Wieviel beamte gibt es in deutschland

Beginnen wir mit einem Bekenntnis: Ich weiß, wovon ich schreibe. Denn ich war zwölf Jahre lang selbst Beamter. Lehrer, genauer: Studienrat, zum Schluss sogar Studiendirektor. Besoldungsgruppe A15. Das habe ich aufgegeben, um freier Autor und angestellter Journalist zu werden, und wenn Beamte behaupten, sie seien nicht privilegiert, kann ich nur lachen.

Weil ich sonst weinen müsste, wenn ich etwa meine Rentenansprüche mit den Pensionen meiner ehemaligen Kollegen vergleiche. Oder wenn ich jetzt für meine Krankenversicherung mehr bezahle und dafür schlechter behandelt werde. Es gibt keine Zweiklassenmedizin in Deutschland? Klar, und Businessclass ist auch nicht besser als Holzklasse. Aber, um einem Missverständnis vorzubeugen: Ich bin nicht bitter. Schließlich habe ich das Beamtendasein freiwillig aufgegeben. Meinen früheren Kollegen gönne ich ihr Glück – allenfalls wünschte ich, sie würden es selbst öfter anerkennen.

Fast 1,9 Millionen Beamte gibt es in Deutschland. Wenn man sich überlegt, dass sie laut Jobbeschreibung dazu da sind, „hoheitliche Staatsaufgaben“ wahrzunehmen, sind das entweder zu viele Beamte oder zu viele hoheitliche Aufgaben. Die Post und die Bahn wurden entstaatlicht, die Briefträger und Lokführer haben plötzlich nichts Hoheitliches mehr an sich, und die Briefe und Züge kommen trotzdem an. Ja, verspätet, aber das ist nichts Neues. 60 Prozent der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind keine Beamten, und trotzdem bekommt man Steuerbescheide und Strafzettel, Schulzeugnisse und Hartz IV. Wozu also Beamte?

„Schauen Sie mal nach Griechenland“

Einer, der es wissen muss, ist Peter Heesen. Der gelernte Gymnasiallehrer für Deutsch und Philosophie war neun Jahre lang Chef des Deutschen Beamtenbunds. Als ich ihn in seinem geräumigen Büro im obersten Stock des „dbb forums“ an der Berliner Friedrichstraße treffe, bereitet er sich auf die Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger vor.

„Wenn Sie wissen wollen, wie ein Staat ohne funktionierende Beamte aussieht“, sagt Heesen, „schauen Sie mal nach Griechenland. Da wird keine Grundsteuer eingetrieben, weil es keine funktionierenden Katasterämter gibt. Da wüten Waldbrände, weil die Feuerwehr nicht funktioniert. Da haben die Lehrer vor einigen Jahren für eine zwanzigprozentige Lohnerhöhung acht Monate lang gestreikt. Ein ganzer Schülerjahrgang bekam keine Abgangszeugnisse, verlor ein Jahr Schulbildung.“

„Eine sehr moderne Einrichtung“: Peter Heesen, Chef des Deutschen Beamtenbunds, hält das Beamtentum für zeitgemäß.

Quelle: Espen Eichhöfer/OSTKREUZ

Das Beamtentum, so Heesen, vertrete die langfristigen Interessen des Bürgers, auch gegen die Kurzatmigkeit der Politik. Es sei darum „eine sehr moderne Einrichtung“. Ohne Beamte würde die Gesellschaft zwischen profitsüchtigen Geschäftemachern, profilsüchtigen Politikern und protestierenden Wutbürgern „zerfleddern“.

Nach dem Gespräch mit mir muss Heesen mit einer Abordnung der Gerichtsvollzieher reden. „Die könnten als Nichtbeamte mehr verdienen. Die wollen raus aus dem Beamtenstatus. Aber wollen Sie, dass der Mann, der bei Ihnen Geld eintreibt, Beschäftigter einer Privatfirma ist?“

Bevor ich ihm meine – allerdings unangenehmen – Erfahrungen mit einem von American Express auf mich gehetzten Inkassounternehmen schildern kann, ist Heesen schon bei der Flugsicherung, wo man mit der Privatisierung auch keine guten Erfahrungen gesammelt habe, bei der Nassbaggerei in den deutschen Häfen und Kanälen, die seit der Privatisierung den Bund viel teurer komme, bei der Privatisierung von Teilen des Strafvollzugs und des Militärs in den USA, bei …

Aber Lehrer?

