Hat die Frau von Stauffenberg überlebt?

Der Rachedurst der Nazis war kaum zu stillen: Nach dem Umsturzversuch am 20. Juli 1944 wurden die Täter hingerichtet - und ihre Kinder verschleppt. In einem Heim sollte ihr altes Leben ausgelöscht werden.

Von Hendrik Behrendt

20.07.2017, 09.27 Uhr

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Etwas zögerlich setzt Alfred von Hofacker seinen Fuß über die Schwelle der Eingangstür. Für ihn ist es nicht nur ein Schritt in den Flur des kargen Holzhauses, sondern auch in die eigene Vergangenheit. Vor über sieben Jahrzehnten wurde von Hofacker im Alter von neun Jahren in den Harz verschleppt und vor den Toren Bad Sachsas interniert. "Meine Erinnerungen an dieses Haus sind geprägt von Heimweh, Alleinsein und dem sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster", sagt der heute 82-Jährige.

Es war Mitte August 1944, als er nachts gemeinsam mit zwei Geschwistern von der Gestapo aus seiner Heimat im bayerischen Krottenmühl gerissen und in den Harz gebracht wurde. Im Heim angekommen, wurden die Kinder in verschiedenen Gebäuden des Komplexes eingesperrt, ohne jeden Kontakt zueinander. Alfred landete in Haus Nummer zwei, in dem Jungen seines Alters untergebracht waren. Er erinnert sich: "Besonders hart war, dass uns niemand sagte, warum wir eigentlich hier waren und wie es jetzt für uns weitergehen würde."

Der Grund für ihre Unfreiheit war das Schicksal ihrer Väter. Am 20. Juli 1944 hatte eine Gruppe von Männern um Claus Schenk Graf von Stauffenberg versucht, Hitler zu töten und die Macht im Staat zu übernehmen. Unter ihnen war auch Alfreds Vater, Caesar von Hofacker, ein Cousin Graf Stauffenbergs. Von Hofacker war in Paris stationiert und trieb den Putsch in der französischen Hauptstadt voran. Doch wie überall in Deutschland und dem besetzten Europa scheiterte der Umsturzversuch auch hier.

Erbitterte Rache an Unbeteiligten

Hitler überlebte das Attentat und schwor Rache. Als er sich in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli im Rundfunk an das Volk wandte, betonte er, dass die Verschwörer "unbarmherzig ausgerottet werden".

Wer nicht wie Stauffenberg sofort exekutiert wurde, wurde aus der Wehrmacht ausgestoßen und in Schauprozessen unter dem Vorsitz von Roland Freisler vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Man vollstreckte die Urteile in der Regel wenige Stunden nach ihrer Verkündung im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee durch den Strang.

Doch Hitlers Wunsch nach Vergeltung war damit nicht gestillt. Mit SS-Reichsführer Heinrich Himmler und dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel beriet er über weitere Maßnahmen. Sie griffen zu einer besonders perfiden Form der Vergeltung: die Festnahme unbeteiligter Familienangehöriger, die sogenannte Sippenhaft. "Das erste Motiv dafür, dass Verwandte in Haft genommen worden sind, ist ganz eindeutig Rache. Es ist schwer zu erklären, welcher Hass sich dort Bahn brach", sagt Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.

Über 300 Verwandte von Widerstandskämpfern und Mitwissern wurden inhaftiert, ihr Hab und Gut eingezogen. Während Ehefrauen, Geschwister und Eltern in Gefängnissen oder Konzentrationslagern landeten, verschleppten die Nationalsozialisten viele der Kinder unter 16 Jahren nach Bad Sachsa.

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Verfolgte Angehörige der Hitler-Attentäter: Die Kinder des 20. Juli

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Der Ort am Südrand des Harzes war nicht zufällig gewählt. In der Nähe arbeiteten Forscher an den von der NS-Propaganda gepriesenen "Vergeltungswaffen". Die dadurch bedingte hohe Präsenz von Wehrmachts- und SS-Einheiten machte die Region für das Regime zu einer der sichersten des Reiches. Jeder Fluchtversuch von hier schien aussichtslos.

