Kann man ohne einen Zahn Leben?

Veröffentlicht am 13.10.2002 | Lesedauer: 4 Minuten

Wie viele Zähne braucht der Mensch? Eine Studie kommt zum Ergebnis: Zur Not und bei schlechter Kassenlage reichen 20

Haben Sie noch alle Zähne im Mund? Nein? Dann befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Gerade einmal ein Fünftel aller 35- bis 44-Jährigen kaut mit vollem Gebiss; in der Gruppe jenseits der 65 kann dies nur jeder Hundertste. Bei den weitaus meisten Männern und Frauen weist die Zahnformel also mehr oder weniger eklatante Lücken auf: Den 35-Jährigen fehlen im Schnitt drei Zähne; bei den 55-Jährigen sind es bereits zehn. Mit 65 Jahren ist die durchschnittliche Fehlquote im Mund auf beachtliche 15,4 Zähne geklettert. Parallel steigern die Kosten für Zahnprothetik: Ein Drittel der mehr als 17 Milliarden Euro, die voraussichtlich auch dieses Jahr in Deutschland wieder für Zahnmedizin ausgegeben werden, gehen für künstliche Gebisse, Kronen, Brücken, Implantate drauf. Ist das nötig? Muss denn wirklich jeder einzelne Zahn ersetzt oder saniert werden, wenn er herausfällt oder als kariöse Ruine zusammenkracht? Diese Frage, angesichts leerer Kassen der Krankenkassen hochaktuell und nicht ohne Brisanz, wurde kürzlich von Wissenschaftlern klipp und klar beantwortet: Zur Not reichen 20 Zähne.

Das geht aus der Studie "Bedarfsermittlung für prothetische Leistungen in der Zahnheilkunde bis zum Jahr 2020" im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde (DGFPW) hervor. Die hinteren Backenzähne (Molaren), besonders anfällig für Karies und Parodontitis und häufig schon in jungen Jahren gefüllt, überkront und überbrückt, sind demnach verzichtbar. "Die Menschen können auch ohne Molaren ohne Beeinträchtigung leben", heißt es in der Studie. Sofern die Front- und die kleinen Backenzähne (Prämolaren) gesund sind oder zumindest gut restauriert, solange der Kieferschluss funktioniert und die Ästhetik stimmt, "reicht die verkürzte Zahnreihe grundsätzlich aus", sagt Professor Dr. Thomas Kerschbaum, Präsident der DGZPW und Chefarzt des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität zu Köln.

Die Frontzähne seien vor allem für das Abbeißen, das Sprechen und die Ästhetik bedeutsam, das Kauen lasse sich auch mit den kleinen Backenzähnen gut bewerkstelligen; die Funktion des Kiefergelenks werde ebenfalls nicht beeinträchtigt, wenn die Zähne Nummer sechs und sieben fehlen. "Das heißt aber nicht, dass kranke Backenzähne gezogen werden sollen", betont Kerschbaum. "Wir sind für Zahnerhalt." Es sei dennoch wichtig gewesen, die Frage der Notwendigkeit einer Zahnsanierung im hinteren Kieferbereich grundsätzlich zu klären, um "im Falle enger finanzieller Grenzen des Patienten bei Zahnersatzbehandlung die richtigen Prioritäten zu setzen." Wer nicht das Geld zur Sanierung aller Zähne habe, müsse wissen, auf welche er sich konzentrieren soll - "das ist eine strategische Option".