Etwas benommen vom Schwall der Funktionärsrede hebe ich die Hand. Vielleicht müssen Gerichtsvollzieher und Nassbagger Staatsdiener sein. Richter und Polizisten, Soldaten und Gefängniswärter sowieso. Aber Lehrer? Heesen lächelt ein wenig süffisant. Die Frage habe auch Johannes Rau gestellt, als er Ministerpräsident in NRW wurde. Dessen Chef der Staatskanzlei Wolfgang Clement sei „ein Freund der Entbeamtung“ gewesen, angefangen bei den Pferdepflegern im Landesgestüt Warendorf und den Fahrern der Landesregierung.

Bis ihm Heesen vorrechnete, was es kosten würde, sie alle als Angestellte nachzuversichern. Den Staat komme der Beamte doch billig: Beamte arbeiteten im Schnitt zwölf Prozent länger als Angestellte in der Privatwirtschaft, ihre Bruttolöhne lägen trotzdem um mehr als fünf Prozent niedriger und stiegen erheblich langsamer. Zwischen 1970 und 2000 seien die Bruttogehälter hoch qualifizierter Angestellter im Privatsektor um 330 Prozent gestiegen, die Gehälter der Beamten des gehobenen Dienstes jedoch nur um 190 Prozent. Und dagegen dürften die nicht einmal streiken.

Heesen muss weg zu seinen Gerichtsvollziehern. Ich bleibe mit der Frage zurück, warum überhaupt jemand so einen Billigjob machen sollte.

Auf 130 Mitarbeiter kommen 5200 Akten

30 Jahre im Dienst: Georg Jacobi kümmert sich im Jobcenter der Stadt Northeim um „Leistungsberechtigte“

Quelle: Espen Eichhöfer/OSTKREUZ

Fragen wir Georg Jacobi. Der ist seit 30 Jahren Beamter und arbeitet im Jobcenter der Stadt Northeim, zwölf Minuten mit der Bahn von Göttingen entfernt. Die Kreisstadt im ehemaligen Zonenrandgebiet hat eine hübsche Fußgängerzone mit Fachwerkhäusern und Betonblumenkübeln und empfiehlt sich mit billigem Baugrund in der etwas unglücklich benannten „Siedlung Galgenberg“ mit Harzblick. Northeim ist aber auch gebeutelt durch den Niedergang der Metallindustrie und die Aufgabe eines Bundeswehrstandorts.

Jacobis Jobcenter ist in der ehemaligen Kaserne untergebracht. Das Arbeitsamt auch, aber in einem anderen Gebäudeteil. Moment. Ich dachte immer, Jobcenter sei ein anderes Wort für Arbeitsamt. Jacobi, ein schlanker, agiler Fünfzigjähriger, erläutert mir den Unterschied: Das Jobcenter ist für Leistungen nach SGB II zuständig, das Arbeitsamt für Leistungen nach SGB III. Oha. Jacobi lächelt: Sozialgesetzbuch II bedeutet das, was im Volksmund Hartz IV heißt. Die Leistungen kommen aus Steuergeldern. SGB III sind Maßnahmen der Arbeitsförderung, die aus den Sozialbeiträgen finanziert werden. Zum Beispiel Berufsberatung. Wobei, wenn man es genau nimmt, für die Berufsberatung der Kinder von Hartz-IV-Empfängern das Jobcenter, für andere Jugendliche das Arbeitsamt zuständig wäre. Aber solche Dinge löst man unbürokratisch. Immerhin.

Für Jacobis Fälle – früher hießen sie „Kunden“, heute „Leistungsberechtigte“ – gibt es, wie in jedem Jobcenter, pro „Bedarfsgemeinschaft“ – früher sagte man Familie, aber das ist lange her – eine dicke braune Akte. Auf die 130 Mitarbeiter im Jobcenter kommen an die 5200 Akten.

Fast jede Akte ein moralisches Dilemma. Da beantragen zwei Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien Hilfe. Sie sind lange hier, haben immer gearbeitet, sind aber inzwischen arbeitsunfähig geschrieben. Dummerweise haben sie, als sie noch arbeiten konnten, ein Haus gekauft. Das müssten sie, nach dem Buchstaben des Sozialgesetzbuchs, verkaufen und den Gewinn erst einmal aufzehren, bevor sie Geld vom Staat bekommen. Jacobi ist vorhin vorbeigefahren und hat Fotos gemacht. Traurig betrachtet er das liebevoll restaurierte, wärmegedämmte Bauernhaus mit den Geranien vor den Fenstern. Ein Gesetz, das diesen Leuten nicht anders als durch Enteignung zu helfen weiß, nennt der gläubige Katholik „eine Perversion“.

