Was bedeutet Man sieht nur mit dem Herzen gut das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar?

Es gibt die geschriebenen und es gibt die ungeschriebenen Gesetze. Es gibt Dinge, die gelehrt werden, und es gibt Dinge, die man selbst erkennen muss. Jede Kultur transportiert neben dem formellen auch ein informelles Wissen, das ihre Gepflogenheiten und die Wertvorstellungen beinhaltet. Dieses Wissen lässt sich nicht immer eindeutig begründen, trotzdem gibt es Auskunft über das Selbstbild einer Gesellschaft, wie sie gesehen werden und was sie darstellen will.

Zum informellen Wissen unserer Kultur gehört unter anderem, dass „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry ein Buch für Kinder und für Idioten ist. Ein Buch, das man in seiner Jugend lieben darf und für das man sich später schämen muss – gern auch öffentlich, um zu demonstrieren, wie dumm man einst war und welchen Reifeprozess man inzwischen erlebt hat.

Wer über sechzehn ist und das Buch liebt, sollte dies geflissentlich für sich behalten – jedenfalls alle, die um ihren geistigen Status besorgt sind und von denen man mehr Intellekt erwartet als von einem Bob-Anschieber oder einem Stallknecht – es gibt bei der Einschätzung einen gewissen Interpretationsspielraum. Sicher aber ist: Wer das erste Amt im Staate anstrebt, dem ist „Der kleine Prinz“ verboten. Er darf sich privat und im Geheimen daran erfreuen, sich öffentlich dazu bekennen gehört sich für ihn nicht.

Christian Wulff, damals Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten Deutschlands, hat den Mut oder die Dummheit besessen, es trotzdem zu tun. Wohl eher Letzteres. Denn er wundert sich in seinem Buch „Ganz oben, ganz unten“, in dem er die Umstände seines späteren Rücktrittes darlegt, über die Häme, die er für seine Offenheit erntete. „Weichstapler“ nannte man ihn, und wenn auch nicht klar ist, was dies genau bedeutet – unter den gewählten Bezeichnungen für den Politiker gehörte sie zu den wohlwollenden.

Wulff nimmt den Spott als Beleg für den moralischen Niedergang der Presse, denn was kann falsch sein an einem Buch, das die Liebe und die Menschlichkeit verteidigt? Gute Frage.

Erstens: „Der kleine Prinz“ ist ein Märchen, und Märchen haben in der Politik nichts zu suchen. Zu einfach ist deren Moral, zu simpel ihre Struktur. Die Einteilung der Welt in Gute und Böse wird der Komplexität der modernen Welt nicht gerecht. Allerdings: Hätte sich Wulff zu den Märchen der Brüder Grimm bekannt, der Spott wäre niemals so heftig ausgefallen. Hans Christian Andersen? Man hätte beifällig genickt. Wilhelm Hauffs Märchen? Zeugt von großem literarischem Geschmack. Nein, an der Märchenform kann die Ablehnung nicht liegen.

Ist „Der kleine Prinz“, eines der am meisten verkauften Bücher, zu populär? Verbietet es sich für einen Mann, der respektiert werden will, sich am Geschmack der Massen zu orientieren? Das ist wenig wahrscheinlich. Wulff hätte eine beliebige Krimiserie nennen können – man hätte es mit dem Zerstreuungsbedürfnis eines viel beschäftigten Mannes erklärt. Das Bekenntnis zum Populären hat einem Politiker, der auf die Zustimmung breiter Schichten angewiesen ist, selten geschadet.

Sind die Illustrationen das Problem, die Tatsache, dass Bilder nur in Kinderbüchern toleriert werden? Hätte Wulff die Werke Tomi Ungerers oder Maurice Sendaks „Wo die wilden Kerle wohnen“ genannt, so hätte man vielleicht über seine Schrullen gelächelt. Aber bestimmt nicht seine Dummheit verspottet.

Was also macht „Den kleinen Prinzen“ unmöglich? Warum ist dieses schmale Buch eine große Peinlichkeit? Wenn es nicht die Form ist, muss es am Inhalt, an der Moral dieses Textes liegen. Und diese lässt sich im Grunde mit der berühmtesten Stelle des Buches zusammenfassen. Sie findet sich in Kapitel 21. Dort begegnet der kleine Prinz einem Fuchs. Das Tier lehrt ihn: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Ist diese Aussage nun das Glaubensbekenntnis der Weichstapler und deshalb abzulehnen?