Als "überflüssige Steilvorlage für die Krankenkassen" kritisiert Dr. Heiner Jacoby vom "Deutschen Zentrum für Orale Implantologie" die Bedarfsanalyse. Warum, fragt er, sollte eine Krankenkasse weiterhin bereit sein, die Kosten ganz oder teilweise für prothetische Leistungen zu übernehmen, wenn diese vermeintlich nicht notwendig sind? Im Übrigen widerspreche diese Feststellung der gängigen Lehrmeinung und der Erfahrung der Zahnärzte: Die hinteren Backenzähne, sagt Jacoby, leisten die Haupt-Kaufunktion, angetrieben vom kräftigen Musculus masseter. "Fehlen die Molaren, dann verlagert sich die Mahlfunktion nach vorn." Der Schläfenmuskel, ein vergleichsweise schwacher Muskel, der sich fächerartig über das Schädeldach zieht, müsse nun die Aufgabe des Musculus masseter übernehmen und werde überlastet. Mit schlimmen Folgen: "Die Betroffenen entwickeln häufig migräneartige Kopfschmerzen", so Implantologe Jacoby. Hinzu komme, dass bei einer Lücke im hinteren Gebiss der Gegenzahn Schaden nimmt: "Da ihm der Gegendruck fehlt, wächst er allmählich aus dem Kiefer heraus, behindert das Kauen und ist selbst extrem gefährdet auszufallen." Dr. Werner Hotz, Präsident des Deutschen Zentrums für Orale Implantologe, warnt mit Blick auf die Studie davor, "rezessionsbedingt auf Lücke zu setzen". Er befürchtet, dass sonst in Zukunft "statt Vollwertkost "Fastfood und Suppe in unserer Republik angesagt sind".

Professor Kerschbaum versteht indes die Aufregung nicht. Die Bedarfsanalyse, durchgeführt von der Münchner I+G Gesundheitsforschung, habe in erster Linie klären sollen, wie es um die Zukunft der Zahnärzte bestellt ist. Dieses Ergebnis aber dürfte die Branche beruhigen: "Zahnverlust als wichtigste Ursache für prothetische Maßnahmen wird sich bis zum Jahr 2020 nicht wesentlich verändern." Der Prothetikbedarf bleibe weit gehend erhalten, der "reale Gesamtumsatz" werde sogar steigen, heißt es.

Das scheint paradox, denn die Zahngesundheit der Kinder und Jugendlichen hat sich spürbar verbessert, unter anderem dank der Fluorid-Prophylaxe. Ein elfjähriges Kind besitzt heute im Schnitt nur noch einen kariösen Zahn, 1980 waren es sieben Mal so viel. Der Prothetikbedarf werde sich dennoch nicht verringern, vermutet Kerschbaum, "weil die Menschen immer älter werden und weil Erwachsene dazu neigen, ihr Gebiss zu vernachlässigen". Gute Mundhygiene - mindestens zweimal am Tag und nach jeder Mahlzeit wenigstens zwei Minuten lang Zähneputzen - nimmt mit steigendem Alter ab: Aus der Studie geht hervor, dass sich in der Altersgruppe der zwölfjährigen Jungen und Mädchen jeder vierte vorbildlich die Zähne putzt. Bei den 35- bis 44-Jährigen schafft das nur noch jeder Fünfte, bei den 65- bis 74-Jährigen sogar nur jeder Zehnte.

Ist es schlimm wenn ein Zahn fehlt?

Wenn die fehlenden Zähne nicht ersetzt werden, dann kann es zu Störungen der Kaufunktion kommen. Der Kieferknochen wird abgebaut und die Muskulatur verändert sich. Die Folge: chronische Schmerzen im Nacken und im Kopf, die sich bis in den Rücken ausweiten können.

Kann man ohne Zahn Leben?

Jeder Zahn in unserem Mund hat eine Funktion. Fällt einer von ihnen weg, funktioniert unser Gebiss nicht mehr perfekt. Das merken wir vielleicht nicht sofort, aber die Lücke in der Zahnreihe hat Folgen. Sie kann sogar weiteren Zähnen den Halt kosten.

Kann man mit einer Zahnlücke leben?

Folgen des Verzichts auf ein Implantat Durch das Fehlen von Zähnen entwickeln die Betroffenen oftmals ein zwanghaftes Verhalten zur Vermeidung der Mundöffnung. Gerade bei fehlenden Frontzähnen ist es schwerer, Wörter wie gewohnt zu artikulieren. Lispeln oder andere Sprachprobleme können sich dadurch leicht entwickeln.

Welche Möglichkeit bei fehlendem Zahn?

Einzelne fehlende Zähne können durch festsitzende Brücken ersetzt werden. Die Brückenglieder ersetzen den fehlenden Zahn. Die Nachbarzähne dienen als tragende Pfeiler. Vollkeramische oder keramisch verblendete Brücken sind im Mund praktisch „unsichtbar“, körperverträglich und lange haltbar.