Filmmusik Gottes Werk und Teufels Beitrag

1996 wurde Rachel Portman mit dem Oscar geehrt. Ihre Musik für die Adaption von Jane Austens EMMA überzeugte die Academy. Damit war sie die erste Frau ihrer Zunft, die diese Auszeichnung entgegennehmen durfte. Ganz im Stil der damaligen Partitur ist auch ihre neueste Filmmusik. GOTTES WERK & TEUFELS BEITRAG ist nur noch romantischer als die Preisträgermusik. Portman begleitet den jungen Protagonisten auf seinem Weg ins Erwachsenenleben mit mütterlicher Empfindsamkeit. Ob Trauer oder Freude, Liebe oder Leid, Mut oder Angst, stets findet sie die richtigen Töne für große Gefühle, eindeutig und unverhüllt. Diese Offenheit und klare Melodik wecken Erinnerungen an Altmeister Jerry Goldsmith, insbesondere Portmans Titelthema ähnelt leicht dessen sensiblem RUDY-Motiv. Zum Glück verhindert Portmans kompositorisches Geschick, daß die Nähe zu solch illustrer Gesellschaft den Schatten eines Plagiats wirft.

Filmmusik Gottes Werk und Teufels Beitrag

Rachel Portman hat sich mittlerweile zu der gefragtesten Komponistin in Hollywood entwickelt. Der Oscar für die Jane Austen-Verfilmung Emma (1996) ebnete ihr den Weg für eine Reihe ambitionierter Projekte wie etwa Beloved – Menschenkind (1998) oder nun Gottes Werk & Teufels Beitrag – The Cider House Rules nach dem Roman von John Irving, der auch das oscarprämierte Drehbuch der Leinwandadaption schrieb. Die Britin Portman hat sich mit ihren Kompositionen für Familiendramen wie The Joy Luck Club („Töchter des Himmels“, 1993) oder Marvin’s Room („Marvin’s Töchter“, 1996) als eine Expertin für schöne Melodik in warmen Klangfarben etabliert. Für Lasse Hallstroems Waisenhausdrama hat sie eine lyrische Partitur voller Eleganz und Anmut komponiert.

Für sich genommen zählt die Musik zu den schönsten und unmittelbar ansprechendsten des Kinojahres 1999. Vergleicht man jedoch mit Emma, fallen sofort die unübersehbaren Parallelen beider Tonschöpfungen auf. Dies gilt sowohl für die erzeugte Stimmung als auch für die zentralen Themen. The Cider House Rules ist allerdings insgesamt schlichter und weniger abwechslungsreich als Emma. Das einprägsame Hauptthema mit seinem kindlichen Charakter („Main Titles“) wird in zahlreichen Variationen präsentiert, die von Klavier und Streichern, Klarinette und Oboe, in einer für Rachel Portman typisch kleinen Besetzung gespielt werden. Das Klangbild ist familiär, und man findet keine Spur mehr von der Innovationslust und Experimentierlust, die noch die Vorjahresmusik Beloved  auszeichneten. Die Attribute der Musik wie „versöhnlich“, „sanft“ oder „melancholisch“ treffen genauso für Rachel Portmans frühere Arbeiten zu. In dem ausgeprägten Sinn für Melodik steckt freilich aber auch ihre große Stärke, die sie hier erneut in gelungener Weise ausspielt und die Kritiker sie immer wieder mit dem verstorbenen Georges Delerue vergleichen lassen.

The Cider House Rules ist deshalb sicher keine originelle, aber im Gesamteindruck durchweg schöne und sehr elegante Komposition. Ein guter Einstieg in das Werk der Komponistin also. Trotzdem gilt für Rachel Portman Ähnliches wie auch für Thomas Newman und Michael Nyman: Die ausgiebigen Selbstzitate nutzen sich nicht nur merklich ab, sondern drohen auch ein wenig langweilig zu werden. Das wäre schade für eine Künstlerin, die mit der folkloristischen Afrika-Musik Beloved schon einmal ihre Wandlungsfähigkeit bewiesen hat und mit Sicherheit mehr kann, als ausschließlich Familiendramen und Liebeskomödien zu vertonen.