In einer anderen braunen Akte geht es um die Frage, ob die schwangere Tochter wirklich, wie angegeben, von zu Hause ausgezogen ist. Bezieht sie eine eigene Wohnung mit dem Vater ihres Kindes, bekommen beide ja den vollen Hartz-Satz, während das Mädchen bei seinen Eltern nur den Kindersatz bekommt. Das ist ein Unterschied von 50 Euro pro Monat. Sagen wir es so: Einen gewissen Anreiz zum Schummeln gibt’s doch. Jacobi hat in der angegebenen neuen Wohnung kurz aufs Klingelschild geguckt. Nur mal so. Getrickst wird oft, aber selten intelligent.

Und dann gibt es das Mädchen, das sich zum Bundesfreiwilligendienst gemeldet hat, deshalb vom Dorf in die Stadt ziehen musste und nun Unterstützung beantragt. Dabei sind zunächst die Eltern für sie verantwortlich. Wie sind deren Verhältnisse?

Herr Jacobi hat via Computer den Zugriff auf 42 Millionen Datensätze. Das entspricht der Hälfte der Bevölkerung. Wer staatliche Leistungen beantragt, verzichtet faktisch auf die Privatsphäre. Da ist es für den gläsernen Bürger ganz gut zu wissen, dass er es mit einem Mann zu tun hat, der nicht nur gewissenhaft ist, sondern auch ein Gewissen hat. Er arbeite, sagt Jacobi, nach dem Motto des katholischen Sozialreformers Adolph Kolping: „Wenn jeder auf seinem Platz sein Bestes tut, wird es in der Welt bald besser werden.“

Vertrauen ist gut, Kommunalaufsicht besser

Wenn allerdings jeder möglichst nur auf seinem Platz bleiben will, wird es eher schlechter. Wie das geht, macht etwa die Hansestadt Stendal in Sachsen-Anhalt vor. (Das Beispiel ist willkürlich gewählt.) Der Landesrechnungshof stellt in seinem Bericht 2011 fest, dass die Stadt bei den Personalausgaben und dem Personalstand über dem Landesdurchschnitt liegt. Eine Personalbedarfsplanung sei nicht vorhanden.

In einer Stellungnahme der Stadt heißt es: „Personalbedarfsberechnungen sollen bis Mitte 2012 erstellt werden. Hierzu wurde die Personalausstattung im Organisationsbereich erhöht. Eine weitere Verstärkung ist beabsichtigt.“ Herrlich. Um nachzuprüfen, warum die Stadt zu viel Personal hat, wird noch mehr Personal eingestellt, vermutlich mit dem Ergebnis, dass die Stadt immer noch zu wenig Personal hat.

Weiter hat der Landesrechnungshof in 365 Fällen geprüft, was die Arbeiter und Angestellten – nicht die Beamten – des öffentlichen Dienstes in Stendal so tun und ob sie dafür richtig bezahlt werden. Ergebnis: In 55 Fällen „lagen keine Tätigkeitsdarstellungen vor“. Sprich: Keiner weiß richtig, was die Leute so treiben. In 34 Fällen „fehlte die erforderliche Begründung“ für die tarifliche Eingruppierung. Sprich: Keiner weiß, ob sie ihr Geld wert sind. In 36 Fällen – immerhin zehn Prozent – „wurde eine zu hohe Eingruppierung festgestellt“.

Die Stadt Stendal sagt dazu: „In 20 Fällen werden neue Tätigkeitsdarstellungen erstellt … in 18 Fällen wurden den Stellinhabern neue oder andere Aufgaben übertragen, sodass die jetzt übertragene Tätigkeit der Eingruppierung entspricht.“ Auch gut: Wenn jemand laut Stellenbeschreibung zu hoch eingestuft ist, wird halt die Stellenbeschreibung geändert. Und wenn Bedienstete zu viel Geld bekommen, erfindet man für sie „andere und neue Aufgaben“, damit sie weiterhin ihr Geld bekommen können.

Der Landesrechnungshof „begrüßt die eingeleiteten Schritte der Hansestadt Stendal“, heißt es mit kaum verhüllter Beamten-Ironie, „und regt eine weitere Begleitung der Abarbeitung der Feststellungen durch die Kommunalaufsicht an“. Vertrauen ist gut, Kommunalaufsicht ist offensichtlich besser.

