In Deutschland nehmen sich jedes Jahr etwa 10.000 Menschen das Leben. Das sind mehr Menschen, als im Verkehr oder durch Drogen zu Tode kommen. Durch gezielte Schulung von Ärzten aber auch Aufklärung der Gesamtbevölkerung hoffen Forscher nun suizidgefährdeten Menschen besser zu unterstützen. Sie hoffen dadurch die Zahl der Selbsttötungen zu senken. Show
Audio herunterladen (25,4 MB | MP3) Deutschland hat sich im Rahmen eines Programms der Weltgesundheitsorganisation WHO verpflichtet, die Zahl der Suizide bis 2020 gegenüber 2013 um zehn Prozent zu senken. Die Bundesregierung stellt dafür 3,5 Millionen Euro Forschungsgelder zu Verfügung. Davon geht eine knappe Million in das Frankfurter Programm zur Prävention von Suiziden mittels evidenzbasierten Maßnahmen, kurz FraPPE. Die Stadt Frankfurt hofft, die Suizidrate um ein ganzes Drittel zu senken. Andreas Reif ist Projektleiter und Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik in Frankfurt. Er koordiniert die verschiedenen Aktivitäten in der Stadt zur Suizidprävention. Suizidgefährdete müssen in Behandlung gebracht werdenDazu wird in Frankfurt eine 24-Stunden-Hotline geschaltet. Darüber hinaus gibt es Notfallsprechstunden mit dem Ziel, dass Suizidgefährdete rasch und unkompliziert in ärztliche Behandlung kommen. Das wird ergänzt um eine speziell auf Suizidalität abgestimmte Kurzpsychotherapie. Ganz wichtig ist auch die Schulung von Fachleuten, damit sie besser wissen, wie sie Gefährdete erkennen und ihnen helfen können. Gerade Hausärzte sollten erkennen, wenn bei Patienten eine akute Suizidgefahr besteht und dann auch entsprechend reagieren. Denn fast alle Suizid-Gefährdeten gehen nicht zu Psychologen oder Psychiatern, die mit solchen Fällen mehr Erfahrung haben. Suizidgefährte durchleben verschiedene PhasenOft durchleben Suizidkandidaten verschiedene Phasen. In der sogenannten Erwägungsphase spielen sie mit dem Gedanken, sich umzubringen, die Gefahr ist aber noch nicht sehr hoch. Sie sind oft deprimiert. Hausärztinnen und Hausärzte sollten solche Patienten fragen, ob sie einen Suizid erwägen. Meist suchen Betroffenen in dieser Phase aber nicht Hilfe bei Ärzten. In der darauffolgenden Phase, der Ambivalenzphase, suchen die Menschen eher ärztliche Hilfe. Sie fühlen sich oft sehr getrieben und sehr unruhig. Sie leiden massiv. Es gibt eine Ambivalenz zwischen diesem „Ich will eigentlich leben, aber so wie es ist, will ich nicht mehr leben“. Akute Suizidgefahr erkennenIn einer solchen Phase ist die Suizidgefahr mäßig bis hoch. Die Psychiaterin Christiane Schlang bildet Ärzte in der Suizidprävention aus. Sie empfiehlt, Betroffene im Verdachtsfall zu fragen, ob sie sich über eine Methode Gedanken gemacht haben. Besteht unmittelbar die Gefahr, dass der Patient seine Pläne in die Tat umsetzt? Wenn dann jemand, so Christiane Schlang sagt, "ja, ich hab den Strick in der Garage liegen oder ich habe Tabletten gesammelt oder ich habe einen Tag schon festgelegt, dann ist da natürlich höchste Alarmstufe." Wie Betroffene über ihre Suizidgedanken redenNicht nur Ärztinnen und Ärzte sollten darauf achten, ob ein Mensch suizidgefährdet ist. Auch Laien sollten aufmerksam sein, sagt die Psychiatrieprofessorin Barbara Schneider. Sie ist die Vorsitzende der Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention. Es gibt den Mythos, wenn jemand über Suizidalität spricht, dass er sich nicht wirklich selbst tötet. Das ist falsch, sagt Barbara Schneider. In der Regel ist das ein Ruf nach Hilfe und Unterstützung. Denn in der Regel wird eine geplante Selbsttötung mitgeteilt. Direkt und oft auch indirekt, indem ein Betroffener sagt, wir sehen uns nicht mehr und solche Andeutungen macht. Wieder andere ziehen sich komplett zurück, brechen den Kontakt komplett ab. Auch da sollte man hingucken. Wie Laien Suizidgefährdeten helfen könnenHellhörig werden sollte man auch, wenn jemand über Tage deprimiert wirkt oder viel weniger als sonst sagt, ohne dass ein Grund erkennbar ist. Wichtig ist dabei