Keine Termine und leicht einen sitzen Lyrics

So einer wäre ja immer noch gut für Berlin. Den Smoking auf Taille, den Champagner im Griff, und dann auf die Bühne, stimmlich so souverän, dass alle an Sinatra denken, frech, flapsig, witzig. Aber es gibt nun mal niemanden mehr in der Stadt, der an Harald Juhnke heranreicht, im Souverän-Sein wie im Singen und Saufen, und deshalb ist er an seinem 90. Geburtstag, dem Pfingstmontag, immer noch so präsent, als wäre er nicht schon gut 14 Jahre tot, ein guter Nachbar immer noch.

Unvergessen – das ist hier keine Phrase, sondern eine einfache Diagnose. Juhnke, der gebürtige Weddinger, lebte West-Berlin, aber er transzendierte die Grenzen der Mauerstadt mit seinen erstaunlichen Fähigkeiten, zeigte den Bewohnern, dass auch da draußen was ist, was sich zu leben lohnen könnte.

Und denen, die draußen waren, machte er klar, dass auch am Kurfürstendamm und drumherum hart gefeiert wird, sogar mit ein wenig Glamour. Da kam keine der allfälligen Stadt-Ikonen mit, nicht Rolf Eden oder Udo Walz; die Liga von Hildegard Knef und Romy Schneider hat mit seinem Tod zu existieren aufgehört.

Essenz des Juhnk'schen Schaffens

Auch das Berliner Boulevard-Theater, das nun wegen des Verschwindens der Kudamm-Bühnen auch Juhnkes angestammtes Biotop verlor, hatte allen Grund, ihm nachzuweinen. „Wenn er auf dem Plakat stand, war das Haus voll“, erinnert sich Bühnenchef Christian Wölffer in einer neuen ZDF-Doku.

In den traulichen Berliner TV-Serien wie „Drei Damen vom Grill“ gab Juhnke den authentischen, schlitzohrigen Ur-Berliner mit genauem Akzent, oft als Gegenpart des erzbürgerlichen Günter Pfitzmann – das konnte keiner besser als er, weil er sich auch immer selbst spielte, er war berlinisch wie Currywurst und Ku’damm.

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Günter Pfitzmann (l.) war nur einer von Harald Juhnkes Berliner Wegbegleitern.

Allerdings schien es in den vergangenen Jahren nicht, als sei die Stadt darauf noch besonders stolz. Außer den relativ trostlosen Witzshows, die der RBB immer noch in Dauerschleife verbreitet, als sei das die Essenz des Juhnk'schen Schaffens, gab es wenig zu sehen von ihm – immerhin senden ZDF und mehrere ARD-Sender nun um Pfingsten herum Erinnerungen und neue Dokumentationen, der RBB plant einen Spielfilm.

Und die ARD hat eine Gedenksendung mit Kurt Krömer spendiert, ohne allerdings zu begründen, weshalb die ausgerechnet am Donnerstag vor Pfingsten um 23.30 Uhr nach „Pussy Terror TV“ laufen musste.

Jeder Taxifahrer kannte die Adresse

Dieser Mangel an Präsenz ist vor allem deshalb erstaunlich, weil Juhnke zeitlebens keine Scheu hatte, seinen bunten Lebensweg öffentlich auszustellen. Wenn er abstürzte, waren Journalisten dabei, wenn er eine 18-Jährige in eine Hotelsuite am Ku’damm abschleppte, rauschte das durch die bunten Schlagzeilen, in seiner Autobiographie „Meine sieben Leben“ hat er sich nicht geschont.

War mal nix los, lud er Journalisten nach Hause ein, um beim Selbstbemitleiden Gesellschaft zu haben, seine leichtsinnige Definition von Glück – „Keine Termine und leicht einen sitzen“ – wurde sprichwörtlich.

Es hieß damals sogar, seine Adresse sei Pflichtwissen für die Taxiprüfung, weil es ja immer sein konnte, dass er hinten rein plumpste und „bring mich nach Hause“ lallte. Alles ist dokumentiert, nichts hat er jemals bestritten, sich nie mit Gegendarstellungen herumgeärgert.

