Was passiert wenn ich antidepressiva absetze


Vor allem nach einer The­ra­pie mit tri­zy­kli­schen und tetra­zy­kli­schen Anti­de­pres­siva kommt es zu Absetz­sym­pto­men. Dabei könnte es sich um eine Art „Stress response“ des Hip­po­cam­pus han­deln. Wich­tig ist, den Betrof­fe­nen zu ver­mit­teln, dass es sich bei die­sen Absetz­phä­no­me­nen nicht um Ent­zugs­er­schei­nun­gen handelt.

Auch wenn Anti­de­pres­siva nur für 14 Tage ein­ge­nom­men wur­den, muss beim Abset­zen mit einer ent­spre­chen­den kör­per­li­chen Ent­zugs­sym­pto­ma­tik gerech­net wer­den“, macht Univ. Prof. Sieg­fried Kas­per, Vor­stand der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie am AKH Wien auf­merk­sam. Am häu­figs­ten kla­gen die Betrof­fe­nen über Schwin­del und gastro­in­tes­ti­nale Sym­ptome wie Übel­keit, Erbre­chen oder Durch­fall; aber auch Par­äs­the­sien sind mög­lich. „Die Betrof­fe­nen ver­glei­chen die Schmer­zen mit Sei­ten­hie­ben“, berich­tet Kas­per aus der Pra­xis. Auch kommt es beim Abset­zen häu­fig zu Schlaf- und Kon­zen­tra­ti­ons­stö­run­gen bis hin zu Angst, Irri­ta­bi­li­tät und Agi­ta­tion. Auch Manien wur­den beob­ach­tet – zwar sel­ten, aber doch. 

Diese Absetz­phä­no­mene tre­ten über­wie­gend bei tri­zy­kli­schen und tetra­zy­kli­schen Anti­de­pres­siva auf. „Nahezu jeder Pati­ent ist davon betrof­fen“, weiß Kas­per. Ursa­che ist die starke anti-cho­linerge Kom­po­nente des Wirk­stoffs. Diese Medi­ka­mente der älte­ren Genera­tion soll­ten unter ande­rem des­we­gen grund­sätz­lich nur „zweite oder dritte Wahl“ bei der The­ra­pie dar­stel­len. Aller­dings sei auch bei eini­gen SSRIs und SNRIs der neue­ren Genera­tion mit Absetz­sym­pto­men zu rech­nen – obwohl sie nicht über das cho­linerge Ner­ven­sys­tem wir­ken. Bei Ago­me­la­tin sowie moder­ne­ren Medi­ka­men­ten wie Esci­talo­pram oder Vor­ti­o­xe­tin wur­den der­ar­tige Phä­no­mene nach dem Abset­zen noch nicht beobachtet. 

Rund 70 Pro­zent der Pati­en­ten, die mit Ven­la­fa­xin behan­delt wer­den und 50 Pro­zent aller Pati­en­ten, die mit Paro­xe­tin behan­delt wer­den, sind den Aus­sa­gen von Kas­per zufolge davon betrof­fen. Ver­mut­lich spie­len bei die­sen Sub­stan­zen der nor­ad­renerge Stoff­wech­sel sowie die kur­zen Halb­werts­zei­ten eine Rolle. „Für diese Hypo­these spricht, dass bei Fluo­xe­tin, das eine sehr lange Halb­werts­zeit von bis zu zwei Wochen hat, sol­che Absetz­sym­ptome wesent­lich sel­te­ner auf­tre­ten“, sagt Assoz. Prof. Alex Hofer vom Depart­ment für Psych­ia­trie, Psy­cho­the­ra­pie und Psy­cho­so­ma­tik an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Der­zeit wird noch dis­ku­tiert, ob das plötz­li­che Absin­ken der Sero­to­nin-Ver­füg­bar­keit im Gehirn wegen der Been­di­gung der The­ra­pie eine Rolle spielt. Dar­über hin­aus wurde beob­ach­tet, dass die Ver­füg­bar­keit des NMDA-Rezep­tors im Hip­po­cam­pus mas­siv erhöht ist und die Absetz­sym­ptome eine Art „Stress response“ dar­stel­len könnten. 

Regel­mä­ßige Kontrolltermine 

Abset­zer­schei­nun­gen tre­ten in der Regel im Zeit­raum von einem bis zu zehn Tagen auf – je nach der Halb­werts­zeit der Sub­stanz. Dem­entspre­chend kön­nen sie sich aber auch erst nach einem Monat bemerk­bar machen. „Für die­sen Zeit­raum sollte der behan­delnde Arzt regel­mä­ßig Kon­troll­ter­mine ver­ein­ba­ren“, rät Hofer. Klagt der Pati­ent über die­sen Zeit­raum hin­aus über die ursprüng­li­chen Beschwer­den, „ist ver­mut­lich ein Rück­fall in die Depres­sion nahe­lie­gend“, führt Hofer wei­ter aus. 

