die mit Stroh gef�llt werden k�nnen, Kissen, Decken und Laken, Hemden und andere notwendige Krankenkleidung, Porzellangeschirr und vieles andere. In den Feldlazaretten werden die ersten chirurgischen Eingriffe vorgenommen mit Ausnahme von solchen, die sofort und unter freiem Himmel geschehen m�ssen, z. B. die Stillung von Blutungen aus offenen Wunden. In den Feldlazaretten ist das Personal durch und durch milit�risch, da gibt es keine Schwestern und �berhaupt keine Freiwilligen.

An der Spitze des Sanit�tswesens jedes Armeekorps steht der Korpsarzt; er ist Chef der Truppen�rzte, der Sanit�tskompagnien und Feldlazarette. Zur Seite hat er einen beratenden Chirurgen, gew�hnlich einen Universit�tsprofessor oder Dozenten, der auch die Feldlazarette inspiziert.

Der Korpsarzt verf�gt auch �ber einen beratenden Hygieniker, dies ist gew�hnlich ebenfalls ein Universit�tslehrer, der alle verd�chtigen F�lle von ansteckenden Krankheiten zu pr�fen und alle notwendigen Vorsichtsma�regeln gegen den Ausbruch epidemischer Krankheiten zu treffen hat. Er f�hrt ein bakteriologisches Laboratorium mit sich und mu� jeden einzelnen Fall von Typhus, Ruhr, Dysenterie und �hnlichen Krankheiten untersuchen, nachforschen, woher der Kranke gekommen ist, ihn isolieren und den Ansteckungsherd auszurotten versuchen. In gewissen F�llen kann er die Einrichtung eines Epidemiekrankenhauses im Etappenbereich anordnen. Ein solches ist z. B. in Attigny bei Vouziers.

[S. 100] Die Leichtverwundeten, die sich nicht an das Feldlazarett zu wenden brauchen, wandern an einen sogenannten �Leichtverwundeten-Sammelplatz� und begeben sich von dort an einen Etappenort und weiterhin zu Fu� oder in leeren G�terwagen nach Hause. Sobald ihre Wunden geheilt sind, kehren sie zu ihrem Regiment zur�ck.

Das Feldlazarett wird nach einiger Zeit durch eine Kriegslazarettabteilung abgel�st, die nur aus Personal, Arzt, Sanit�tssoldaten und freiwilligen Assistenten besteht. Jedes Armeekorps verf�gt �ber eine solche Abteilung von etwa drei�ig �rzten und der entsprechenden Anzahl �brigen Personals.

Das Feldlazarett wird so durch das Vorr�cken der Truppen in ein Kriegslazarett verwandelt, oder mit andern Worten: wenn das Feldlazarett mit den Truppen vorr�ckt, wird sein Platz von der Kriegslazarettabteilung eingenommen. Geht das Vorr�cken, wie bei meinem Besuch, langsam, so tritt keine Ver�nderung ein, und das Personal hat verh�ltnism��ig wenig zu tun.

Die Kriegslazarette liegen gew�hnlich in kleinen D�rfern, oft drei�ig oder vierzig Kilometer von der Eisenbahn. Ihre Aufgabe ist, die Schwerverwundeten weiter zu behandeln, die das Feldlazarett verlassen haben, und sie dann nach den Etappenlazaretten zu bef�rdern und nach Orten wie Sedan, die in regelm��iger Eisenbahnverbindung mit der Heimat stehen. Der Transport der Verwundeten geschieht nicht nur zu Fu� und in leeren Lastwagen, sondern auch durch Kraftwagen der Krankentransportabteilung, unter denen man Omnibusse aus allen m�glichen St�dten findet, sowie Lastwagen mit Namen bekannter Fabriken und Gesch�fte. Sie k�nnen bis zu zehn Betten mit sich f�hren, und kommen Leichtverwundete in Frage, so kann ein einziges Auto f�nfzig Mann bef�rdern, aber dann sitzen sie auch dicht zusammengepfercht und sogar auf dem Dach. Sie fahren nur nach den Etappenorten; von da geht es auf Eisenbahnen, Kan�len oder Fl�ssen weiter.

Die ganze Etappenlinie entlang sind an geeigneten Punkten Verband-, Verpflegungs- und Erfrischungsstationen eingerichtet,[S. 101] wo Schwestern, Krankenw�rter und �rzte von Wagen zu Wagen gehen, um die Patienten zu untersuchen und diejenigen herauszufinden, die nicht mehr weiter k�nnen. Daheim werden die Verwundeten in die Lazarette geschickt oder in H�user, die im Krieg in Lazarette umgewandelt sind. Viele d�rfen auch direkt in ihre Heimat fahren. Von der Front bis in die Heimat gilt der Hauptgrundsatz: Platz, Platz, Platz! Deswegen beeilt man sich soviel wie m�glich, die Verwundeten loszuwerden, um f�r neue Scharen Raum zu bekommen. Jeder Sanit�tswagen, der zum Train geh�rt, ist genau in F�cher und Schubk�sten eingeteilt, so da� jedes Ding seinen bestimmten Platz hat und leicht zu finden ist. Ebenso mustergiltig und genau ist schon in Friedenszeiten die Zusammensetzung und Ausr�stung der Lazarettz�ge bestimmt. Die eisernen Krankenbettstellen stehen bereit; man hat nur die B�nke und Gestelle aus den Wagen dritter Klasse herauszunehmen und daf�r die eisernen Bettstellen festzuschrauben. Man wei�, wie viele Matratzen, Kissen und Decken f�r jeden Wagen gebraucht werden. In den Verband- und Apothekerwagen ist alles so genau geordnet, da� der Arzt seine Jodtinktur, sein Chinin, sein St�ck Heftpflaster oder seine Sicherheitsnadel mit verbundenen Augen finden k�nnte. Alles ist nach einem Schema eingerichtet. Wenn ein Anf�nger sich nicht sofort zurechtfindet, so braucht er nur den gedruckten Schl�ssel zu benutzen, der f�r die Tausende von deutschen Lazarettz�gen gilt. Man hat �ber die minuti�se Gr�ndlichkeit der Deutschen in allen Dingen gesp�ttelt und hat sie Pedanten genannt. Nun zeigt sich, wozu diese Pedanterie gut ist! Alles geht wie ein Uhrwerk, und niemand braucht zu suchen oder zu fragen. Und diese in Friedenszeiten geschaffene Ordnung herrscht �berall! Deshalb ziehen die Deutschen nicht in den Krieg wie schlaftrunkene und aufgest�rte Tr�umer, sondern als auf alles vorbereitete und ausgebildete K�mpfer, sei es, da� ihre Pflicht sie in Reih' und Glied oder an den Operationstisch ruft.

Die deutschen Soldaten haben ein wahres Grauen davor, in[S. 102] die Hand franz�sischer �rzte zu fallen, sie sterben lieber! Wenn Gefangene und Verwundete nach Kriegsschlu� ausgetauscht werden, werden unparteiische Richter in der medizinischen Welt urteilen k�nnen, auf welcher Seite die sorgsamere Pflege und die gr��ere Menschenliebe zu finden waren. In mehr als einer Beziehung hat dieser Krieg die Ohnmacht und Nichtigkeit aller Konferenzen und �bereink�nfte in Genf, Haag und andern Orten mit Namen von einem jetzt leeren und tr�gerischen Klang dargelegt.


27. Leben an der Front.

Am 1. Oktober machte ich in Gesellschaft des pr�chtigen Chefs einer Feldfliegerabteilung, Hauptmann H. von Chamier-Glisczinski, einen Ausflug an die Front. Er holte mich in seinem Auto ab, und in wahnsinniger Fahrt ging es nach Somme Py im S�dwesten. Vorher hielten wir jedoch eine Weile bei einer Flugstation, wo der Hauptmann dienstlich zu tun hatte. W�hrend wir dort standen, kam eine Taube in herrlichem Gleitflug herabgeschwebt. Sie kam in gr��ter Eile, wie es schien, und ihre hellen, leichten Fl�gel hoben sich scharf von dem hellblauen Himmel ab. Sie kam gerade auf uns zu, und man hatte das Gef�hl, einen Schritt beiseite treten zu m�ssen, um nicht von der einen Fl�gelspitze getroffen zu werden. Als sie dem Erdboden nahe war, schien sie wieder aufsteigen zu wollen. Aber diese Bewegung geschah nur, um den Sto� bei der Landung zu mildern, dann rollte sie ein St�ck und hielt auf der Wiese.

Der Flieger und sein Kamerad begleiteten uns auf der weiteren Fahrt. Und wieder entrollte sich vor uns das Bild des bunten Soldatenlebens unmittelbar hinter der Front, wie ich es so oft schon gesehen hatte. Es war heute nicht so schwer, vorw�rtszukommen, denn jetzt am Tage hielten sich die meisten Truppen still und versteckt. Hier und da brannten kleine Feuer im Schatten der B�ume; man kochte und trank seinen Kaffee, rauchte seine Pfeife und sonnte sich auf umgest�rzten Getreidegarben. Die Proviantwagen mit ihren wei�en und gelben Pland�chern waren[S. 103] oft mit Laub bedeckt, um den franz�sischen Fliegern nicht allzusehr in die Augen zu stechen. In Somme Py war wenig zu sehen. Fast das ganze Dorf war niedergebrannt und zerst�rt; nur rauchgeschw�rzte, nackte Mauern standen da. Unsere Fahrt ging weiter, und nun sahen wir die gutversteckten Feldk�chen, die Sanit�tskompagnien mit ihren Wagen, �rzten und Krankentr�gern, sowie die sogenannte Gefechtsbagage, d. h. alles, was die in den Sch�tzenlinien liegenden Soldaten an Munition, Werkzeugen, Kleidern, Proviant und anderm brauchen.

Da, wo links von der Stra�e vier Feldhaubitzen aufgestellt waren, lie� Hauptmann Chamier halten und das Auto im Schatten eines Baumes unterstellen, denn von hier aus war es nicht ratsam, weiterzufahren, da das Automobil die Aufmerksamkeit der franz�sischen Beobachter auf sich ziehen konnte. Wir stiegen daher aus und machten eine kleine Runde um die Batterie, die eben bei der Arbeit war. Die Haubitzen wurden gerade f�r die n�chste Salve geladen, und ich benutzte die Gelegenheit, ein Bild davon zu skizzieren. Die Batterie war gut maskiert und mit kleinen W�llen von Erdschollen, Steinen und Sands�cken eingefa�t; jede Kanone au�erdem mit einer Schutzplatte versehen, die wenigstens f�r Schrapnells und Gewehrkugeln undurchdringlich sein mu�. Das Feuer war auf das 4050 Meter entfernte Dorf Souain gerichtet; es war schon so gut wie zusammengeschossen, und was noch �brig war, stand in Flammen. Von dem Beobachtungsstand aus, auf den wir uns sp�ter begaben, konnte man mit scharfen Fernrohren die Wirkung der Granaten beobachten. Wenn ein Haus getroffen ist, steigt eine dunkle S�ule von Gasen, Staub und Erde auf, und bald verraten Flammen und Rauch, da� die Granaten das Haus oder mehrere angez�ndet haben. Wer an diese Dinge nicht gew�hnt ist, betrachtet sie unwillk�rlich mit einem gewissen Respekt. Vermutlich steigt der Respekt sogar mit der Gewohnheit. Die Offiziere scheinen vollkommen gleichg�ltig, aber das ist, glaube ich, meist nur Selbstbeherrschung; der F�hrer darf der Mannschaft seine Gef�hle nicht verraten, er mu� vollkommen ruhig sein oder[S. 104] scheinen. Aber es mu� auch die st�rksten Nerven angreifen, lange im Feuer zu liegen. Diese Batterie hier war achtzehn Tage auf demselben Platz, ohne von franz�sischen Fliegern entdeckt worden zu sein.

Die Granate ist mit Pikrin gef�llt, einem Sprengstoff, der noch viel st�rker ist als Dynamit. Beim Auftreffen explodiert die Ladung und verursacht eine furchtbare Verw�stung. Der Gescho�zylinder zerspringt dabei in messerscharfe Scherben und verursacht b�se, schwer zu heilende Wunden. Der Z�nder des Schrapnells wird dagegen auf Zeit eingestellt, so da� er z. B. neunzehn Sekunden nach Abfeuerung des Schusses, je nach der Entfernung, das Gescho� zur Explosion bringt. Auch sein Zylinder ist mit Pikrin gef�llt und dazu noch mit etwa vierhundert kleinen, runden Bleikugeln, die in einem schweiff�rmigen Strahl oder in einem Kegel sich �ber das Ziel verstreuen.

Von der Batterie aus wanderten wir zu Fu� durch die Allee und hielten uns getrennt und im Schatten der B�ume. Einen sicheren Schutz bot die Allee nicht, denn sie war hier und da unterbrochen. Wir gingen f�nfhundert Meter s�dlich bis zu dem Beobachtungsstand, von dem aus das Feuer telephonisch geleitet wurde und die vorderste franz�sische Front beobachtet werden konnte. Der Platz hie� Ferme- —. Das erste, was ich sah, war etwas Baum�hnliches, das sich �ber das umgebende Geb�sch erhob. Es war ein Mast von der St�rke und H�he einer Telegraphenstange; eine Stiege f�hrte hinauf zu einer kleinen Plattform und dem Sitz f�r einen Beobachter, der nebst seinem Fernrohr unter Laubzweigen verborgen war.

Am Ziel angelangt, wurden wir von nicht weniger als drei Obersten empfangen, von denen jedoch zwei nur zuf�llige G�ste waren, und von einigen Offizieren. Einer der Obersten namens Fischer, Brigadekommandeur der Feldartillerie, ein heiterer, gem�tlicher Herr, hatte gleich mir Asien bereist.

Die Offiziere wohnten hier Tag und Nacht und hatten sich unter der Erde h�uslich eingerichtet, da der Platz von dem franz�sischen Feuer bestrichen wurde. Eine Treppe f�hrte in eine[S. 105] Grottenwohnung von zwei kleinen, dunklen Zimmern hinab, die von einer Petroleumlampe erleuchtet und von einem kleinen, eisernen Kamin erw�rmt wurden, der jetzt munter brannte. Auf einem Wandtisch lagen Toilettesachen, Fernrohre, Karten, Instrumente und Revolver in lustiger Unordnung. Im Schlafzimmer waren die Betten auf dem Erdboden dicht nebeneinander ausgebreitet. Man darf nicht allzu empfindliche Nerven haben, wenn man dort unten schlafen soll. Aber doch war es wenigstens ein Zufluchtsort, wenn der Platz starkem Feuer ausgesetzt war; gegen Granaten sei er zwar nicht ganz gesch�tzt, sagte man mir, wohl aber gegen Schrapnells. Auch ihre Mahlzeiten nahmen die Offiziere gew�hnlich hier ein, um in Ruhe essen zu k�nnen.


28. Die Feld-Telephonstation.

Einige Schritte davon entfernt besuchten wir die Telephonstation, die in dem gemauerten Keller eines im �brigen zusammengeschossenen Hauses eingerichtet war. An den W�nden dieser unterirdischen Kammer war eine ganze Reihe Telephonapparate befestigt; davor sa�en einige Offiziere und Soldaten auf Wandb�nken. Solange ich unten war, klingelte es ununterbrochen in mehreren Telephonen zu gleicher Zeit. Personal mu�te also immer da sein, um zu antworten. Die Station stand mit der ganzen vierten Armee durch ihr Oberkommando in Verbindung, ebenso mit dem Gro�en Hauptquartier. Ja, man konnte sogar jede Verbindung mit Deutschland erhalten, obgleich nat�rlich Privatgespr�che nicht zugelassen waren. Zwei junge Flieger, Graf Rambaldi und Leutnant B�rger, waren eben von einer Erkundung der franz�sischen Stellungen zur�ckgekehrt und berichteten ungemein klar und sicher �ber das, was sie gesehen hatten. Rambaldi stand lange, den Telephonh�rer in der einen, seine Karte mit den eingezeichneten Beobachtungen in der andern Hand, und sprach mit einem Offizier des Oberkommandos, der das gleiche Kartenblatt vor sich hatte und sicher auch Bleistift und Notizbuch. Der Rapporteur sagte z. B.: �550 Meter nordwestlich[S. 106] von X. sah ich eine Artilleriestellung von wahrscheinlich nur zwei Kanonen. Auf der Stra�e, die westlich davon nach Y. f�hrt, war eine stillstehende Kolonne von acht Wagen; konnte nicht unterscheiden, ob Munitions- oder Proviantkolonne. Die Batterie, die gestern in dem Tal s�dlich von Z. stand, ist heute verlegt worden; wohin? ist im Augenblick nicht festzustellen.�

Durch solche Erkundungen bekommt das Oberkommando viel Wichtiges zu wissen und richtet das Artilleriefeuer darnach ein. Die deutsche Batterie, die die franz�sische bei dem Dorfe Z. beschossen hat, stellt nat�rlich das Feuer ein, sobald bekannt wird, da� das Ziel die Lage ge�ndert hat, was immer w�hrend der Nacht geschieht. Die Gesch�tze einer franz�sischen Batterie stehen gew�hnlich weit voneinander, teils, um die Gefahr zu vermindern, teils auch, um sie leichter vor Fliegern verbergen zu k�nnen.

Von dem Beobachtungsplatz aus waren es etwa zwei Kilometer bis zu den vordersten deutschen Sch�tzengr�ben, die dreihundert bis f�nfhundert Meter von den franz�sischen entfernt liegen, ja, zuweilen tausend Meter. Hier liegen nun die feindlichen Soldaten und belauern einander. Es ist ein Hundeleben in diesen Gr�ben! Steckt man die Nase �ber den Rand hinaus, ist man des Todes. Gestern vormittag 10 Uhr sah man eine Schar franz�sische Soldaten aus einem nahen Wald herausschleichen, um sich vorsichtig dem Sch�tzengraben zu n�hern. Zwei Salven Schrapnells wurden auf sie abgegeben. Hundertundf�nfzig Mann blieben liegen, die �brigen zogen sich zur�ck. Sie bezahlen mit derselben M�nze, sobald sie Gelegenheit dazu haben, und ihre Artillerie steht auf der H�he, ebenso ihre Zielsicherheit. Ihre Munition soll dagegen weniger gut sein; gestern krepierten von sechsunddrei�ig Granaten nur sieben, alle �brigen waren sogenannte �Blindg�nger�.

Die deutschen Soldaten bewahren sich mitten in Todesgefahr ihre gute Laune und setzen zuweilen spa�eshalber einen herrenlosen Helm auf einen Stock und halten ihn in nickender Bewegung �ber den Rand des Sch�tzengrabens. Sofort wird er das Ziel[S. 107] des feindlichen Feuers, und die Soldaten wetten, wie viele Treffer es geben wird!

�bertriebene Reinlichkeit kann in diesen Gr�ben nicht herrschen, wenn man auch das Menschenm�gliche tut, um allen Schmutz zu entfernen. In dieser Gegend hatte sich zwischen den beiden Fronten ein �bereinkommen ergeben, da� bei gewissen Gelegenheiten die Soldaten den Graben unbehelligt verlassen konnten, aber nur immer ein Mann, unbewaffnet und in der Richtung auf den feindlichen Sch�tzengraben zu. Der Soldat brauchte blo� einen Spaten �ber den Grabenrand zu heben und ihn dreimal auf und ab zu schwingen. Nach diesem Signal konnte er ruhig seine Promenade antreten und wieder an seinen Platz zur�ckkehren. Einmal hatten sich zwei weidende K�he zwischen zwei in kurzem Abstand voneinander verlaufende Sch�tzengr�ben verirrt. In der geheimen Zeichensprache der Soldaten kam die �bereinkunft zustande, ein franz�sischer Soldat sollte die eine, ein deutscher die andere Kuh melken! So geschah es, und dann kehrte jeder ruhig in seinen Graben zur�ck. Das beweist, da� auch die franz�sischen Soldaten ihren guten Humor nicht verloren haben.

Die Sch�tzengr�ben stehen gleichfalls in telephonischer Verbindung mit der Beobachtungsstation. Einer unserer Freunde fragte mich, ob ich h�ren wollte, wie sich die Bewohner des am weitesten vorgeschobenen Sch�tzengrabens gerade jetzt bef�nden. Nat�rlich wollte ich das! Ich bekam den einen H�rer in die Hand und wurde zun�chst nach allen Regeln der H�flichkeit dem Major vorgestellt, der im Sch�tzengraben auf den Anruf antwortete. �Wie geht es, Herr Major?� — �Danke, gut.� — �Haben Sie etwas Besonders zu berichten?� — �Ja, heute nacht wurden einige Sch�sse gewechselt, aber ohne Verluste.� — �Wie ist die Stimmung bei der Mannschaft?� — �Vortrefflich, wie gew�hnlich.� — �Haben Sie die acht Maschinengewehre bekommen, die Ihnen gestern nacht geschickt werden sollten?� — �Ja, sie sind da und schon aufgestellt, aber f�r eines fehlt der Panzerschutz. Wir behelfen uns bis auf weiteres mit Erdschutz.� —[S. 108] �Haben Sie sonst noch W�nsche?� — �Danke, nein, alles in Ordnung.�

Der Major sprach ruhig und sicher, aber man h�rte doch einen Unterton von Ernst in seinen Antworten.


29. Am Scherenfernrohr.

Der �ber der Erde liegende Teil des Beobachtungsplatzes war eine gem�tliche Laube im Geb�sch, und hierhin kamen von Zeit zu Zeit Boten auf Zweir�dern gefahren. Wohlgesch�tzt und versteckt stand ein Scherenfernrohr auf seinem Dreifu�, ein anderes auf der Landstra�e vor der Laube. Durch solch ein Fernrohr sieht man so gut wie alles bis an den Rand des Horizonts, und die vertikale Stellung der Tuben erm�glicht es, da� der Kopf des Beobachters bei der Arbeit ganz im Schutz eines Eisenschilds oder einer Mauer bleiben kann. Von unserm hochgelegenen Platz aus hatten wir eine vortreffliche Aussicht �ber den ganzen Bereich der n�chsten Sch�tzengr�ben. Oberst Fischer erkl�rte mir alles. Er stellte den Horizontalfaden des Fadenkreuzes auf den deutschen Sch�tzengraben ein, und dieser wurde ganz deutlich als eine etwas ungerade dunkle Linie sichtbar. Man sah sogar, wie ein Mann aus dem Graben herausstieg, wahrscheinlich nachdem er dreimal mit dem Spaten gewinkt hatte! Dann wurde das Haarkreuz auf den franz�sischen Sch�tzengraben eingestellt, der etwas schw�cher sichtbar wurde, aber doch vollkommen deutlich.

Noch weiter s�dlich, 3550 Meter von unserm Beobachtungsplatz, sah man das brennende Dorf Souain und die W�ldchen, in denen man gut versteckte Artilleriestellungen vermutete; in Osts�dost, d. h. links von uns, deutlich eine Batterie von vier Gesch�tzen, und diesseits von dieser eine jetzt aufgegebene Artilleriestellung.

Pl�tzlich rief der Oberst: �Deckung!� Eine franz�sische Flugmaschine, ein Bl�riot, n�herte sich. Man stellte sich schleunigst unter die B�ume, um seiner Aufmerksamkeit zu entgehen. Einige Ordonnanzpferde, die in einem Hohlweg standen, wurden an einen sicheren Platz gebracht. Der Flieger kam n�her. Schwach, aber[S. 109] deutlich h�rte man das Surren seines Motors. Er segelte gerade �ber unsere K�pfe hinweg. Wird er eine Bombe werfen oder uns mit Pfeilen �bersch�tten? Es w�re ein guter Fang f�r ihn, einen Beobachtungsstand zu zerst�ren, von dem aus das Feuer geleitet wird und an dem alle Telephondr�hte der Gegend zusammenlaufen. Ein Zivilkundschafter kann ihn ja signalisiert haben. Aber der Flieger zog vor�ber, es erfolgte keine Explosion, und mit einem Gef�hl der Erleichterung sah man ihn verschwinden. Er suchte ein anderes Ziel f�r seine Bomben.

Obgleich es mit gro�er Gefahr verbunden war, gingen wir noch zweihundert Meter in der Richtung auf die Sch�tzengr�ben vor. Das Gel�nde senkte sich hier langsam. Wir verfolgten die Stra�e in zerstreuter Ordnung und im Schatten der B�ume, und wo Geb�sch war, hielten wir uns darin. Gl�cklich kamen wir bis zur ersten Linie der Reservetruppen f�r die Sch�tzengr�ben. In diesen wechselt die Mannschaft jeden Morgen um 6 Uhr. Die Leute k�nnen sich also jeden zweiten Tag ausruhen. Sie haben sich in die Erde eingegraben, und ihre Wohnungen sind mit Stangen, Zweigen und Heu gedeckt. Sie waren am Morgen aus dem Sch�tzengraben gekommen und sollten nun bis Mittag schlafen. Dann wird exerziert, und bei Dunkelheit kommen die Feldk�chen mit ihren dampfenden Kocht�pfen. Es gab eine ganze Reihe solcher Reservelager an der Nordseite des Geb�schs.

Niemand riet uns, von hier aus den Weg fortzusetzen, denn dann w�ren wir unfehlbar von franz�sischen Beobachtern gesehen und mit m�rderischem Feuer bedeckt worden. Ausgerechnet eine Feldk�che, die sich hier doch nur in der Nacht bewegt, war dieser Tage von einer Granate getroffen worden und hatte vier Mann verloren. Und jetzt hatten wir Tageslicht und offenes Gel�nde vor uns. Vor kurzem erst waren die deutschen Soldaten bei Einbruch der Dunkelheit pl�tzlich aus einem nahegelegenen Sch�tzengraben herausgest�rmt und hatten einen Bajonettangriff unternommen. Der Angriff war zur�ckgeschlagen worden und mehrere Deutsche auf dem Platze geblieben. Die Leichtverwundeten wurden in franz�sische[S. 110] Gefangenschaft gef�hrt. Drei Mann waren so schwer verwundet, da� sie f�r verloren galten und liegen bleiben mu�ten. Die n�chsten franz�sischen Soldaten hatten aber Mitleid mit den armen Verwundeten und brachten ihnen jede Nacht Speise und Wasser, auch Zigaretten. Eines Tags kam ein mutiger deutscher Arzt mit einigen Krankentr�gern in die deutschen Sch�tzengr�ben. Sie f�hrten eine Flagge des Roten Kreuzes mit sich. Erst knallten einige feindliche Sch�sse; als aber die Franzosen erkannten, was die Absicht war, wurde es lautlos still; niemand wollte das Rettungswerk st�ren.

Bei einer andern Reservekompagnie, wo wir uns eine Weile mit den Feldgrauen unterhielten, war vor einiger Zeit ein Leutnant Johannes gefallen. Rings um sein Grab stand eine ganze Batterie von Granaten wie ein Bataillon Kegel, das Kreuz war der K�nig! Auch junge Fichten waren um den Grabh�gel des Leutnants gepflanzt.

Nachdem wir uns ein paar Stunden bei diesen liebensw�rdigen, fr�hlichen und tapferen M�nnern aufgehalten hatten, traten wir den R�ckweg nach der Fliegerstation an, wo die diensthabende Wache dem Hauptmann Rapport erstatten mu�te. Sie �u�erte dabei: �Es ist gut, da� die Herren nicht vor einer Viertelstunde gekommen sind, da kam ein Flieger �ber die Station und warf eine Bombe ab, die hier gleich in der N�he krepierte, aber ohne Schaden anzurichten.� Zur Erinnerung daran erhielt ich einen Bombensplitter, den man lieber in der Tasche f�hlt als im K�rper!


30. Feldgottesdienst.

Sonntagmorgen in Vouziers (4. Oktober). Schon fr�h um 5 weckte mich ein Franziskanerbruder, den ich im dortigen Lazarett des Professors Zinser kennen gelernt hatte. Ich kleidete mich schnell an und in Begleitung eines katholischen Soldaten, der von Behr bediente, wanderten wir nach dem Altenheim, in dessen Kapelle der Geburtstag des heiligen Franziskus mit Messe und Gesang gefeiert werden sollte. Es war noch nicht Tag, der[S. 111] Mond schien nicht, die Nacht herrschte noch auf der Erde, ein feuchter Nebel schwebte �ber Vouziers, und das Steinpflaster der Stra�en war na�. Hier und da brannte ein elektrisches Licht, einsam gegen die Dunkelheit k�mpfend. Ab und zu h�rte man eilige Schritte; es waren die M�nche, die zur Messe eilten, und vor einem Haus mit irgendeiner milit�rischen Bestimmung ging eine Nachtwache auf und ab, sonst war die Stra�e lautlos still.