Umerziehung zu linientreuen Nazis

Neben Alfred von Hofacker und seinen Schwestern Liselotte und Christa landeten auch über 40 weitere Kinder bekannter Widerstandskämpfer in Bad Sachsa. Unter ihnen auch der Nachwuchs Stauffenbergs: Berthold, Heimeran, Valerie und Franz-Ludwig kamen am 17. August mit zwei Cousins im Heim an. Bei ihrer Begrüßung teilte die Heimleitung ihnen mit, dass sie ab sofort nicht mehr Stauffenberg, sondern Meister hießen. Durch die neue Identität sollte die Erinnerung an den Vater ausgelöscht werden. Außerdem sollten die Insassen des Heims nicht wissen, mit wem sie interniert waren.

Doch die Kinder Stauffenbergs zeigten sich unbeeindruckt. "Mein Bruder ist kurze Zeit später ins Krankenhaus nach Erfurt gekommen, weil er am Mittelohr operiert werden musste", erinnert sich Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg, der damals zehn Jahre alt war. "Als er nach seinem Namen gefragt wurde, antworteten seine Bewacher mit Meister. Doch mein Bruder sagte: Ich heiße Stauffenberg."

Auch andere Kinder erhielten neue Namen. Die Hofackerkinder hießen nun Franke und Schulze. Familienfotos zogen die Betreuerinnen im Heim ein. Der Plan der Nazis: die jüngeren Kinder sollten nach einer Weile von verdienten SS-Familien adoptiert, die älteren in NS-Erziehungsanstalten umerzogen werden. Es dauerte allerdings nicht lange, bis sich die Minderjährigen über ihre wahren Identitäten austauschten.

Als Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg hörte, mit wem er interniert war, wuchsen seine Sorgen. "Ich habe befürchtet, dass wir das noch irgendwie büßen müssen, dass unsere Väter da beteiligt waren", sagt von Stauffenberg. Eine nicht unberechtigte Angst. Bereits Anfang August 1944 hatte Heinrich Himmler gedroht: "Die Familie Stauffenberg wird ausgerottet bis ins letzte Glied. Denn das muss ein einmaliges warnendes Beispiel sein."

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Doch im Gegensatz zu anderen NS-Opfern wurden die Kinder in Bad Sachsa nicht ermordet. Isolation und Langeweile prägten ihren Alltag. Abgeschnitten von Nachrichten und sonstiger Korrespondenz erfuhren sie nichts vom Schicksal ihrer Väter. Henker der NS-Diktatur beendeten in diesen Monaten das Leben vieler Widerstandskämpfer. Alfred von Hofackers Vater Caesar wurde am 20. Dezember 1944 in Berlin hingerichtet.

"Mein Vater war für mich nicht tot"

Zuvor war es zu einem Kurswechsel bei der Sippenhaft gekommen. Einige der Insassen durften das Heim verlassen, andere blieben eingesperrt. Willkür und Prominenz der Väter schienen über das Schicksal zu entscheiden. Die Töchter und Söhne aus den Familien von Stauffenberg und von Hofacker durften nicht zurück in ihre Heimat.

Als US-Truppen im Frühjahr 1945 auf Bad Sachsa vorrückten, zogen die Kinder sich in den Keller der Krankenstation zurück. "Plötzlich macht es einen lauten Knall, die Kellertür öffnet sich und wir gucken alle in ein pechrabenschwarzes Gesicht. Als der GI uns sah, grinste er und legte seine Waffe beiseite", schildert Alfred von Hofacker das Eintreffen der Amerikaner.

Hat die Frau von Stauffenberg überlebt?
Hat die Frau von Stauffenberg überlebt?

Foto: SPIEGEL TV

Die Dokumentation "Verschleppt - die Kinder des 20. Juli" läuft am Donnerstag, 20. Juli 2017, um 20:15 Uhr auf dem Pay-TV Sender SPIEGEL Geschichte, der über Sky zu empfangen ist.