Um das Risiko von Absetz­sym­pto­men zu mini­mie­ren, soll­ten Anti­de­pres­siva – beson­ders jene mit kur­zer Halb­werts­zeit – nicht abrupt abge­setzt, son­dern sehr lang­sam aus­ge­schli­chen wer­den. So kann die Dosis bei­spiels­weise jede Woche hal­biert wer­den. Für diese Umstel­lungs­phase soll­ten laut Kas­per min­des­tens drei Wochen ein­ge­plant wer­den; Hofer spricht sogar von sechs bis acht Wochen. Kommt es den­noch zu Absetz­sym­pto­men, „muss die Dosis even­tu­ell noch ein­mal vor­über­ge­hend erhöht und dann lang­sa­mer redu­ziert wer­den“, betont Hofer. 

Ver­trägt der Pati­ent das Anti­de­pres­si­vum nicht und es muss rasch abge­setzt wer­den, raten die Exper­ten zur Kom­bi­na­ti­ons­the­ra­pie: Über einige Wochen hin­weg wird das bis dahin ver­ord­nete Medi­ka­ment zusam­men mit der neuen Sub­stanz ver­ab­reicht, bis des­sen anti­de­pres­sive Wirk­sam­keit ein­setzt. Dann wird das ursprüng­lich ver­ord­nete Anti­de­pres­si­vum lang­sam aus­ge­schli­chen. Falls not­wen­dig kön­nen kurz­fris­tig – spe­zi­ell bei Schlaf­stö­run­gen – auch Ben­zo­dia­ze­pine ver­ord­net oder aber eine Ver­hal­tens­the­ra­pie nahe­ge­legt wer­den, die hel­fen soll, Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien zu entwickeln. 

Die beim Abset­zen von Anti­de­pres­siva auf­tre­ten­den Sym­ptome sind „zum Teil nur schwer von den Sym­pto­men einen Depres­sion abzu­gren­zen“, unter­streicht Kas­per. Des­we­gen sei es ganz wich­tig, den Betrof­fe­nen dar­über auch auf­zu­klä­ren. Hofer dazu: „Weiß der Pati­ent Bescheid, woher die Sym­ptome kom­men, kann er damit auch ganz anders umgehen.“ 

Die größte Sorge, die Men­schen mit Absetz­sym­pto­men haben: Bin ich jetzt süch­tig? Den Aus­sa­gen der Exper­ten zufolge ist es dem­nach ganz wich­tig, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass Absetz­phä­no­mene keine Ent­zugs­er­schei­nun­gen sind. Bei Ent­zugs­er­schei­nun­gen in Ver­bin­dung mit Alko­hol, Dro­gen oder Ben­zo­dia­ze­pi­nen spiel­ten jedoch ganz andere Mecha­nis­men eine Rolle, betont Kas­per. MW

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 8 /​25.04.2018

Welche Symptome beim Absetzen von Antidepressiva?

Bei einem Abbruch der Behandlung mit Antidepressiva oder einer zu schnellen Dosisreduktion kann es meist innerhalb von 1 Woche zum sog. Absetzsyndrom kommen. Die Symptome können denen einer Erkältung ähneln und zudem Schlafstörungen, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Reizempfindlichkeit beinhalten.

Sind Absetzsymptome gefährlich?

Die Stärke von Absetzerscheinungen reicht von objektiv nicht feststellbar bis lebensgefährlich. Sie treten in Form von nachgelagerten, verstärkten Nebenwirkungen der eingenommenen Substanzen oder als ganz neue Symptome auf.

Wie lange dauert es bis Antidepressiva aus dem Körper weg ist?

Die meisten Antidepressiva haben eine Halbwertszeit von ca. 12 Std. (maximal 3 Tage), das heisst, dass sich in dieser Zeit die Blutkonzentration halbiert. Nach wenigen Wochen sind die Wirkstoffe vollständig aus dem Körper verschwunden.

Wie lange halten Absetzsymptome an?

Absetzerscheinungen treten in der Regel im Zeitraum von einem bis zu zehn Tagen auf – je nach der Halbwertszeit der Substanz. Dementsprechend können sie sich aber auch erst nach einem Monat bemerkbar machen. „Für diesen Zeitraum sollte der behandelnde Arzt regelmäßig Kontrolltermine vereinbaren“, rät Hofer.

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