Wer dagegen ist ist mutig

von Barbara Ludwig

Alt zu werden ist keine Kunst, aber das Alter zu ertragen, ist wohl eine. Wer kennt nicht das geflügelte Wort: „Alt werden ist nichts für Feiglinge“? Das heißt, wir brauchen Mut, dem Dilemma widriger Krankheiten und des damit einhergehenden Kräfteverfalls sowie weiterem Ungemach standhaft zu begegnen.

Eigentlich ist es schön, alt zu sein, weil wir Zeit haben, vorausgesetzt auch die Lust dazu, das Gegenwärtige umfassend zu erkennen, zu werten und, was das Schönste ist, zu genießen. Das Leben hat ja so viele schöne und interessante Erlebnisse zu bieten und wir wollen doch so gerne wissen, wie Begonnenes enden wird. Also müssen wir viel tun, um uns den erwünschten Platz zu sichern.

Das in unserer Gesellschaft immer noch verbreitete negative Altersbild macht es nicht leicht, mutig ja zum Alter zu sagen. Schlimm wird es, wenn von Rentnerschwemme oder Überalterung die Rede ist. Hier müssen wir stark sein und ganz energisch dagegen halten! Denn Fakt ist, wir haben zu wenig Junge, eine „Unterjüngung“ sozusagen.

Trotz alledem: Haben wir Mut!
Wir selbst müssen ihn uns abverlangen! Aber wie?
Auf unsere Stärken sollten wir uns besinnen, dann erkennen wir unsere Kraft trotz aller Widrigkeiten. Wir besitzen doch viel Lebenserfahrung, die uns helfen wird beim, uns selbst auferlegten, Widerstand gegen Unbilden des Lebens und auf bessere Zeit zu hoffen, sind wir allemal fähig. Beides willig angewendet mit eigener Kraft und Stärke werden helfen, das Alter mutig zu ertragen.

Wir müssen bereit sein, Veränderungen anzunehmen. Veränderungen, die zum Beispiel durch Krankheit, Verlust eines Menschen oder Geldknappheit erforderlich sind. Solche Veränderungen sollten wir akzeptieren und einen Neustart wagen! Der Neustart gelingt, wenn wir es wollen und dazu unsere Kräfte mobilisieren. Stolz können wir dann sein auf das, was wir noch geschafft haben. Der Stolz und die Freude darüber schenken neue Kraft, die wir gerne aufnehmen und wir werden weitere, manchmal nicht für möglich gehaltene, Taten riskieren.

Wir Älteren sollen und wollen in der Gesellschaft mitdenken, mitwirken, mitentscheiden! Es kann doch nicht sein, dass nur die Jüngeren alles regeln, die, die nicht umfassend wissen können, was gut ist für uns. Wenn wir aus Mutlosigkeit oder sogar aus Bequemlichkeit ein Einmischen ablehnen, geht es bergab.

Wenn es mitunter auch schwer fällt, wir müssen unsere Rechte erkämpfen!
Wir sind doch wer! Alltägliche Dinge des Lebens dürfen uns nicht vorenthalten werden, das heißt, das speziell Lebenswichtige für uns Ältere ohne Abwägung, was nun wieder für Kosten auf die Krankenkassen oder auf Andere zukommen. Wir wollen keinen Luxus, nur das uns Zustehende, was notwendig ist, nicht wenn so manche meinen, dass das Gegebene ausreicht.

Wir müssen lernen, uns zu wehren, wenn man uns ältere Menschen als Alterslast, Pflegelast oder Rentenlast lieber heute als morgen entsorgen möchte. Das dürfen wir nicht zulassen!
Wir müssen stark sein, auch mit Hilfe uns unterstützender Menschen.

Das ist der nächste Punkt: Wir müssen in der Lage sein, Hilfe anzunehmen, darum zu bitten oder gar zu fordern. Ein schwieriges Unterfangen oftmals. Überwindung erfordert Mut. Nicht selten wird dann sogar richtig gern geholfen, nur wissen müssen sie es. Trauen wir uns.

Wir Älteren dürfen nicht feige sein, um Neues auszuprobieren und zu erlernen, auch wenn es langsam voran geht. Geduld sollte eine unserer Stärken sein, die wir auch von unseren Mitbürgern verlangen können. Nein, fordern sollten.
Wir müssen Mut bezeugen, um eigene Ansichten und Einstellungen kritisch zu hinterfragen und sie womöglich über Bord zu werfen und neue Werte zuzulassen. Manchmal auch gegen den Strom zu schwimmen.

Und vor allem sollten wir die kleinen positiven Momente ganz bewusst erkennen und uns darüber freuen. Das ist das kleine Glück, das wir so nötig brauchen. Auf Großes zu warten, ist verlorener Sinn.
Akzeptieren wir, was nicht zu ändern ist. Aber ändern wir, was wir nicht akzeptieren. Wir haben die Kraft, aus der Mut wächst und wir wissen, es gibt liebe hilfsbereite Menschen. Nicht alles ist schlecht.