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                                                                                       Trailer


Gottes Werk und Teufels Beitrag (The Cider House Rules) ist ein Film von Lasse Hallström aus dem Jahre 1999 mit Tobey Maguire in der Hauptrolle. Er handelt von einem jungen Mann, der, in einem Waisenhaus großgeworden, hinaus in die Welt zieht. Die Romanvorlage stammt von John Irving. Die Musik schrieb Rachel Portman.



Wo ist der Teufel?


Wenn man das Soundtrack-Album hört, hat man das Gefühl, dass da nur Gottes Werk beschrieben wird und man ist vielleicht versucht zu fragen, ob es da noch eine zweite CD gibt. Nun, die gibt es nicht. Und wenn man den Film sieht, versteht man das auch, denn die Musik schweigt, wenn der Teufel spricht. Und der Teufel spricht ziemlich regelmäßig. Im Grunde verhält es sich wie bei Forrest Gump: Es werden äußerst drastische Themen besprochen, aber trotzdem hat man nicht das Gefühl, ein Drama gesehen zu haben. Und irgendwo ist es das, auch wenn der Film im Einklang endet.



Das Zuhause und die Sehnsucht nach der Welt


Musikalisch gesehen finden sich zwei leitmotivische Elemente, wobei diese eher Orten zuzuordnen sind. Die "Main Titles" (Track 1) beinhalten das Thema, welches am ehesten mit dem Waisenhaus assoziiert werden kann. Das zweite Leitmotiv findet sich erstmalig in dem Track "Homer asks Wally for a ride" und damit in der Szene, in der genau das geschieht. Homer fragt nach einer Mitfahrgelegenheit, um die Welt zu sehen. Somit kann man dieses Thema der Welt zuordnen; vielleicht auch der Sehnsucht. Wenn man den Film und das Album chronologisch betrachtet, fällt auf, dass das Waisenhaus-Thema an Anfang und Ende dominiert und dazwischen kaum vorkommt. Beim Welt-/Sehnsucht-Thema ist es eben genau umgekehrt, was nicht überrascht, da Homer nun mal im Waisenhaus groß wird, in die Welt geht, um dann wieder zurückzukommen.



Zum englischen Titel: The Cider House Rules


Interessant ist, dass, betrachtet man den englischen Titel des Romans und Films, The Cider House Rules, ein Widerspruch zu entstehen scheint, wobei das mit Vorsicht zu genießen ist. Denn man kann nicht in den Kopf von Rachel Portman klettern. Dennoch fällt auf, dass das Cider House (das "Apfelweinhaus") nicht in den "Main titles" beschrieben wird, sondern das Waisenhaus. Das Cider House findet seine Beschreibung eher in dem Welt-/Sehnsucht-Thema.

Man kann es aber auch so sehen, dass diese Regeln ja mitverantwortlich dafür sind, dass das Waisenhaus in seiner bestehenden Form so existiert; dass sie für etwas Umfassenderes stehen. Dann wäre der Widerspruch keiner mehr.

In jedem Fall muss dieser Soundtrack sehr vielschichtig betrachtet werden, auch wenn er nicht vor Themen oder Motiven überquillt. Es gibt neben den zwei Hauptthemen noch andere Melodien, aber diese orientieren sich harmonisch an Ersteren.



Der Gladiator im Waisenhaus?


Schauen wir uns die Harmonien der Hauptthemen an.

