Türkei kündigt militäroperation norden syriens an

Nach den gescheiterten Gesprächen mit den USA zur Einrichtung einer Pufferzone im Norden Syriens hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan eine Militäroperation in dem von Kurden kontrollierten Gebiet angekündigt. „Wir sind entschlossen, den Terrorkorridor östlich des Euphrats zu zerstören“, sagte Erdogan heute vor Mitgliedern der Regierungspartei in Ankara.

Wer sich auf die Unterstützung ausländischer Mächte in der Region verlasse, könne sich begraben lassen, warnte der Präsident. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hat die Türkei ihre Militärposten entlang der Grenze zu Syrien seit der vergangenen Woche verstärkt. Es war zunächst unklar, wann und wie die in Stellung gebrachten Haubitzen, Panzer und Panzerfahrzeuge eingesetzt werden sollen.

Langjährige Forderung der Türkei

Die Türkei fordert schon seit Jahren eine Pufferzone im von der Kurdenmiliz YPG kontrollierten Gebiet in Nordsyrien. Sie will, dass sich die YPG von dort zurückzieht, und hat wiederholt mit einer Offensive gegen die Kurdenmiliz gedroht.

Ankara sieht in der YPG einen Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und damit eine Terrororganisation. Für die USA ist die YPG dagegen ein wichtiger Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Sie wollen einen Angriff auf ihre Verbündeten durch den NATO-Partner Türkei verhindern.

Bei Gesprächen Anfang der Woche hatten sich die USA und die Türkei nicht auf die Pufferzone einigen können. Streitpunkte sind nach türkischen Angaben unter anderem, wer die Zone kontrollieren soll und ob die YPG das Gebiet vollständig räumen müsse.

Beim Überfall auf den Kanton Afrin 2018 halfen der türkischen Armee auch islamistische "Rebellen" der "Freien Syrischen Armee". Foto: Qasioun News Agency / CC0 1.0

Türkischer Präsident kündigt "Militäroperationen" im benachbarten Ausland an

Immerhin, als Präsident eines Nato-Mitgliedsstaats leugnet der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan nicht bis zur letzten Minute, dass er "Militäroperationen" im benachbarten Ausland plant. Anders als im Fall des russischen Angriffs auf die Ukraine vermeiden in diesem Zusammenhang auch etliche westliche Medien das Wort "Krieg".

Wie am Montagabend die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, sagte Erdogan nach einer Kabinettssitzung in Ankara, die geplante türkische Offensive entlang der südlichen Grenzen ziele darauf ab, eine 30 Kilometer breite Sicherheitszone zu schaffen, um "terroristische Bedrohungen" zu bekämpfen. "Das Hauptziel dieser Operationen werden Gebiete sein, die Angriffszentren auf unser Land sind", sagte Erdogan, ohne Näheres zu bekanntzugeben.

Gemeint sein dürfte der Norden Syriens, den das türkische Militär bereits 2016, 2018 und 2019 angegriffen hat, um die syrisch-kurdische Selbstverwaltung und die dortigen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) zu zerschlagen.

Über die im Januar 2018 von der Türkei gestartete "Operation Olivenzweig" heißt es in einem Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, die Türkei habe keinen überzeugenden Beweis dafür geliefert, "dass sich die allgemeine Bedrohungssituation an der syrisch-türkischen Grenze zu einer konkreten Selbstverteidigungslage verdichtet hat".

Folglich bestanden schon damals erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Militäroffensive mit dem Völkerrecht. Dass diese Vereinbarkeit im Fall einer dauerhaften Besetzung von Gebieten in Nordsyrien nicht gegeben sei, stand für die Experten im Jahr 2018 außer Frage:

Mit dem Gedanken der Selbstverteidigung prinzipiell unvereinbar erscheint indes ein militärisches Vorgehen, das Ziele verfolgt, welche im Ergebnis zu einer dauerhaften Veränderung von Strukturen und Einflusszonen auf fremdem Staatsterritorium führen können oder sogar besatzungsrechtliche Elemente enthalten.


Wissenschaftliche Dienste des Bundestags / Völkerrechtliche Bewertung der "Operation Olivenzweig" der Türkei gegen die kurdische YPG in Nordsyrien

Der damals von der türkischen Armee und islamistischen Hilfstruppen angegriffene nordsyrische Kanton Afrin ist mittlerweile seit vier Jahren besetzt. Insofern besteht aus heutiger Sicht kein Zweifel, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelte.

Nato-Partnerschaft bisher nicht erschüttert

Als "wichtiger Partner" Deutschlands und der Nato kam Erdogan damit durch – obwohl die von ihm als "Terroristen" bezeichneten Milizen wenige Jahre zuvor in westlichen Nato-Staaten für ihren Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gelobt worden waren; und obwohl Kriegsverbrechen dschihadistischer Hilfstruppen der Türkei im Zuge der "Operation Olivenzweig" publik wurden.

Am Montag kündigte Erdogan an, die neuerlichen Operationen würden gestartet, sobald Militär, Geheimdienste und Sicherheitskräfte ihre Vorbereitungen abgeschlossen hätten.

Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) werfen der Türkei vor, den Konflikt in dem Land mit Drohgebärden weiter anzuheizen und Schläferzellen des IS aktivieren zu wollen. Die Ankündigung einer neuen Invasion entlang der südlichen Grenze habe zum Ziel, die Stabilität in der Region zu untergraben, erklärte das multiethnische Bündnis in einer Mitteilung.

Die Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke für Internationale Beziehungen, Sevim Dagdelen, verlangt von der Bundesregierung eine klare Verurteilung des "offen angekündigten neuen Überfall auf Syrien".

Das Schweigen von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu Ankaras Kriegen gegen seine Nachbarn sei "ein Hohn und zeigt die ganze Doppelmoral der angeblich wertegeleiteten deutschen Außenpolitik", erklärte Dagdelen an diesem Dienstag. Während Russlands Krieg in der Ukraine zu Recht verurteilt werde, habe Erdogan "freie Hand für Bombardements, Besetzungen und Annexionen im Norden Syriens und im Irak", so Dagdelen.

Unterdessen strotzt der türkische Präsident vor Selbstbewusstsein, sperrt sich gegen die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die Nato, weil diese Länder angeblich "Terroristen" beherbergen und keilt gegen Griechenlands Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis aus, weil dieser sich als Staatsgast im US-Kongress gegen Waffenlieferungen an die Türkei aussprach.

Der türkische Botschafter in Schweden erhob zwischenzeitlich sogar Terrorismusvorwürfe gegen eine parteilose kurdischstämmige Abgeordnete des dortigen Parlaments und forderte deren Auslieferung, wenn das Land der Nato beitreten und nicht am türkischen Veto scheitern wolle. Die betroffene Politikerin Amineh Kakabaveh ist selbst gegen den Beitritt, den die Mitgliedsstaaten einstimmig beschließen müssen.

(Claudia Wangerin)

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