Am Ziel angelangt, treten wir in einen kleinen Garten ein, an den der S�ulengang des Heims angrenzt, und sind bald darauf in der Kapelle. Diese ist schon mit Zuh�rern gef�llt. Da sitzen Elisabethschwestern aus Essen in ihren wei�en Schleiern und Vincentiusschwestern aus Hildesheim in ihren schwarzen Schleiern, die Franziskanerm�nche haben ihre Pl�tze eingenommen, und auf den Emporen sitzen mehrere Soldaten. Ihnen schlie�e ich mich an.

Die Heiligenbilder am Altar werden von hohen Lichtern erleuchtet, die eben angez�ndet werden; aber die beiden Kandelaber werden noch nicht benutzt. Es ist drau�en noch so dunkel, da� die gemalten Fenster nicht zur Geltung kommen, da sie nur von innen beleuchtet werden. Man erkennt kaum die Z�ge der Jungfrau Maria und der heiligen Helena.

Ein Bruder in wei�em, goldgesticktem Ornat, umgeben von vier ebenso pr�chtig gekleideten dienenden Br�dern, tritt an den Altar heran. Sie tragen an langen, feinen Ketten Weihrauchkessel, auf deren gl�hende Kohlen einer von ihnen ein wohlriechendes Pulver streut, und leichte, blaue Wolken steigen bis zu meinem Platz auf dem Chor empor.

Nun beginnt das lateinische Altargebet. Ein Priester singt, und die Versammelten antworten mit dem immer wiederkehrenden Refrain: �Per omnia saecula saeculorum. Amen.� �Oremus� erklingt es vom Altar, und aus der Versammlung �Per omnia saecula saeculorum. Amen.�

Dann folgt die Predigt. Der Redner kn�pft seine Betrachtungen an das Leben des heiligen Franziskus. Von der ganzen Erde steigen heute Gebete zu ihm auf. Die Versammelten k�nnen[S. 112] sein Andenken nicht besser feiern als dadurch, da� sie ihre Pflichten im Dienst der Menschenliebe erf�llen und die Qualen der Verwundeten lindern.

Die Chorfenster bekommen Farbe. Es tagt drau�en. Die Gemeinde singt ein deutsches Lied zu Ehren des heiligen Franziskus. Ein Bruder tritt an den Altar heran und klingelt ein paarmal mit einem kleinen Gl�ckchen. Ich kann meine Augen nicht von diesen Br�dern und Schwestern abwenden, die von den Schlachtfeldern und Lazaretten gekommen sind, und deren Gedanken sich nun so friedlich um den Namen des gro�en Heiligen sammeln. Wie sind sie davon ergriffen, wie and�chtig machen sie das Zeichen des Kreuzes. Auf einem stimmungsvollen Gem�lde im Chor gegen�ber schaut der Gekreuzigte von der H�he seines Leidens auf die knienden Gestalten herab. �Per omnia saecula saeculorum.� — �Dominus vobiscum.� — �Gratias agimus Domino, Deo nostro.� — �Unus est Deus, unus est Dominus.� Und das Gl�ckchen l�utet wieder, und der Weihrauchkessel schwingt in seinen Ketten, und es ist, als tr�ten die Jungfrau und die heilige Helena aus den Wolken um den Altar hervor und k�men uns allen n�her!

Die dienenden Br�der gr��en sich, indem sie sich gegenseitig die H�nde auf Schultern und Haupt legen. Das Abendmahl wird an die Gemeinde ausgeteilt, und wieder erklingt der stete Refrain �Per omnia saecula saeculorum�. Und man denkt an all die Tapferen, die drau�en in den Sch�tzengr�ben sterben, und an die Bl�te m�nnlicher Jugend zweier edlen Nationen, die dem Granatfeuer geopfert wird. Vielleicht waren die Gedanken der Nonnen und M�nche st�rker ergriffen von den unruhigen Ereignissen, die jetzt die Welt ersch�tterten, als von dem Frieden, der den Namen des heiligen Franziskus umschwebte. Sie gedachten all der Soldaten, die in ihrem Beisein gestorben sind. Es ist schwer, zu sterben, wenn man jung und stark ist und das ganze Leben noch vor sich hat! Aber ewige Ehre verdienen die M�nner, die sich f�rs Vaterland opfern, und ihr Andenken soll lebendig bleiben �per omnia saecula saeculorum�.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Unterirdische H�tten zur Deckung der Ersatztruppen.
(Vgl. Seite 104.)

[S. 113] Nun werden die Kandelaber auf dem Altartisch angez�ndet, aber drau�en hat jetzt der Tag gesiegt, und das Gesicht der heiligen Helena erstrahlt hell und rein vor aller Augen. Ihre Lippen umspielt ein L�cheln voller Milde und G�te und sie, die Freundin der Wehrlosen und Leidenden, scheint mit Freude so viel w�rdige Schwestern und Br�der um sich zu sehen, die ihre besten Kr�fte den verwundeten und sterbenden Soldaten weihen.

Der Gottesdienst war zu Ende, und mein Franziskanerbruder f�hrte mich in den S�ulengang, wo die Schwestern Kaffee mit feinem Weizenbrot und Marmelade boten. Hier verbrachten wir bis zum Abschied eine angenehme Stunde.

�10 Uhr fand der protestantische Feldgottesdienst statt. Das Gotteshaus war eine Stra�enecke unter freiem Himmel, ein sichrerer Platz als das offene Feld vor der Stadt, wo eine gro�e Menschenmasse immer ein dankbares Ziel f�r die Bomben der franz�sischen Flieger abg�be. Einige hundert Soldaten und etwa f�nfzig Offiziere waren zur Stelle. Ein Oktett der Regimentsmusik blies einen Choral — wir kannten ihn nur zu gut: �Ein' feste Burg ist unser Gott� — und die Kriegsleute stimmten mit starken, frischen Stimmen ein.

Dann trat auf der untersten Stufe einer Steintreppe der junge Pastor Marguth aus Hessen hervor. Er trug einen schwarzen Rock und um den Arm eine wei�violette Binde wie alle Geistlichen der Feldarmee. Er sprach im Anschlu� an den R�merbrief �ber die Kraft des Evangeliums, und kam damit auf die welthistorischen Ereignisse, die aller Gedanken erf�llten. Er sprach von der unwiderstehlichen Kraft eines Volkes, das in solchen Zeiten einen Herrscher hat, der in Wahrheit ein F�hrer ist. Der Kaiser habe alles getan, um den Krieg zu vermeiden; er habe den Frieden gewollt, aber da er zum Krieg gezwungen worden sei, habe er auch gewu�t, wo sein Platz sei, und was das Volk von ihm verlangen konnte. Und im Vertrauen auf dieses Volk habe er nicht gezaudert, f�r Deutschlands Existenz und Zukunft loszuschlagen.

Pastor Marguth sprach vom Pflichtgef�hl des Volkes als der[S. 114] vornehmsten Bedingung des Siegs. Das Volk wisse, was es zu tun habe, wenn die Pflicht es ruft. �Wir m�ssen Gott danken f�r seine Gnade, da� er uns jetzt in der Stunde unserer Heimsuchung in unserer schwersten aber auch gr��ten Zeit so einig und stark gemacht hat.� Und zuletzt sprach er von der Ausdauer der Soldaten und von ihrer Entschlossenheit, sich erst mit dem letzten Mann und dem letzten Pferd zu ergeben.

Es war eine einfache Beredsamkeit ohne Redebl�ten, ohne Phrasen; der Geistliche sprach freim�tig mit froher Zuversicht und unersch�tterlicher Siegesgewi�heit, und die deutschen Worte weckten ein klingendes Echo an den franz�sischen H�usern. �Vater unser, der du bist im Himmel ... Der Herr segne euch und beh�te euch ...� Schlie�lich wurde wieder ein Choral gesungen, mit so brausender Kraft, als sei es am Tag vor dem siegreichen Einzug durch das Brandenburger Tor. Hier standen nun diese breitschultrigen, kraftvollen und jugendfrischen Germanen, und unter den Helmen flammten Augenpaare, die vielleicht morgen in den Sch�tzengr�ben erl�schen sollten! Es �berlief mich kalt, als ich den Choralgesang erschallen h�rte und dachte, diese M�nner verstehen die Kunst, zu sterben! Aber ihr Volk wird nie sterben, und es ist schade um die M�chte, die sich zu ihrem eigenen Untergang vereinigt haben. Wieviel Blut mu� noch flie�en, bis sie einsehen, da� ihr Ziel, Deutschlands Vernichtung, unerreichbar ist!

Die Feldprediger sind ein Geschlecht f�r sich. Immer froh, munter, aufopfernd und freim�tig. Sie sind die Seelsorger der Soldaten, den Lebenden predigend, die Sterbenden tr�stend und erquickend. Die Konfession spielt keine Rolle mehr. Protestantische und katholische Priester verkehren wie Br�der. Alle haben einen Gott, und alle haben ein Ziel: die Wohlfahrt des Vaterlandes. Oft sieht man Priester zu Pferde dahergesprengt kommen, das Kreuz um den Hals, den schwarzen Filzhut auf dem Kopf, die wei�violette Binde am linken Arm des Feldrocks. Nicht selten sind sie mit dem Eisernen Kreuz geschm�ckt. Dann haben sie wohl mitten im Granatfeuer von der Auferstehung und dem[S. 115] Leben gesprochen oder mit unersch�tterlicher Ruhe gepredigt, w�hrend feindliche Flieger �ber ihnen schwebten. Ja, vielleicht sind sie Sonnabend nachts in K�lte und Regen zwischen B�schen und Gras hindurchgekrochen, um an die Sch�tzengr�ben zu gelangen und ihren Bewohnern am Sonntag Gottes Wort zu verk�nden.

Am Abend desselben Tages wurde in der Kirche zu Cernay Gottesdienst abgehalten. Man hatte an Licht sparen m�ssen, und auf dem Altar brannten nur ein paar Talgkerzen. Aber es war Vollmond und klares Wetter, und der Mondschein sickerte durch die Fenster herein und erleuchtete das Schiff und die S�ulen und die wetterharten M�nner, die aus ihren Sch�tzengr�ben oder von ihren Tro�wagen gekommen waren. Von Zeit zu Zeit schlugen franz�sische Granaten in die Stadt ein, und es donnerte und krachte von Explosionen und einst�rzenden H�usern. Aber der Priester lie� sich nicht st�ren. Er schien den Krieg drau�en nicht zu merken, sondern sprach, ohne mit der Stimme zu zittern, vom Frieden in Gott und von den Pflichten gegen das Vaterland. Die Soldaten h�rten mit unersch�tterlicher Ruhe zu, und als der Choralgesang schlie�lich verklang und die Lichter ausgel�scht wurden, zerstreute sich die Schar in den Gassen, die eigent�mlich erleuchtet waren vom Mondschein und vom Feuer der brennenden H�user. —


31. Nach Belgien.

Nachdem ich lange genug bei den pr�chtigen Offizieren von Herzog Albrechts Armee verweilt hatte, begann ich mich nach neuen Erlebnissen zu sehnen, und am Vormittag des 8. Oktober entschlo� ich mich, zun�chst nach Sedan zur�ckzukehren. Da um diese Zeit kein Milit�rzug abging, benutzte ich auf den Rat des Stationskommandanten, Oberstleutnant B�hlau, den Postautobus, in dessen Innern zwei Artillerieleutnants M�ller und Fuchs und meine Wenigkeit hinter den hochaufgestapelten Briefs�cken noch eben Platz fanden. In Sedan nahm mich Oberstabsarzt Dr. Fr�hlich, mit dem ich schon vorher, in Sedan selbst und in Vouziers, zusammengewesen war, in einem Lazarettzug mit dreihundert Patienten,[S. 116] den er nach Breslau zu f�hren hatte, bis nach Libramont mit. Dort fragte ich den Stationsvorsteher, ob er mir nach Namur weiterhelfen k�nnte.

�Nicht ganz bis dahin, aber bis Jemelle. Und sind Sie erst dort, so wird sich wohl leicht eine Gelegenheit zur Weiterfahrt finden.�

�Sch�n, und wann geht der Zug?�

�Im n�chsten Augenblick, aber es ist kein Zug, nur vier zusammengesetzte Lokomotiven, die aus Jemelle requiriert wurden.�

Ich hatte schon manches Bef�rderungsmittel benutzt, von den Kamelen in Takla-makan angefangen bis zu den Rikschas in Kyoto. Aber auf einer Lokomotive war ich noch nie gefahren, und schon deswegen nahm ich den Vorschlag mit gr��tem Dank an.

So verabschiedete ich mich denn von Dr. Fr�hlich und wurde mit meinem Gep�ck von laternentragenden Landsturmleuten �ber einige Schienenstr�nge bis zu den vier Lokomotiven geleitet. Auf der ersten nahm ich Platz; sie hatte den Tender vorn, und ich hatte daher freie Aussicht �ber die Landschaft, die sich nach und nach vor meinen Blicken aufrollte. Aber k�hl und zugig war es, eine d�nne Schicht dichten Reiffrostes deckte das Land, und diesen wei�en Schein verst�rkte noch der Mond, der hoch und kalt �ber der durchfurchten Erde schwebte.

Lokomotivf�hrer und Heizer waren kr�ftig gebaute, unersch�tterlich ruhige M�nner. Ihre ru�igen Gesichter verrieten keine Bewegung, keine Unruhe, aber immer hielten sie den Blick fest auf die Bahn gerichtet, bereit, die Maschine anzuhalten, sobald sich etwas Verd�chtiges zeigen sollte. �beranstrengt waren sie auch nicht, aber in der letzten Zeit hatten sie auch leichteren Dienst gehabt als fr�her, wo sie oft achtundvierzig Stunden, ja manchmal sechzig Stunden ununterbrochen t�tig waren! Die Sch�sse der Franktireurs hatten aufgeh�rt, und man konnte mit einem Gef�hl von Sicherheit fahren, was aber Vorsicht nicht unn�tig machte.

Die Nacht ist lautlos still. Wir begegnen langen Milit�rz�gen, die wunderlich aussehen in der ungewohnten Perspektive; und auf den Bahnh�fen in Hatrival und Mirwart stehen endlose,[S. 117] leere G�terz�ge. Langsam wird es Tag. G�rten und W�lder erhalten Form, und die Laubkronen der B�ume heben sich immer deutlicher vom Himmel und von dem wei�en Felde ab. Wir fahren �ber eine Br�cke, die gesprengt, aber von den Pionieren wieder hergestellt worden ist. Die Landschaft ist unendlich sch�n, wellig und hier und da mit Wald geschm�ckt. Der Lokomotivf�hrer stellt mir einen kleinen, dreibeinigen Stuhl hin, und als der Heizer den Ofen �ffnet, um Kohlen nachzulegen, l�chelt er, als ich die Gelegenheit wahrnehme, meine H�nde zu w�rmen.

Forri�res! Nun geht die Sonne auf und mit glitzerndem Gold f�rbt sie B�ume, �cker und Wiesen, H�user und Wagen und die Landsturmleute, die nicht mehr mit aufgeschlagenen Kragen zu gehen brauchen.

Wir sind in Jemelle und steigen aus. Ich danke f�r gute Reisegesellschaft; ein Trinkgeld wird nicht angenommen. Auf dem Bahnsteig erscheint ein Unteroffizier und fragt, wer ich bin. Er bekommt meinen Ausweis zu sehen und bittet mich, im Zimmer des Stationsvorstehers zu warten, bis dieser kommt, es ist ja erst �7 Uhr. Drinnen prasselt ein freundlicher Ofen, vor dem ich mich in einen Lehnstuhl niederlasse und sofort einschlafe.

Nach einer Weile kommt Hauptmann Haaf, der Stationsvorsteher, und weckt mich, sehr erstaunt dar�ber, einen wildfremden Menschen im Besitz seiner Amtsstube zu finden! Aber die Bekanntschaft ist bald gemacht.

�Wann geht ein Zug nach Namur?� frage ich.

��12 geht ein kleiner Zug Proviantwagen; wenn Sie den benutzen wollen, lasse ich gern einen Personenwagen anh�ngen.�

�Nat�rlich, das pa�t ausgezeichnet.� Und dann geleitet mich der Hauptmann nach einem in der N�he gelegenen belgischen Restaurant, in dem ein paar muntere, gespr�chige Frauen ein erstklassiges Fr�hst�ck auftischen. W�hrenddem berichtet der Hauptmann, da� man immerhin noch nicht ganz sicher vor Franktireurs sei. Vor einigen Tagen war ein B�chsenschu� auf das Stationsgeb�ude in Jemelle abgefeuert worden. Man hatte den Sch�tzen[S. 118] ergriffen und vor das Kriegsgericht gestellt; wie es ihm ergangen war, wu�te man noch nicht. In der Gegend von Houyet hatte vor kurzem eine Bande Zivilisten einige Deutsche �berfallen, und eine Strafexpedition von hundertunddrei�ig Mann war gegen sie ausgesandt worden.

Die Abfahrtsstunde schl�gt, und der Zug f�hrt durch h�geliges Land mit wohlhabenden D�rfern und auf den Wiesen weidenden Herden. An den Krieg erinnert nichts als die Landsturmleute, die an der Bahn Wacht halten, die Eisenbahntruppen, die hier und da arbeiten, und die Milit�rz�ge, die an den Stationen halten. Auch bei Marloie stand einer, und wir hielten unmittelbar neben ihm. In einem der Wagen sa�en Schwestern vom Roten Kreuz, und der Zufall wollte es, da� mein Fenster gerade ihnen gegen�berlag. Einige Schwestern schlummerten, aneinander gelehnt, andere lasen, die �brigen strickten. Durch das ge�ffnete Fenster sah eine der Schwestern heraus. Sie sah lieblich aus in ihrer hellen Tracht mit dem roten Kreuz am Arm.

�Woher kommen Sie und wohin gehen Sie?� fragte ich.

�Wir sind von Berlin�, antwortete sie, �und sollen nach Sedan.�

�Aber in Sedan ist ja kaum noch ein Verwundeter, die meisten sind nach Deutschland gebracht worden.�

�Das haben wir geh�rt, aber es werden wohl bald neue von der Front kommen. Woher kommen Sie selber?�

�Aus der Gegend s�dlich von Sedan.�

�Sind Sie Deutscher?�

�Nein, Schwede.� Es war nicht zu umgehen, ich mu�te mich der jungen Dame und ihren Mitschwestern vorstellen. Die Unterhaltung war bald im besten Gang, und wir waren halbwegs miteinander bekannt geworden, als mein Zug sachte weiterfuhr. Ich konnte ihnen blo� Gl�ck zu ihrer menschenfreundlichen Arbeit w�nschen und erhielt aus ihrem Fenster freundliche Abschiedswinke. Damit war diese kleine Idylle zu Ende.

Auf der Strecke zwischen Aye und Hogne machten einige Leute der Kasseler Eisenbahntruppen Zeichen, da� sie aufsteigen wollten.[S. 119] Der Zug fuhr langsamer, sie sprangen auf das Trittbrett und fuhren mit Gep�ck und Gewehren mit.

Die kleine Stadt Ciney kann sich eines besonders pr�chtigen Stationsgeb�udes r�hmen, wo der Verkehr lebhafter ist als sonst. Zuweilen begegnen uns kolossale leere Z�ge. In den G�terwagen liegen Stroh und B�nke bunt durcheinander. Vielleicht haben sie Truppen nach Antwerpen bef�rdert. Oft sieht man bei den Stationen und zwischen den solid gebauten Steinh�usern der D�rfer gem�tliche, gutgepflegte K�cheng�rten. In einiger Entfernung von der Bahn erblicken wir schlie�lich das Fort Naninnes mit der deutschen Flagge, und dann fahren wir �ber die Maas auf einer neuen Br�cke, von der man eine Aussicht auf die alte hat, die in den ersten Kriegstagen gesprengt wurde. Und damit sind wir in dem bezaubernden, sch�n gelegenen St�dtchen Namur angelangt.


32. Die 42-cm-M�rser vor Namur.

Um die etwa n�tigen Aufkl�rungen zu erhalten, wandte ich mich an einen Hauptmann, einen gro�en Herrn mit schneewei�em Haar und Bart. Es stellte sich heraus, das es kein Geringerer war als der Professor emeritus Dr. B. Lepsius, der trotz seines hohen Alters mit in den Krieg gezogen war, ein guter Freund des ber�hmten schwedischen Physikers Professor Svante Arrhenius; er hat w�hrend meines kurzen Aufenthalts in Namur wie ein Vater f�r mich gesorgt.

Nachdem meine Sachen in einem Hotel am Bahnhof untergebracht waren, machte ich einen Besuch beim Gouverneur, General von Hirschberg, der nichts dagegen einzuwenden hatte, da� ich eines der Forts besichtigte. Au�er Professor Lepsius begleitete mich Major Friederich vom Generalstab.

Wir fuhren an die Nordfront und waren bald beim Fort Marchovelette angelangt, jetzt Fort Nr. I genannt. Die Deutschen haben alle die Stadt umgebenden Forts mit r�mischen Ziffern bezeichnet. Der erste Eindruck vom Fort Nr. I ist der, da� die Verw�stung geringer gewesen ist als bei dem Fort in Port[S. 120] Arthur, wo General Kondratenko fiel; denn dieses Fort glich, als ich es vor sechs Jahren besuchte, einem einzigen Schutthaufen. Betrachtet man aber Nr. I genauer, so erstaunt man �ber die unheimliche Wirkung der neuen deutschen schweren Artillerie. Das Fort hat die Form eines Dreiecks mit einer Spitze nach Nordosten. Sein Glacis ist mit Stacheldrahtnetzen bedeckt, die zwischen Eisenpfeilern von einem Meter H�he ausgespannt sind. Das Netz ist dicht und sein G�rtel etwa drei�ig oder vierzig Meter breit. Innerhalb dieses G�rtels ist der Graben, der nach au�en von der Kontereskarpe, nach innen von der Eskarpe begrenzt wird. Noch einen Schritt weiter nach innen folgt ein Wall oder ein kleinerer Graben f�r Infanteriestellungen und zuletzt der Kern des Forts mit den Panzert�rmen.

In einer Entfernung von zehn oder f�nfzehn Metern vor dem Stacheldrahtnetz sah man das Loch, das ein 42-cm-Gescho� in den Erdboden gegraben hatte; es ma� etwa drei�ig Meter im Umkreis und war etwa acht Meter tief. An den fast senkrechten Betonw�nden der Eskarpe und Kontereskarpe sah man die Spuren von gew�hnlichen Granaten, die strahlenf�rmig von der Explosionsstelle sich ausbreitende L�cher hinterlassen hatten. Hier lagen auch Splitter von Sprengbomben verschiedenen Kalibers. Ein Splitter eines 42-cm-Geschosses war so schwer, da� man ihn nur mit Aufgebot seiner ganzen Kraft bewegen konnte! Daf�r wiegt aber auch ein solches Gescho� in ganzer Gestalt mehrere hundert Kilo! Ein kleiner Splitter, den ich mitnahm, zeigte, da� sich die Masse um ein Viertel ihrer urspr�nglichen Dicke ausgedehnt hatte.

Alles, was diese Riesenm�rser betrifft, wird geheim gehalten. So viel aber erf�hrt man doch, da� diese unerh�rt schweren Geschosse mehrere Kilometer hoch geschleudert werden und meilenweit vom Ausgangspunkt entfernt einschlagen! Man schie�t sich mit den gro�en M�rsern sehr sorgf�ltig ein und mu� doch darauf gefa�t sein, da� ein Schu� oder ein paar ihre Wirkung verfehlen. Man stellt aber den Schu� mit einer solchen Sicherheit ein, da� die Fehlerquelle nur gering ist. Bevor man die Sch�sse abgibt, werden[S. 121] die genauesten Berechnungen und Beobachtungen angestellt. W�hrend des Einschie�ens sind Beobachter in geeignet gelegenen W�ldchen vor der Front aufgestellt, die telephonisch mit der Bedienung verbunden sind und melden, in welchem Verh�ltnis zum Ziel der Aufschlag erfolgt. Wenn ein Ding von der Gr��e dieser Geschosse aus einer H�he von einigen Kilometern herabkommt, kann ja kein von Menschenh�nden errichteter Bau widerstehen!

Im Fort Nr. I konnte man auch die Wirkung der Geschosse sehen. Ein Schu� hatte den ringf�rmigen Panzer der Kuppel des gr��ten Panzerturms getroffen, war durch diesen wohl einen halben Meter dicken Panzer hindurchgegangen wie durch Butter und hatte dann noch f�nf Meter Beton durchschlagen. Durch einen sinnreichen Mechanismus ist das Gescho� so eingerichtet, da� es erst ein paar Sekunden nach dem Auftreffen explodiert. Es hat, wie die Deutschen sagen, einen Z�nder mit Verz�gerung. Daher ist seine Wirkung so furchtbar.

Kruppsche Ingenieure waren zurzeit damit besch�ftigt, die Forts von Namur und L�ttich wieder instand zu setzen, und bedeutende Arbeitermassen hatten vollauf damit zu tun. Durch die Instandsetzung der eroberten Befestigungen verst�rken die Deutschen ihre strategische Stellung und k�nnen gro�e Truppenkontingente freimachen und in andere Gegenden schicken.

Welche Wirkung diese schwere Artillerie auf die Besatzung der beschossenen Forts aus�bt, kann man aus der Tatsache ermessen, da� in einem Fort siebzig Prozent der Verteidiger fielen und drei�ig Prozent schwer verwundet wurden. Unter den Verwundeten war in einem solchen Falle der tapfere General Leman, der in der Gefangenschaft seinen Degen wieder erhielt. In einem andern Fort fand man vierzig unverwundete, aber tote Soldaten. Sie waren offenbar durch die Gase der Geschosse get�tet oder im Betonstaub erstickt, der aufs unheimlichste aufwirbelt und �berall eindringt. Der Luftdruck hatte auch viele gegen die Kasemattenw�nde geschleudert; sie wurden mit zerschmetterter Hirnschale aufgefunden.

Eine der Lehren, die man aus dem jetzigen Kriege ziehen zu[S. 122] k�nnen meint, ist die, da� auch die modernsten Festungen mit den vorz�glichsten Panzert�rmen gegen�ber einer Artillerie vom Kaliber der gro�en deutschen M�rser ohnm�chtig sind. Gerade der Umstand, da� die Geschosse erst explodieren, wenn sie in die Kasematte eingedrungen sind, bewirkt, da� die Zerst�rung aller Beschreibung spottet. Die Geschosse wirken erst von oben nach unten durch das Einschlagen selber, und dann von unten nach oben durch die Explosion. Die 42-cm-M�rser werden in ihre Stellungen auf Eisenbahnschienen bef�rdert, die jedesmal besonders gelegt werden.


33. �Vandalismus.�

Vom Fort Nr. I fuhren wir in die Stadt zur�ck, deren sch�nste Partien am Zusammenflu� der Sambre und Maas gelegen sind. S�dlich von der Sambre windet sich eine unendlich malerische Stra�e zur Zitadelle hinauf. Von dem pr�chtigen Grand Hotel Namur-Citadelle, das auf der H�he thronte, ist nur noch das Skelett von eisernen Balken und Ziegelmauern vorhanden. Der Hotelwirt war ein Deutscher, und die Belgier hatten ihn im Verdacht, da� er beim Anmarsch der Deutschen seinen Landsleuten Lichtsignale g�be. Deshalb steckten sie das Geb�ude in Brand. Aber die Aussicht ist noch vorhanden, und sie ist gro�artig, besonders auf das Maastal mit seinen zahllosen Villen und Schl�ssern, in denen reiche Belgier wohnen oder wohl besser gewohnt haben; denn die meisten sind infolge der deutschen Okkupation weggezogen.

Die Stadt Namur selbst wurde von den Verheerungen des Kriegs nur wenig betroffen. Das Rathaus ist eine Ruine, ebenso mehrere H�user in der Nachbarschaft; im ganzen sind aber nur etwa zwanzig H�user zusammengeschossen. Man hat die Deutschen wegen der Zerst�rung menschlicher Wohnungen, Kirchen, �ffentlicher Geb�ude und Gegenst�nde von kunsthistorischem Wert getadelt. Solche Verluste sind ja an und f�r sich beklagenswert, aber weder der Angreifer noch der Verteidiger nehmen die geringste[S. 123] R�cksicht darauf, wenn es zu siegen oder zu sterben gilt! Hegt der anr�ckende Feind, der eine Stadt erobern will, den Verdacht, da� der Kirchturm der Stadt als Beobachtungsposten benutzt wird, so schie�t er den Kirchturm zusammen. Als die Belgier den Verdacht gefa�t hatten, da� von Schlo� Marche-les-Dames der Herzogin von Arenberg bei Namur, ber�hmt wegen seiner kostbaren Kunstsch�tze, Signale gegeben w�rden, steckten sie es in Brand. Wenn es gilt, das Vorr�cken eines Invasionsheeres aufzuhalten oder seine Verbindungslinien abzuschneiden, scheut der Verteidiger keine Opfer, wenn auch er selbst in erster Linie den materiellen Verlust erleidet. Unter den unz�hligen Br�cken, die die Belgier in ihrem eigenen Lande gesprengt haben, um den Deutschen den Weg zu verlegen, sind viele, die f�r die Deutschen nicht die geringste Bedeutung hatten. Hierdurch haben sich die Belgier selbst dreifach Schaden zugef�gt: sie haben die Br�cken verloren, sie haben die Aufr�umungsarbeit zu leisten und, wenn der Krieg zu Ende ist, eine neue Br�cke zu bauen — alles das wird durch eine einzige Bohrpatrone verursacht.