Das Waisenhaus-Thema beginnt in den "Main Titles" in G-Dur und steht im 3/4 Takt. Es folgt ein Wechsel zu C-Dur, dann wieder G, dann wieder C. Nach einem weiteren G-C-Wechsel kommt E-moll ins Spiel. Es folgen F-Dur, C-Dur und zum Schluss D-Dur. Dieses Thema lässt sich nun natürlich variieren. Dies geschieht beispielsweise in Track 2 ("Homer's Lessons"), wo die Abfolge so aussieht: G-Dur, C-Dur, G-Dur, E-moll, C-Dur, D-Dur. Man sieht die Übereinstimmungen in den Harmonien, aus denen nur F-Dur als Unterschied heraussticht. Dieses F-Dur ist auch gleichzeitig die einzige wirkliche Besonderheit in der Konzeption. Alle anderen Tonarten folgen der klassischen Kadenz (G-C-D); dazu gesellt sich E-moll als Paralleltonart zu G-Dur, was auch nicht ungewöhnlich ist. Das Einbinden von F-Dur in einem Stück, welches in G-Dur geschrieben ist, bedeutet also die Kombination aus Grundton und kleiner Septime nach oben bzw. großen Sekunde nach unten. Spielt man beide Akkorde abwechselnd, so ergibt sich ein Klang, der an alte und neuere Gladiatorenfilme denken lässt, denn auch Hans Zimmer nutzt in Gladiator ähnliche Harmoniefolgen. Nun hat Portman sicher kein Historienepos erzeugen wollen und da kommen wir zu einer zweiten möglichen Einsatzform dieser Harmoniekonstellation. Man kann, auf Kosten der melodischen Memorabilität dadurch einem Stück mehr Spannung verleihen; das gewisse Etwas hinzufügen. Und genau das tut Portman damit. Es entsteht eine überraschende Wendung, die sich dann aber wieder ins Gesamtkonzept einordnet.



Von Elben und Klingonen


Zu dem Welt-/Sehnsuch-Thema.

Betrachtet werden soll hier die Harmoniefolge ab 2:27 in den "End Credits". Schon der Anfang ist sehr interessant. Da könnten G-Dur oder G-moll stehen, es macht, wenn man es ausprobiert keinen großen Unterschied. Am Sinnvollsten ist es, den Akkord offen zu lassen und sich nicht für B oder H zu entscheiden. Es folgen dann Es-Dur, B-Dur, F-Dur und C-Dur. Dieses Thema ist harmonisch schwierig einzuordnen. Es beginnt in jedem Fall mit einer Mediante (G-Es), was einen mystischen Charakter erzeugt (dieser Harmoniewechsel findet sich auch im Rivendell-Thema aus Der Herr der Ringe (Howard Shore) oder im Main-Title aus Star Trek II-Die Rache des Khan (James Horner)). Und dann wird es ganz spannend. In Quintabständen nach oben bewegen sich die folgenden Tonarten (Es-B-F-C). Ich kann nicht wirklich überzeugend erklären, warum es funktioniert, aber ich weiß, dass ich ähnliche Strukturen in Stücken von mir auch schon verwendet habe. Ich vermute, dass es eine musikwissenschaftliche Erklärung dafür gibt, aber ich kenne sie nicht. Ich weiß nur, dass es funktioniert und dass man sehr interessante Melodien darüber bauen kann.



Rachel Portman und Alan Silvestri


Es handelt sich alles in allem um einen sehr schönen und stimmungsvollen Soundtrack. Vor allem die Performances der Solo-Instrumente sind berührend. Auch ist er wunderbar auf den Film abgestimmt. Der Vergleich zu Forrest Gump wurde ja bereits gezogen und soll hier noch einmal aufgegriffen werden. Beide Werke räumen dem Klavier viel Raum ein. Die Stimmungen, die sie abseits des Films erzeugen, ähneln sich ebenfalls. Die Filme kann man sicherlich schwer vergleichen, auch wenn in beiden jemand auszieht in die Welt. Aber man kann wahrscheinlich sagen, dass jemand, der den einen Soundtrack mag, den anderen wohl auch wertschätzen kann.



Special: Clips from the movie


In diesem ersten Clip hört man das Waisenhausthema in verschiedenen Variationen, unterbrochen von einem kleinen Zwischenmotiv.

In welcher Zeit spielt Gottes Werk und Teufels Beitrag?

Handlung. In Maine um die Zeit des Zweiten Weltkrieges leitet der Arzt Dr. Wilbur Larch ein abgelegenes Waisenhaus in dem kleinen Ort St. Cloud's und betreibt darin auch eine gynäkologische Praxis.

Wo spielt Gottes Werk und Teufels Beitrag?

Handlung. Der sechste Roman von John Irving spielt überwiegend in den 1930er bis 1950er Jahren und erzählt die Geschichte des Waisenjungen Homer Wells, der in der Obhut des äthersüchtigen Doktor Wilbur Larch, des Leiters des abgelegenen Waisenhauses Saint Cloud's im US-Bundesstaat Maine, aufwächst.