Mut gilt als heroische Eigenschaft. Wer mutig ist, der ist jemand. Doch was bedeutet Mut eigentlich genau? Und: Können Kinder (und natürlich auch Erwachsene) lernen, mutig zu sein?

Ich lese mit meinem Sohn (3) gerade Geschichten aus den Büchern der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. Viele ihrer kindlichen Helden sind stark, vital und mutig. Ich begann, darüber nachzudenken, ob die Kinder „des wirklichen Lebens“ eigentlich auch so mutig sein können wie zum Beispiel Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter. Welche Zutaten braucht es dazu eigentlich? Im Duden findet sich folgender Eintrag unter „Mut“: „Mut ist die Fähigkeit, in einer gefährlichen Situation seine Angst zu überwinden sowie die grundsätzliche Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält.“

Pippi Langstrumpf zeigt nicht nur physischen Mut, indem sie Stiere bekämpft, Prügel-Knaben durch die Luft schleudert und Kinder aus brennenden Häusern rettet. Sie verfügt über Eigenschaften, die über reine körperliche Kraft und Unerschrockenheit hinausgehen. Pippi steht für das ein, was sie denkt. Sie sagt, was sie fühlt. Sie hilft dort, wo sie es für richtig hält. Sie hinterfragt Normen und Gesetze und prüft diese auf ihre „Verträglichkeit“ in Bezug auf ihre eigene Lebensmoral.

Ja, Mut hat viele Gesichter. Vom 5-Meter-Brett ins Schwimmbecken zu springen, kann mutig sein. Es ist aber genauso mutig, sich dem Drängen anderer zu so einem Sprung zu widersetzen und klar zu artikulieren, dass man das nicht machen möchte – selbst wenn man damit Spott und Hohn riskiert. Auch das Zugeben von Fehlern oder Wissenslücken setzt Mut voraus. Genauso wie das Ausdrücken von Emotionen (wie zum Beispiel „ich bin traurig“) mutig ist, da man dadurch seine Verletzlichkeit preisgibt. Pippi Langstrumpf ist in jeder Hinsicht mutig. Vielleicht ist sie deshalb so faszinierend und für viele Kinder ein Vorbild.

Warum Mut und Angst zusammengehören

Meistens wird mit Mut Wagemut, Unerschrockenheit, Angstfreiheit assoziiert. Die moderne Mut-Forschung sieht das allerdings anders: Mut gäbe es nur in Kombination mit Angst – das seien einfach zwei Seiten einer Medaille. „Mut und Angst schließen sich nicht aus. Die meisten mutigen Menschen berichten, dass sie erst ihre Furcht überwinden mussten, um dann eine mutige Tat vollbringen zu können. Angst gehört dazu, wenn man mutig sein will.“ (Nicola Schmidt: Mut – Wie Kinder über sich hinauswachsen. Beltz, 2016) Ich muss dabei unweigerlich an den berühmten Extrem-Alpinisten Reinhold Messner denken, der sich selbst immer wieder als ängstlichen Menschen bezeichnet hat.

Das scheint auf den ersten Blick paradox. Doch ist Angst ein wichtiger Begleiter auf dem Weg zu mutigem Handeln. Hat ein Kind zum Beispiel auf einem Klettergerüst Angst weiterzugehen und nimmt diese Angst bewusst als Warnung wahr, dann hat es in seiner Entwicklung einen großen Schritt getan. Es hat gelernt, dass das Risiko besteht, zu fallen und sich zu verletzen. Im nächsten Schritt wägt es dann ab, ob es das Wagnis unternehmen möchte oder nicht. Angst ist demnach kein lästiger Makel, sondern ein wichtiger und oft lebensnotwendiger Hinweisgeber.

Mut unterstützen – 5 Anregungen

Laut Forschung ist Mut keine genetisch angeborene Eigenschaft, sondern eine erlernbare Fähigkeit. Eltern und Bezugspersonen im Allgemeinen können Kinder bei der Genese von Mut unterstützen. Hier ein paar Gedanken und Anregungen:

#1 Riskantes zulassen

Eltern sollten stets ihre eigenen Ängste prüfen, hinterfragen und in Schach halten. Kinder lieben Grenzerfahrungen. Sie müssen zum Beispiel auf einen Baum hinaufklettern und fallen, um sich und ihre Grenzen kennenzulernen. Aufgabe der Eltern ist es, ihnen diese Möglichkeit ohne angstvolle Warnungen oder Prophezeiungen à la „Du wirst da runterfallen“ zu geben, dabei aber wirkliche Gefahr zu verhindern. Eine gute Strategie: Danebenstehen und auffangen!