Wie oft schafft nicht ein Kriegsheer bei der Verteidigung des eigenen Landes mehr Verw�stung als das Invasionsheer! Das Sprengen von Br�cken ist an und f�r sich ein Vandalismus, aber vollkommen berechtigt, wenn man dadurch strategische Vorteile gewinnen kann. Die Verw�stung, die die Deutschen bei ihrem Vordringen angerichtet haben, war teils unfreiwillig, teils durch die Haltung der Zivilbev�lkerung erzwungen; aber niemals erfolgte sie aus Zerst�rungswut und Vandalismus. Entgegengesetzte Behauptungen gehen darauf aus, in der �ffentlichkeit falsche Vorstellungen zu erwecken, und man kann sicher sein, da� feindliche Heere, wenn es ihnen gel�nge, in Deutschland einzudringen, dieses Reich mindestens ebenso verw�sten w�rden, wie jetzt die Gegenden verw�stet sind, in denen deutsche Heere stehen.

In der ersten Zeit nach der Einnahme Namurs mu�ten nach Einbruch der Dunkelheit alle Fenster nach der Stra�e hinaus erleuchtet bleiben, w�hrend die Stra�en selbst im Dunkel lagen.[S. 124] Wer auf der Stra�e ging, war daher nicht zu sehen; wer aber aus einem Fenster scho�, w�re sofort ertappt worden. Alle Haust�ren mu�ten zun�chst unverschlossen bleiben. Nach einiger Zeit w�nschten aber die Einwohner aus Furcht vor den Soldaten ihre Haust�ren schlie�en zu d�rfen, und der Wunsch wurde bewilligt.

Bei meinem Besuch, also am 8. Oktober, machte Namur einen belebten Eindruck. Noch �8 Uhr abends waren die meisten Gesch�fte offen und auf den Stra�en viel Verkehr. Sogar junge Damen, die anfangs nicht auszugehen gewagt hatten, zeigten sich wieder. Aber noch durfte niemand ohne besonderen Ausweis nach 9 Uhr abends au�er dem Hause sein. Die vielen Uniformen, Milit�rautos und Transporte verwandelten Namur in eine deutsche Garnisonstadt. Aber Namur war auch noch etwas anderes; das bewiesen die wei�en Fahnen an vielen Fenstern, namentlich in den Hauptstra�en; sie bedeuteten: wir, die wir in diesem Hause wohnen, finden uns in die neue Ordnung der Dinge. Wer durch Belgien reist, mu� sein Herz verh�rten, denn jeder Schritt erinnert daran, welches Ungl�ck es sein mu�, die Freiheit im eigenen Lande verloren zu haben. Und man denkt mit Schrecken daran, wie man selbst bei gleichem Ungl�ck f�hlen w�rde. Ein Strafgericht geht jetzt �ber Europa. Wehe den V�lkern, die nicht beizeiten ihr Haus besorgt haben und sich auf Vereinbarungen und papierne Erkl�rungen verlassen; denn nur die Macht gibt den Ausschlag, und nur der Starke und Wachsame fl��t Respekt ein nach allen Seiten!


34. Generalgouverneur Exzellenz von der Goltz.

Am Nachmittag des 9. Oktober fuhr ich mit einem Milit�rauto nach Br�ssel, in der Absicht, vor dem Einbruch der Dunkelheit wieder in Namur zu sein. Der Weg f�hrte mich �ber das Schlachtfeld von Waterloo. Ich besuchte das dortige Schlachtenpanorama und den kolossalen L�wen, den die niederl�ndische Regierung aus eroberten franz�sischen Kanonen hat gie�en und dort auf einem H�gel hat aufstellen lassen.

D�mmerung senkt sich auf diese blutgetr�nkte gr�ne Erde[S. 125] herab, der Wind weht �ber die Felder und H�gel, wo das Echo der alten Kanonen und das Gerassel der Harnische und Steigb�gel, gekreuzter Lanzen und harter S�belhiebe vor fast hundert Jahren verklang. Eine feierliche Stimmung ergreift den Beschauer dieses Schlachtfeldes, auf dem mehrere V�lker ihren Toten Denkm�ler errichtet haben. Nun halten deutsche Soldaten bei Waterloo und seinen Denkm�lern Wacht. Still! H�rt man nicht den Kanonendonner vor Antwerpen? Wir lauschen; nein, alles ist still. Meine Chauffeure, die mit oben bei dem armen gefangenen L�wen stehen, k�nnen nicht begreifen, was vorgefallen ist. Seit ein paar Wochen konnte man t�glich die Kanonade h�ren, versichern sie, und nun ist es pl�tzlich still! Man sieht nicht einmal im Norden den Feuerschein brennender H�user. Sind Wind und Nebel daran schuld? Meine Begleiter glauben geh�rt zu haben, in der vorigen Nacht seien f�nfzehnhundert Sch�sse auf die ungl�ckliche Stadt abgefeuert worden; die Verw�stung dort m�sse schrecklich sein. Nun ja, denke ich, auch eine Artillerie wie die deutsche wird Zeit brauchen, um einen Platz wie Antwerpen einzunehmen, der nach englischen und franz�sischen Angaben die st�rkste Festung der Welt und absolut uneinnehmbar ist.

Die Nacht war hereingebrochen, als wir Br�ssel erreichten, aber die Stra�en waren erleuchtet, und die Fenster der Gesch�fte und Restaurants strahlten in hellem Glanz. Viele Spazierg�nger waren unterwegs, aber fahren sah man nur deutsche Offiziere und Soldaten.

An der Ecke der Rue de la Loi wurden wir von zwei Wachtposten angehalten. Ich zeigte meinen Ausweis, sie gaben den Weg frei, und wir fuhren weiter bis zum Palast der Ministerien. �Wo wohnt der Gouverneur?� fragte ich meinen Chauffeur. �Wir sind sofort da�, war die Antwort. Er hielt vor dem Minist�re des Sciences et des Arts. Am Torweg standen starke Wachtposten. Man f�hrte mich �ber einen Hof und in einen langen Korridor mit deutschen T�rschildern. Auf einem stand der Name des Leutnants Massebus; gerade den suchte ich, denn er war einer der Adjutanten. Er teilte mir mit, der Generalgouverneur sei[S. 126] den ganzen Tag vor Antwerpen gewesen, werde aber sicher gegen 9 Uhr zur�ckkommen; ich m�chte dann meinen Besuch erneuern.

Ich fuhr daher nach dem Palast-Hotel, dessen vierhundert Zimmer zum gr��ten Teil von deutschen Offizieren bewohnt wurden. Zur festgesetzten Zeit befand ich mich wieder im Empfangsraum des Generalgouverneurs. Dort warteten mehrere Offiziere. Unter ihnen machte ich die Bekanntschaft eines Mannes, dessen Namen ich schon hatte nennen h�ren, des Hauptmanns Dreger, der Ingenieur bei Krupp ist und einer von denen, die die 42-cm-M�rser konstruiert haben. Dies war nun ein Thema, �ber das man nicht sprechen durfte, daf�r erz�hlte aber Hauptmann Dreger, da� er im Oktober 1908 eine Woche nach mir nach Bombay gekommen sei, und da� er mich dann buchst�blich �ber Colombo, Penang, Singapore, Hongkong und Schanghai verfolgt habe, immer in einem Abstand von kaum einer Woche.

�Wer ist jetzt drin?� fragte ich.

�Frau Martha Koch aus Aleppo�, antwortete ein Adjutant. �Sie hat mit Mann und Kindern drei�ig Jahre in Aleppo gewohnt, und der Generalgouverneur geh�rt seit der Zeit seines t�rkischen Aufenthalts zu den alten Freunden der Familie. Nun ist sie hierher gekommen, um dem Roten Kreuz ihre Dienste anzubieten.�

Ein Offizier, der mit dem Generalgouverneur unterwegs gewesen war, sch�ttelte den Kopf und sagte: �Wir wundern uns jeden Tag, da� er noch lebt, er setzt sich den schlimmsten Gefahren aus. Neulich flog eine Granate einige Meter �ber seinen Kopf weg, und er l�chelte nur.� Ein anderer Offizier warf ein: �Ja, er scheint an der Gefahr sein Vergn�gen zu haben, gef�hrdete Pl�tze ziehen ihn besonders an, man m�chte fast glauben, da� er den Tod sucht. Das w�re ein sch�ner Abschlu� eines gl�nzenden Lebenslaufs. Aber die Kugeln weichen ihm aus, w�hrend sie die, die in seiner N�he sind, nicht schonen. Ja, er geht so weit, da� er sich bis an die Sch�tzengr�ben heranschleicht, sich dort niederlegt und mit den Soldaten scherzt. Nat�rlich wirkt seine Gegenwart auf sie im h�chsten Grad anfeuernd. Eines Tags ging er[S. 127] in Begleitung eines Soldaten bis an einen feindlichen Sch�tzengraben heran, der freilich lange still gelegen hatte, von dem man aber doch nicht wissen konnte, ob er Besatzung enthielt oder nicht. Gl�cklicherweise war er leer. Als Exzellenz zur�ckkehrte, machten wir ihm Vorw�rfe wegen seiner Unvorsichtigkeit. �Aber es war ja niemand drin�, antwortete er ganz ruhig. — �Aber es h�tten sich doch Sch�tzen versteckt halten k�nnen.� — �Freilich; dann w�re ich wahrscheinlich nicht hingegangen.�

Wie wir gerade von Exzellenz von der Goltz sprachen, trat er selbst aus seinem Zimmer heraus und forderte mich auf, ihm zu folgen. Ich kannte ihn von der Berliner Deutsch-Asiatischen Gesellschaft her, wo ich unter seinem Vorsitz �ber meine letzte Reise gesprochen hatte. Er empfing mich auch wie einen alten Bekannten.

Der Generalgouverneur von Belgien, Feldmarschall Freiherr von der Goltz, seinerzeit Pascha in t�rkischen Diensten, steht im zweiundsiebzigsten Lebensjahr, hat aber noch Tatkraft und Energie wie ein junger Mann und f�hlt sich im Felde so recht in seinem Element. Kr�ftig gebaut und st�mmig, ist er klein von Gestalt, hat freundliche und lustig blinzelnde Augen hinter einer Brille und erinnert mehr an einen Professor als an einen General. Tats�chlich ist er auch ein sehr gelehrter Mann, der viele kriegsgeschichtliche Arbeiten von gro�em Wert herausgegeben hat, nicht zum wenigsten �ber den Deutsch-Franz�sischen Krieg, an dem er teilnahm.

Als wir allein waren, berichtete er mir die gro�e Neuigkeit, da� Antwerpen am selben Tag gefallen und die deutschen Truppen nachmittag 3 Uhr eingezogen seien! Kein Wunder also, da� wir bei Waterloo nichts von einer Kanonade geh�rt hatten. Ich nahm mir sofort die Freiheit, zu fragen, ob es erlaubt sei, Antwerpen m�glichst bald zu besuchen, da es interessant und lehrreich sein k�nne, zu sehen, wie sich eine neu eroberte Gro�stadt ausnimmt. Ja, nat�rlich! Ich k�nnte alles sehen, was ich w�nschte; ich m�ge nur am folgenden Morgen gleich nach 7 Uhr wiederkommen, dann w�rde ich erfahren, ob ich schon ohne allzu gro�e Gefahr nach Antwerpen fahren k�nnte.


[S. 128]35. Antwerpen einen Tag nach seinem Fall.

7 Uhr morgens am 10. Oktober befand ich mich auf dem Weg zum Palast des Generalgouvernements an der Rue de la Loi. Am Eingang kamen drei junge Offiziere auf mich zu, fr�hlich und guter Dinge, und begr��ten mich, als w�ren wir Jugendfreunde. Sie h�tten, sagten sie, vom Feldmarschall den Auftrag bekommen, mich nach Antwerpen zu begleiten. �Wenn es Ihnen recht ist, fahren wir sofort, das Auto steht bereit.� Nat�rlich! Der Chauffeur setzte den Motor in Gang und nahm seinen Platz am Steuer ein. Neben ihm sa� ein Soldat und im offenen Automobil die drei Deutschen und ich. Alle Deutschen trugen Revolver; au�erdem hatten wir drei Karabiner zur Hand. Offenbar hielt man die Stra�e noch f�r unsicher und den Besuch in der eben eingenommenen Stadt mit Gefahren verbunden. Man hatte noch keine genaueren Nachrichten �ber die Stimmung Antwerpens w�hrend der Nacht und am fr�hen Morgen. �Mir ist es komplett egal, ob ich jetzt oder ein anderes Mal erschossen werde, sterben mu� man ja auf alle F�lle�, sagte Leutnant Classen, der ein gro�er Spa�vogel und voll lustiger Einf�lle und Geschichten war. Die �brigen zwei Reisekameraden waren Leutnant Dr. H�tten aus Stettin und Leutnant Dr. Walter Kes aus Steglitz. Dr. Kes war auch in Friedenszeiten aktiv und dabei Doktor der Philosophie, was sehr ungew�hnlich ist.

Sobald alles in Ordnung war, erscholl der Ruf: Los! Und vom ersten Augenblick an fuhr das Automobil mit wahnsinniger Geschwindigkeit. Ehe man noch recht wu�te wie, lag die gro�e Stadt Br�ssel mit ihren in dieser fr�hen Morgenstunde stillen und leeren Stra�en hinter uns, und wir waren drau�en auf dem ebenen Lande, wo vereinzelte H�user und D�rfer, W�ldchen und Heufeime aus dem Nebel auftauchen, der noch mit dem Morgen k�mpft, aber bald von der Sonne zerstreut sein wird. Durch ein herrliches, altes Tor zwischen zwei runden T�rmen sausen wir in unvorsichtig rascher Fahrt nach Mecheln hinein.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Volltreffer im Fort Koningshoyckt, Antwerpen.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Gesprengter Turm der Redoute Chemin de fer, Antwerpen.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Redoute von Antwerpen.

[S. 129] Wir lassen rechts die Grand' Place mit dem Rathaus und andern altert�mlichen Geb�uden und der sch�nen Bilds�ule der Margarethe von �sterreich liegen, kreuzen wieder einen Kanal und gelangen auf die Antwerpener Chaussee. Hier fahren wir zwischen den bedeutenden Forts Waelhem und Ste. Cath�rine, die von h��lichen Stacheldrahtnetzg�rteln und Wolfsgruben umgeben sind, und vorsichtig zwischen den tiefen L�chern, die krepierende Granaten mitten in die Landstra�e gerissen haben.

Zu beiden Seiten der Stra�e sehen wir vortreffliche Sch�tzengr�ben, die die Belgier auf ihrem R�ckzug nach Norden gebaut haben; in den Landstra�engr�ben sind schalenf�rmige Nischen ausgeh�hlt, um gegen den Hagel des Schrapnellfeuers Schutz zu bieten. Links stehen noch weite Strecken des Landes unter Wasser, und neben der Stra�e liegen noch provisorische Pontons, hergestellt aus einem Gitterwerk von Balken, die auf zylinderf�rmigen Petroleumf�ssern ruhen; die Deutschen brauchten sie beim �bergang �ber die Wasserl�ufe.

Die Bewohner des Landes sind wie weggeblasen. Nur ganz selten zeigt sich noch ein verirrter Bauer oder ein W�chter, der zur�ckgeblieben ist, w�hrend der Sturm �ber das Land raste. Aber das Leben auf der gro�en Landstra�e spottet doch jeder Beschreibung, und der Verkehr nimmt zu, je weiter wir nach Norden kommen. Es sind die alten, wohlbekannten Kolonnen, in denselben endlosen Z�gen, von gleichem Aussehen und in der gleichen musterg�ltigen Ordnung, die wir von den s�dlicheren Heerstra�en her kennen. Landwehrtruppen rasten neben den Wegen und Stra�en; sie haben die Gewehre zusammengestellt, an deren Bajonetten die M�tzen, Leibriemen und Patronentaschen h�ngen. Und dort biegen mehr als vierzigj�hrige Landsturmleute in ganzen Regimentern nach Gent ab. Ihnen fehlt es nicht an gutem Humor und Courage, sie marschieren wie J�nglinge und singen, als ginge es zum Erntefest! An den Gewehrm�ndungen tragen sie Blumen, Kr�nze um den Hals. Nach f�nft�giger ununterbrochener Eisenbahnfahrt marschieren sie nun f�nfundvierzig Kilometer bis zu den Gefechtsstellungen,[S. 130] vielleicht um f�rs Vaterland zu fallen. Deshalb singen sie. Und doch haben sie Frau und Kinder daheim gelassen. F�r Freiheit und Gl�ck k�mpfen und fallen sie. Sie wissen, was es gilt. Je mehr Kinder sie dem Vaterland geschenkt haben, desto mehr haben sie zu verteidigen, und desto wichtiger ist es f�r sie, da� Deutschlands Freiheit und zuk�nftige Gr��e gesichert wird.

Einigen der vornehmen Villen und Schl�sser an der Stra�e statten wir unsern Besuch ab. Teils werden sie von einem zur�ckgebliebenen alten Diener oder einer Dienerin bewacht, teils sind sie leer und verlassen. Nirgends ist der Besitzer selbst zur�ckgeblieben, wor�ber man sich ja auch nicht wundern kann. Die H�user, die wir besuchten, waren v�llig unber�hrt und zeigten keine Spur von Pl�nderung oder Verw�stung. Wir waren auch unter den allerersten, die nach der Eroberung die Stra�e daherkamen. Soldaten werden f�r Diebstahl oder boshafte Zerst�rung streng bestraft. Solche F�lle geh�ren auch zu den Seltenheiten. Und wie sollten sich Ausnahmen in einer Millionenarmee vermeiden lassen! In einer Kolonne, die vielleicht aus hundert oder hundertundf�nfzig Wagen und vierhundert Pferden besteht, und wo siebzig oder achtzig Mann Karabiner tragen und die Eskorte im �brigen sehr klein ist — wie soll in einer solchen Kolonne der verantwortliche F�hrer alles, was geschieht, kontrollieren k�nnen! Man mu� auch bedenken, da� eine Hafenstadt wie Antwerpen, einer der Hauptpunkte des Welthandels, eine Masse internationales Gesindel beherbergt, das gerade in unruhigen Zeiten losgelassen wird und auf Raub ausgeht. Es w�re daher nicht zu verwundern, wenn sich nach Beendigung des Krieges Privateigentum verw�stet f�nde. Aber so etwas war bei meinem Besuch noch nicht geschehen, soweit ich beobachten konnte. Die Schl�sser, die wir besuchten, befanden sich in dem Zustand, in dem ihre Besitzer sie verlassen hatten.

Es geht an Ruinen und nackten, besch�digten Mauern vor�ber und auf einer h�lzernen Pionierbr�cke mit der gew�hnlichen Landsturmwache fahren wir �ber die Nethe, wo die alte Br�cke w�hrend des R�ckzugs gesprengt wurde.

[S. 131] Die Sch�tzengr�ben liegen immer dichter nebeneinander und sind mit bewundernswerter Sorgfalt angelegt. Die unterirdischen G�nge sind oft zu kleinen Zimmern ausgebaut, mit Holz- und Erdd�chern versehen, die W�nde mit Brettern belegt. An einer Stelle ganz nahe der Stadt sieht man quer �ber die Stra�e Spuren von Barrikaden. Sie sind wie Steinmauern aufgef�hrt, aber leicht zu umgehen, da L�cken in sie geschlagen sind. Oft liegen auf und neben der Stra�e tote Pferde. In der N�he des innern Fortg�rtels mit den Stacheldrahtnetzen begegnen wir ein paar Batterien schwerer M�rser, die in dieser Gegend nicht mehr gebraucht werden und nun wohl auf dem Weg nach dem westlichen Flandern sind. In derselben Richtung wie wir f�hrt eine Kolonne, die auf langen, schmalen Wagen Pontons bef�rdert; sie sollen bald an der Schelde in Anwendung kommen.

Die Stadt selbst umgibt ein grasbewachsener Wall, den viele Tore durchbrechen, und vor dem Wall zieht sich ein fortlaufender Graben, �ber den Br�cken f�hren. Von den Toren wehen die deutschen Fahnen herab. Durch das Mechelner Tor gelangen wir in den Stadtteil Berchem und fahren dann die Mechelner Chaussee nach Nordwesten. Die ganze Stra�e ist voll von rastenden Kolonnen und Truppen. Sie stehen offenbar bereit zu neuen Taten. Hier und da sind H�user von Granaten getroffen und an einigen Stellen ist das Stra�enpflaster von Granaten aufgerissen. In der breiten, vornehmen Avenue des Arts sind einige B�ume von Bomben zersplittert. Place de Meir, eine gro�e, sch�ne Stra�e im Zentrum der Stadt, ist �berf�llt von rastenden Munitionskolonnen und Truppen. Sie stehen froh im Sonnenschein und zeigen eine Haltung und Miene, als w�re Antwerpens Eroberung die leichteste Sache von der Welt.

Frauen und Kinder sind nicht zu sehen, und der M�nner, die die Truppen betrachten, wenige. Die ganze Bev�lkerung ist nach Holland geflohen, die Reichen nach England oder an die Riviera. Alle L�den sind geschlossen. An den Banken halten deutsche Soldaten Wacht. Aber die durch Waffenmacht unterdr�ckte Stadt ist[S. 132] doch wie zu einem Siegesfest geschm�ckt! Ganz Antwerpen flaggt mit — belgischen Fahnen! Wie ist es m�glich, da� sie aush�ngen d�rfen? Nun, die Stadt ist ja erst gestern gefallen — da flaggte man noch f�r die belgische Armee und die englischen Hilfstruppen! An den folgenden Tagen verschwanden nach und nach die schwarz-gelb-roten Flaggen.

�ber den H�usern an der Westseite der Place de Meir wirbeln braunschwarze Rauchwolken zum Himmel empor, und wir gelangen zum March� aux Souliers, wo ein ganzes Viertel in Flammen steht. Aber das Feuer verbreitet keinen unheimlichen Schein in dieser im Sonnenlicht gebadeten Stadt. Die Flammen schlagen nur wie gelbe, flatternde Flaggen aus den Fenstern, und von der Stra�e her sieht man, wie es im Innern gl�ht. Mehrere H�user sind bis auf den Grund zusammengeschossen, und aus Balken und Ger�mpel steigt der Rauch in dichten, schwarzen Wolken auf. Keine neugierig gaffende Menschenmenge betrachtet dies unheimliche Schauspiel. Eine Feuersbrunst mehr oder weniger ist nichts Merkw�rdiges in dieser Zeit, die so reich an aufregenden Ereignissen ist. Deutsche Soldaten halten auch an den Eing�ngen der Stra�en Wacht, an der Place Verte und Place de Meir. Und es kann ja auch nicht viel Schaulustige in einer Stadt geben, die zum gr��ten Teil verlassen ist. �Weshalb tut man nichts, um das Feuer zu l�schen?� frage ich. — �Die Wasserleitung in Waelhem ist zusammengeschossen, und das einzige, was getan werden kann, ist, zu sorgen, da� das Feuer sich nicht ausbreitet. Im Notfall m�ssen die benachbarten H�user niedergerissen werden, aber es sieht so aus, als wolle das Feuer von selber verl�schen.�

Keinem Teil der inneren Stadt Antwerpen ist so �bel mitgespielt worden wie dem March� aux Souliers, doch nur den H�usern an der Nordseite der Stra�e. Ohne Zweifel haben nur ein paar Sch�sse in diese H�user eingeschlagen. Die Granaten z�nden gew�hnlich beim Krepieren, und dann hat sich das Feuer auf die Nachbarh�user ausgedehnt. Aber das Viertel ist von offenen Pl�tzen und Stra�en umgeben, und so blieb das Feuer[S. 133] begrenzt. Freilich sind diese Stra�en sehr eng. �ber March� aux Souliers wurde vordem ein langwieriger Rechtsstreit gef�hrt zwischen den Hausbesitzern, der Kommune, die �ber die Fu�steige verf�gt, und dem Staat, dem Eigent�mer der Stra�e. Der Streit ging um die Erweiterung der Stra�e; sie war zu eng f�r den gerade hier sehr lebhaften Verkehr. Aber niemand wollte nachgeben. Da kam die deutsche Artillerie und machte dem Streit mit einem Schlag ein Ende. Nun ist die Stra�e breiter als zuvor!

Wir fahren durch die Avenue Sud, die gelb ist vom herabgefallenen Laub, aber hier sieht man kaum eine Spur des Bombardements, h�chstens die Wirkung einer vereinzelten Granate. Am S�dhafen fahren wir an den langen Reihen Pavillons vor�ber, den Lagerh�usern und Kontoren, welche nach der Stra�e zu wohlbekannte Firmenschilder tragen: Hamburg-Amerika-Linie, Norddeutscher Lloyd, Compagnie Maritime Belge du Congo, Nippon Yusen Kaisha, Red Star Line, Peninsular & Oriental usw. Gewaltige Wagenparks stehen mit oder ohne Ladung auf Schienen, ein ganzer Zug ist mit Benzin belastet, ein Fund, der die deutschen Offiziere hoch erfreute. Ein anderer hat kolossale Heuhaufen hergebracht, die unter Planen aufgestapelt sind. In den Hallen fand man bedeutende Vorr�te von Kolonialwaren, Hafer, Mehl, Kaffee und andern Vorr�ten, die requiriert und verbraucht werden sollten. In einigen Hallen standen etwa tausend Automobile aller Art, meist Last- und Droschkenautomobile; sie waren samt und sonders mit �xten, Spie�en und H�mmern zerschlagen und unbrauchbar gemacht. Sie repr�sentierten einen Wert von etwa neun Millionen Mark!

Wachtposten waren noch nicht aufgestellt, der ganze Hafen lag offen da, es war fast unheimlich �de und still in den Hallen. Ein paar Dampfschiffbureaus und das des S�dbahnhofs waren in bester Verfassung zur�ckgelassen worden. Alles Wertvolle war fort, nur Quittungen und Rechnungen lagen da, und die R�cke der Beamten hingen noch an ihren Haken, als ob ihre Besitzer an einem der n�chsten Tage h�tten zur�ckkehren wollen.

[S. 134] Was mehr als alles andere die Aufmerksamkeit im Hafen auf sich lenkte, waren die kolossalen Petroleumtanks, die nun ein einziges Feuer- und Rauchmeer bildeten. Das belgisch-englische Heer hatte bei seinem Aufbruch nicht vers�umt, diese Vorr�te anzuz�nden. Kann man den Feind nicht hindern, einzudringen, so kann man ihm wenigstens den Vorteil allzu gro�en Gewinnes rauben. Deshalb waren die Automobile zerst�rt und die Petroleumvorr�te in Brand gesetzt worden. H�chst eigent�mlich sah es aus, wie sich die schwarzen Wolken mit ihren grauen und br�unlichen R�ndern zum Himmel emporw�lzten und -wirbelten. Man h�rte es drinnen zischen und fauchen, und zuweilen drangen rote Flammen durch den Rauch. Ab und zu erschollen dumpfe Explosionen, und es war nicht ratsam, nahe heranzugehen. An einigen Stellen wehte noch, vom Rauch umwirbelt, die amerikanische Flagge. Nur herrenlose K�he und Hunde streiften in dieser Gegend herum.

Gerade gegen�ber dem Fort de la T�te de Flandre brannten auf dem Flu� ein paar gro�e Leichter; sie waren offenbar verankert und hatten als Pontons f�r eine provisorische Br�cke gedient, die das Heer der Verb�ndeten benutzte, als es �ber die Schelde zur�ckging und seinen R�ckzug bis Gent fortsetzte. Gewisse Verteidigungsanstalten im Hafen auf dem Weg zu dieser Br�cke bewiesen, da� das belgisch-englische Heer die Absicht gehabt hatte, bis aufs �u�erste zu k�mpfen. An einigen Stellen waren zum Beispiel unter den Hallen Barrikaden aus dicken Eisenplatten errichtet, und an einer von ihnen standen drei gesch�tzte Kanonen, die den offneren Teil des Hafens bestrichen. Hier und da waren Stacheldrahtnetze gespannt und allem Anschein nach so eingerichtet, da� sie mit Elektrizit�t geladen werden konnten. Aber zum Gebrauch dieser Verteidigungsvorrichtungen war es nicht gekommen.