In Berlin wird gespart

Oliver Thiess, 28, sitzt meist schon um sechs Uhr am Schreibtisch

Quelle: Espen Eichhöfer/OSTKREUZ

Oliver Thiess weiß, was er wert ist. „Ein Finanzbeamter wie ich bringt im Jahr etwa 200.000 Euro und kostet im Jahr unter 30.000“, sagt der Steuersekretär (Besoldungsgruppe A6). Am Telefon habe ich mir ein Bild von ihm gemacht: Quadratisch, praktisch, gut stelle ich ihn mir vor: Typ Ärmelschoner mit Gummibaum. Tatsächlich ist der 28-Jährige schlank, trägt eine gegelte Igelfrisur, einen Ohrring und ein Heavy-Metal-T-Shirt. Seinen Aktenschrank schmückt ein Plakat der Ärzte. Kein Gummibaum.

Ich treffe Thiess im Finanzamt Neukölln. Vom Pförtner, immerhin, werde ich noch wie früher angeschnauzt, als ich seine Wegbeschreibung nicht gleich verstehe: „Richtig hinhörn, Jungermann, denn vastehse mir ooch!“ Er ist Angestellter einer privaten Sicherheitsfirma. Man spart in Berlin, anders als in Stendal.

In der „Infozentrale“ herrscht reger Publikumsverkehr. Eine junge Frau aus Madrid will eine spanischsprachige Internetwohnungsvermittlung für ihre hierher ziehenden Landsleute aufmachen und braucht einen Gewerbeschein. Eine Geschäftsfrau mit russischem Akzent will ihre Steuererklärung für 2011 abgeben. Ein deutscher Rentner, der seit 2005 seine Nebeneinkünfte nicht versteuert hat, will sich ehrlich machen. Zwei türkische Jugendliche haben einen jungen Hund gekauft und wollen wissen, wie es mit der Hundesteuer ist. Eine Ex-Katholikin hat ein Problem mit der Kirchensteuer.

„Hier ist immer Gewusel“

Bei Thiess im Büro ist es ruhiger. Neben der Erledigung der üblichen Aufgaben eines Finanzbeamten – Steuererklärungen prüfen, bei Firmen in „Risikobranchen“ wie Bau, Schrotthandel, „Im- und Export“ auf Scheingründungen achten, solche Dinge – bildet er künftige Beamte des mittleren Dienstes aus. Das sind oft Leute, die schon einen Erstberuf haben: Krankenschwestern, Soldaten, Steuerfachangestellte, aber auch Mechatroniker und Leute vom Bau. „Viele glauben, dass es hier ruhiger zugeht. Aber die merken bald, dass es so nicht stimmt. Hier ist immer Gewusel.“

Will man im Finanzamt glücklich werden, so Thiess, muss man Interesse an Wirtschaft und Politik haben, „schließlich muss ich gegenüber dem Bürger die Gesetze vertreten“. Man muss Spaß – er sagt tatsächlich „Spaß“ – am Verstehen von Gesetzestexten und am Verfassen von Briefen haben, und man muss mit Zahlen und mit Menschen umgehen können. Thiess hat eine 40-Stunden-Woche, und er nutzt die flexible Arbeitszeit: Meistens ist er um sechs am Schreibtisch: „Dann kriege ich ein paar Akten weg, bevor das Telefon ab neun Uhr klingelt.“

Und warum ist er Beamter geworden? Die Eltern seien auch beim Finanzamt gewesen, erzählt er. Außerdem habe es in der 10. Klasse des Gymnasiums ein bisschen geknirscht. „Und die Ausbildungsvergütung beim Finanzamt war top.“ Ein Hinweis, den alle Beamten geben, mit denen ich spreche: Von der Ausbildungsvergütung könne man tatsächlich leben, anders als bei vielen Privatfirmen.

Inzwischen hat Thiess das Abitur nachgeholt. Sein Ziel ist der Aufstieg in den gehobenen Dienst, wo man „kompliziertere Fälle“ bekommt und sich entwickeln kann. Bei der Steuerfahndung zum Beispiel, denn „es gibt überraschend viel Steuerbetrug“. Ach ja, frage ich, und, ähm, was für welchen? „In Neukölln wird anders betrogen als in Zehlendorf, wo Sie wohnen“, sagt er. „Hier ist es hauptsächlich Umsatzsteuerbetrug. In den bürgerlichen Bezirken geht’s um die Beteiligung an Gesellschaften, solche Dinge.“

„Also, wenn ich vom Handwerker keine Rechnung verlange, dann sind Sie mir nicht hinterher?“ „Wenn Sie keine Rechnung verlangen, bestrafen Sie sich selber. Rechnen Sie sich doch aus, was Sie an haushaltsnahen Dienstleistungen absetzen können und was Sie an Umsatzsteuer sparen.“ Mathe ist nicht meine Stärke. Thiess rechnet es mir vor. Schon wieder was gelernt.