40 Jahre Krankheit

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Berlinisch wie Currywurst und Ku’damm. Harald Juhnke war eine Ikone.

Die Sprachregelung besagt, dass ihm die Stadt diese ewigen Abstürze „verziehen“ habe. Richtig ist wohl eher, dass sie sich daran sensationslüstern auch ein wenig erbaut hat – zeigte Juhnke nicht irgendwie, dass man sich über 30 Jahre jeden Tag abschießen dürfe, ohne dafür bestraft zu werden? Und trotzdem noch jede Bühne rocken kann und junge Frauen nach Belieben klarmachen?

Eine Illusion. Denn wie es um ihn stand, wie es wirklich aussah im Dauersuff, das hat er selbst in klaren Perioden eindringlich formuliert. „Die wenigsten Menschen haben gewusst, wie sehr ich unter meiner Krankheit gelitten habe“, sagte er nach einer Zeit der Abstinenz um seinen 70. Geburtstag herum, „die dachten immer, dem Juhnke macht das Saufen Spaß“.

Nie verlor jemand ein böses Wort

So hat es wohl angefangen – hatte nicht auch der große Humphrey Bogart immer einen Whisky in der Hand? Aber als Juhnke knapp 30 war und eine unheilbar kranke Tochter verlor, trank er erstmals ganze Nächte durch, musste nach einer Eskapade mit dem Auto sogar kurz in Haft.

Kein Problem für seine schillernde Karriere, die ihn an die Spitze des deutschen Fernsehprogramms führte, als er 1979 Peter Frankenfelds „Musik ist Trumpf“ übernahm – das ging immerhin drei Jahre gut. Bei allem Chaos hat aber offenbar nie ein Kollege ein böses Wort über ihn verloren.

Keine Termine und leicht einen sitzen Lyrics

Harald Juhnke im Duett mit der französischen Sängerin Mireille Mathieu

Etwa 40 Jahre Alkohol, 40 Jahre Krankheit – das war die Grundlage dafür, dass er 1995 mit seinen schmerzvoll gesammelten Erfahrungen in der Fallada-Verfilmung „Der Trinker“ brillieren konnte, einem Höhepunkt autobiographischer Selbstentäußerung. Nicht mehr nur Boulevard und Witzeerzählen und Sinatra- Imitieren, sondern auch tiefe Charakterrollen – ging es bergauf?

In Filmen wie „Schtonk“ oder „Der Papagei“ hatte er sich schon vom Image des ewigen Entertainers emanzipiert und ließ nun auch den Theaterboulevard hinter sich, gab 1996 am Maxim-Gorki-Theater seine umjubelte Paraderolle als „Hauptmann von Köpenick“, das sah schon fast nach einer Läuterung aus. Doch dann beschimpfte er in Los Angeles einen schwarzen Hotelmitarbeiter, kippte bei Dreharbeiten am Wörthersee um, wurde in einer Berliner Bar verprügelt.

„In meinen Erinnerungen lebt er für mich weiter“

Endgültig bergab ging es 2000 vor dem Beginn von Dreharbeiten in Wien. Er gab zu, sich den Text nicht merken zu können, kippte nach drei trockenen Jahren wieder Whisky flaschenweise in sich hinein, wurde in der Schweiz behandelt, zunehmend dement.

Seine Frau brachte ihn schließlich in ein Rüdersdorfer Pflegeheim, in dem er 2005 starb. Manager Peter Wolf, der 2001 unter Tränen das endgültige Karriereende seines Schützlings verkündete, rühmte ihn dafür, dass er unter all seinen Klienten der angenehmste Mensch gewesen sei.

Und seine Frau Susanne, die wohl am meisten mit ihm und an ihm gelitten hat in 34 Jahren Ehe, schenkt ihm einen Satz zum Geburtstag: „In meinen Erinnerungen lebt er für mich weiter.“

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