Auf einer Rundfahrt durch die Stadt kamen wir auch in die Rue Carel Ooms. Dort stand hinter einem eisernen Gitter eine gr��ere Villa, in deren Park eine alte vornehme Dame, auf zwei j�ngere Frauen gest�tzt, spazieren ging. Sonst war niemand von[S. 135] den reichen B�rgern der Stadt zu sehen. Ich trat ein und gr��te, und die Dame berichtete mit schlichter W�rde, sie h�tte es nicht �ber sich gebracht, Antwerpen in der Zeit seiner harten Heimsuchung zu verlassen, und bei ihren siebzig Jahren auch nicht gewagt, sich den Gefahren einer Reise auszusetzen. In ihren Park hatten f�nf Granaten eingeschlagen, ihr Haus aber unbesch�digt gelassen. Doch hatte sie, wie man wohl begreifen kann, in Todesangst geschwebt. Nun ging sie zum erstenmal aus und sch�pfte nach der qualvollen Stimmung der letzten Tage frische Luft. Ungl�cklicher waren ihre n�chsten Nachbarn, denn von ihrem Haus standen nur noch die nackten Mauern. Sie selbst waren fortgereist, doch schienen ihre Diener dageblieben zu sein, denn man wollte aus der Richtung, wo die Granaten einschlugen, Hilferufe geh�rt haben. Schlie�lich erfuhr ich, die Dame sei die Witwe des ber�hmten belgischen Historienmalers Carel Ooms; sie bewohnte die Villa seit dem 1900 erfolgten Tod ihres Mannes, dem zu Ehren die Stra�e benannt worden war.

Nach einem einfachen Fr�hst�ck unternahmen wir schlie�lich eine Tour nach der Nordseite des Hafens und besichtigten fl�chtig die Dampfer in den Hafenbassins und Docks. Ich ging an Bord eines deutschen Dampfers, �Celadon�, der auf dem Vorderdeck Spuren eines Sprengschusses zeigte. Wie ich sp�ter h�rte, waren in allen diesen Fahrzeugen die Dampfkessel zerst�rt, damit sie nicht von den Deutschen benutzt werden konnten.

�Comte de Smet de Naeyer� war der Name eines sch�nen belgischen Schulschiffes mit graublauem Rumpf, wei�en Masten und feinem Takelwerk. Aber an Bord war nichts von Interesse. Ich stattete auch dem gro�en Australiendampfer �Tasmania� einen kurzen Besuch ab. In den Offizierskaj�ten waren alle Schubf�cher ausgezogen und alle Wertsachen fortgenommen, nur B�cher, Papiere, Rechnungen und andere wertlose Dinge fanden sich noch vor. Aber auf einem Schreibtisch in der Kaj�te des Kapit�ns stand das Portr�t einer Frau und die Photographie einer Gruppe bl�hender Kinder. Im Speisesaal stand ein gedeckter[S. 136] Tisch mit noch nicht geleerter silberner Kaffeekanne und Tassen, sowie einer fast leeren Zigarrenkiste. Alle Passagierkaj�ten waren leer und verlassen. Wir wanderten durch die langen Korridore, wo unsere Schritte hohl und laut widerhallten, und blieben zuweilen stehen, um zu lauschen, ob es unsere eigenen Schritte waren, die wir h�rten, oder ob uns jemand nachging. Man konnte ja in diesen Zeiten alles m�gliche annehmen. Vielleicht hielten sich Fl�chtlinge an Bord verborgen. Wir riefen, aber unsere Stimmen verhallten in dem leeren Schiffsrumpf, und niemand antwortete. Wir sahen in die Mannschaftskaj�ten hinein, aber niemand schlief mehr in diesen Kojen, die sich so oft auf den Wogen des Ozeans geschaukelt hatten. Alles gleich still, gleich stumm und verlassen. Es konnte einem an Bord dieses Gespensterschiffs, dieses fliegenden Holl�nders mit einer Besatzung von unsichtbaren Geistern, die uns aus allen Winkeln und Ecken anstarrten, unheimlich zumute werden. —

Die Zeit zum Aufbruch nahte heran, und wir kehrten wieder nach Br�ssel zur�ck. Weit waren wir nicht gekommen, als wir drei Reservebataillonen begegneten. An der Spitze marschierte ein Musikkorps, und jedem Bataillon wurde eine Fahne vorangetragen. Die Soldaten hatten ihre Gewehre mit Blumenstr�u�chen geschm�ckt, und ihre Gesichter strahlten wie gew�hnlich von guter Laune.

Auch diesmal besichtigte ich ein Schlo� am Wege. Nie werde ich die Eindr�cke vergessen, die auf mich eindrangen, als ich durch die leeren, d�mmerigen Zimmer wanderte. Im Schlaf- und Gastzimmer im ersten Stock standen die Betten unver�ndert, wie sie von den Besitzern und G�sten des Hauses verlassen worden. Decken und Laken waren beiseite geworfen, �ber die Stuhllehnen hingen nachl�ssig die Handt�cher, die Waschsch�sseln standen halbvoll von benutztem Wasser, und die Seifest�cke lagen in ihren Schalen festgetrocknet. In dem gro�en pr�chtigen Speisesaal im Erdgescho� war der Tisch noch gedeckt, auf einer Sch�ssel lag etwa die H�lfte des zuletzt servierten Gerichts, einer Eierspeise.[S. 137] Etwa zehn Personen hatten an dem Essen teilgenommen. Einige Teller waren leer, andere noch bedeckt mit Resten der Mahlzeit. Messer und Gabeln — Brotst�cke — Gedecke — ein paar Champagnerflaschen waren geleert, eine dritte enthielt noch einen Rest des Weins, der nun seine sch�umende Frische verloren hatte. Servietten auf dem Tisch — auf den Stuhllehnen — auf dem Boden — schnell und �berst�rzt waren die G�ste aufgebrochen, als der Kanonendonner n�her kam oder vielleicht eine Granate in der Nachbarschaft einschlug. Vielleicht hatte auch ein Bote gemeldet, die �u�eren Forts seien gefallen und die Deutschen marschierten geradeswegs auf Antwerpen los. Und wer waren die G�ste, die hier am Tisch gest�rt wurden? Die Familie des Hauses, oder Offiziere, die auf ihrem R�ckzug eine Nacht in dem verlassenen Haus zugebracht hatten?

Auf dem Heimweg konnten wir nicht so schnell dahinrasen wie am Morgen. Die Stra�e wimmelte von Kolonnen und Lanzenreitern, sie sollten nach Antwerpen und von dort nach Gent. Fern aus dem Westen ert�nte Kanonendonner. Die Deutschen lie�en sich keine Ruhe. Das uneinnehmbare Antwerpen war im Lauf weniger Tage gefallen, und sofort zogen die Eroberer weiter nach Westen. Thalatta, Thalatta! Ans Meer! England hatte den Krieg haben wollen — es sollte ihn mehr als je seit Wellingtons Tagen satt bekommen!


36. G�ste des Generalgouverneurs.

Abends um 9 waren etwa drei�ig Offiziere beim Feldmarschall zur Tafel. Dort sah ich Prinz Waldemar von Preu�en wieder und Hauptmann Dreger und machte die Bekanntschaft des Stabschefs Oberstleutnants Scheerenberg, sowie des Generaloberarztes Dr. Stecho, der Schwedisch sprach und viele Freunde in Schweden hatte. Dann war Bierabend in den oberen Gem�chern, zu dem sich auch der Kriegsminister von Falkenhayn einfand. Der alte gespr�chige von der Goltz berichtete mancherlei[S. 138] �ber Antwerpens Fall und seine Vorgeschichte, und war unersch�pflich in Anekdoten und Episoden aus den letzten Tagen.

An einem der n�chsten Abende traf ich dort noch mehrere interessante G�ste. Eine hohe Erscheinung von k�niglich aufrechter Haltung, trat Gro�admiral von Tirpitz ins Zimmer, der sich neben dem Kaiser das gr��te Verdienst um das Zustandekommen der deutschen Flotte erworben hat. Hohe Stirn, fr�hliche, offene Augen, blonder Vollbart, sichere, m�nnliche Haltung, ein echter Germane. Es war eine Erquickung, sich mit ihm zu unterhalten. F�r solche M�nner gibt es keine Unm�glichkeiten und nicht die Spur von Unruhe �ber den Ausgang des Kriegs.

Direktor K. F. von Siemens, der Chef von Siemens & Halske, ist auch ein ungew�hnlich kraftvoller Germanentypus und von einer Gem�tsart, in der Humor und Ernst eine angenehme Mischung bilden. Die deutschen Verluste sch�tzte er auf 250000 Mann, der gro�en Mehrzahl nach Leichtverwundete, die bereits an die Front zur�ckgekehrt seien oder bald zur�ckkehren w�rden und vor den neuen Ank�mmlingen das voraus h�tten, schon im Feuer gewesen zu sein und ihre pers�nlichen Erfahrungen gemacht zu haben. Es fand sich, da� wir einen gemeinsamen Freund besa�en, den liebensw�rdigen Sir Walter Lawrence, seinerzeit Privatsekret�r Lord Curzons, als dieser Vizek�nig in Indien war. Vermutlich hatten wir ihn nun beide verloren, da dieser Krieg es fertig gebracht hat, auch die festesten Freundschaftsbande zu zerrei�en.

Am Tisch sa� auch der f�nfundsiebzig Jahre alte Geheimrat Kreidel, der Chef der Armeeintendantur. Er hatte in der letzten Zeit infolge von �beranstrengung einige Schwindelanf�lle gehabt und sollte nun zur Erholung nach Deutschland zur�ckkehren. Dann war auch der neue Gouverneur von Antwerpen da, General der Infanterie Freiherr von Hoyningen genannt Huene, den ich schon von Karlsruhe her kannte. Der Befestigungsgeneral Bailer, sanft und liebensw�rdig wie ein Dozent der �sthetik, geh�rte zu meinen besonderen Freunden. Er war so gl�cklich, im Lauf des Tags seinen Sohn gesehen zu haben, der als Leutnant an der Westfront stand und von dem er lange[S. 139] nichts geh�rt hatte; Leutnant Bailer hatte die lange Reise hierhin auf dem Luftwege zur�ckgelegt und sollte nun wieder in seinem Aeroplan zur�ckkehren. Im �brigen sprachen wir von Gent, das gerade nach ziemlich heftigen K�mpfen in offener Feldschlacht gefallen war. Der General wollte dort die belgischen Feldbefestigungen studieren; die Stadt selbst ist unbefestigt. Von Gent sollte das deutsche Heer nun weiter nach Br�gge und Ostende. Und schlie�lich sprachen wir von den 300000 Freiwilligen, die eben an die Front gekommen waren, wo die jungen Studenten mit ihren munteren Scherzen die �lteren Landsturmleute erfreuten, die ihnen daf�r mit ihren Erfahrungen an die Hand gingen.


37. An der Schelde.

Der Generalgouverneur gab mir die Erlaubnis, noch mehrere Male nach Antwerpen zu fahren und einige Tage dort zu bleiben. F�r den 11. Oktober verabredete ich daher mit Dr. H�tten, der selbst unser Auto lenkte, den n�chsten Besuch. Mir lag vor allem daran, einige Aufnahmen von dem malerischen Soldatenleben zu machen, das sich in den Stra�en Antwerpens abspielte. Was k�nnte wohl f�r eine Kamera verlockender sein als die Grand' Place, der kleine, vornehme Platz am Rathaus und zwischen den Giebelfassaden der alten H�user. Mitten auf dem Platz hat man vor nicht langer Zeit eine Bronzefigur aufgestellt, eine Darstellung des M�rchens von dem Jungen, der die Hand des Riesen wirft: �Handwerfen� — �Antwerpen�. In einem Haus in der N�he wurde einer der gr��ten Maler aller Zeiten geboren, wie auf einer Tafel �ber der Haust�r zu lesen ist: �Geboortehuis von Antoon van Dyck, Kunstschilder 1599–1641.� van Dycks Modelle und ihre Nachkommen sind verschwunden, nun bilden deutsche Soldaten die Staffage der Grand' Place, Marinesoldaten mit Tornistern auf dem R�cken, das Gewehr �ber der Schulter, die Patronentasche am Leibriemen, Bajonett und Beutel an der Seite. Ein Hund l�uft treu neben einem von ihnen her — man sieht immer wieder deutsche Soldaten, die sich herrenloser[S. 140] Hunde angenommen haben. Dort sind einige Batterien von 6-cm-Schiffskanonen — die Bedienung selbst hat sich vorgespannt an Stelle von Pferden. Vor dem Rathaus rastet eine Kompagnie Infanterie; einige Soldaten machen auf dem Steinpflaster ihr Schl�fchen und benutzen die Tornister als Kopfkissen. Da stehen Proviantkolonnen mit Zeltd�chern �ber den Wagen und Heub�ndeln vor den Pferden, und die Marineradfahrer sitzen auf ihren lautlos rollenden R�dern. An einem Automobil stand der gro�e Ingenieur Hauptmann Dreger und betrachtete eine Karte, die Leutnant Dr. H�tten ihm zeigte. Aber all diese Bilder wechselten in einem fort, ein ewiges Kommen und Gehen, Fahren und Autosausen, Getrappel von Pferdehufen und Gerumpel der Artilleriewagen, dazu der Gesang der Marinetruppen, wenn sie unter den Kl�ngen der �Wacht am Rhein� �ber den Platz marschierten.

Weiter zur F�hre unterhalb der Kathedrale. Dort ist das Leben noch bunter; dort herrscht unentwirrbares Gedr�nge. Wir lassen das Auto unter der Aufsicht unseres Soldaten zur�ck und schieben uns selbst zwischen Pferden und Wagen vorw�rts. Auf der Stra�e, die zur F�hre hinabf�hrt, bewegen sich langsam doppelte Kolonnen. Ein donnernder Kommandoruf erschallt — sie stehen; dann bewegen sie sich wiederum und bleiben wieder stehen. Belgische Polizisten in schwarzen R�cken mit silbernen Kn�pfen und schwarzen Helmen, fl�misch sprechend, helfen bei der Ordnung des Verkehrs. Wohin sollen die Wagen und Mannschaften? Sie werden auf den F�hren �ber die Schelde nach T�te de Flandre gebracht, dort beginnt die Stra�e nach Gent. Sie sollen an die K�ste und einen Blick nach England hin�berwerfen!

Mitunter ist es nicht m�glich vorw�rtszukommen. Alles ist so zusammengeschoben, da� ich kaum photographieren kann. Ich will eben eine Feldk�che knipsen, als ein Ulan, der auf einem Bagagewagen sitzt, mir zuruft: �Nachbar, es ist verboten, die Feldk�che zu photographieren.� �Sch�n�, antworte ich. Unn�tig war es gewi�, da ich schon Bilder von ihr hatte. Der Titel �Nachbar� war nicht �bel.

[S. 141] Am Kai an den Br�cken, die mit R�cksicht auf den bedeutenden Niveauunterschied zwischen Ebbe und Flut gebaut sind, waren die F�hren in vollem Betrieb. �ber drei Pontons war ein fester, rechteckiger mit Gel�nder versehener Boden gelegt. Ein Dampfer nahm zwei solche F�hren ins Schlepptau, und drei Dampfer waren nun dabei, auf sechs F�hren Proviant- und Munitionswagen, Feldk�chen, Feldtelegraphen, Post, Lazarette, Pferde und Soldaten hin�berzufahren. Unter den Soldaten waren auch �sterreichische Artilleristen, die zu den 30,5-cm-Kanonen geh�rten.

�Vorw�rts!� kommandiert ein Offizier am Kai. Eine Reihe Wagen f�hrt vor, die Pferde werden abgespannt, die Wagen von Marinesoldaten an Bord geschoben, die Pferde dann auf die Landungsbretter gef�hrt; sie stampfen, prusten, b�umen sich zuweilen und scheuen vor dem entsetzlichen Untier von Fahrzeug. Aber an Bord m�ssen sie, und sobald beide F�hren voll sind, legt der Dampfer los und bugsiert sie im Handumdrehen �ber die Schelde nach T�te de Flandre. Dort werden die Landungsbretter ausgeworfen, die Wagen ans Land geschoben, die Pferde vorgespannt, und die Kolonnen setzen ihre Fahrt nach Gent fort.

Sobald die Ladung den Kai verlassen hatte, legte ein anderer Dampfer mit seinen zwei Pontonf�hren an derselben Stelle an und nahm ein neues Kontingent an Bord. So ging das den ganzen Tag hin und her und sollte es die ganze Nacht hindurch beim Schein der elektrischen Lampen weitergehen! Und den ganzen n�chsten Tag ebenso, solange noch Kolonnen �ber die Schelde zu bef�rdern waren, immer mit der gleichen Schnelligkeit, Ordnung und Disziplin, die das deutsche Heer bei all seinem Tun und Lassen bis in die kleinste Einzelheit auszeichnet.

Die F�hren kehren von T�te de Flandre nicht leer zur�ck, denn dort haben sich un�bersehbare Scharen zur�ckkehrender Fl�chtlinge angesammelt, M�nner, Frauen und Kinder mit Korbwagen, Zweir�dern und kleinen Karren und mit allerhand B�ndeln und Paketen, eine bunte Schar von Zivilisten, �hnlich einem Zug Auswanderer. Die meisten sind Fl�men. Auch unter ihnen herrscht[S. 142] bemerkenswerte Ordnung. Sie trotzen nicht, sie schreien nicht, sie dr�ngen sich nicht vor, um auf den F�hren Platz zu bekommen, sondern warten ruhig, bis die Soldaten ihnen den Weg zeigen. Zwischen Milit�r und Zivilisten herrschte das beste Einvernehmen, und man sah sie unter Scherzen und Lachen alles aufbieten, um sich in den verschiedenen Sprachen, Deutsch, Fl�misch, Franz�sisch durcheinander, verst�ndlich zu machen.


38. L�wen.

Der 12. Oktober war ein strahlend sch�ner Tag. Die Chaussee de Louvain f�hrte, sch�n gepflastert, durch dichten Buchenwald, wo kaum ein Sonnenstrahl bis zum Boden durchdrang. Man sieht in dieser Gegend keine deutschen Soldaten, es ist, als w�re nichts anderes geschehen, als da� der Herbst �ber dieses ungl�ckliche Land hereingebrochen ist. Hier fahren keine Kolonnen. Die Wagen, die die Stra�e benutzen, sind b�rgerliche Lastfuhrwerke. Die Equipagen der vornehmen Welt aber sind verschwunden, seit ihre Besitzer nach andern L�ndern aufgebrochen sind.

Achtzehn Kilometer bis L�wen. Innerhalb der Stadt f�hrt man ein gutes St�ck, bis man die ersten Ruinen erreicht. Ganz L�wen ist keineswegs zusammengeschossen, wie man sich vorgestellt hat. Kaum ein F�nftel der Stadt ist zerst�rt. Zwar kommen auf dieses F�nftel mehrere kostbare und unersetzliche Bauten; besonders beklagenswert ist der Verlust der Bibliothek. Inmitten dieser Verw�stung erhebt sich aber wie ein Fels im Meer das Rathaus, das stolze Kleinod aus der Zeit von 1450 mit seinen sechs schlanken T�rmen in durchbrochener Arbeit. Ich ging um das Rathaus herum und konnte mit dem besten Willen keine Schramme in diesen mit verschwenderischem Reichtum geschm�ckten Mauern entdecken. Vielleicht findet sich irgendwo eine Ritze von einem Granatsplitter, die meiner Aufmerksamkeit entgangen ist. Dank der Treffsicherheit der deutschen Artillerie ist auch nicht ein Gesims der sechs T�rme besch�digt. Der Anla� zum Bombardement von L�wen ist bekannt. Beim Einzug in die Stadt wurden die[S. 143] deutschen Truppen von der Zivilbev�lkerung aus den Fenstern beschossen, und da das Verbrechen nicht auf andere Weise bestraft werden konnte, wurden die H�user in Brand geschossen. Als dann deutsche Soldaten das Feuer in den dem Rathaus benachbarten H�usern zu l�schen suchten, lauerten ihnen die Franktireurs wieder mit ihren B�chsen auf! Jede andere Armee der Welt h�tte ebenso gehandelt, und die Deutschen haben es selber tief beklagt, da� sie gegen ihren Willen gezwungen wurden, zu solchen Mitteln zu greifen.

Von L�wen fuhr ich nach Mecheln, eine lange Strecke den Kanal entlang, der die beiden St�dte vereint und wo man pl�tzlich die Masten von Schuten zwischen den B�umen der Parks und Alleen hervorlugen sieht. Nach Mecheln kamen wir gerade zu der Beerdigung eines Marinesoldaten, der auf seinem Posten gefallen war. Der Tote wurde auf einem belgischen Leichenwagen zu Grabe gefahren, hinterdrein gingen etwa hundert Soldaten aus der Armee und Flotte. Nach Hinabsenkung der Leiche wurden drei Gewehrsalven abgegeben und das Grab zugesch�ttet. Auf dem kleinen Kirchhof waren viele deutsche, mit Kr�nzen und Helmen geschm�ckte Gr�ber und zwei Massengr�ber.


39. Die wei�e und die schwarze Marie.

Ein tr�ber Tag, der 16. Oktober! Kein Zipfel zu sehen von der deutschen Reichsflagge, die schon eine ganze Woche vom Turm der Kathedrale Antwerpens, hundertdreiundzwanzig Meter �ber der Erde, herabwehte. An dem Eingang nach der Place Verte zu stand ein �lterer Portier mit unbeschreiblich strenger Amtsmiene. Er w�rdigte mich kaum eines Blicks, als ich in h�flichstem Ton fragte, ob die Kathedrale offen sei. �Die Kathedrale ist offen,� antwortete er, �aber nur f�r deutsches Milit�r.� Sch�n, mein Alter, dachte ich und zog meinen �Sesam, �ffne dich� heraus, den Ausweis General Moltkes. Der Portier las das Papier und bekam von Zeile zu Zeile ein immer l�ngeres Gesicht. Als er zu Ende war, nahm er seine M�tze ab und sagte: �Ist es wirklich wahr, da[S. 144] kann ich ja dem Herrn Doktor sagen, da� ich Schwede bin, geboren in Wisby, seit drei�ig Jahren ans�ssig in Antwerpen, und Dahlgren hei�e.�

Genug, die Kathedrale stand auch f�r mich offen, und der ehrenwerte Dahlgren f�hrte mich umher. Nur eine einzige Granate oder besser ein einziger Granatsplitter ist in die Mauer unter dem gro�en Fenster �ber dem Eingang an der Place Verte eingeschlagen. Der Schaden ist nicht der Rede wert, er kann in einem Tag ausgebessert werden. W�re aber diese Granate b�sartig gewesen, und h�tten Rubens' ber�hmte Gem�lde, die Kreuzigung und die Kreuzabnahme, an ihren fr�heren Pl�tzen im Kreuzgang gehangen, dann h�tten sie in gro�er Gefahr geschwebt. Man hatte sie indes vor dem Bombardement in Sicherheit gebracht, wie alle andern kostbaren Gem�lde und Kunstsch�tze Antwerpens. Und die einzige Spur, die die Granate im Innern der Kirche hinterlassen hat, ist ein Ri� in einer S�ule.

Inmitten des n�rdlichsten Seitenschiffs steht auf einer Bahre ein Bild der heiligen Jungfrau, die pr�chtige bis auf die F��e reichende Kleider und eine goldene Krone tr�gt. Am Sonntag nach dem 15. August wird sie allj�hrlich in Prozession durch die Stadt getragen. Heuer aber, wo ihre Hilfe so sehr not tat, begn�gte man sich damit, lange Opferlichte vor der himmlischen K�nigin anzuz�nden. Und dieses Jahr blieb sie allen Bitten taub! Und dabei zeigt die Glasmalerei eines Fensters, wie Karl V. diesem Marienbild die Schl�ssel Antwerpens �bergibt. Die Schl�ssel Antwerpens! Die �schwarze� Marie hatte sie jetzt im Besitz, nicht ihre wei�e Namensschwester!

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Schwester Martha und Dr. H�tten in L�wen.

Die Kanzel ist von van der Voort aus kernigem Eichenholz geschnitzt. Sie ist zweihundert Jahre alt, aber die Eichen waren vielleicht f�nfhundertj�hrig, als sie ihr Holz der Verk�ndigung von Gottes Wort opferten. Die vier Frauengestalten, die die Kanzel selber tragen, sind bemerkenswert; sie stellen die vier Weltteile dar — Australien war damals nur mangelhaft bekannt. Drei Figuren erhalten gen�gend Licht, aber die mit den dicken Lippen[S. 145] und der platten Nase, das dunkle Afrika, der Weltteil der Schwarzen, steht in tiefem Schatten. Vier Kontinente tragen den Platz, von dem den Menschenkindern Gottes ewige Liebe gepredigt wird — ein sch�ner Gedanke des K�nstlers. Er glaubte wahrscheinlich, die Welt werde in den kommenden Jahrhunderten vorw�rtsschreiten. Nun aber verk�nden f�nf Weltteile das Evangelium des Kriegs und des Hasses! Die beiden Westm�chte der Entente tragen die Verantwortung f�r den gro�en Totentanz. Denn sie k�mpfen mit Massen zusammengeraffter V�lker. Da kommen Kanadier auf ihren Schiffen aus Amerika, Turkos und Senegalneger aus Afrika; sonnverbrannte Hindus und Gurkhas aus Indien liegen frierend in den Sch�tzengr�ben, und die Antipoden Australiens und Neuseelands senden Hilfstruppen. Und das Ziel dieses Weltaufgebots? Die germanische Kultur soll vom Erdboden vertilgt werden! Die Tr�ger dieser Kultur, das Volk Luthers, Goethes, Beethovens, Helmholtz' und R�ntgens, werden Barbaren und Hunnen genannt und sind eine Gefahr f�r die Zukunft und Zivilisation der wei�en Rasse! Gurkhas und Senegalneger mu�ten ja wohl kommen, uns vor der Verfinsterung zu bewahren! Der K�nstler, der einst die Stirn hat, das V�lkeraufgebot von 1914 zu verherrlichen, sollte nicht vergessen, da� er in van der Voorts Frauengestalt mit den dicken Lippen und der platten Nase ein dankbares Motiv vorfindet.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Belgische Gefangene in Mecheln.


40. �ber Gent und Br�gge nach Ostende.

W�hrend meines Aufenthaltes in Antwerpen erhielten wir fast t�glich Nachrichten �ber das schnelle Tempo, in dem die Deutschen sich dem Meere n�herten. �Gent ist genommen — Br�gge genommen — unsere Truppen sind in Ostende einger�ckt.� Bei meiner R�ckkehr nach Br�ssel sah es jedoch so aus, als ob die Verb�ndeten alles daran setzten, die deutschen Truppen wieder aus Ostende zu vertreiben, und ein Ger�cht war im Umlauf, die Engl�nder bombardierten die Stadt.

[S. 146] Begleitet von dem liebensw�rdigen Konsul Petri reiste ich am 20. Oktober mit besonderer Erlaubnis des Generalgouverneurs nach Ostende ab. Es war tr�bes Wetter, Regen, und schwere, schwarze Wolken hingen �ber dem flachen Lande.

In Gent, das v�llig unbesch�digt war, �bernachteten wir. Die Stadt hatte ihr gew�hnliches Aussehen, die Stra�enbahnen waren in Betrieb, alle Gesch�fte offen und viele Menschen unterwegs trotz des schlimmen Wetters; nur die zahlreichen deutschen Uniformen verrieten, was geschehen war.

Durch das ber�hmte, altert�mliche Br�gge mit seinen malerischen H�usern und Br�cken und seinen gewaltigen Stadttoren mit den runden T�rmen fuhren wir am folgenden Tag ohne Aufenthalt durch. Hinter dem Dorfe Ghistelles hielt uns an einem Kreuzweg ein Posten an, und als wir haltmachten, h�rten wir in der N�he wahnsinnigen Kanonendonner.

Der Soldat berichtete, in Middelkerke stehe ein harter Artilleriekampf, und die Deutschen h�tten ihre Stellungen diesseits des langen Kanals, der Ostende mit Nieuport und D�nkirchen verbindet. Ein Geschwader von englischen Kriegsschiffen liege vor der K�ste und beschie�e die deutschen Stellungen, die auch von der Landseite von belgischen und franz�sischen Truppen angegriffen w�rden. Aber die Stra�e nach Ostende, die erst nach Nordwesten und dann nach Nordnordost geht, sei ziemlich sicher. Der gef�hrlichste Punkt sei die Biegung jenseits des Kanals, wo der Weg seine Richtung �ndert. Von Ostende kamen Munitionskolonnen, die an die Front bei Middelkerke gingen, und von der Front kamen Kolonnen mit verwundeten Soldaten, die auf dem Wege nach Ostende waren.

