Wieso ist es wichtig dass sich der Chromosomensatz vor der Befruchtung halbiert?

Menschliche Eizellen enthalten häufig eine falsche Anzahl an Chromosomen, was zu Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit führt. Wie Forschende um Melina Schuh am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften nun herausfanden, fehlt menschlichen Eizellen ein wichtiges Protein, das als molekularer Motor fungiert. Dieser Motor ist wichtig, um die Maschinerie zu stabilisieren, die die Chromosomen während der Zellteilung trennt. Die Erkenntnisse des Teams ermöglichen neue Therapieansätze, mit denen sich Fehler bei der Chromosomentrennung verringern lassen könnten.

Wieso ist es wichtig dass sich der Chromosomensatz vor der Befruchtung halbiert?

Wieso ist es wichtig dass sich der Chromosomensatz vor der Befruchtung halbiert?

Während der Reifeteilung einer menschlichen Oozyte halbiert der Spindelapparat (grün) den Chromosomensatz, indem er die Chromosomenpaare (magenta) voneinander trennt.

© Chun So / Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Während der Reifeteilung einer menschlichen Oozyte halbiert der Spindelapparat (grün) den Chromosomensatz, indem er die Chromosomenpaare (magenta) voneinander trennt.

© Chun So / Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Wenn ein Spermium eine Eizelle befruchtet, ist das der Beginn eines neuen Lebens. Dann vereinigen sich die Erbinformationen (DNA) der Eltern: Spermium und Eizelle bringen je eine Kopie der 23 Chromosomen mit, die die DNA tragen. Der entstehende Embryo erhält somit einen kompletten Chromosomensatz. Die Vorläuferzelle der Eizelle, die Oozyte, besitzt allerdings zwei Kopien eines jeden Chromosoms. Vor der Befruchtung muss sie daher die Hälfte ihrer 46 Chromosomen ausschleusen. Dies geschieht, während die Zelle heranreift, in einer spezialisierten Zellteilung, der Meiose. Dabei werden die Chromosomen der Oozyten mithilfe einer komplexen Maschinerie – dem Spindelapparat – getrennt. Er besteht aus Spindelfasern, die sich während der Meiose an die Chromosomen anheften. Die Fasern ziehen dann je eine Kopie jedes Chromosoms zu den gegenüberliegenden Polen der Spindel. Die Oozyte teilt sich schließlich dazwischen.

Bei Menschen läuft dieser empfindliche Vorgang allerdings nicht immer korrekt ab. Verbleiben zu viele oder zu wenige Chromosomen in der gereiften Eizelle, drohen Fehlgeburten oder Erkrankungen des Nachwuchses wie das Down-Syndrom. „Was wir bereits wussten ist, dass menschliche Eizellen häufig Spindeln mit instabilen Polen bilden. Solche labilen Spindeln ordnen die Chromosomen bei der Zellteilung falsch an oder bringen sie durcheinander“, berichtet Melina Schuh, die am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften die Abteilung Meiose leitet. Damit sind menschliche Oozyten im Tierreich eher eine Ausnahme. „Die Spindeln anderer Säugetier-Oozyten waren in unseren Experimenten sehr stabil“, so die Max-Planck-Direktorin.

Instabile Spindeln durch ein fehlendes Motorprotein

Um herauszufinden, was menschliche Spindeln derart labil macht, verglich das Team in verschiedenen Säugetier-Oozyten das molekulare Inventar an Proteinen, das für die Spindelstabilität erforderlich ist. Für diese Versuche nutzten die Forschenden unbefruchtete menschliche Eizellen, die zum Zeitpunkt von Fruchtbarkeitsbehandlungen unreif waren und die Patientinnen der Bourn Hall Clinic (England), des Kinderwunschzentrums Göttingen und des Fertility Center Berlin für die Forschung gespendet hatten. Zum Vergleich verwendete das Team Oozyten von Rindern, Schweinen und Mäusen.

Wieso ist es wichtig dass sich der Chromosomensatz vor der Befruchtung halbiert?

Wieso ist es wichtig dass sich der Chromosomensatz vor der Befruchtung halbiert?

Entfernt man den molekularen Motor KIFC1 aus Mäuse- (links) und Rinder-Oozyten (Mitte), entstehen multipolare Spindeln (türkis) und Fehler bei der Chromosomentrennung, wie sie auch bei menschlichen Oozyten mit instabilen Spindeln beobachtet werden (rechts). Gelbe Pfeile weisen auf die instabilen Spindelpole.