Wenige Wochen später, am 8. Mai 1945, kapitulierte Nazideutschland. Mindestens 16 Kinder blieben jedoch weiter im Heim. Einige Pflegekräfte verrichteten weiter ihren Dienst. Das Problem: Die Kinder mussten warten, bis ihre ebenfalls verschleppten Mütter nach der Befreiung in die Heimat zurückgekehrt waren. So konnten Alfred von Hofacker und seine Verwandten erst im Juni 1945 heimkehren, als eine Großtante nach Bad Sachsa kam und sie abholte.

Doch in die Freude über das Wiedersehen mischte sich rasch Trauer. Einige Kinder erfuhren erst jetzt vom Tod ihrer Väter und mussten diese Nachricht verarbeiten: "Mein Vater war für mich nicht tot", sagt Alfred von Hofacker. "Als sich dann Gerüchte verbreiteten, dass sich Wehrmachtsoffiziere nach Südamerika abgesetzt hätten, war ich der festen Überzeugung, dass mein Vater dabei war und am anderen Ende der Welt weiterlebte." Es dauerte Jahre, bis er den Tod seines Vaters akzeptieren konnte.

Mobbing nach der Sippenhaft

Außerdem musste er sich wie viele seiner Leidensgenossen weiter mit Vorurteilen und Ablehnung auseinandersetzen. Viele der Kinder wurden als Verräter beschimpft und im Alltag gemobbt. "Sie dürfen nicht vergessen, dass wir unsere Bevölkerung nach dem 8. Mai 1945 nicht ausgetauscht haben", sagt Prof. Dr. Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. "Diejenigen, die Widerstand geleistet hatten, galten bei vielen noch lange Jahre als Hochverräter."

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Das zeigte sich auch an Wiedergutmachungen von staatlicher Seite: Jahrelang mussten viele Angehörige der Widerstandskämpfer für Waisenrenten und Haftkompensationen kämpfen. "Für uns Hinterbliebene war es sehr erstaunlich, dass wir unsere Ansprüche über Jahre vor Gericht erstreiten mussten, und später erfuhren, dass die Witwe Roland Freislers, der meinen Vater zum Tode verurteilt hatte, problemlos eine Pension bekam", so von Hofacker.

Auch in Bad Sachsa hat man sich lange schwergetan mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Ein Mantel des Schweigens hüllte sich über das Heim vor den Toren der Stadt. Auf dem Gelände ist in den vergangenen Jahren ein Campingplatz entstanden. Wohnwagen stehen vor den zerfallenden Häusern, in denen die Kinder einst eingesperrt waren.

Ende 2016 hat die Gemeinde in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Ortskern eine Ausstellung eröffnet, in der das Schicksal der Kinder und ihrer Familien dokumentiert wird. So ist ein dauerhafter Ort würdigen Gedenkens entstanden - über sieben Jahrzehnte nach dem Ende der Verschleppungen.

Was passierte mit Frau Staufenberg?

Am 2. April 2006 starb Nina von Stauffenberg im Alter von 92 Jahren.

Was geschah mit der Familie von Stauffenberg nach dem Attentat?

Drei Tage nach dem Attentat wurde Gräfin von Stauffenberg von der Gestapo verhaftet und der Rest der Familie fiel der Sippenhaft zum Opfer. «Die Familie Stauffenberg wird ausgelöscht bis ins letzte Glied», kündigte SS-Reichsführer Heinrich Himmler am 3. August 1944 in einer Rede an.

Wie alt wurde Nina von Stauffenberg?

92 Jahre (1913–2006)Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg / Alter zum Todeszeitpunktnull

Wo leben die Kinder von Stauffenberg?

Claus Schenk Graf von Stauffenberg lernt Nina 1930 in Bamberg kennen. Das Paar heiratet 1933. Ihre Kinder werden in rascher Folge geboren: Berthold 1934, Heimeran 1936, Franz Ludwig 1938 und Valerie 1940. Die Familie lebte inzwischen wieder in Bamberg und der Vater kam etwa alle drei Wochen ein Wochenende zu Besuch.