Wohlbehalten fuhren wir an der gef�hrlichen Ecke vor�ber, und dann in die sch�ne, vornehme Stadt am Meer, die von Baedeker das Zeugnis erh�lt: �Ostende ist vielleicht zurzeit das eleganteste Meerbad Europas.� Wir bogen in die Strandstra�e ein, wo eine endlose Reihe gro�er Hotels auf das Meer hinaussieht. Die meisten sind nur w�hrend der Saison ge�ffnet, die[S. 147] am 15. September schlie�t. Die Stadt wird da von 45000 Badeg�sten besucht! Aber Ostende ist auch �berfahrtsstelle zwischen dem Festland und England, und dieser Verkehr h�lt das ganze Jahr �ber an. F�r Reisende, die Sturm oder Erm�dung aufh�lt, gibt es einfachere Hotels, aber die liegen in der Stadt.

Es war 2 Uhr. Ich war niemals in Ostende gewesen und kannte keinen von den deutschen Offizieren. Aber ich hatte meine Papiere und mu�te mich bei dem Kommandanten im Hotel Littoral an der Strandstra�e melden.

Das graue, d�stere Meer bot einen h�chst eigent�mlichen Anblick, wenn man die Augen nach Westen richtete. Der Regen hatte aufgeh�rt, die Luft sich gekl�rt, aber der Himmel war noch wolkenbedeckt. Genau im Westen, neun oder zehn Kilometer entfernt, erkannte man scharf und deutlich die Umrisse von dreizehn englischen Kriegsschiffen; einige von ihnen waren Kreuzer, die �brigen gro�e Torpedoboote �lterer Jahrg�nge. Sie beschossen die deutschen Stellungen an der belgischen K�ste und wurden selber beschossen. In einemfort �nderten sie ihren Platz, um der deutschen Treffsicherheit entgegenzuarbeiten, blieben aber doch in derselben Entfernung, und ihre schwarzen R�mpfe hoben sich imponierend von dem hellen Horizont ab. Aus ihren Schornsteinen stiegen schwarze Steinkohlenrauchs�ulen schr�g nach links mit dem Wind, so da� der Himmel wie gestreift aussah.

Ich besuchte den Kommandanten von Ostende, Kapit�n zur See T�gert. Er wohnte im zweiten Stock des Hotels Littoral. Von seinem Balkon aus beobachteten wir wieder die englischen Schiffe. Er erz�hlte, er und seine Kameraden von der Marine seien am selben Tag, dem 21. Oktober, morgens nach Ostende gekommen. Sie hatten sich ins Hotel Majestic begeben, das f�r das beste in der Stadt galt. Der Hotelwirt erkl�rte aber, er habe kein Zimmer frei, eine Unwahrheit, denn die Saison war l�ngst vor�ber. Vielleicht gab der Name des Hotels die Erkl�rung daf�r, da� keine Zimmer frei waren — f�r deutsche Offiziere. Anstatt sich ihres Rechtes zu bedienen, durch einen[S. 148] Machtspruch Zimmer zu verlangen, gingen die Deutschen ganz bescheiden ins Hotel Littoral, das ihnen bis unters Dach zur Verf�gung gestellt wurde. Sp�ter zeigte sich, da� der Tausch f�r sie ein Gl�ck wurde. Die Landoffiziere waren weniger nachgiebig gewesen und hatten sich ohne weiteres im Hotel Majestic eingerichtet, wo K�che und Bedienung bald in vollem Gange waren.

Kapit�n zur See T�gert, ein vornehmer, gewissenhafter Mann, gab Befehl, mir das letzte freie Zimmer zur Verf�gung zu stellen. Ich nahm es sofort in Besitz. Vom Korridor des zweiten Stocks kam man in die Zimmer, die nach dem Meere zu lagen, und deren T�ren die Namen der Marineoffiziere trugen. Die Glast�ren nach au�en f�hrten auf einen Balkon mit bequemen Korbst�hlen; von dort hatte man freie Aussicht �bers Meer, auf das englische Geschwader und seine kriegerischen Unternehmungen.

Von meinem herrlichen Aussichtspunkt aus geno� ich einen ungew�hnlich prachtvollen Sonnenuntergang. Im Westen gl�hte die Sonne in einem eigent�mlich hellen Ton mit einem Stich ins Gelbe. Die Wolken in ihrer N�he waren mit goldgelben R�ndern geschm�ckt, und der Widerschein gl�nzte auf dem Meere. Im �brigen war der ganze Himmel mit Wolken bedeckt, und ab und zu ging obendrein ein feiner Staubregen nieder, aber die Fensterscheiben nach der Strandpromenade gl�hten, als ob es in den H�usern brenne. Gerade dort, wo der blendende Sonnenglanz das Meer vergoldet, liegt das englische Geschwader. Den ganzen Tag hat es auf die deutschen Stellungen geschossen, ich sehe die Blitze der englischen Schiffskanonen und h�re nach einer Weile das Donnern des Schusses. Jetzt, 5 Uhr 20 nach deutscher Zeit, donnerten die Kanonen so heftig und rasch hintereinander, da� die Fenster des Kursaals rasselten und klirrten. Eine halbe Stunde sp�ter h�rte das Feuer auf. Man glaubte, das Geschwader gehe nach Norden, um Munition zu holen. Das Gold �ber dem Meer verblich, die D�mmerung fiel herein, und ein paar Bojen mit Blinklicht wurden sichtbar.

[S. 149] Im Lauf des Tages hatten sich viele Zivilisten gezeigt, gegen Abend aber verschwanden sie. Niemand durfte nach 9 oder fr�h vor 5 Uhr ausgehen. Die Stra�en wurden nicht erleuchtet, aber viele Gesch�fte hatten Licht bis 9 Uhr. An der Strandpromenade brannte nicht eine einzige Laterne, hier wanderte man in der Dunkelheit unter deutschen Soldaten. Von vielen Fenstern aber strahlte Licht aufs Meer hinaus, das galt nicht als gef�hrlich, da die feindlichen Schiffe auf alle F�lle genau orientiert waren. Man glaubte jedoch nicht, da� die Engl�nder Ostende beschie�en w�rden, da hundert gefallene Deutsche oder mehr und die R�umung des Platzes nicht den Verlust vieler Millionen englischen Kapitals aufwiegen w�rden, das in der Stadt angelegt sein soll!

Ich wurde aufgefordert, mich dem Kreis der deutschen Marineoffiziere mittags und abends im Hotel Littoral anzuschlie�en. Als wir uns nun um 8 Uhr zum erstenmal im Speisesaal versammelten, wurde ich mit ihnen allen bekannt gemacht. Meine speziellen Freunde wurden au�er dem Chef Kapit�nleutnant Be�, Leutnant Haak, Stabsarzt Dr. Sch�nfelder und Dr. K�bler. Wir hielten die folgenden Tage gut zusammen und werden unsere gemeinsamen Erlebnisse in Ostende wohl niemals vergessen.


41. Das Bombardement von Ostende.

Freitag den 23. Oktober weckte mich Dr. K�bler, um mir eine Promenade zum Leuchtturm und dem alten Fort vorzuschlagen. Zur�ck fuhren wir mit der elektrischen Bahn. Im Wagen sa�en Soldaten und Zivilisten. Unter jenen war ein alter Landsturmmann, der erz�hlte, er habe drei S�hne im Krieg, aber er habe keine Ahnung, wo sie st�nden und ob sie noch lebten. �Sie m�gen immerhin fallen,� sagte er, �f�rs Vaterland opfert man alles.�

Auf die Strandpromenade zur�ckgekehrt, setzten wir uns auf eine Bank am Kursaal und betrachteten das englische Geschwader durchs Fernrohr. Die Luft war ungew�hnlich klar, das Wetter strahlend.

[S. 150] Kurz vor �1 Uhr suchte mich Kapit�nleutnant Be� auf. Er war eben mit Admiral von Schr�der von Middelkerke zur�ckgekehrt und erz�hlte, die Stra�e, auf der wir gestern laubgeschm�ckte Wagen gesehen hatten, sei jetzt alles andere als sicher, da ein paar Granaten dort eingeschlagen h�tten. Auf der Strandpromenade durfte sich jetzt das Milit�r nicht mehr zeigen; Be� riet mir daher ab, Middelkerke einen Besuch abzustatten; vielmehr hatte er einen andern, weniger gef�hrlichen Vorschlag, n�mlich ein paar seiner Seekompagnien und ihre Quartiere zu besichtigen.

Anderthalb Kompagnien waren im Theater einquartiert. Davor standen sogenannte Schiffskanonen, kleine, leichte Gesch�tze von derselben grauen Farbe, wie sie die Panzerschiffe haben, und von 6-cm-Kaliber. Die zugeh�rigen Munitionswagen standen auf dem Fu�steig. Wir betraten das gro�e, sch�ne Foyer. An den W�nden entlang hatte die Mannschaft ihre Betten aufgestellt, Matratzen und Kissen, die der B�rgermeister von Ostende hatte requirieren m�ssen. Auf den St�hlen sah man Waffen und Kleider, auf den Tischen Sch�sseln und Tassen. Die Logen des ersten Ranges waren gleichfalls in Schlafpl�tze und Aufbewahrungsr�ume f�r Kriegsmaterial verwandelt. Den ganzen Rundgang nahmen Betten ein. In einigen Logen putzten Marinesoldaten ihre Gewehre oder brachten Kleider und Leibriemen in Ordnung.

Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, der K�che im Theater einen Besuch abzustatten. Hier hantierten dicke, joviale Marinek�che in wei�en Anz�gen und M�tzen mit aufgestreiften �rmeln. Die Kessel brodelten, und appetitreizende D�mpfe erf�llten den Raum. Ich mu�te nat�rlich die Gerichte kosten und erhielt eine riesige Portion Gulasch in einem tiefen Teller vorgesetzt, gekochtes Fleisch, Kartoffeln, Gem�se und Br�he — vortrefflich! So gutes Essen bekomme ich nicht im Hotel, dachte ich, und a� mich satt. Kein Wunder bei solcher Kost, wenn die deutschen Soldaten so stark, frisch und bl�hend sind! L�ge ich l�ngere Zeit im Felde und h�tte zwischen Offiziers- und Mannschaftskost zu w�hlen, ich w�rde ohne Zaudern die letztere w�hlen![S. 151] Sie ist gesund, kr�ftig und wohlschmeckend und verschont den Magen der Leute mit allem unn�tigen Ballast. Der gute Gesundheitszustand in der deutschen Armee beruht zum gro�en Teil auf der ausgezeichneten und reichlichen Verpflegung.

Aber nun fehlten nur noch f�nf Minuten an 1 Uhr, und wir mu�ten beim Mittagstisch der Offiziere p�nktlich sein. Wir gingen durch die Rue du Cerf. An der Ecke dieser Stra�e und der Digue de Mer, der gro�en Strandstra�e am Meer, ist das Hotel Littoral. Die Rue du Cerf liegt einige Meter tiefer als die Strandstra�e, die auf der D�nenreihe an der K�ste angelegt ist. Ihr Ende steigt zu der gro�en Strandstra�e hinan. Oben an der Ecke des Littoral stand eine Gruppe Offiziere in lebhafter Unterhaltung. Sie zeigten nach Westen und benutzten eifrig ihre Fernrohre. Wir gingen zu ihnen, neugierig, was wohl los w�re. Das englische Geschwader lag auf seinem gew�hnlichen Platz im Westen und Wests�dwest, vielleicht uns etwas n�her als sonst, sieben oder acht Kilometer entfernt.

Aber ein Torpedoboot hatte sich von den andern getrennt und fuhr in voller Fahrt auf Ostende zu, parallel mit der K�ste und dem Lande so nahe wie m�glich. Bald darauf sah man ein anderes Torpedoboot im Kielwasser des ersten steuern. Was wollten sie, diese Gauner? Man h�rte derbe Worte. �Es ist doch stark, einem so direkt auf den Leib zu r�cken! Offenbar sind sie auf Kundschaft aus, aber welche Frechheit, sie wissen doch, da� wir Ostende besetzt haben. — Aha, sie vermuten Unterseeboote und Torpedoboote im innern Hafen und wollen nun sehen, ob man etwas drau�en von der Reede erkennen kann.�

Nun, ihre Absicht mochte sein was sie wollte, ich ging in mein Zimmer hinauf und machte mich zum Essen fertig. Dann trat ich auf meinen Balkon hinaus, �berzeugt, die Torpedoboote seien umgekehrt oder wieder aufs Meer hinausgefahren. Aber nein, sie steuerten noch denselben Kurs wie bisher und der Schaum stand an ihren Vordersteven!

Unten vor meinem Balkon h�rte ich einen Offizier mit[S. 152] Stentorstimme kommandieren, die Stra�e solle ger�umt werden, kein Mensch d�rfe sich vor der langen H�userreihe blicken lassen. Nur die Wache vor dem Littoral durfte auf ihrem Posten bleiben, bis auch sie eine Minute sp�ter Deckung suchte.

Da nahm ich mein Fernrohr und eilte die Treppen hinunter. In dem eleganten, teppichbelegten Vestib�l des Hotels, wo Sofas, Tische und St�hle zwischen riesigen Topfpflanzen kleine Gruppen bildeten, gingen Offiziere eilig hin und her, und man erkannte leicht, da� etwas Au�ergew�hnliches bevorstand. �Wird man schie�en?� fragte ich Be�. �Ja, es wird geschossen�, antwortete er mit stoischer Ruhe. Durch die Glast�ren des Vestib�ls konnte man beobachten, was sich an der M�ndung der Rue du Cerf zutrug: dort kommandierte Admiral von Schr�der, dort sah man Kapit�n zur See T�gert, und dort rollte die Mannschaft der Matrosenbrigade mit fieberhafter Hast die zwei 6-cm-Schiffskanonen heran und ihre Munitionswagen — andere Artillerie war zurzeit in der Stadt nicht zur Hand.

Die Stra�e war von Zivilisten ger�umt, und kein anderes Milit�r als Bedienung und Leitung der Batterie hielt sich dort auf. Ich durfte daher nicht ausgehen, konnte aber doch beobachten, wie schnell und genau die beiden Kanonen gerichtet und wie sie geladen wurden: �Laden! — Fertig! — Feuer!�

Der erste Schu� erdr�hnte! Das Echo hallte in der Stra�enm�ndung wider, und die Fensterscheiben des Hotels klirrten in ihren Rahmen. Ich ging in den Speisesaal. Von dort war freie Aussicht �ber das Meer und auf das erste Torpedoboot. Einen Augenblick sp�ter folgte der zweite Schu�. Der erste schlug unmittelbar vor dem Torpedoboot ins Wasser ein, ohne da� sich entscheiden lie�, ob er Schaden angerichtet hatte. Auch der zweite Schu� ging ganz in der N�he des Ziels nieder.

Im Speisesaal waren mehrere Offiziere. Ich stand zusammen mit dem Leutnant des ersten Reserve-Seebataillons Dr. Algermissen aus Colmar. Acht Fenster des gro�en Saals gehen aufs Meer hinaus, zwei und der Eingang auf die Rue du Cerf. An[S. 153] den ersteren stehen gedeckte kleine Tische, im �stlichen Teil des Saals der gro�e Tisch, an dem wir unsere Mahlzeiten einzunehmen pflegten. Die Decke wird von vier Pfeilern getragen. An dem zweiten von Westen standen Algermissen und ich.

Sofort als die beiden deutschen Sch�sse abgefeuert waren, machten beide Torpedoboote kehrt, und im selben Augenblick begannen sie zu feuern. Es blitzte aus den Schiffskanonen, wie es schien, direkt auf uns zu. �Deckung!� rief Algermissen mir zu, und ich stellte mich hinter die S�ule, die wie Papier fortgeflogen w�re, wenn sie eine 10-cm-Granate getroffen h�tte! Einige im Saal folgten unserm Beispiel, andere aber verschm�hten kaltbl�tig diese Vorsichtsma�regel, die sie wohl f�r ungen�gend hielten. Das erste Torpedoboot war etwa 1400 Meter entfernt, die Geschosse kamen also schnell genug ans Ziel. Die ersten flogen zu kurz, schlugen gerade vor dem Littoral ins Wasser, und hohe, wei�e Wassers�ulen stiegen von der Einschlagstelle auf. Sobald sie eingeschlagen haben, richten wir unsere Fernrohre auf das Torpedoboot, es blitzt wieder, und wir suchen Schutz, doch blo� f�r den K�rper, nicht f�r den Kopf, denn man kann seine Augen von einem solchen Schauspiel nicht abwenden, man will, man mu� es um jeden Preis sehen! Vergeblich aber w�re es, die Spannung zu schildern, in der man sich befindet in der Zeit zwischen dem Aufblitzen der Kanonen und dem Einschlagen der Geschosse. Wenn man f�hlt und wei�, da� man selbst das Ziel des �Mantelsacks� ist, der angeflogen kommt! Es ist das keine Furcht, denn wenn mich jemand gebeten h�tte, ihn an eine sichere Stelle im Innern der Stadt zu begleiten, ich w�re nicht mitgegangen. Es ist eine Mischung von atemloser Spannung, intensivem Interesse und einer Aufmerksamkeit, die sich nichts von dem entgehen lassen will, was vor sich geht. Deshalb h�lt man ununterbrochen das Fernrohr bald auf das Boot, bald auf die Einschlagstelle gerichtet. Ein Gescho� prallte von der Wasserfl�che ab und schlug in ein Dachgesims, 58 Schritte von mir entfernt, wie ich sp�ter feststellte. Ein anderes beschrieb eine[S. 154] h�chst merkw�rdige Bahn, ich wei� nicht wie, landete aber schlie�lich auf der Steinpromenade am Meer und blieb an dem eisernen Gel�nder liegen, ohne zu krepieren. Dort lag es noch ein paar Tage, und die Wache pa�te auf, da� niemand das gef�hrliche Ding ber�hrte. Ein paarmal konnte ich sehen und h�ren, wie die Granaten aufs Wasser schlugen, abprallten, wie flache Steine �ber das Wasser tanzten und in die Kaimauer einschlugen. Erst der Blitz aus der englischen Kanone — dann das Einschlagen aufs Wasser — dann der Knall; bald darauf das Krachen, wenn eine Fassade getroffen war, dann das Poltern der Ziegel oder Mauerteile auf die Stra�e.

Das zweite Torpedoboot, das ich von meinem Platz aus nicht sehen konnte, scho� ebenso munter wie das erste. Da ich nicht sehen konnte, wann es scho�, war der Schutz, den mir der Pfeiler bot, erst recht illusorisch. Die beiden deutschen Kanonen gaben jede f�nf oder sechs Sch�sse ab. Ob sie Schaden anrichteten, wei� ich nicht. Alles ging zu schnell, als da� v�llige Treffsicherheit h�tte erreicht werden k�nnen. An der absch�ssigen Stra�enm�ndung liefen die Kanonen zu stark zur�ck und mu�ten bei jedem Schu� von neuem vorger�ckt werden. Das Ganze war in zw�lf Minuten vor�ber. Die Boote machten fast kehrt und fuhren schleunigst nach Westen zur�ck, fortw�hrend feuernd. Sie gaben etwa drei�ig Schu� ab, wie mir die deutschen Offiziere sagten. Gleichzeitig schossen sie mit Maschinengewehren. Aber der Abstand nahm zu, und schlie�lich h�rte das Feuer auf.

�Wie kommt es, da� nicht ein einziger Schu� unser Hotel getroffen hat?� fragte ich. �Die Engl�nder m�ssen doch gesehen haben, da� die Quelle des deutschen Feuers gerade unsere Stra�enecke war, und da� die Bedienung der Kanonen die einzigen lebenden Wesen auf der ganzen Strandstra�e bildete.�

�Das scheint uns so, aber bei der schnellen Bewegung der Boote konnten sie wohl kaum entscheiden, woher das Feuer kam. Vielleicht hatten sie ihre Aufmerksamkeit auf den Hafen gerichtet in dem Glauben, da� wir dort Torpedoboote liegen h�tten. Mehrere Sch�sse gingen auch auf den Hafen.�

[S. 155] �Merkw�rdig,� warf ein anderer ein, �da� mehrere Sch�sse das Hotel Majestic getroffen und dort ein paar Offiziere get�tet haben. Majestic ist ein gro�es, wei�es Prachtgeb�ude, wo die Engl�nder vermutlich einen guten Fang zu tun glaubten.�

�Es ist sehr bezeichnend,� f�gte ein dritter hinzu, �da� sie uns mit ihrem Besuch gerade um 1 Uhr beehrt haben, wo sie wu�ten, da� alle Offiziere bei Tisch sa�en. Offenbar haben sie gedacht, sie k�nnten ungehindert vor�berkommen und nach ausgef�hrter Erkundung wieder verschwinden, ehe wir fertig wurden.�

Als alles ruhig war, setzten wir uns zu Tisch, und dann begaben Be�, K�bler und ich uns nach dem Hotel Majestic.

Im Baedeker von 1910 kommt Hotel Majestic unter dem Namen Grand H�tel des Bains vor. Seitdem hat es seinen Namen und wahrscheinlich auch den Besitzer gewechselt. Seine sch�ne, wei�e Fassade war von sechs Granaten, deren Einschlagstellen wir betrachteten, �bel mitgenommen. Sie hatten gro�e, klaffende L�cher in die Mauern gerissen; auf dem Fu�steig davor Haufen von Steinen, Ziegeln und Bewurf, und ein dekorativer Gipsengel mit ausgebreiteten Fl�geln lag in Scherben am Boden.

Im Vestib�l lagen Schr�nke, Tische und St�hle durcheinander. Der Speisesaal war vor einer Stunde noch einer der elegantesten von Europa gewesen: der Fu�boden mit dicken, roten Br�sseler Teppichen belegt, die W�nde in Wei� und Gold und mit Spiegeln dekoriert, an der Decke prachtvolle Kronleuchter — jetzt alles ein Bild grauenhafter Verw�stung! Zwei Granaten hatten gerade in den unteren Teil der langen Fensterreihe eingeschlagen, und ihre Splitter hatten klaffende L�cher in W�nde und Decke gerissen. Die Gipsornamente waren heruntergefallen und lagen in Tr�mmern, und der Teppich verschwand fast unter ihrem dicken wei�en Staub. Die Fenster waren zu Pulver zermalmt, und die Spiegelscheiben in merkw�rdige Sternfiguren zersprungen, deren Scherben bei der geringsten Ber�hrung herabzufallen drohten. Tische und St�hle in Tr�mmern, die Tischt�cher in Fetzen. Nur an den Ecken des Saals, besonders den westlichen, standen die Tische noch auf den[S. 156] Beinen, aber Teller und Gl�ser waren zerschlagen. F��e von Rotwein- und Champagnergl�sern standen noch da, die oberen Teile waren abgeschlagen.

Bei Beginn der Beschie�ung waren etwa f�nfzig Offiziere zum Essen versammelt gewesen; an einigen Tischen hatte man schon zu essen begonnen. Die meisten hatten in der Westh�lfte des Saals gesessen und waren deshalb auf wunderbare Weise gerettet worden. An einem Fenstertisch in der Osth�lfte aber hatte der Marinearzt Dr. Lippe und ein Adjutant der Matrosenbrigade Platz genommen und bereits zu dinieren angefangen. Durch den unteren Teil gerade dieses Fensters hatte eine Granate ihren Weg genommen. Nach den ersten Treffern hatten sich die beiden Herren wahrscheinlich zu sehr ausgesetzt gef�hlt. Dr. Lippe war deshalb aufgestanden, aber nur bis an das andere Ende des Tisches gekommen, als eine Granate hereinsauste und ihn mitten in den R�cken traf. Er wurde vollst�ndig zerrissen! Was von ihm noch �brig war, lag vorn�ber, der Kopf auf den Armen, in einer Blutlache. Von der Uniform nur noch Fetzen, ein St�ck des einen Beines fand man unter einem Tisch auf der andern Seite des Saals, alles �brige klebte in Form von Blutflecken und Eingeweiden an W�nden, Decke und Tischt�chern ringsum. Dr. Sch�nfelder, der sofort herbeigeeilt war, konnte nur die �berreste seines Kameraden in einem Tischtuch sammeln und in ein Leichenhaus bringen lassen. Der Adjutant hatte eine schwere Kopfwunde erhalten und wurde ins n�chste Krankenhaus getragen.

Ein pr�chtiger Landsturmmann, der sich mit seinem jungen Sohn im Saal aufgehalten hatte, erz�hlte mir, alle andern Mittagsg�ste seien mit dem Leben davongekommen, die meisten aber infolge des Luftdrucks bewu�tlos zu Boden gest�rzt, einige auch durch herumfliegende Splitter leicht verwundet. Die Bet�ubten erholten sich aber bald wieder.

Das Schicksal ist unergr�ndlich. Weshalb mu�te gerade er, der die Gefahr erkannte und einen sichereren Platz aufsuchen wollte, vom Tode erreicht werden, w�hrend wir, die wir von einem[S. 157] andern Hotel aus das Schauspiel beobachteten, verschont blieben? Man sagte mir sp�ter, mein Platz sei durchaus nicht sicher gewesen, denn eine Granate kann von einer Mauer im Hintergrund abprallen, und man kann daher von r�ckw�rts durch ihre Splitter getroffen werden. In freiem Gel�nde hat man mehr Aussicht, unverletzt zu bleiben. Streng genommen hatten also die Artilleristen an der Stra�enm�ndung einen besseren Platz als wir! Wir G�ste des Littoral hatten indessen keinen Anla�, uns �ber die nichts weniger als gastfreie Aufnahme zu beklagen, die uns zuerst im Hotel Majestic zuteil geworden war. W�ren die deutschen Marineoffiziere dort gut aufgenommen worden, dann h�tte vielleicht mancher von uns das Schicksal Dr. Lippes geteilt.

In der Nacht vom 26. zum 27. Oktober kehrte ich nach Br�ssel zur�ck.


42. Mein erster Abend in Bapaume.

Als ich am 27. Oktober im Hotel zu Br�ssel mein Fr�hst�ck einnahm, kam ein stattlicher Offizier gerade auf meinen Tisch zu. Er l�chelte schelmisch, ob ich ihn wohl wiedererkennen w�rde. Ja, nat�rlich, ich rief seinen Namen, ehe er noch ein Wort hervorgebracht hatte: Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg! Der Herzog geh�rt seit mehreren Jahren zu meinen Freunden. In der geographischen Welt hat er einen ber�hmten Namen wegen seiner gewissenhaft vorbereiteten, meisterhaft ausgef�hrten und gut und unterhaltend geschilderten afrikanischen Reisen. Jetzt war er Gouverneur von Togo, befand sich aber gerade auf Urlaub in Deutschland, als der Krieg ausbrach. Unter solchen Verh�ltnissen in Deutschlands gro�er Schicksalsstunde konnte er nicht nach Afrika fahren, und da er als Leiter einer Kolonie in der Heimat kein Kommando hatte, meldete er sich bei seiner alten Truppe, dem Gardekorps, das in Bapaume lag und zur sechsten Armee geh�rte, als Ordonnanzoffizier.

Wir unterhielten uns, bis er wieder zu seinem Korps zur�ckkehren mu�te. Das Ergebnis der Unterredung war, da� ich[S. 158] hoch und heilig versprechen mu�te, einige Tage in Bapaume sein Gast zu sein. Ich k�nne kommen, wann es mir passe, jederzeit. Dann nahmen wir bis auf weiteres Abschied.

Am 28. besichtigte ich mit General Bailer und Geheimrat von Lumm nochmals die Forts von Antwerpen, um photographische Aufnahmen zu machen. Am 29. sollte ich den Generalgouverneur an die Front in der Umgegend von Dixmuiden begleiten, ein Plan, dessen Ausf�hrung die Ankunft des K�nigs von Sachsen, der Antwerpen sehen wollte, durchkreuzte. Ich fa�te also einen kurzen Entschlu� und fuhr am 30. Oktober mit einem Auto, das Herr von Siemens, der Chef der Firma Siemens & Halske, selbst lenkte, nach Bapaume.