© Chun So / Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Entfernt man den molekularen Motor KIFC1 aus Mäuse- (links) und Rinder-Oozyten (Mitte), entstehen multipolare Spindeln (türkis) und Fehler bei der Chromosomentrennung, wie sie auch bei menschlichen Oozyten mit instabilen Spindeln beobachtet werden (rechts). Gelbe Pfeile weisen auf die instabilen Spindelpole.

© Chun So / Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Die Wissenschaftler*innen entdeckten, dass menschliche Oozyten vergleichsweise geringe Mengen des Proteins KIFC1 enthalten. Dieses Motorprotein baut Brücken zwischen den Spindelfasern, die helfen, die Fasern richtig auszurichten und verhindern, dass sie auseinanderfallen. „Oozyten von Mäusen, Schweinen und Rindern enthielten im Vergleich deutlich mehr KIFC1-Protein“, erklärt Chun So, Postdoktorand in Schuhs Abteilung und Erstautor der Studie. Im nächsten Schritt untersuchten die Forschenden, ob die Menge des Proteins tatsächlich die Stabilität der Spindeln beeinflusst und entfernten dazu das KIFC1-Protein aus den Oozyten von Mäusen und Rindern. Möglich machte dies eine neue, in Schuhs Labor mitentwickelte Methode namens Trim-Away, die nahezu jedes Zielprotein schnell aus jeder Art von Zelltyp abbaut. „Ohne das Motorprotein bildeten auch Mäuse- und Rinder-Oozyten instabile Spindeln und es kam zu mehr Fehlern bei der Chromosomentrennung. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass KIFC1 entscheidend dazu beiträgt, Chromosomen bei der Meiose fehlerfrei zu verteilen“, berichtet der Nachwuchswissenschaftler.

Ein Grundstein für neue Therapieansätze

Könnte KIFC1 daher ein Ansatzpunkt sein, um Fehler bei der Chromosomentrennung in menschlichen Eizellen zu reduzieren? „Für uns war die spannende Frage: Wird die Spindel stabiler, wenn wir zusätzliches KIFC1 in menschliche Oozyten einbringen“, erklärt Schuh. Unter dem Mikroskop waren in den Zellen, die zusätzliche Mengen des Motorproteins enthielten, die Spindeln deutlich intakter. Dadurch traten weniger Fehler beim Trennen der Chromosomen auf. „Das Einbringen von KIFC1 in menschliche Oozyten ist somit ein möglicher Ansatz, um Fehler in Eizellen zu reduzieren. Dies könnte dazu beitragen, Kinderwunschbehandlungen erfolgreicher zu machen“, hofft die Max-Planck-Direktorin. (kr/cr)

Warum findet bei der Bildung von Eizellen bzw Spermien eine Halbierung des Chromosomensatzes statt?

Durch die Meiose kommt es zur Halbierung des Chromosomensatzes. Dies ist bei den Keimzellen (Spermien und Eizellen) nötig, da bei der Befruchtung die Chromosomensätze miteinander verschmelzen.

Warum müssen Chromosomen vor der Zellteilung verdoppelt werden?

Wenn Zellen sich teilen, dann sollen beide Tochterzellen genau die gleiche Erbinformation enthalten, wie die Mutterzelle. Damit das klappt, müssen die Chromosomen zunächst einmal verdoppelt werden.

Warum muss der Chromosomensatz bei der Meiose reduziert werden?

Reifeteilung - Reduktionsteilung Jede Körperzelle enthält einen diploiden (doppelten) Chromosomensatz. Und das soll auch so bleiben. Um jetzt aber zu vermeiden, dass sich bei jeder Befruchtung die Chromosomenzahl wieder verdoppelt, muss der Chromosomensatz in der ersten Reifeteilung reduziert werden.

Was passiert mit den Chromosomen bei der Befruchtung?

Bei der Befruchtung verschmelzen die Chromosomensätze von Eizelle und Samenzelle, sodass wieder ein vollständiger Chromosomensatz von 23 Paaren entsteht. Wird das Ei von einer Samenzelle mit einem X-Chromosom befruchtet, so entsteht ein XX-Chromosomenpaar und das Kind wird ein Mädchen.