immer, so Barbara Schneider, dass man mit der anderen Person in Beziehung tritt und Kontakt aufbaut. Als Laie sollte man dann dafür sorgen, dass die Betroffenen in eine Beratungsstelle gehen, in eine Klinik oder zum Arzt. Laien können und sollten Gate Keeper sein – Torwächter. So nennen Suizidexperten Menschen, die mit Gefährdeten in Kontakt gehen und ihnen den Weg durchs richtige Tor weisen können. Gate Keeper sind natürlich Ärzte sowie Pflegerinnen und Pfleger, die mit vielen Menschen zu tun haben, denen es nicht gut geht. Aber letztlich kann jede und jeder in diese Lage kommen. Suizide richten sich nicht nach Öffnungszeiten von BeratungsstellenWenn die Suizidgefahr erkannt ist, müssen Helfer, Angehörige oder die Betroffenen selbst sich irgendwo hinwenden können, wo sie schnell Hilfe bekommen. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr erreichbar und leistet gute Arbeit. Doch das reicht den Betroffenen nicht immer, sagt Ute Lewitzka, die Leiterin des Forschungsbereichs Suizidprävention der Universität Dresden. Wichtige Institutionen wie der Krisendienst oder der sozialpsychiatrische Dienst sind in der Regel Montag bis Freitag von acht bis 16 Uhr geöffnet. Doch viele Krisen passieren nicht zu den Öffnungszeiten, sondern vor allem nachts oder am Wochenende. Ganz wichtig sei es, so Lewitzka, die Leute durch die Nacht zu bringen und diese Zeit zu gewinnen. Auch hier will das Projekt FraPPe für Verbesserungen sorgen. Es soll eine rund um die Uhr besetzte Hotline geben, die dringende Fälle auch schnell in eine der psychiatrischen Kliniken vermitteln kann.
Geschlechtsunterschiede bei SuizidversuchenIn vielen westlichen Ländern, auch in Deutschland, sind Männer stark gefährdet, vor allem alte Männer. Experten nennen dies das ungarische Muster, weil es vor allem dort ausgeprägt auftritt. Es gibt naheliegende Gründe, warum alte Männer sich weit häufiger umbringen als andere. Womöglich vereinsamen sie, wenn ihre Frau vor ihnen stirbt. Bei Frauen steigt die Selbsttötungsrate mit dem Alter nicht so stark an. Andreas Reif, der Leiter der Frankfurter Uni-Psychiatrie hat noch eine andere Erklärung, warum mehr Männer durch Suizid sterben, obwohl Frauen viel mehr Versuche unternehmen: "Der Hang zu schweren Maßnahmen, der scheint bei Männern einfach häufiger zu sein. Der Tod durch Zugsuizid beispielsweise, der Tod durch Erhängen, das ist etwas, wovor Frauen zurückscheuen. Da wird eben wesentlich häufiger die Intoxikation gewählt, aber ich glaube nicht, dass eine Überlegung der Sterbenswahrscheinlichkeit eine Rolle spielt." Häufigere Suizide an HotspotsSuizidkandidaten bringen sich häufig auf die gleiche Weise um, oft sogar an den gleichen Stellen. Fachleute nennen sie Hotspots. Schutzmaßnahmen wie das Anbringen von Fangnetzen an Brücken oder das Absperren von Gleisen in der Nähe psychiatrischer Krankenhäuser führen oft dazu, dass die Suizidversuche an diesen Stellen deutlich zurückgehen. Andreas Reif und seine Mitarbeiter vom Frankfurter Projekt FraPPe suchen nach solchen Hotspots. Sie machen Geoanalysen, um zu sehen, ob es bestimmte Orte, bestimmte Gebäude, bestimmte Regionen oder Nachbarschaften gibt, die zu einer Häufung von Suizid oder Suizidversuchen führen.
Den Medien kommt bei den Berichten über Suizide eine wichtige Rolle zuMedien berichten in der Regel nicht oder nur sehr kurz über Suizide, um Nachahmung zu verhindern. Es wird empfohlen, den Suizid nicht als Freitod oder in melodramatischer Weise darzustellen, sondern als Folge einer psychiatrischen Erkrankung, die durch konsequente Behandlung hätte vermieden werden können. Das funktioniert: nach der Berichterstattung über die Depression und die Selbsttötung des Torwarts Robert Emke ist das Verständnis für Depressive deutlich angestiegen. Antidepressiva können Suizide nicht immer verhindern Colourbox Model Foto: Colourbox.de - Wie kann man erkennen, dass Menschen sich töten wollen?
Was können Sie konkret tun, um Selbsttötungen vorzubeugen
SWR 2018 Manuskript zur Sendung |