Ich hatte mich auch dort auf der Kommandantur zu melden und wurde wie gew�hnlich mit der gr��ten Freundlichkeit aufgenommen. Dann kam der Chef, ein alter bayrischer Oberst, der seinen Abschied genommen hatte, aber bei Kriegsausbruch wieder in Dienst getreten war. Und nun ging es aus einem andern Ton. �Was ist das dort f�r ein Zivilist? Was haben Sie hier zu tun? Woher kommen Sie? Sind Sie Zeitungsmensch? Ich werde schon herausbringen, was Sie f�r einer sind, und ob Sie die Erlaubnis haben, sich in Bapaume aufzuhalten.� Auf alle erdenkliche Weise versuchte ich, den Obersten zu beruhigen, aber er fuhr mich an wie ein richtiger Korporal. Als ich ihn ein paar Tage sp�ter wiedertraf, fragte er mich: �K�nnen Sie mir je verzeihen, da� ich neulich so grob zu Ihnen war?� — �Mein lieber Oberst,� erwiderte ich, �ich kann Sie versichern, da� es mir ein unbezahlbares Vergn�gen gewesen ist, einen bayrischen Kriegsmann in seiner vollen Kraft und Autorit�t zu sehen. Ich konnte ja ein Spion sein, und Sie hatten nur Ihrer Instruktion zu folgen.�

Darauf f�hrte mich ein Unteroffizier in das Haus, wo ich wohnen sollte. Ich hatte mich kaum eingerichtet, da klopfte es an meine T�r. �Entrez!� rief ich so neutral wie m�glich, und herein trat Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg. Jung, froh und[S. 159] herzlich hielt er mir beide H�nde hin und hie� mich in Bapaume willkommen. �Aber dies Zimmer ist zu klein.� — �Nein, es reicht vollkommen.� — �Sch�n! Wir nehmen die Mahlzeiten zusammen ein, ich bin jetzt mehrere Tage dienstfrei und werde Ihnen alles zeigen, was hierherum sehenswert ist.�

Dann plauderten wir, bis es Zeit war zum Abendessen im Offizierskasino. Als wir eintraten, waren schon alle versammelt. Am gro�en Tisch pr�sidierte Exzellenz von Plettenberg, kommandierender General des Gardekorps, Generaladjutant des Kaisers und ein alter Freund des schwedischen Generals Bildt. Ein gro�er, schlanker, wei�haariger Mann, ein echter Soldat, f�hlte er sich nirgends so wohl wie im dichtesten Kugelregen. Er setzte sich gleich den Feldmarsch�llen von Haeseler und von der Goltz unbedenklich den schlimmsten Gefahren aus, er konnte mitten in der Nacht zu den vordersten Sch�tzengr�ben gehen und in einer Entfernung von 200 Metern das franz�sische Gewehrfeuer auf sich lenken — nur um zu sehen, wie es den Soldaten ging, und sich pers�nlich davon zu �berzeugen, ob alles in bester Ordnung sei. Ein gro�artiger Zug nach meinem Daf�rhalten; denn der Mut des Heerf�hrers st�hlt den der Soldaten. General Plettenberg hatte eine frische, impulsive Art, war aber jetzt sehr ernst, wohl weil er k�rzlich einen Sohn im Kriege verloren hatte. Oft schwieg er lange und sa� nachdenklich am Tisch, dann aber blitzten pl�tzlich seine Augen, und er scherzte, wie gesundheitsgef�hrlich doch der Krieg sei; man sch�sse so fahrl�ssig, die Kanonen w�rden so unvorsichtig aufgestellt und die Granaten schl�gen manchmal gerade da ein, wo sich Menschen aufhielten.

Als der General die Gesellschaft zeitig verlie�, um an seine n�chtliche Arbeit zu gehen, lud der Herzog ein Dutzend fr�hliche Offiziere in sein Haus. Im Salon wurden die Zigarren angebrannt und sch�umender Wein geschenkt. Die Stimmung war gro�artig. Nirgends eine Verdrie�lichkeit bei diesen M�nnern, von denen viele noch am selben Tage dem Tod ins Angesicht geschaut hatten, aus Sch�tzengr�ben oder Luftschiffen oder auf gewagten[S. 160] Patrouillen. Hier waren Deutschlands vornehmste Familien vertreten. Bald debattierte man in kleinen Gruppen, bald war die Unterhaltung allgemein, laut, lebhaft, munter. Als aber ein Generalst�bler geradeswegs vom Generalkommando kam und die letzten Nachrichten vom �stlichen Kriegsschauplatz und von fernen Seek�mpfen brachte, da wurde es still, alle h�rten zu, und dann drehte sich die Unterhaltung um das ernste Wagespiel des Kriegs.

Unter den G�sten war der junge Erbprinz Friedrich von Hohenzollern, ein bartloser Held, durch verwandtschaftliche Bande mit nicht weniger als drei K�nigen verbunden. Er ist ein Neffe des K�nigs von Rum�nien, au�erdem mit dem ungl�cklichen K�nige von Belgien verwandt, und endlich Schwager des Exk�nigs Manuel von Portugal. Der Erbprinz war gem�tlich und voll witziger Einf�lle, lachte selbst aber niemals.

Ferner war unter den Anwesenden Herr Schoelvinck, der Direktor von Benz & Co. Jetzt stand er als Hauptmann im Felde. Er war einer von den vier Offizieren, die unter dem Schutz der wei�en Parlament�rflagge nach Reims entsandt wurden, um �ber die Kapitulation der Stadt zu unterhandeln. Sie wurden gefangen genommen und als Spione angesehen, und h�tten wahrscheinlich das �bliche Schicksal der Spione erlitten, h�tte sich der Kaiser nicht an den amerikanischen Gesandten in Paris gewandt, der ihre Freilassung erwirkte. �ber die Behandlung, die sie erfuhren, werden sie, denke ich, wohl sp�ter selbst dies und jenes zu berichten haben.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Schiffsgesch�tze bei Ostende.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Ein Blick in den zerschossenen Speisesaal des Hotels Majestic in Ostende.

Noch einer von den vier Parlament�ren war zugegen, der Freiwillige Carl Clewing, Mitglied des K�niglichen Schauspielhauses zu Berlin, ein entz�ckender Mensch voll Humor, Schauspieler und S�nger zugleich. Ein Schauspieler mit dem Eisernen Kreuz ist nicht gerade etwas Allt�gliches; aber was sieht man dieser Art nicht an der endlos langen deutschen Front! Clewing ist ein Lautens�nger im Stil Sven Scholanders; die beiden Troubadours hatten gerade im Herbst eine gemeinsame S�ngerfahrt unternehmen wollen. Aber in Clewings Ohren sollten[S. 161] andere T�ne klingen, die der Schrapnells, und auf einer andern B�hne sollte er auftreten als auf der des Schauspielhauses! Er klagte nicht �ber den Tausch; fr�her hatte er als Schauspieler und S�nger Freude verbreitet, nun ging von ihm auch der Glanz des Kriegers aus, der tapfer f�r sein Vaterland gek�mpft hat.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Stabsarzt Dr. Sch�nfelder und der Verfasser in den D�nen.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Artilleriestellung bei Ostende.

Von der Laute hatte ihn aber nicht einmal der Krieg ganz zu trennen vermocht. Er hatte sein Saitenspiel bei sich, setzte sich mitten unter uns auf einen Stuhl, sah sein Publikum an und lachte schelmisch. Er sang franz�sische Chansons, sang deutsche Soldatenlieder aus alter Zeit, sang Winterweisen aus dem Jahre 1530 und �Die goldene Kugel�, komponiert von ihm selbst. Aber das Beste war doch, da� er mich mit Bellmann �berraschte. Er sang ein paar von Fredmans Episteln in Niedners �bersetzung:

Weile an dieser Quelle!
Sieh! Unser Fr�hst�ck ist zur Stelle:
Rotwein und Pimpinelle
Und Bekassinchen zart und fein!

Und dann sang er ein frisches, hinrei�endes Soldatenlied; der Text war vermutlich von ihm selbst, die Melodie aber die unseres bekannten Liedes: �Es gingen drei M�dchen im Sonnenschein�, und in den Refrain: �Trarallalalala�, stimmten alle deutschen Offiziere mit so wildem Entz�cken ein, da� die Leuchter klirrten und die Ofenklappen rasselten.

So ging der Abend hin, unmerklich �berschritt die Zeit die Mitternachtsstunde, und sie war in die N�he des zweiten Glockenschlags ger�ckt, als wir zum letztenmal in den Refrain einstimmten: �Trarallalalala, trarallalalala, trarallallallallallallallalla�.


43. An der Front bei Lille.

Am Morgen des 30. Oktober bestiegen wir das Auto des Herzogs, um zur Feuerlinie zwischen Lille und Armenti�res hinauszufahren. Wir waren zu viert: Am Steuer der Chauffeur des Herzogs, neben ihm der Erbprinz von Hohenzollern, das Signalhorn besorgend, der Herzog und ich. Es hatte geregnet. Die[S. 162] Landwege waren schrecklich, die Chausseen schl�pfrig und gef�hrlich, und �ber dem nord�stlichen Frankreich lag k�hler Nebel.

Zun�chst bogen wir auf die gro�e Landstra�e nach Arras ein und behielten diesen Kurs bei, solange man ruhig fahren konnte, ohne gerade totgeschossen zu werden. Bei dem zusammengeschossenen und verbrannten Boiry bogen wir rechts ab, verloren aber in dem Gewirr von Dorfstra�en den Kurs. In Croisilles waren wir wieder auf dem rechten Weg. Hier zeigten sich Flaggen des Roten Kreuzes, Schwerverwundete wurden in die Krankenh�user getragen. Eine Kolonne leichte Feldhaubitzen rollte nach Arras. Auf dem Felde nahmen Soldaten friedlich Kartoffeln aus, und in ihrer N�he waren alte M�nner, Frauen und Kinder mit der Ernte von Zuckerr�ben besch�ftigt, die hier viel angebaut werden.

Endlich sind wir auf der gro�en Stra�e zwischen Cambrai und Douai. �ber Pont-�-Marcq kommen wir bis an den �u�eren Fortg�rtel von Lille heran und dann nach wenigen Minuten durch die Porte Douai in die Stadt hinein. Der Stadtteil in der N�he dieses Tores liegt in Tr�mmern.

Im �brigen ist Lille ganz unversehrt. Man kann stra�auf, stra�ab fahren, ohne irgendwo eine Wirkung des Granatfeuers zu sehen. In der Mitte der Stadt sind die Stra�en obendrein belebt, und viel Volk ist unterwegs. Junge Damen von unzweifelhaftem Ruf schweben in modernen Kost�men �ber die Fu�steige wie Schmetterlinge. Viele Gesch�fte und Hotels sind offen und in Betrieb, als wenn nichts geschehen w�re. Das einzige, was an den Krieg erinnert, ist au�er den zerst�rten Stadtteilen das deutsche Milit�r — Reiter, Wagen und Kolonnen.

Hinter dem Dorf Lomme fahren wir weiter in der Richtung nach Armenti�res. Rechts und links W�ldchen, G�rten, Parks, Geh�fte und D�rfer; der Weg ist schmal und aufgeweicht. Eine gut maskierte Batterie ist in voller T�tigkeit. Von der feindlichen Seite kommt der Kanonendonner immer n�her, wird aber meist von dem steten Surren des Automobils �bert�nt. Nur wenn wir die Fahrt verlangsamen oder halten, scheint der Donner[S. 163] beunruhigend nahe zu sein. Bei einem Landgut, vielleicht einem Herrensitz, lag etwa 100 Meter n�rdlich der Stra�e ein W�ldchen kaum bis zur H�lfte entlaubter B�ume. In voller Schnelligkeit fuhren wir, sahen aber gl�cklicherweise einen jungen Leutnant und zwei oder drei Soldaten, die unter den B�umen standen, uns verzweifelte Zeichen machten und so laut als ihre Lungen es vermochten, �Halt!� riefen.

Wir hielten sofort, so schnell das bei der raschen Fahrt m�glich war, und gingen �ber eine sumpfige Wiese zu dem Leutnant hin, der an einem Tisch mit Karten, Schmiegen, Federn, Ferngl�sern usw. stand, und h�rten, jeder Schritt weiter in dieser Richtung sei lebensgef�hrlich. Und er schien recht zu haben: es klang, als w�ren wir von allen Seiten vom Feuer umgeben! Vor uns, auf einer Linie von Nordnordost nach S�ds�dwest, lagen die n�chsten deutschen Sch�tzengr�ben; deutsche Artilleriestellungen waren vor, hinter und neben uns. Die Batterie, an der wir eben vor�bergefahren waren, entsandte ihre vollen Ladungen, ihre Geschosse pfiffen nur so �ber die Baumwipfel. Vor uns im Norden, Westen und S�dwesten donnerten franz�sische Batterien. Wir waren wie in einem Ring von Kanonen, die einander laute Liebensw�rdigkeiten zuriefen.

In n�chster N�he des W�ldchens stand eine Batterie von 15-cm-Haubitzen, zwischen B�umen und B�schen vortrefflich versteckt; man sah sie erst aus n�chster N�he. Die Kanonen waren zum Teil mit Laub bedeckt, damit sie nicht von obenher erkannt w�rden; Munitionsvorrat, H�tten und Proviant der Bedienung war ebenso sorgf�ltig verborgen. Zum Schutz gegen feindliches Feuer hatten die Leute unterirdische H�hlen. Aber jetzt sa�en sie oben bei ihren Gesch�tzen in voller Bereitschaft. �Warum schie�en Sie nicht?� fragte ich. �Dort �ber dem W�ldchen�, antwortete der Leutnant und zeigte nach S�dwesten, �kreist ein franz�sischer Flieger, jedenfalls will er unsere Batterie feststellen. Wir haben wahrscheinlich auf der franz�sischen Seite Schaden angerichtet, und nun suchen sie uns, bisher aber vergeblich. Die[S. 164] feindlichen Granaten krepieren s�dwestlich von hier in einem Abstand von nur 500 Metern. Noch gehen sie nicht bis hierhin, aber sie kommen n�her und k�nnen die Batterie jeden Augenblick erreichen. Wenn wir jetzt schie�en, w�hrend der Flieger in der Luft ist, dann h�tten wir bald das feindliche Feuer �ber uns.�

Der Flieger zog ein ums andere Mal seine Kreise rings um das W�ldchen. Solange wir an dem Beobachtungsplatz des Leutnants verweilten, kreiste er �ber demselben Fleck; er suchte offenbar die Antwort auf eine ganz bestimmte Frage. Jedenfalls sollte die Projektion seiner Flugbahn auf dem Erdboden das Ziel f�r die feindlichen Granaten angeben; auch schien er mit Flaggen und mit wei�em und rotem Licht Signale zu geben. Die Batterien, die an diesem Teil der Front den Deutschen gegen�berstanden, sollten alle englische sein.

Der Leutnant und die Soldaten auf dem Beobachtungsplatz und an der Batterie verfolgten die Bewegungen des Fliegers mit gr��ter Aufmerksamkeit, und unter den B�umen standen besondere Wachen, die �Halt!� rufen mu�ten, falls jemand in der N�he ging oder sich r�hrte, w�hrend der Flieger seinen Aeroplan so steuerte, da� er freie �bersicht auf dieser Seite hatte. Wenn er aber langsam umgekehrt war und uns den R�cken wandte, durften wir uns wieder frei bewegen. Doch war sein Kreis nur klein, und wer von der Batterie zum Beobachtungsplatz ging, mu�te sich beeilen, denn bald war der Feind wieder da, und man lief Gefahr, entdeckt zu werden.

Bei den Haubitzen hatten die Artilleristen jetzt nichts zu tun. Bei der einen fr�hst�ckten sie, bei einer andern las ein Soldat laut aus der Zeitung vor. Zu ihrem gro�en Vergn�gen machte ich ein paar Aufnahmen von ihnen. Als der Flieger uns dann wieder den R�cken zukehrte, gingen wir schnell im Schutz der B�ume �ber die Wiese zum Auto zur�ck.

Um nach Hause zu fahren, war es noch zu fr�h; wir konnten noch der Front im Nordwesten einen Besuch abstatten. Deshalb kehrten wir nach der Au�enlinie von Lille zur�ck und schlugen dann die Stra�e nach St. Andr�, Verlinghem und Quesnoy ein. In[S. 165] St. Andr� lag das Oberkommando des Korps; hier machten wir halt, und der Herzog fragte den kommandierenden General, wie weit wir in dieser Richtung fahren k�nnten. Bis Quesnoy und noch ein St�ck weiter; vielleicht k�nnten wir auch die �sterreichischen 30,5-cm-Kanonen in T�tigkeit sehen!

Wir fuhren in der angegebenen Richtung und �berholten verschiedene gro�e Kolonnen, die die Front mit immer neuem Material und neuem Proviant versehen. Wachtposten wiesen uns auf die Stra�e zur �sterreichischen Batterie. Die Stra�e war nicht gerade breit; in der Mitte war sie gepflastert, zu beiden Seiten aber lief ein ungepflasterter, etwa drei Meter breiter Streifen, der bei dem jetzigen Wetter einem Schlammbad glich. Der Verkehr war lebhaft, schnelles Fahren also unm�glich. Ein St�ck weiter vorn erreichten wir die hintersten Automobile von der gewaltigen Kolonne der M�rserbatterie. Die beiden M�rser waren am weitesten vorn, der Zug hielt und nahm die rechte H�lfte des Weges ein. Wir stiegen daher hinter der Kolonne aus und gingen zu Fu� weiter.

Der Weg lag gut einen Meter h�her als das Feld rechts. Von links her, von S�dwesten, wurde t�chtig in der Richtung auf uns geschossen. Ein ums andere Mal krepierten Schrapnells in unserer N�he, und unaufh�rlich bildeten die Explosionen am Himmel kleine wei�e W�lkchen, aus deren Kern ein Blitz aufflammte. Dann wu�ten wir, da� der Schrotkegel unterwegs war. In Hockstellung suchten wir daher Schutz hinter dem Weg und den Automobilen der Batterie. Wir waren mitten im Feuer und konnten jeden Augenblick getroffen werden. Unsere Deckung war durchaus ungen�gend, denn die Wagen standen einige Meter voneinander entfernt, und im �brigen h�tte ein Schu� bequem durch mehrere von ihnen hindurchgehen k�nnen.

Je weiter wir vorkamen, desto h�ufiger schienen die Explosionen zu werden. Da trafen wir einen Offizier, der uns mitteilte, die �sterreichische Batterie sei nicht in T�tigkeit, und weiterzugehen sei mehr als gef�hrlich. Wahrscheinlich hatte man durch Flieger die Kolonne festgestellt und sie zum Ziel f�r das Feuer mehrerer[S. 166] Batterien genommen. Das h��liche Pfeifen durchschnitt die Luft, man scho� sich auf die M�rser und ihre Wagen ein. Wir hielten es daher f�r das kl�gste, diese gef�hrliche Stelle zu verlassen.

Wie wir eben zu unserm Automobil auf die Landstra�e hinaufgekommen waren, erhielten wir von der englischen Batterie eine ganze Salve. Die vier Sch�sse erfolgten in kurzen Zwischenr�umen, alle vier schienen unser Auto zu suchen. Das erste Schrapnell krepierte etwa zwanzig Meter hoch �ber dem Felde und gerade vor uns und dem Automobil. Ich hatte das deutliche Gef�hl, mich mitten in seinem Schrotkegel zu befinden und war erstaunt, da� ich nicht pl�tzlich irgendwo in meinem K�rper einen Schmerz f�hlte. Die zwei folgenden Sch�sse krepierten etwas seitw�rts von dem ersten. Der vierte kam besonders nahe. Es ist, als h�rte man den Tod pfeifen, wenn ein solches Dings gerade auf einen zukommt. Wir h�rten ihn — er kam von S�dwesten. Wo er flog, schien die Luft zu zischen und zu brennen. Das Pfeifen kam n�her, ging �ber uns weg und verklang hinter uns. Wir b�ckten uns alle drei. Die Bewegung macht man ganz unwillk�rlich, und auch Offiziere, die schon im Feuer gewesen sind, wenden diese Vorsichtsma�regel an. Mit der Zeit aber gew�hnt man sich das ab, wenn man sich klar gemacht hat, wie nutzlos es ist, Schrapnells aus dem Wege gehen zu wollen. Ich h�rte sp�ter Artillerieoffiziere sagen, wenn man das Pfeifen ganz in der N�he vern�hme und das Gescho� unmittelbar vor sich glaube, dann sei es bereits vor�ber.

In welcher H�he wohl das Gescho� �ber uns hingegangen war? Der Herzog sch�tzte den Abstand auf etwa 8 oder 10 Meter, der Erbprinz auf h�chstens 15. Mir schien es so nahe gewesen zu sein, da� es meine M�tze h�tte streifen k�nnen. Das Merkw�rdigste aber an diesem freundlichen Gru� der Engl�nder war, da�, w�hrend die drei ersten Geschosse explodiert waren, das vierte gar nicht krepierte. W�re das geschehen, dann h�tten wir aller Wahrscheinlichkeit nach alle drei dagelegen! Das Gescho� ging in einiger Entfernung hinter uns in den weichen Boden hinein und,[S. 167] wie ich zu h�ren glaubte, mit einem Laut, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft.

Gew�hnlich ist es eine Weile still, wenn eine Batterie ihre vier Sch�sse abgegeben hat. Hat man ein Auto oder ein Pferd zur Hand, so sucht man einen sichereren Platz, wenn man nicht von der ersten Feuertaufe so abgeh�rtet ist, da� man sich nicht weiter darum k�mmert. Wir konnten als sicher annehmen, da� wir so lange Zeit Ruhe hatten, als die Engl�nder brauchten, um zu laden, und hielten es f�r das beste, uns etwas zur�ckzuziehen. Der Herzog, ein ungew�hnlich kaltbl�tiger Mensch, meinte doch, er wolle mein Leben nicht auf dem Gewissen haben, zum allerwenigsten jetzt, wo ich sein Gast sei.

Wir nahmen also wieder unsere Pl�tze ein und fuhren zur�ck. Rechts von uns pfiff es zuweilen in den Baumwipfeln und eine Explosion erfolgte wie von einem Feuerwerksk�rper. Dann begegneten wir einer Munitionskolonne, der wir in den Schlamm hinein ausweichen mu�ten. Solange wir geradeaus fuhren, ging das; als wir aber hinter der Kolonne wieder auf das Pflaster hinaufwollten, schleifte das Rad, und das Auto fuhr sich in dem Morast fest! Seine Absicht schien zu sein, uns noch mehrere englische Gr��e zu verschaffen! Schlie�lich war nichts anderes zu tun, als auszusteigen, bis das erleichterte Auto wieder aufs Pflaster hinaufkam. Dann ging es weiter nach Lille und von da nach Bapaume zur�ck, wo wir bei Einbruch der Dunkelheit ankamen.


44. Die B(apaumer) Z(eitung) am Mittag.

Bapaume hat auf seinem kleinen Marktplatz ein Rathaus, das f�r ein Landst�dtchen eine ganz pr�chtige, auf einer Arkade in gotischem Stil errichtete Fassade hat. An einer S�ule h�ngt eine Anschlagtafel, auf der t�glich die letzten Kriegsnachrichten zu lesen sind. In Bapaume erscheint n�mlich eine am Orte gesetzte und gedruckte Zeitung, die �B(apaumer) Z(eitung) am Mittag�, deren Redakteur Herr Clewing ist. Sie erscheint in einer Auflage[S. 168] von 600 Exemplaren, immer nur eine Seite mit gro�en Lettern auf gelbem, d�nnen Papier.

Die �Bapaumer Zeitung am Mittag� befolgt die gleichen ehrlichen Grunds�tze wie die ganze deutsche Presse, die ihre gro�e Verantwortung gegen�ber der Nation und der k�mpfenden Armee wohl erkannt hat. F�r die Soldaten, die Tag und Nacht die schwerste Last zu tragen haben und f�rs Vaterland ihr Leben hingeben, ist nur die Wahrheit, die reine, klare Wahrheit gut genug. In den L�ndern der Entente hat die Presse noch eine besondere und sehr wichtige Aufgabe, die der deutschen Presse nicht obliegt, n�mlich die, den Mut der Soldaten anzufeuern und die Hoffnungen der Masse des Volkes aufrechtzuerhalten. Da nun frohe Nachrichten dort sehr d�nn ges�t sind, werden sie in den Redaktionen der verschiedenen Zeitungen fabriziert. Die deutsche Presse braucht nicht den Mut der Nation anzufeuern, er brennt in klarer, reiner Flamme! Das deutsche Volk verlangt von seiner Presse, die ganze Wahrheit zu erfahren, sei sie nun gut oder schlimm. Gute Nachrichten werden nicht aufgebauscht, schlimme nicht untersch�tzt. Die ganze Nation will �ber alle Kriegsschaupl�tze gut orientiert sein und ihre Zukunftspl�ne nicht auf einem auf die Dauer doch unhaltbaren Gewebe von L�gen aufbauen. Ist es verkehrt gegangen, so ist es am besten, man erf�hrt das Ungl�ck in seinem ganzen Umfang, um die Sch�den wieder gutmachen und sie in Zukunft vermeiden zu k�nnen. In Deutschland verl��t sich das Volk auf die Wahrhaftigkeit und das Verantwortlichkeitsgef�hl der Presse. Da str�men die Freiwilligen zu Hunderttausenden unter die Fahnen, ohne da� K�nste und F�lschungen angewandt werden m�ssen. Sie treibt der germanische Geist, Nationalstolz, Pflichtgef�hl und Ehrgeiz. Nicht ein Waffenf�higer zaudert, hinauszuziehen und zu sterben; denn das ist allen klar: will die Vorsehung, da� Deutschland untergeht, so soll wenigstens der letzte Deutsche auf der letzten Schanze gefallen sein, wenn die Wellen �ber dem Wrack zusammenschlagen. Deshalb hat in diesem Krieg die Presse der Zentralm�chte eine viel[S. 169] leichtere Aufgabe als die Presse der feindlichen L�nder. Sie hat nur den Verlauf der Ereignisse zu registrieren und die Neuigkeiten aus Ost und West und von fernen fremden Meeren mitzuteilen; sie braucht aber nicht zu dem ehrlosen Mittel zu greifen, ihre Leser zu betr�gen und mit erdichteten Siegesnachrichten neue Scharen in die Werbelokale zu treiben.

Jeden Tag, sobald die �B. Z. am Mittag� erschienen ist, versammelt sich vor der Anschlagstafel des Bapaumer Rathauses eine Gruppe eifrig lesender Soldaten. Es ist erfrischend, sie zu beobachten. Zigaretten oder Pfeifen im Munde, die H�nde in den Hosentaschen, lesen sie langsam und genau. Noch sind kaum andere als frohe Nachrichten zu melden gewesen, aber die Soldaten bewahren ihre Ruhe. H�chstens kann man ein schwaches L�cheln bemerken oder ein Aufblitzen in den Augen. Dieselbe Ruhe zeigen sie, wenn einmal eine betr�bende Nachricht gebracht wird, zum Beispiel da� ein Kriegsschiff verloren gegangen ist.

Zuweilen sieht man Soldaten, die sich nicht damit begn�gen, zu lesen — sie schreiben gleich die ganze Zeitung in ihre Notizb�cher ab. Weshalb? Wahrscheinlich sind sie nach der vordersten Front unterwegs, nach den Sch�tzengr�ben, wo sie ihren von der Welt abgeschlossenen Kameraden den Inhalt der Telegramme mitteilen wollen. —


45. Im Sch�tzengraben.

In der letzten Oktobernacht war es unm�glich, die Besatzungen der Sch�tzengr�ben bei dem Dorfe Monchy-au-Bois, nicht weit von Bapaume, in der �blichen Weise zu wechseln. Blo� ein Mann oder ein paar konnten auf einmal zu den Gr�ben kriechen. Wenn der Mond nicht scheint oder die Gegend in Nebel geh�llt ist, k�nnen die Soldaten truppweise vorgehen; heute nacht aber waren sie der Gefahr ausgesetzt wie am Tage und mu�ten die gr��te Vorsicht beobachten.

Auch dem kaltbl�tigsten Soldaten mu� es seltsam vorkommen, wenn er auf Fu�spitzen und Ellenbogen durchs Gras kriechen soll,[S. 170] zumal da er noch das Gewehr zu schleppen hat. Er mu� zuweilen haltmachen, teils weil er m�de wird, teils um nach dem Graben auszuschauen und zu lauschen. Dann kriecht er wieder ein St�ck vorw�rts und lauscht wieder. Alles ist still, aber jeden Augenblick kann ein Schu� knallen, k�nnen die Kugeln pfeifen. Schlie�lich liegt der Sch�tzengraben vor ihm wie eine dunkle Linie. Wird er hinkommen, ohne von den Franzosen entdeckt zu werden? Er dr�ckt sich immer n�her an den Boden heran und bewegt sich immer vorsichtiger und langsamer. Jetzt fehlen noch 20 Meter — jetzt nur noch 10. Der Graben liegt scharf gezeichnet vor ihm, noch ein Katzensprung trennt ihn davon. Und doch ist der Abstand ungeheuer, denn hier ist die Gefahr am gr��ten! Auf den Graben selbst halten die franz�sischen Wachtposten und Patrouillen vor allem ihre Aufmerksamkeit gerichtet. Diese zwei Meter tief und einen Meter breit ins Feld gegrabene Furche ist voll von bewaffneten, wachenden M�nnern — aber kein Laut ist zu h�ren, kein lebendes Wesen, kein Schein eines vorsichtig abgeblendeten Feuers zu sehen. Kein Duft einer Zigarette, wohl aber andere Ger�che, die Menschen anzeigen. Endlich hat der Soldat blo� noch einen Meter. Es ist still auf der franz�sischen Seite — lautlos wie eine Katze schl�pft er �ber den Rand und ist gerettet. Nun kann einer seiner Kameraden seinen Platz verlassen und unter denselben Vorsichtsma�regeln in die unterirdischen H�hlen hinter den Sch�tzengr�ben zur�ckkriechen, wo er seine warme Suppe erh�lt und dann schlafen, schlafen, schlafen kann wie ein Toter!