#2 Grenzen respektieren

Wenn sich Kinder körperlich erproben, kommt es häufig vor, dass Eltern in die Risikoeinschätzung eingreifen. Gut gemeint sind Ermunterungen wie „Das schaffst Du schon“; leider haben diese oft einen gegenteiligen Effekt.

Wenn sich das Kind einfach nicht über die Hängebrücke drübertraut, dann ist das so.

Dem Kind das Gefühl zu geben, es müsste das doch schaffen, verunsichert, lähmt, erzeugt Scham. Mut machen, das ist gar nicht nötig. Einfach dabei sein und das Kind in seiner Entscheidung (und die kann durchaus auch lauten: Nein, ich geh da nicht weiter, ich traue mich nicht) unterstützen.

#3 Vergleiche vermeiden

Vergleiche mit anderen Kindern vermeiden. Kinder sind so unterschiedlich. Das Gras wächst bekanntlich nicht schneller, wenn man daran zieht. Jedes Kind kann Mut entwickeln, allerdings in seinem ganz persönlichen Tempo und Ausmaß.

#4 Empathie fördern

Die Entwicklung von Mut geht Hand in Hand mit der Entwicklung von Moral. Und dafür ist Empathie nötig: Je besser sich Menschen in die Gefühls- und Erfahrungswelt eines anderen hineinversetzen können, umso eher können sie in sich klären, ob sie in einer bestimmten Situation mutig eingreifen wollen oder nicht. Ein Kind, das weiß, dass Ausgrenzung schmerzen kann, wird – wenn es mutig genug ist – gegen die Ausgrenzung anderer eintreten. Eltern können ihre Kinder immer wieder zur Empathie anleiten. Mit simplen Fragen wie „Wie, denkst du, fühlt sich XY?“ oder „Was würdest du in einer solchen Situation wollen oder tun?“, unterstützen sie die Gabe der Einfühlung.

#5 Fehler zulassen

– Ein Geschenk von Eltern an ihre Kinder ist außerdem die Freiheit, Fehler machen zu dürfen. Leben Kinder in der Gewissheit, dass ihre Eltern sie auch lieben, wenn ihnen ein Fehler unterläuft, können sie auf natürliche Weise mutig werden. Eine gewisse Fehlerfreundlichkeit ist nämlich Voraussetzung für Mut. Schließlich besteht immer die Möglichkeit, dass ein Wagnis daneben geht. Angst, bei einem Unterfangen einen Fehler zu machen, blockiert den Schritt zu mutigem Verhalten.

Mutigen Herzens

Mein Sohn trägt einen mutigen Namen. Richard bedeutet „reich an Mut“. Menschen, die ihn nicht gut kennen, würden ihn wahrscheinlich mit den Etiketten „ängstlich“ und „vorsichtig“ versehen. Bis er 2,5 Jahre alt war, ging er auf dem Spielplatz keinen Meter allein. Er wollte immer, dass ich ihn von Spielgerät zu Spielgerät trage und dann dicht bei ihm bleibe. Wasser ist ihm noch heute ein zutiefst suspektes Element. Und wenn er Neues ausprobiert, verlangt er stets nach meiner Begleitung. Ein unbekümmerter Draufgänger ist er wohl nicht. Er ist aber ein kluger Vorausdenker. Er holt sich die Sicherheit, die er braucht, nimmt sich die Zeit, die er zur Bewältigung einer sich selbst gewählten Aufgabe benötigt. Er kann sich und sein Können in den meisten Situationen wunderbar einschätzen. Und hält felsenfest dagegen, wenn er zu etwas gedrängt wird, das er nicht möchte oder wozu er sich nicht in der Lage sieht. Ein mutiges dreijähriges Kerlchen, wie ich finde.

Im übertragenen Sinn bedeutet der Name Richard auch „reich an Herz“. Das Herz gilt als Sitz unserer Emotionen. Es heißt, in unserem Herzen wohne Gott, hier sei unsere Seele beheimatet. Hier leben jene Qualitäten, die uns als Mensch ausmachen.

Mutig sein, das ist nicht nur, von hohen Bäumen zu springen oder auf dem dunklen Dachboden nach Gespenstern zu jagen. Mut bedeutet für mich, dass ich es wage, ganz ich selbst zu sein, auf mein Gefühl und meine Weisheit zu hören, meine eigene Moral zu kennen und zu meinen Überzeugungen zu stehen.

Auch, wenn ich mir dadurch Kritik und Gegenwind einhandle. Mut heißt für mich auch, das Göttliche in mir zu spüren und mich so anzunehmen und zu schätzen, wie ich bin. Und mit dem kleinen Richard Löwenherz an meiner Seite mache ich mutige Schritte in diese Richtung.