Wörtlich genommen ist sie natürlich Unsinn. Jedenfalls der erste Teil. Mit dem Herzen sieht man überhaupt nicht. Zum Glück. Die optischen Eindrücke in der Tiefe und Dunkelheit des Brustkorbes wären nicht gerade ersprießlich. Aber Saint-Exupéry meint es nicht wörtlich, sondern sinnbildlich. Er bewertet das, was man dem Herzen zuschreibt – die Liebe, die Freude, kurzum: die Gefühle – höher als den reinen Verstand.

Für einen Politiker ist das eine zweifelhafte Position. Man erwartet von ihm Pragmatismus und Rationalität. Und doch, die Partei, der Christian Wulff angehört, bezieht sie auf ein Buch, das im Wesentlichen genau diese Maxime vertritt: Im Matthäus-Evangelium steht: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Und in der Bergpredigt wird betont: „Selig sind die geistig Armen, denn ihrer ist das Himmelreich“. Hätte sich Wulff der Kritik ausgesetzt, wenn er sich zur Bergpredigt bekannt hätte? Das ist möglich. Hätte er sich damit lächerlich gemacht und dem Spott preisgegeben? Ganz gewiss nicht. Wo liegt also die Peinlichkeit?

Vielleicht im Satz: „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Wer immer diese Meinung vertritt, wird zugeben müssen, dass wir in ziemlich unwesentlichen Zeiten leben. Das Primat der Augen über die anderen Sinne ist nicht zu leugnen. Was nicht sichtbar ist, wird kaum wahrgenommen. Man kann sogar sagen, dass es überhaupt nicht existiert. Deswegen wird beinahe jede Anstrengung vollbracht, um das, was man für wesentlich hält, auch sichtbar zu machen. Nur dann erhält es die gewünschte Aufmerksamkeit.

Aber das beweist nicht die Wahrheit dieser Aussage. Nach ihr wäre das Wesentliche überhaupt nicht zu visualisieren, es würde sich dem Sehsinn entziehen. Um zu entscheiden, ob dies zutrifft, muss man zunächst bestimmen, was das Wesentliche überhaupt ist. Fern von normativen Bestimmungen ist es einfach das, was den Unterschied ausmacht. Jene Eigenschaft, die es erlaubt, eine Sache von einer anderen zu unterscheiden. Diese differenzierende Eigenschaft zu bestimmen ist die Aufgabe der Wissenschaft. Erkenntnis bedeutet zuerst Unterscheiden; das eine vom anderen trennen zu können, das Wahre vom Falschen, das Wirkliche vom Scheinbaren.

Wasser ist nicht einfach Wasser. Es besteht aus Wasser- und Sauerstoff. Wasserstoff besteht aus einem Proton und einem Neutron. Ein Neutron besteht aus zwei Downquarks und einem Upquark. So schreiten die Differenzierungen mit dem Fortschritt der Wissenschaften immer weiter voran.

Zwar gibt es keine theoretische Grenze der Erkenntnis, jedoch sehr wohl eine praktische Grenze der Beobachtung. Wir können die Eigenschaften sehr kleiner Teile nicht vollständig bestimmen. Der Physiker Werner Heisenberg hat das mit seiner berühmten Unschärferelation klargemacht, und so kompliziert dieses Prinzip auch ist, seine Wirkungen sind unmittelbar einsichtig. Licht besteht aus Photonen, und diese wirken auf sehr kleine Teilchen wie der Wind auf ein Segel. Sie werden verweht, noch bevor wir sie sehen, das heißt messen können.

Auch im makroskopischen Bereich gibt es Phänomene, die wir niemals sehen können, auch nicht mit den besten und den größten Maschinen. Dazu gehört die Entropie. Sie besagt, dass die Unordnung der Teile in einem geschlossenen System immer nur zunehmen kann. Dieses folgt aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Wärme lässt sich nicht vollständig in Arbeit umwandeln. Sonst wäre das Perpetuum mobile möglich. Bei jeder Umwandlung von Energie in Arbeit bleibt ein ungenutzter Rest übrig. Diese Entropie wurde nicht durch Beobachtung, sondern durch statistische Berechnung entdeckt. Wie sollte das auch gehen: das Universum ist zu groß, um es als Ganzes zu beobachten. Ob die Entropie nun wesentlich ist? Jedenfalls folgt aus ihr, dass unser Universum seinem unabwendbaren Schicksal entgegenstrebt – nämlich dem Wärmetod.