Der Abgel�ste hat 48 schwere Stunden hinter sich. Nachts oder bei Nebel m�ssen er und seine Kameraden sich wachhalten, denn dann ist die Gefahr eines �berfalls am gr��ten. Der eine oder der andere kann wohl eine Weile schlummern, aber mancher Wachtposten darf �berhaupt nicht schlafen, wenn ihm das Leben lieb ist. Tags�ber kann die Mehrzahl in ihren H�hlen schlafen, aber auch da sind immer Wachen ausgestellt.

In die dem Feind zugekehrte Wand des Grabens sind schalenf�rmige Aush�hlungen oder Nischen eingegraben, die gegen das[S. 171] Feuer Schutz gew�hren. Es kann aber vorkommen, da� eine Granate in die andere Wand einschl�gt, und dann sind die Soldaten verloren. Deshalb gr�bt man auch hier und da Grotten, ja geradezu unterirdische Zimmer, die zuweilen so luxuri�s eingerichtet sind, da� sie Vorh�nge vor dem Eingang haben. An den W�nden der Kammern ist Stroh f�r Schlafpl�tze aufgeschichtet, und nicht selten wird der kleine Zeltstreifen, den jeder Soldat bei sich hat, als Decke benutzt. Ist der Abstand zwischen den Sch�tzengr�ben, wie hier, nur achtzig Meter, so darf, selbst in den unterirdischen H�hlen, kein Licht angez�ndet werden, noch weniger Feuer, weshalb die Luft recht kalt und feucht wird. Betr�gt aber der Abstand drei- oder vierhundert Meter, dann darf Licht brennen.

Die Soldaten haben Proviant bei sich, aber es kann vorkommen, da� sie durch heftiges Feuer von aller Verbindung abgeschnitten werden und dann einen oder mehrere Tage hungern m�ssen. Aber auch dieses Ungl�ck nehmen sie mit gutem Humor hin.

Bei Regen werden die Sch�tzengr�ben entsetzlich. In Belgien sah ich das schon. Das Regenwasser sammelte sich in ihnen an; halb angef�llt mit graugelbem Wasser und Lehmschlamm, �hnelten sie Abzugsgr�ben neben einem Acker. General von Winckler erz�hlte, seine Leute h�tten 24 Stunden bis ans Knie im Wasser gestanden, ohne zu klagen und ohne krank zu werden. Wenn sie zur�ckkehrten, schildern sie ihren Kameraden ihre Erlebnisse mit unverw�stlichem Humor. Man sollte meinen, die Leute w�rden mi�mutig, wenn sie 24 Stunden lang im Wasser liegen. Aber bei den deutschen Soldaten kommen verdrie�liche Mienen nicht vor. Um der �berschwemmung abzuhelfen, lie� der General Ablaufgr�ben graben, durch die das Regenwasser nach Zisternen geleitet wurde.

An manchen Stellen wird die Verbindung mit den Sch�tzengr�ben durch Laufgr�ben erleichtert, die von einem geeigneten, im Gel�nde verborgenen Punkt im Zickzack dorthin f�hren und den Mannschaftswechsel in hohem Ma�e erleichtern.

Die Sch�tzengr�ben verlaufen nicht in geraden Linien, wenn nicht etwa, wie s�dlich von Antwerpen, das Land v�llig eben ist.[S. 172] Sonst richten sie sich nach den Formen des Bodens. Im allgemeinen werden sie so angelegt, da� sie nach dem Feinde zu freie Aussicht haben und �berrumpelungsversuche erschweren. Ein Sch�tzengraben hat daher gew�hnlich eine sehr unregelm��ige Form, er gleicht einer Kurve mit Ausbuchtungen nach vorn und hinten. Oft zerf�llt er auch in mehrere kleine Sektionen. Den Zwischenraum zwischen den verschiedenen Teilen f�llen Stacheldrahtnetze und andere Hindernisse aus. Oft ist ein Sch�tzengraben dem Artilleriefeuer besonders ausgesetzt; wenn er in einer stark gewellten Linie verl�uft, k�nnen einzelne Strecken den Bahnen der feindlichen Geschosse parallel liegen und von dem Artilleriefeuer buchst�blich reingefegt werden. Um sich dagegen zu sch�tzen, graben die Soldaten sogenannte Traversen, ganz kurze Zweiggr�ben, die sich von dem gro�en Sch�tzengraben im rechten Winkel abzweigen. Zu diesen Schutzg�ngen nehmen die Soldaten ihre Zuflucht, wenn das Feuer auf den Hauptgraben eingestellt ist.

Wenn man wie bei Monchy-au-Bois auf Grund des allgemeinen strategischen Plans lange Zeit stillgelegen hat — hier seit dem 6. Oktober —, so hat man Zeit und Gelegenheit, an den Sch�tzengr�ben, Traversen und den unterirdischen H�hlen Verbesserungen und Erweiterungen vorzunehmen.

Auf der dem Feinde zugewandten Seite der deutschen Sch�tzengr�ben bei Monchy-au-Bois laufen breite G�rtel von Stacheldrahtnetzen und tiefe Wolfsgruben mit spitzen Pf�hlen auf dem Grund. Solche Verteidigungswerke, die blo� an einigen Stellen von offenen Passagen unterbrochen werden, lassen sich nur im Dunkel der Nacht oder bei Nebel errichten, aber auch unter g�nstigen Verh�ltnissen ist die Arbeit mit Lebensgefahr verbunden, nicht zum wenigsten wegen der Patrouillen, die des Nachts umherstreifen und sich nat�rlich gerade auf dem schmalen Streifen zwischen den deutschen und den franz�sischen Sch�tzengr�ben bewegen. Ihre Aufgabe ist, sich �ber die Verteidigungswerke der Feinde zu orientieren. Erst wenn die Patrouillen erfolgreiche n�chtliche Streifz�ge unternommen haben, l��t sich ein Angriff[S. 173] wagen. Bei Monchy sollen die Franzosen mehr Angriffe gemacht haben als die Deutschen, und die Massen von Leichen, die zwischen den Sch�tzengr�ben lagen und einen unertr�glichen Geruch verbreiteten, waren daher zum gr��ten Teil Franzosen. Oft geschieht es, da� sich Patrouillen beider Parteien begegnen, dann entsteht sofort ein Kampf auf Leben und Tod, bis die eine Partei zur�ckgeht. Den Verwundeten helfen ihre Kameraden, sich in den Sch�tzengraben zu retten, aber die Toten bleiben liegen und verpesten die Luft, denn niemand kann sich ihnen ohne Lebensgefahr n�hern. Solche kleine Scharm�tzel fanden bei Monchy jede Nacht statt.

An einer Stelle, nahe von Monchy, sollen Franzosen und Deutsche in einem und demselben Graben liegen. Eine franz�sische Patrouille hatte sich im Dunkel der Nacht verirrt und zu einem zuf�llig leeren Teil eines deutschen Sch�tzengrabens ihre Zuflucht genommen. Als sie ihren Irrtum bemerkte, errichtete sie in dem Graben selbst nach beiden Seiten Erdw�lle, und von diesen W�llen aus hatten sich die Gegner in einem Abstand von wenigen Schritten beschossen. Ich wei� nicht, wie es den Franzosen zuletzt ergangen ist; wahrscheinlich waren sie verloren. Ihre Stellung war absolut unhaltbar, und bestenfalls mu�ten sie sich gefangen geben, wenn der Proviant ausblieb.

Nat�rlich sind die Verh�ltnisse in den Sch�tzengr�ben sehr verschieden. Liegen sie weit voneinander entfernt, so sind die Verbindungen leichter und das Leben ist in ihnen ertr�glicher, nicht zum wenigsten deshalb, weil man sie leichter reinhalten kann. Bei Monchy-au-Bois sollten die Zust�nde in diesen unterirdischen Wohnungen unbeschreiblich sein. Um so mehr ist der frohe, frische Mut, die Bereitwilligkeit und die Opferwilligkeit der Soldaten zu bewundern. Wenn sich einer �ber K�lte oder Verpflegung unter der Erde beklagen wollte, w�rde er von seinen Kameraden ausgelacht und gescholten werden, aber ich h�rte nicht, da� sich solch ein Fall ereignet h�tte.

In einem Dorf in der N�he hatte Prinz Eitel Friedrich sein[S. 174] Quartier. Man erz�hlte, er wohne in einem ziemlich zusammengeschossenen Bauerngut und lebe nachts auf dem Felde, immer dem Feuer ausgesetzt. Alle priesen seinen Mut, seine Energie und seine hervorragenden Eigenschaften als Mensch und Soldat.


46. Allerseelen.

Seit tausend Jahren wird in der katholischen Kirche am 2. November das Allerseelenfest gefeiert zur Erinnerung an die Toten und als Mahnung f�r die Lebenden, zu Gottes Thron F�rbitten f�r die Seelen hinaufzuschicken, die im Fegefeuer schmachten. In den Kirchen wird eine Messe f�r die Verstorbenen gelesen, und auf den Kirchh�fen werden die Gr�ber mit Kr�nzen und Blumen geschm�ckt.

In der Stadtkirche von Bapaume wurde am Sonntag, 1. November, eine deutsche Allerseelenfeier zur Erinnerung an die gefallenen Soldaten abgehalten. Der Herzog und ich begaben uns rechtzeitig zum Gottesdienst. Wir fanden aber die Kirche bereits gedr�ngt voll von 4000 Soldaten. Wir bahnten uns einen Weg zum Chor, wo uns zwei St�hle in einer Gruppe von Offizieren angewiesen wurden.

Die alte Kirche macht einen wahrhaft gro�artigen und pr�chtigen Eindruck. Wenn man Platz genommen hat, betrachtet man zun�chst das Gotteshaus mit seinen hohen, gotischen W�lbungen und seinen sch�nen Fenstern. Zu beiden Seiten des m�chtigen Langschiffs werden schmale Seitenschiffe von soliden S�ulen getragen. Die W�nde sind mit gro�en Gem�lden, wahrscheinlich von zweifelhaftem Kunstwert, geschm�ckt. Durch die gemalten Fenster sickert das Sonnenlicht herein und f�llt in allen Farben des Regenbogens auf die wei�en S�ulen. Man ist erstaunt dar�ber, da� eine Stadt von wenig mehr als 3000 Einwohnern eine Kirche braucht, die 4000 Mann fa�t! Aber an den gro�en Festen versammelt dieses Gotteshaus die Bev�lkerung der ganzen Umgegend.

Alle B�nke sind �berf�llt, in allen G�ngen stehen die Soldaten dicht gedr�ngt, die Helme im Arm. Man sieht katholische Schwestern[S. 175] in ihren schwarzen Trachten, wei�en Hauben und Rote-Kreuz-Binden. Das Milit�r ist ohne Waffen, man h�rt keine S�bel rasseln. Niemand wird zum Gottesdienst kommandiert, es steht den Soldaten frei, die Kirchzeit zu verbringen, wie sie wollen. Und doch ist die Kirche bis auf den letzten Platz gef�llt. Diese abgeh�rteten Krieger f�hlen das Bed�rfnis, Gottes Wort zu h�ren, bevor sie dem Tode entgegengehen.

Als ich meine Blicke von dem erh�hten Platz auf dem Chor �ber das Langschiff schweifen lie�, f�hlte ich mein Herz im Takt mit den 4000 S�dgermanen schlagen. Rotb�ckig und sonnenverbrannt standen sie da, ein Bild gesammelter Manneskraft, eisenharten Willens und dem�tigen Glaubens an Gottes Hilfe. Ihre feldgrauen Uniformen hatten meist durch die Ber�hrung mit der Erde in den Sch�tzengr�ben und unterirdischen Wohnungen einen Ton erh�hter Echtheit erhalten; hier und da sah man auch die dunkelblauen Uniformen der bayrischen Landsturmleute.

Der festliche Schmuck der Kirche war das Verdienst dieser Landsturmleute. Der Chor bildete eine einzige Laube von Blattpflanzen, und an allen Pfeilern hingen gro�e, gr�ne, zum Ged�chtnis der Gefallenen gewundene Kr�nze. Das Merkw�rdigste war aber doch die Achtung, die die guten Bayern einer kleinen Statue der Jeanne d'Arc gewidmet hatten, die links am Chor stand, innerhalb des Triumphbogens. An und f�r sich hatte dieses Gipsbild der 17j�hrigen Jungfrau von Orleans gar nichts Merkw�rdiges an sich. Sie war so, wie man sie an vielen andern Orten sieht. Sie stand k�niglich aufgerichtet in ihrer R�stung und hielt in ihrer Hand die wei�e, liliengeschm�ckte Fahne, und doch konnte ich meine Blicke nicht von ihr wenden. Sie schien die deutschen Soldaten im Langschiff zu betrachten, und ihre Lippen umspielte ein ironisches L�cheln.

Wie war sie hierher gekommen? Zwar war sie von Leo XIII. vor 20 Jahren selig gesprochen worden. War sie unterdes auch in die Schar der Heiligen aufgenommen? Jedenfalls war sie in diesem Teil Frankreichs Gegenstand tiefster Verehrung. Da� sie[S. 176] nicht zum Schmuck der Kirche selbst geh�rte, konnte man sehen, denn sie stand auf einem d�rftig mit einen Tuch drapierten Kasten. Als der Krieg wie eine finstere Gewitterwolke �ber Frankreich hing, hatte man sie in die Kirche getragen, und die Gl�ubigen waren vor ihr niedergekniet und hatten sie gebeten, ihren Geist und ihre siegreiche Hilfe den Franzosen zu schenken. Die B�rger von Bapaume hatten ihr, um sie zu gewinnen, zahlreiche Lichter geschenkt, die vor dem Bild befestigt waren. Und nun kommt das Merkw�rdigste: Die guten Bayern hatten ihr einen Hintergrund von hohen Topfpflanzen gegeben und alle Lichter angez�ndet, dieselben Lichter, die brennende Gebete um Sieg �ber die Deutschen sein sollten!

Die Jungfrau hatte sicher einen anderen und tieferen Grund, �ber die Torheit der Menschen zu l�cheln. Zu ihrer Zeit war halb Frankreich von den Engl�ndern und ihren Verb�ndeten �berschwemmt worden. Gegen diese Engl�nder k�mpfte sie, die besiegte sie, und als man sie schlie�lich den Engl�ndern auslieferte, wurde sie von ihnen als ketzerische Hexe der Inquisition �bergeben! Sie wurde beschimpft, mit rohen Soldaten eingesperrt und schlie�lich verbrannt — alles das von diesen Engl�ndern, denen gegen die Deutschen zu helfen sie nun mit brennenden Gebeten und Lichtern angefleht wurde! Man wird ihr verzeihen, da� sie den Mund verzog und sich etwas verwirrt f�hlte.

Nun steigen die T�ne der Orgel machtvoll und klar zur W�lbung empor, und vollt�nende Stimmen aus den Kehlen von 4000 jungen Kriegern singen:

O Haupt voll Blut und Wunden,
Voll Schmerz und voller Hohn,
O Haupt, zum Spott gebunden
Mit einer Dornenkron'!
O Haupt, sonst sch�n gekr�net
Mit h�chster Ehr' und Zier,
Jetzt aber h�chst verh�hnet,
Gegr��et seist du mir ...

Erscheine mir zum Schilde,
Zum Trost in meinem Tod
und la� mich sehn dein Bilde
In deiner Kreuzesnot;
Da will ich nach dir blicken,
Da will ich glaubensvoll
Dich fest an mein Herz dr�cken:
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Markt in Bapaume.
Rathaus mit Anschlag der
�B(apaumer) Z(eitung) am Mittag�.
          Denkmal Faidherbes.

Welche wafffen hat man bedeutenden heerführern überreicht

Englische Gefangene mit ihrer franz�sischen Wirtin in Lille.
(Vgl. Seite 184.)

[S. 177] Nachdem Clewing, von unserm Platz aus unsichtbar, aber �berall vernehmbar, seine klangvolle Stimme hatte h�ren lassen, betrat der Divisionspfarrer Franz Xaver M�nch die Kanzel. Mit w�rdiger Autorit�t sah er auf seine Gemeinde herab, Soldaten aller Grade und Waffengattungen, barmherzige Schwestern, Protestanten und Katholiken. Der Gottesdienst war interkonfessionell, der Prediger selbst Katholik. Aber jetzt, in der gr��ten Zeit des deutschen Volkes, sind alle konfessionellen Schranken zusammengebrochen, es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Protestanten, Katholiken und Juden, es gibt nur noch Deutsche! �Jetzt sind wir alle ein Mann geworden, und alle haben wir einen Gott.�

Die ergreifenden Worte des Priesters vollst�ndig wiederzugeben, mu� ich mir hier versagen; meine Leser werden sie in der gro�en Ausgabe meines Buches finden. Nur eine besonders ersch�tternde Stelle der Predigt m�ge hier folgen:

�Und ein zweiter Ruf t�nt aus den Massengr�bern: ‚Vergesset unsere Leiden und unsere Wunden nicht!‛ Meine lieben Kameraden. Der gro�e V�lkerapostel hat einmal seiner Gemeinde in stolzer Liebe zum Gekreuzigten zugerufen: ‚Ich trage die Wunden des Herrn an meinem Leibe.‛ Wer von unserem Volke sich noch etwas sittlichen Ernst bewahrt hat, wird die Wunden und die Leiden dieses Krieges zeitlebens in seiner Gesinnung tragen. Der Preis unserer Befreiung und unserer Siege war der teuerste und kostbarste, den eine Nation zu zahlen hat: das Blut der Jugend! Kommt und schauet, wie wir sie begraben! Nicht einmal einen armen Sarg k�nnen wir ihnen gew�hren. Wir k�nnen sie nicht wie die Germanen auf die Schultern heben und �ber die Berge in die deutsche Heimat tragen. Aber, meine lieben Br�der, ich kenne einen Sarg, der kostbarer ist als der Sarg, gezimmert von einem fremden Meister: das ist der Sarg des deutschen Herzens! Dahinein, tief und verborgen, wollen wir unsere teuren Toten betten; ihn f�hren wir heimw�rts in die deutsche Heimat. Und wenn einmal — was Gott, der Schirmherr unserer deutschen Sache verh�ten m�ge — die Zeit[S. 178] kommen sollte, wo eine Generation, unsere J�nglinge, unsere T�chter und Frauen nicht mehr wissen, was uns der Friede und eine neue Bl�te des Reiches gekostet hat, wo man nur der Fr�chte in einem erschlaffenden Genu�leben sich freut, wo man entnervenden und zersetzenden Sitten wie fremden G�ttern zu huldigen beginnt — dann, meine lieben Br�der, ist f�r uns, die wir heute hier an den Massengr�bern trauern, die Stunde gekommen, wo wir die S�rge �ffnen und einer nur genie�enden Nation unsere Toten, ihre Wunden und ihre letzten Stunden zeigen werden, dann zeigt, ihr V�ter, eure gefallenen S�hne. Dann m�gen die Geister der Gefallenen den schwersten Kampf gegen das eigene Volk f�hren, das die Wunden des Kriegs nicht mehr in seiner Seele tr�gt.

So ist der heutige Tag, der unsern Toten gilt, im Grunde ein Tag quellenden Lebens, neuer Hoffnung, machtvollster Aufgaben. F�r unsere Gegner sind die Gr�ber eine gigantische Anklage, f�r uns ein heiliger Hinweis auf die Zukunft. Sie haben Sturm ges�t, sie werden auch Sturm ernten. Und dieser Sturm sind wir. Aus kleinlichen Motiven und gef�hrt und verleitet von selbsts�chtigen kleinen Gruppen, haben sie auf das Fleisch ges�t und sie werden Verderben ernten. Wir d�rfen vor Gott beschw�ren, da� wir auf den Geist der Gerechtigkeit und des Friedens ges�t haben. Der Krieg ist f�r uns eine monumental-geistige Sache einer einheitlich auferstandenen, in ihren heiligsten Gef�hlen gekr�nkten und zur Gegenwehr gezwungenen Nation. Diese Nation wird aber auch vom Geiste der Gerechtigkeit und des Friedens ewiges Leben ernten. Amen.�

Das Musikkorps spielte eine Hymne, deren prachtvolle, festliche T�ne in der Kirche widerhallten. Ein Quartett stimmte das Ave verum corpus natum an, und schlie�lich sang die Gemeinde den Choral:

Gro�er Gott, wir loben dich.
Herr, wir preisen deine St�rke.
Vor dir neigt die Erde sich
Und bewundert deine Werke.
Wie du warst vor aller Zeit,
So bleibst du in Ewigkeit. —

[S. 179] Der Gottesdienst war zu Ende, und die Soldaten gingen hinaus, an der kleinen Jungfrau von Orleans vor�ber, die ihnen dank Schillers herrlichem Gedicht keine Fremde war. Gewi� durften die Lichter vor ihr brennen — sie hatte ja die Engl�nder besiegt. Jetzt wurden sie schnell ausgel�scht, und sie stand wieder einsam tr�umend und still.


47. �Lieb Vaterland, magst ruhig sein!�

Eine blutige Erinnerung aus dem Franz�sisch-Deutschen Krieg ist mit Bapaume verkn�pft. Am 3. Januar 1871 griff General Faidherbe an der Spitze des XXII. und XXIII. Armeekorps General Goeben an, der die 15. Division kommandierte, die 3. Kavalleriedivision und ein kombiniertes Detachement unter Prinz Albrecht. Die deutsche Truppenst�rke, wenig mehr als 15000 Mann und 84 Kanonen, war kaum halb so gro� wie die franz�sische, zwang jedoch Faidherbe nach neunst�ndigem Kampf, sich auf Arras und Douai zur�ckzuziehen.

Nun waren seitdem 44 Jahre vergangen, und Bapaume war wieder in den H�nden der Deutschen. Mitten auf dem Markt hatten die Franzosen eine Statue Faidherbes errichtet, ein w�rdiges Denkmal einer gl�nzenden Laufbahn. Mehrere Male hatte ihm sein Vaterland die L�sung dringender Aufgaben anvertraut, daheim auf Guadeloupe, in Algier, Senegal, Kabylien, und schlie�lich war er im November 1870 von Gambetta zum Chef der Nordarmee ernannt worden. Mut, Zuversicht, Initiative und gl�hender Eifer fehlten ihm nicht, aber gegen die systematisch ausgebildete deutsche Armee vermochte er mit seinen Miliztruppen nichts auszurichten.

Faidherbe �berlebte seine Mi�erfolge lange, er starb in Paris erst 1889, nach achtzehn Jahren des Grams dar�ber, da� sein Feldherrntalent nutzlos vergeudet worden war, und zwar durch Verblendung und Unkenntnis der Volksvertreter, die ihr Land an den tiefsten Abgrund nationalen Ungl�cks f�hrten, dessen unsere Zeit Zeuge gewesen ist.

[S. 180] Da steht er nun in Bronze auf seinem wei�en Sockel, eins der Opfer der Verblendung seines Volks. Und um ihn herum stehen die S�hne des Volks, das ihn besiegte, und das nun wieder in den Spuren seiner V�ter gesiegt hat. Trotzig und entschlossen steht er da, die Arme gekreuzt; mit der rechten Hand packt er den Griff des Degens. Seine ganze Haltung scheint den unersch�tterlichen Entschlu� zu verraten, keinen Schritt zur�ck, nur vorw�rts zu gehen; sein Uniformmantel flattert im Winde, seine M�tze sitzt keck und schief. Den Kopf tr�gt er hoch und stolz. Sein Blick ist auf — deutsche Truppen gerichtet, jetzt wie damals! Viele von denen, die eben in der Kirche waren, haben sich auf dem Markt versammelt. Das Musikkorps bildet einen Halbkreis vor Faidherbes Denkmal. Der Kapellmeister hebt den Taktstock, und nun schallt die �Wacht am Rhein� �ber den Markt. Z�ndend umbrausen die T�ne der Messinginstrumente den Helden oben auf seinem Sockel. Er scheint trotziger denn je. Er steht da mit gezogenem Degen, auf seinem Gesicht ruht der Ausdruck tiefer Tragik.

Ruhig und sicher stehen die deutschen Musikanten und ihre Kameraden, die sich in Gruppen um sie versammelt haben. Eine Stimmung von Siegessicherheit erf�llt all diese Krieger. Clewing beginnt zu singen, andere folgen seinem Beispiel, und machtvoll wogt der Gesang �ber den Markt:

Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein,
Wer will des Stromes H�ter sein?
Lieb' Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht,
Die Wacht am Rhein!


48. Kronprinz Rupprecht von Bayern.

Am Abend des 1. November fuhr ich um 7 Uhr mit dem Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg von Bapaume nach Douai, wo wir um 8 Uhr zum Abendessen beim Chef der sechsten Armee,[S. 181] Kronprinz Rupprecht von Bayern, eingeladen waren. Die Entfernung betr�gt gegen 34 Kilometer und wird bequem in dreiviertel Stunden zur�ckgelegt. Aber die Wachtposten kosten auch Zeit, und es war 5 Minuten vor 8, als wir endlich ankamen. Ein Adjutant f�hrte uns in einen Salon, und dort hatten wir kaum eine halbe Minute gewartet, als Kronprinz Rupprecht schon hereintrat.

Er geh�rt zu den seltenen Menschen, die alle lieben und bewundern, die Engl�nder vielleicht ausgenommen, doch ich glaube, die Franzosen w�rden nicht umhin k�nnen, ihm Achtung zu zollen. In der deutschen Armee gilt er als ein ganz hervorragender Heerf�hrer und gr�ndlich geschulter Soldat. Aussehen, Haltung und Sprache sind im h�chsten Grade gewinnend und sympathisch. Er ist weder stolz noch herablassend, sondern prunklos und einfach wie ein gew�hnlicher Mensch. Wenn man wei�, da� ihn k�rzlich der schlimmste Schlag getroffen hat, der ihn treffen konnte, dann glaubt man vielleicht Spuren davon auf seinem Gesicht zu entdecken, einen Zug von Wehmut, sonst aber verr�t weder eine Miene noch ein Seufzer, wie tief er den Tod seines 13j�hrigen Sohnes betrauert. Wo es Vaterland und Reich gilt, mu� alle private Trauer zun�chst zur�cktreten. Der Kronprinz hat auch keine Zeit, zu trauern oder an den Verlust und die Leere zu denken, die er bei seinem siegreichen Einzug in M�nchen f�hlen wird. Er lebt f�r und mit seiner Armee und ist jedem Soldaten ein Vater. Seine ganze Denkkraft, seine ganze physische St�rke, seine ganze Zeit opfert er diesem einzigen gro�en Ziel.

Kronprinz Rupprecht kommt schnell und ungezwungen herein, streckt uns seine H�nde entgegen und hei�t uns herzlich willkommen. Dann f�gt er mit scherzhaftem Tonfall in der Stimme hinzu: �Ich habe heute abend an meinem Tisch noch andere vornehme G�ste.�

�Wen denn?� fragt der Herzog.

�Den Kaiser�, antwortet der Kronprinz und schl�gt die H�nde zusammen.

�Den Kaiser?� rufen wir. Wir hatten keine Ahnung, da� er sich �berhaupt in dieser Gegend befand.

[S. 182] �Ja, der Kaiser hat heute hier verschiedene Truppenteile besucht und versprochen ..... Doch still, ich h�re sein Automobil�, und damit eilte der Kronprinz hinaus.

Inzwischen kam das Gefolge des Kronprinzen herein und begr��te uns, dann auch die Herren des Kaisers, von denen ich einige kannte. Ehe ich noch hatte fragen k�nnen, woher der oberste Kriegsherr gekommen sei, wurden wir in den Speisesaal gerufen. Dort sa� der Kaiser bereits auf seinem Platz am Tisch. Wir traten alle an unsere St�hle, aber niemand setzte sich. Der Kaiser sa� mit gesenktem Kopf und sah sehr ernst aus. Pl�tzlich aber schlug er seine blitzenden blauen Augen auf und nickte freundlich nach allen Seiten. Als er mich sah, streckte er die Hand �ber den Tisch und rief scherzend: �Guten Tag, mein lieber Sven Hedin. Es scheint Ihnen gut zu gefallen in meiner Armee�, was ich ohne einen Augenblick zu z�gern bejahte.

Der Kaiser war brillanter Laune. Ich wei� wirklich nicht, ob er schlechter Laune sein kann, denn so oft ich die Ehre hatte, mit ihm zusammen zu sein, war er immer froh, liebensw�rdig und lebhaft. Wohl kann er mit scharfen Worten seinem Unmut �ber eine ver�chtliche Handlung des Feindes Ausdruck geben, aber bald wird er wieder der reine Sonnenschein und lacht ansteckend �ber einen lustigen Einfall. Er hat eine gro�artige F�higkeit, Leben in eine Gesellschaft zu bringen und das Gespr�ch in Spannung zu halten, so hier �ber zweiundeinhalb Stunden. Dabei erz�hlt er eine Masse merkw�rdige Neuigkeiten, Dinge, die sich an den verschiedenen Orten in den letzten Tagen zugetragen haben und wenigstens dem Herzog und mir vollkommen neu waren. Wenn man den Kaiser nach den Verh�ltnissen irgendeines fernen Landes fragt, aus dem lose, widerspruchsvolle Nachrichten gekommen sind, h�lt er sofort mit meisterhafter Disposition eine ordentliche Vorlesung �ber seine innere und �u�ere Politik, seine Volksstimmungen, seine Hilfsquellen und seine Waffenmacht. Ich erinnere mich nicht, jemand begegnet zu sein, der in dieser Hinsicht sich mit Kaiser Wilhelm messen k�nnte.

[S. 183] Er hat auch die Gabe, blitzschnell was andere sagen aufzufassen und zu beurteilen. Mit lebhaftem Interesse h�rte er Kronprinz Rupprecht zu, als dieser allerlei von seiner Armee berichtete, und mir, als ich das Bombardement von Ostende beschrieb.

Es war �11 Uhr, als der Kaiser seine Zigarre weglegte und aufstand, um sich mit jenem kr�ftigen H�ndedruck zu verabschieden, der durch Mark und Bein geht. Nur der Kronprinz begleitete ihn in das unmittelbar neben dem Speisesaal gelegene Vorzimmer, von dem einige Stufen auf die Stra�e hinausf�hrten. Ein Soldat stand bereit und hielt den hellen blaugrauen Mantel mit dem dunklen Pelzkragen, ein anderer �berreichte die gew�hnliche preu�ische Offiziersm�tze. Nachdem Wirt und Gast sich noch einige Minuten unterhalten hatten, gingen sie zusammen zum Automobil, der Kaiser stieg ein und der Wagen fuhr schnell in die Nacht hinaus.


49. Tommy Atkins in Gefangenschaft.

Um 8 Uhr morgens wieder heraus und fort �ber das �de Feld von Artois nach Douai! Bald darauf kreuzten wir die Stadt Lille in schneller Windung, fuhren durch die Porte de Roubaix wieder hinaus und folgten in nord�stlicher Richtung der langen, dichtbebauten Stra�e, die Lille und Roubaix verbindet.

In Roubaix lagen noch 250 Engl�nder und eine Anzahl Offiziere, die am Nachmittag nach Deutschland transportiert werden sollten. Die Mannschaft war in einem gro�en Saal untergebracht, vermutlich einem ger�umten Restaurant. M�bel waren nicht zu sehen, aber gro�e B�ndel Stroh auf dem Boden, besonders an den W�nden. Hier konnten sich die Soldaten ihr Nachtlager herrichten, und sie litten wahrhaftig keine Not. Ein Tommy, der eine ungef�hrliche Kopfwunde hatte, wurde gerade von einem englischen Arzt, der selbst Gefangener war, behandelt. In einem angrenzenden Zimmer mit Glasdach standen lange Reihen von Tischen und St�hlen, wo die Gefangenen ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegten. Hier photographierte ich ein paar Gruppen,[S. 184] durch die der Leser sich �berzeugen kann, da� die Engl�nder in der Gefangenschaft weder betr�bt noch leidend aussehen. Auf dem einen Bild haben sie sogar eine muntere, mollige Franz�sin bei sich, aber ich mu� zu ihrer Ehre zugestehen, da� die edle Dame selbst darum gebeten hatte, mit ihren Verb�ndeten und zuf�lligen E�kunden zusammen portr�tiert zu werden. Sie war n�mlich die Wirtin und �berwachte die Verpflegung der Gefangenen.

In der Wirtschaftsk�che kochte die Gefangenenkost in gro�en Kesseln; auch dort war das Personal zum �berwiegenden Teil franz�sisch. Wer die Deutschen anklagt, da� sie mit der Verpflegung der Gefangenen knausern, der sollte sich im Restaurant zu Roubaix umsehen. Dort war alles reichlich und gut. Austern, Tr�ffeln und Plumpudding gab es zwar nicht, aber die S�ldner, die zuf�llig aus Eastend waren, hatten wahrscheinlich lange nicht so gut gegessen wie in Roubaix. Dazu kam, da� die franz�sische Wirtin in Tommy Atkins ziemlich verliebt war und wie eine Adlermutter daf�r sorgte, da� er das n�tige Essen bekam.

Es geschieht nicht, um meiner Kamera zu schmeicheln, wenn ich behaupte, das eben erw�hnte Bild sei eine treffliche Illustration der �Entente cordiale� der Westm�chte. Die franz�sische Dame l�chelt und strahlt und kann sich keine feinere Einfassung denken als zwischen handfesten englischen Soldaten. Sie sollte an den Sinn des lustigen Liedes denken, das mit den Worten schlie�t: �I love you my darling, cette phrase vous coutera beaucoup�, und dessen Moral ist: La France pour les Fran�ais! Es ist gef�hrlich, mit Tommy Atkins zu kokettieren. Es l��t ihn ganz k�hl, das sieht man auf dem Bild. Er sitzt kalt wie eine Marmorstatue und schenkt seiner Pflegerin keinen andern Gedanken als den: Geh zu, wir werden die Suppe essen, die du kochst! Wann wird sie es satt sein, so undankbar behandelt zu werden? Wird sie damit fortfahren, bis ihr das Letzte genommen ist?

In dem gro�en Saal lagen nun Tommy Atkins und seine Kameraden und ruhten im Stroh. Sie sahen frisch und munter aus, und viele hatten sympathische, m�nnliche Z�ge. Als ich vor[S. 185] einer Gruppe stehen blieb und mich mit den Leuten unterhielt, blieben sie ungeniert liegen, antworteten aber sehr h�flich und mit der unersch�tterlichen Ruhe, die f�r ihre Rasse charakteristisch ist. Sie gestanden offen zu, da� sie mit der Behandlung, die sie erfuhren, und mit ihrer Kost zufrieden seien. Einer von ihnen fand, man k�nne es im Kriege gar nicht besser haben. Das einzige, was ihnen nicht gefiele, w�re, da� sie im Saal nicht rauchen d�rften. Ein deutscher Offizier, der neben uns stand, erkl�rte ihnen, der Saal sei feuergef�hrlich, nicht zum wenigsten wegen des trockenen Strohs, und die Deutschen w�nschten nicht, da� ihre englischen Gefangenen hier verbrennten.

In einem gro�en, gem�tlichen Zimmer im ersten Stock wurden drei Offiziere gefangen gehalten, ein Hauptmann und ein Leutnant, beide Engl�nder, und ein franz�sischer Leutnant. Jeder von ihnen hatte sein gutes, reinliches Bett und im �brigen Tisch und St�hle und andere notwendige M�bel.

Der englische Leutnant war ein feiner und angenehmer junger Mann, der Sohn eines angesehenen Londoner Kaufmanns. Sein Vater stand in Gesch�ftsverbindung mit Deutschland, und er selbst war, ich glaube, in Hamburg gewesen, um Deutsch zu lernen. Der Krieg hatte alle seine Pl�ne auf den Kopf gestellt. �Aber wir hatten doch keine andere Wahl und mu�ten mit!� meinte er.


50. Die englische L�ge.

Gar zu gern h�tte ich noch gesehen, wie es den Indern in dem nebligen Herbst von Artois und Flandern erging. Aber die indischen Gefangenen der Zitadelle von Lille hatte man eben nach Osten abgeschoben, um neuen Scharen Platz zu machen. Ich selbst hatte einmal erfahren, wie es sich r�cht, Inder in ein k�lteres Klima zu verpflanzen. Auf meiner letzten Reise nach Tibet hatte ich zwei Radschputen aus Kaschmir mit. Als wir in die Berge hinaufkamen, waren sie dem Erfrieren nahe, und mein Karawanenf�hrer Muhamed Isa erkl�rte, sie seien so nutzlos wie junge Hunde. Ich mu�te sie deshalb verabschieden. �hnlich erging es[S. 186] mir mit meinem indischen Koch; er war au�erhalb Indiens v�llig unbrauchbar. In Tibet lebt man von Fleisch, in Indien von Vegetabilien. Wie h�tte er eine so pl�tzliche Ver�nderung des Klimas und zugleich der Di�t ertragen k�nnen!

Nun berichtete die Presse, die Engl�nder h�tten einen vollst�ndigen Import von Indien nach Europa angeordnet. Es fiel mir schwer, das zu glauben, aber an der Front erfuhr ich, es sei wahr. �Wie behandeln Sie die indischen Soldaten?� fragte ich einmal ein paar Offiziere. — �Wir arretieren sie�, antwortete einer, und ein anderer f�gte hinzu: �Das braucht es gar nicht; sie werden bald in den Sch�tzengr�ben erfrieren.�

Wenn ich zugestehe, da� ich selbst eine Dummheit beging, als ich glaubte, Inder k�nnten in Tibet Dienste tun, so darf ich wohl behaupten, da� Lord Charles Beresford eine noch siebenmal gr��ere Dummheit beging, als er die Hoffnung aussprach, �indische Lanzenreiter die Berliner Stra�en r�umen und die kleinen braunen Gurkhas es sich im Park von Sanssouci bequem machen zu sehen.�[*] Aber dieser Import ist mehr als eine Dummheit — er ist ein Verbrechen!

[*] Dieses Zitat ist Professor Steffens Buch �Krieg und Kultur� entnommen, das ich aufs w�rmste jedem empfehle, der in die sozial-psychologischen Irrg�nge des Weltkriegs eindringen will.

Gro�britannien hat bald hundertundf�nfzig Jahre gl�nzend seine Mission erf�llt, Indiens Vormund zu sein; einem andern Volk w�rde diese Riesenaufgabe kaum so gelingen. Indische Truppen haben mit Ehren gegen ihre Nachbarn gek�mpft und dazu beigetragen, die Ordnung unter 300 Millionen aufrechtzuerhalten. Aber niemals ist es einer englischen Regierung eingefallen — �vor dem jetzigen Liberal Government� —, farbige Heiden gegen christliche Europ�er zu verwenden! Das ist ein Verbrechen an Kultur, Zivilisation und Christentum. Und wenn die englischen Missionare es billigen, dann sind sie Heuchler und schlechte Verk�ndiger des Evangeliums. Indiens englische Herren[S. 187] verachten mit Recht alle ehelichen Verbindungen zwischen Wei�en und Hindus; die Kinder aus solchen Ehen werden wie Maulesel betrachtet, oft auch so genannt; sie sind weder Pferd noch Esel, sie sind halfcast. In Kalkutta haben sie ihr eigenes Viertel und d�rfen in keinem andern Stadtteil wohnen. Aber — wenn es sich darum handelt, die �deutschen Barbaren� niederzuwerfen, dann ist eine Verbindung mit dem bronzefarbenen Volk Indiens f�r den Engl�nder gut genug!

Ist es ein des zwanzigsten Jahrhunderts w�rdiger Fortschritt in Kultur und Zivilisation, da� man die ahnungslosen Inder Hunderte von Meilen �ber Meer und Land schleppt, um sie auf den Schlachtfeldern Europas gegen die ersten Soldaten der Welt, die deutsche Armee, ins Feuer zu treiben? Wenn diese Frage mit Ja! beantwortet werden kann, bleibe ich doch unersch�tterlich bei meiner Auffassung, da� eine solche Handlungsweise der Gipfel der Grausamkeit ist! Grausam nicht gegen die deutschen Soldaten, denn ich wei�, was f�r Empfindungen die indischen Gegner ihnen einfl��en: Verachtung und Mitleid! Auch geht es nicht recht vorw�rts mit der �R�umung der Berliner Stra�en�, und die Linden von Sanssouci werden wohl kaum �ber den Kriegerst�mmen von den Abh�ngen des Himalaja rauschen.

Was m�gen diese indischen Truppen von ihren wei�en Herren denken! Das wird die Zukunft zeigen. Wer etwas von dem Land der tausend Sagen gesehen hat, wer �ber die K�mme des Himalaja geritten ist, wer im Mondschein beim Tadsch Mahal tr�umte, wer den heiligen Ganges in grauen Ringen leise an den Kais von Benares vor�bergleiten sah, wer entz�ckt war von dem Zug der Elefanten unter den Mangob�umen in Dekkan, mit einem Wort, wer Indien liebt und die Ordnung und Sicherheit bewundert, die unter der englischen Verwaltung dort herrscht, der bedarf keiner starken Phantasie, um zu begreifen, mit welchen Gedanken die indischen Soldaten zur�ckkehren werden, und mit welchen Gef�hlen ihre Familien und Landsleute in den kleinen engen H�tten an den Abh�ngen des Himalaja ihren Berichten[S. 188] lauschen werden. Er kann nur mit Schaudern daran denken, denn er mu� sich sagen, da� hier im Namen der Zivilisation ein Verbrechen an Zivilisation und Christentum begangen wird.

Die Frage l��t sich nicht unterdr�cken: werden diese indischen Kontingente wirklich gebraucht? Reichen die wei�en Millionen Gro�britanniens, Kanadas und Australiens nicht zu, von Franzosen, Belgiern, Russen, Serben, Montenegrinern, Portugiesen, Japanern, Turkos und Senegalnegern nicht zu reden? Es scheint wirklich so. In der �Times� vom 5. September liest man in den fettesten Lettern die �berschrift: The need for more men. (Mangel an Leuten.) Schon damals brauchte man mehr Leute, um die �Kultur� der �deutschen Barbaren� auszurotten! Das englische Volk mu� mit besonderen Mitteln dazu erzogen werden, Anla� und Zweck des Kriegs zu begreifen! Sonst bleiben die Engl�nder zu Hause und spielen Fu�ball und Cricket.

Und wie steht es nun um diese neue Volkserziehung? Dar�ber unterrichtet uns die englische Presse t�glich. Sie ist eine systematische L�ge! Die verh�ngnisvolle Wirklichkeit, die England langsam einer Katastrophe zuf�hrt, mu� durch eine strenge Pre�- und Telegrammzensur verheimlicht werden. Von Hindenburgs Siegen hat das englische Volk keine Ahnung. Die Entwicklung der deutschen Operationen in Polen wird in ein siegreiches Vorr�cken der Russen auf Berlin umgedeutet! �ber den deutschen Kaiser verbreitet man die sch�ndlichsten Verleumdungen! Die Germanen sind Barbaren, die zerschmettert werden m�ssen, und an diesem preisw�rdigen Unternehmen m�ssen die zivilisierten V�lker Serbiens, Senegambiens und Portugals teilnehmen! England f�hrt den Krieg durch konsequente F�lschung der Wahrheit, die in der englischen Presse so selten ist wie in der deutschen die L�ge.

Aber glaubt denn das Volk wirklich alles, was in den englischen Zeitungen steht? Ja, ganz blind! Davon habe ich mich durch Briefe aus England �berzeugen k�nnen. Ein mir zugeschickter Aufruf, der von vielen Gelehrten — darunter mehrere Tr�ger des Nobelpreises! — unterzeichnet ist, schlie�t mit den[S. 189] Worten: �Wir beklagen tief, da� unter dem unheilvollen Einflu� eines milit�rischen Systems und seiner z�gellosen Eroberungstr�ume der Staat, den wir einmal geehrt haben, jetzt als Europas gemeinsamer Feind und Feind aller V�lker, die die Rechte der Nationen achten, entlarvt ist. Wir m�ssen den Krieg, in den wir uns eingelassen haben, zu Ende f�hren. F�r uns wie f�r Belgien ist er ein Verteidigungskrieg, der f�r Freiheit und Frieden durchgek�mpft wird.�

Die alte Geschichte vom Splitter und Balken! Ist denn Englands Weltmeerherrschaft kein milit�risches System? L��t sich ein ausgedehnterer Militarismus denken als der, der seine Werbungen �ber f�nf Kontinente ausdehnt? Der sogar nach dem Strohhalm greift, den das republikanische Portugal darreicht, und in den Zeitungen The need for more men annonciert?

Was war denn der Burenkrieg? Vielleicht eine �u�erung derselben humanen �F�rsorge f�r die kleinen Staaten�, die jetzt England eine Lanze f�r Belgiens Selbst�ndigkeit brechen l��t?

Es w�re nutzlos, jetzt, wo es zu sp�t ist, ergr�nden zu wollen, wie sich der gro�e Krieg w�rde entwickelt haben, wenn England ruhig geblieben w�re. So viel aber ist sicher, da� Belgien dann seine Selbst�ndigkeit nicht l�nger eingeb��t h�tte als bis zum Friedensschlu�. Der Krieg w�re dann auch nicht zu einem Weltkrieg angewachsen wie jetzt — zu der gr��ten und tragischsten Katastrophe, die je das Menschengeschlecht heimgesucht hat. Keine Nation hat je eine gr��ere, weltumfassendere Verantwortung getroffen als England! Und man kann die M�nner nur tief beklagen, die vor Gegenwart und Nachwelt diese erdr�ckende Verantwortung werden zu tragen haben.


51. Heimw�rts.

Am 4. November war die Zeit meines Aufenthalts an der Front abgelaufen, und ein Auto brachte mich nach Metz. Nie habe ich einen vornehmeren Chauffeur gehabt als diesmal, denn der Herzog Adolf Friedrich selbst hatte am Steuer Platz genommen.[S. 190] Es war die wildeste Fahrt, die ich je mitmachte. Der Herzog lenkte mit verbl�ffender Ruhe und Kaltbl�tigkeit; wo es auf freier Chaussee geradeaus ging, legten wir 90 bis 100 Kilometer in der Stunde zur�ck. Zuweilen konnte man kaum Atem holen, aber herrlich war es doch, mit solcher Schnelligkeit das Land zu durchfliegen. Um 9 Uhr 20 morgens waren wir abgefahren, und bald nach Einbruch der Dunkelheit langten wir in Metz an.

Von den mannigfachen Abenteuern meiner R�ckfahrt kann ich in diesem B�chlein, das ja nur einen kleinen Teil meiner Erlebnisse an der deutschen Front wiedergibt, nicht weiter erz�hlen. Auch meinen Aufenthalt in Metz, meinen letzten Besuch an der Front bei Blamont, meine Heimfahrt �ber Ludwigshafen und Mannheim, meine �Verhaftung� in Heidelberg als Spion und die k�stliche Gestalt, die diese harmlose Episode in der franz�sischen und englischen Presse annahm, meinen Besuch bei der Gro�herzogin Luise von Baden und im Lazarett zu Karlsruhe, meinen schlie�lichen Aufenthalt in Berlin — alles dies werden meine Leser in meinem gro�en Buche geschildert finden, in dem ich weit ausf�hrlicher �ber meine Eindr�cke an der deutschen Front, die zu den st�rksten meines Lebens geh�ren, Rechenschaft ablege.

Nur eine Anekdote sei hier noch mitgeteilt, da sie ein treffliches Gegenst�ck zu Tommy Atkins und seiner franz�sischen Wirtin bildet. Gewisse Zeitungen hatten behauptet, die Deutschen behandelten ihre Kriegsgefangenen grausam und unmenschlich. In dem gro�en Gefangenenlager in D�beritz bei Berlin, das ich mit Erlaubnis des stellvertretenden Generalstabs gr�ndlich besichtigen durfte, hatte ich Gelegenheit festzustellen, da� diese Behauptung ebenso eine L�ge ist wie alles andere, was augenblicklich zur kriegerischen �Erziehung� des englischen Volkes von seiner Regierung in die Welt hinausposaunt wird. Das D�beritzer Lager enthielt 4000 Russen, 4000 Engl�nder und einige hundert Franzosen, Belgier und Turkos; Exemplare des �brigen ethnologischen Farbenkastens waren leider nicht da.

Die jetzige Freundschaft zwischen Engl�ndern und Russen bew�hrt[S. 191] sich im Gefangenenlager keineswegs. Tommy betrachtet Ivan als einen verlausten Wilden, und Ivan sieht in Tommy einen aufgeblasenen Renommisten, mit dem die anspruchslosen G�ste des Samovars nicht verkehren.

Im Krankenhaus in D�beritz ging ein Tommy auf und ab. Er sah bleich aus, war aber Rekonvaleszent.

How are you getting on?� fragte ich. — Keine Antwort.

I hope you will become a little bit of all right, by and by�, begann ich von neuem. Tommy sah mich nur l�chelnd an.

�Ist er taub oder bl�d?� fragte ich den Arzt, der uns begleitete.

�Nein, er ist — Russe�, antwortete der Arzt lachend.

Wie dieser Russe in Tommys Uniform geraten war, blieb ein ungel�stes R�tsel! —

Wahrlich, es wird einem wunderlich zumute, wenn jetzt, wo es die Vernichtung Deutschlands gilt, Tommy Atkins und Ivan Ivanowitsch sich einreden, gute Freunde zu sein! Ist die Gefahr einer russischen Invasion in Indien, die einsichtige Engl�nder wie Lord Curzon, der bedeutendste Vizek�nig, den Indien bisher hatte, seit vielen Jahren prophezeien, weniger drohend geworden?

Gewi�, es gibt f�r Ru�land einen andern Ausweg nach dem Meere, und zwar nach Westen — und meine schwedischen Landsleute sollten das nicht vergessen!

Gott sch�tze mein Vaterland!


Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

[S. 192]Werke von Sven Hedin.

Der Name Sven Hedin ist ein Programm, ein Kennwort f�r Reiselust und Forscherdurst, f�r Wagemut und Unerschrockenheit (Schlesische Ztg.). Hedins Verdienst ragt �ber die Fachwissenschaft riesengro� empor; er lehrt uns, neue Teile der Erde mit den Augen des Kulturmenschen sehen. Mit um so gr��erer Freude bekennen wir das, als er selbst erkl�rt hat, da� die Wurzeln seiner Wissenschaft in deutschem Boden stecken (Konservative Monatsschrift). Von allen Forschungsreisenden der Gegenwart steht er uns menschlich am n�chsten, denn es gibt keinen andern, der sich so unbefangen und vielseitig zeigt (Neue Hamburger Ztg.). Seine Erz�hlerkunst ist von einer zwingenden Objektivit�t; er berichtet die gefahrvollsten Abenteuer, die merkw�rdigsten Wunder mit solcher Selbstverst�ndlichkeit, da� man den schweren Ernst seiner Aufgabe oft verschwinden sieht. Es gibt wohl in der heutigen Reiseliteratur wenig Werke, die wissenschaftlich so bedeutsam und dabei als reine Unterhaltungsmittel so plastisch und fortrei�end sind (Berliner Tageblatt). Er versteht es meisterhaft, im leichten Plauderton seine wissenschaftlichen Ergebnisse mitzuteilen, so da� man belehrt wird, ohne es zu merken (Vorw�rts). An Hedin am meisten zu sch�tzen ist jedoch die geradezu geniale Art, wie er uns all die fremden Menschen, die entweder die wechselvollen Schicksale seiner Reisen teilten oder ihm auch nur fl�chtig begegneten, vertraut und lebendig macht. Diese lebensvolle Menschenschilderung bildet unbedingt den Gipfelpunkt seines schriftstellerischen K�nnens (Rud. Greinz im Deutschen Literaturspiegel). Wohl kein Geograph unserer Tage versteht es wie Hedin, die Resultate gro�er wissenschaftlicher Fragen mit dem liebevollen Auge des edlen Menschen zu sehen und zu schildern (Echo der Gegenwart). Zu alledem kommt noch, da� Hedin nicht nur ein Meister der geographischen Wissenschaft, eine auch in ihrer reinen Menschlichkeit interessante und fesselnde Pers�nlichkeit und gl�nzender Darsteller, sondern auch ein virtuoser Zeichner und Aquarellist ist und seine Werke nicht nur mit vortrefflichen Photographien, sondern auch mit einer Menge individuell gesehener Figuren- und Landschaftsbilder schm�cken konnte (D�sseldorfer Ztg.). — Hedins Werke sind:

Durch Asiens W�sten. (107 Abb., 2 farbige Tafeln, 5 Karten) Gebunden 10 M.

Im Herzen von Asien. (407 Abbildungen, 5 Karten) 2 B�nde, gebunden 20 M.

Transhimalaja. (397 Abbildungen, 10 Karten) 2 B�nde, geb. 20 M. Erg�nzungsband geb. 10 M.

Zu Land nach Indien. (308 Abb., 6 Taf., 15 Panoramen, 2 Karten) 2 Bde. geb. 20 M.

Als Volks- und Jugendb�cher besonders zu empfehlen:

Abenteuer in Tibet. (137 Abbildungen, 8 farbige Tafeln, 4 Karten) Gebunden 8 M.

Von Pol zu Pol. Vom Nordpol zum �quator. ◇◇◇◇ Rund um Asien. ◇◇◇◇ Durch Amerika zum S�dpol. Jeder Band einzeln k�uflich, gebunden 3 M.

Durch den Weltkrieg 1914–15 gewinnt schlie�lich Hedins politische Brosch�re:

Ein Warnungsruf. (Geheftet 50 ₰) die Bedeutung einer scharfsinnigen Prophezeiung.

Verlag F. A. Brockhaus, Leipzig.

Anmerkungen zur Transkription

Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen gebr�uchlich waren, wie:

  • anderen -- andern
  • Anschlagstafel -- Anschlagtafel
  • Aufenthaltes -- Aufenthalts
  • dunkeln -- dunklen
  • inneren -- innern
  • Invasionsheeres -- Invasionsheers
  • Kompagnien -- Kompanien
  • Krieges -- Kriegs
  • mustergiltig -- musterg�ltig
  • offener -- offner
  • Schrittes -- Schritts
  • sicheren -- sichern
  • sonnenverbrannte -- sonnverbrannte
  • Tadsch Mahal -- Tadsch-Mahal
  • Tapferen -- Tapfern
  • �berrumpelungsversuch -- �berrumplungsversuch
  • unserem -- unserm
  • Volkes -- Volks
  • wagerecht -- wagrecht

Interpunktion wurde ohne Erw�hnung korrigiert. Im Text wurden folgende �nderungen vorgenommen:

  • S. 4 "Baiern" in "Bayern" ge�ndert.
  • S. 73 "Mamers" in "Mamer" ge�ndert.
  • S. 134 "T�te" in "T�te" ge�ndert.
  • S. 138 "Freiherr von Hoeningen" in "Freiherr von Hoyningen" ge�ndert.
  • S. 145 "Helmholz" in "Helmholtz" ge�ndert.
  • S. 151 "Digue du Mer" in "Digue de Mer" ge�ndert.
  • S. 151/152 "Sten-Stentorstimme" in "Stentorstimme" ge�ndert.
  • S. 179 "General G�ben" in "General Goeben" ge�ndert.
  • S. 179 "Guadelupe" in "Guadeloupe" ge�ndert.
  • S. 185 "verbr�nnten" in "verbrennten" ge�ndert.
  • S. 186 "Ghurkas" in "Gurkhas" ge�ndert.
  • S. 188 "In den Times" in "In der Times" ge�ndert.

End of the Project Gutenberg EBook of Ein Volk in Waffen, by Sven Hedin

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Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.



Wie viele deutsche Soldaten fielen in Russland?

Bereits Ende 1941 hatte die Wehrmacht mit über 200.000 Toten und 620.000 Verwundeten gewaltige, kaum zu kompensierende Verluste. Bis Mai 1945 waren es knapp 3,5 Millionen deutsche Soldaten, die für den Größenwahnsinn des NS-Regimes an der Ostfront ihr Leben ließen.

Wie groß war die Armee von Alexander der Große?

Heeresstärke.

Was bedeuten die Orden?

Bedeutungen: [1] (klösterliche) Gemeinschaft, die unter einem Oberen oder einer Oberin nach bestimmten Regeln lebt und deren Mitglieder bestimmte Gelübde abgelegt haben müssen. [2] seltener: weltlicher Verband, dessen Mitglieder nach bestimmten Vorschriften leben. [3] Kurzform für Ritterorden (geistlich und weltlich)

Welche Orden gibt es bei der Bundeswehr?

Die Orden und Auszeichnungen der Bundeswehr reichen von der Ehrenmedaille bis hin zu den Ehrenkreuzen in Gold, Silber und Bronze sowie für Tapferkeit. Außerdem gehören noch die die Einsatzmedaillen und die Gefechtsmedaille dazu.