Der Fuchs in „Der kleine Prinz“ hat also recht. Wesentliche Eigenschaften der Wirklichkeit sind für die Augen nicht sichtbar. Für eine Gesellschaft, die viel Anstrengung in die Visualisierung steckt, muss dies eine Kränkung sein.

Die neuesten Technologien, die uns so faszinieren, dass es eine neue Computer-Uhr weltweit auf die Titelseiten schafft, machen Dinge vor allem sichtbar: Sämtliche Bücher in sämtlichen Bibliotheken. Die letzte Seitenstraße in irgendeiner weit entfernten Stadt. Der hinter hohen Büschen versteckte Garten des Nachbarn – alles in null Komma plötzlich auf meinem Bildschirm. Aber niemand wird deswegen behaupten, dass mit der gewonnenen Sichtbarkeit auch ein Erkenntnisgewinn verbunden ist.

So berauschend diese Entwicklungen sind, so tiefgreifend sie unser Leben auch verändern mögen – es waren nie die Technologien, welche die wesentlichen Fortschritte gebracht haben. Zwar musste die größte Maschine der Menschheit gebaut werden, um das letzte Elementarteilchen sichtbar zu machen, der Large Hadron Collider in Genf. Seine Existenz jedoch war seit den Sechzigerjahren bekannt, und dem Physiker Peter Higgs reichten zur Postulierung des Bosons, das seinen Namen trägt, Papier, Bleistift – und sein Kopf. Auch Albert Einstein entwickelte seine Relativitätstheorie nicht im Labor, nicht mit einer Maschine, sondern in seinem Hirn. Genau wie Pythagoras seine Lehrsätze und Archimedes seine Prinzipien, die heute so gültig sind wie vor zweieinhalbtausend Jahren. Und all dies, das hat Saint-Exupéry richtig erkannt, kann man nicht sehen, sehr wohl aber mit dem Verstand erfassen.

Das alles bedeutet noch nicht, dass „Der kleine Prinz“ ein wertvolles Buch ist. Aber es zeigt: Mit dem, wovor sie sich ekelt, was ihr peinlich ist, verrät eine Gesellschaft viel über ihre Ängste. Vielleicht fürchtet sich unsere Zeit vor der Erkenntnis, dass von der Technologie, wie weit wir sie auch entwickeln mögen, keine wesentliche Erkenntnis zu erwarten ist. Und wir weiter auf den Geist zurückgeworfen sind, um etwas über unsere Existenz in diesem Universum zu erfahren.

An das dachte Christian Wulff wahrscheinlich nicht, als er sein Lieblingsbuch nannte. Und so hat er sich auch nicht zu beschweren, wenn er dafür Spott erntet. Auch wenn dieser Spott letztlich weniger über diesen Politiker als über seine Gesellschaft aussagt.

Der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss, geboren 1971, veröffentlichte in diesem Frühjahr seinen Roman „Koala“ (Wallstein). Der Text wurde im Magazin des „Tages-Anzeigers“ erstveröffentlicht.

Wer sagt man sieht nur mit dem Herzen gut das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar?

Der Kleine Prinz( Le Petit Prince)-Man sieht nur mit dem Herzen gut! „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. “ Dieses Zitat aus dem Buch „Der Kleine Prinz“ ist mittlerweile weltweit bekannt.

Woher kommt der Spruch Man sieht nur mit dem Herzen gut?

Das Zitat von Antoine de Saint-Exupery aus „Der kleine Prinz“ wird meist verwendet, um deutlich zu machen, dass die Person nicht an Oberflächlichem interessiert ist, sondern Tiefgründiges wünscht. „Man sieht nur mit dem Herzen gut.

Was kann man nur mit dem Herzen sehen?

Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. “ Dieses ziemlich bekannte Zitat aus dem Buch „Der Kleine Prinz“ von Saint-Exupéry gehört immer noch zu meinen Lieblingssprüchen.

Was ist für die Augen unsichtbar?

Wie bedeutend diese Besonderheit des Werks für den Leser ist, wird nicht zuletzt auch an der Popularität des bekanntesten Zitats deutlich: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. “