Anteil der Frühpensionäre sinkt

Beim Herausgehen beachtet mich der Pförtner nicht – er spielt auf seinem Smartphone Patiencen. Bleibt es bei der Rente mit 67, überlege ich mir, hat Oliver Thiess fast 40 Jahre im Finanzamt vor sich. Ganz schön lange. Ich würde es nicht aushalten. Mir wurde schon nach zehn Jahren als Lehrer langweilig. Wie muss es erst einem Finanzbeamten gehen!

Dem allgemeinen Vorurteil entspricht es denn auch, dass Beamte nicht nur während des Dienstes faul sind – „der Beamte ist der Träger des Staats - träger geht’s nicht“ –, sondern auch früh in die gut dotierte Pension gehen. „Wenn Beamte lustlos werden …“ heißt zum Beispiel ein Kapitel im Buch „Die Beamtenrepublik“ der Journalisten Pascal Beucker und Frank Überall, die „den Staat im Würgegriff seiner Diener“ sehen. Die Autoren zitieren aus dem „Versorgungsbericht der Bundesregierung“, dem zufolge „1999 fast jeder zweite Beamte“ des Bundes vorzeitig in den Ruhestand ging.

In der Tendenz allerdings zeichnet der neueste „Versorgungsbericht“ ein etwas anderes Bild: „Immer mehr Beamte, Richter und Berufssoldaten scheiden erst mit Erreichen der für sie geltenden Altersgrenze aus dem aktiven Dienst aus. Ihr Anteil … ist zwischen 1999 und 2006 von 59 Prozent auf 82 Prozent gestiegen“, heißt es da.

Und was die Vorstellung eines sich immer weiter aufblähenden Beamtenapparats und eines damit anschwellenden Pensionärsbergs angeht, so heißt es im „Versorgungsbericht“: „Die Zahl der Versorgungsempfänger beim Bund ist seit 2001 rückläufig … Sie wird bis 2050 um weitere 45 Prozent auf 385.000 zurückgehen. Besonders deutlich wird der Rückgang ab dem Jahr 2030 sein.“

Klar: Dann sterben die Leute aus meiner Generation weg, die in der Zeit der sozialliberalen Staatsgläubigkeit massenhaft eingestellt wurden. Und natürlich hat der Bund den Vorteil, dass er die Post und die Bahn privatisieren konnte. Viele der dort beschäftigten Beamten, die natürlich ihren „Besitzstand wahren“ und ihren Beamtenstatus behalten durften, gingen aus Rache oder Kummer in den vorzeitigen Ruhestand. Aber das ist inzwischen fast ausgestanden.

So gut werden es die Beamten nie wieder haben

Nicht ganz so rosig sieht es bei den Bundesländern aus, die ja den Hauptanteil der Beamten beschäftigen. Nehmen wir den Freistaat Bayern, der ja zu Recht stolz auf seinen ausgeglichenen Haushalt ist – der zum Teil jedenfalls erreicht wurde durch die Beschäftigung von Beamten, für die der Staat als Arbeitgeber weder Renten- noch Arbeitslosenversicherungsbeiträge entrichten muss.

Im „Versorgungsbericht“ der Landesregierung liest man: „Die Zahl der Versorgungsempfänger“ – also der pensionierten Beamten – „wird um das Jahr 2035 mit einer Zunahme von rund 69 Prozent gegenüber dem Stand Januar 2006 ihren Höchststand erreichen.“ Schon jetzt wendet der Freistaat drei Milliarden Euro jährlich zur Versorgung seiner Pensionäre auf; 2035 werden es – je nach Rechnungsmodell – zwischen 6,6 und zehn Milliarden sein, bei einem Staatshaushalt von geschätzten 68 Milliarden. Ein Siebtel des Haushalts nur für Pensionen!

Zwar hat Bayern eine Versorgungsrücklage gebildet, aus der ab 2018 Mittel zur Bezahlung der Pensionen entnommen werden können; aber selbst im günstigsten Rechnungsmodell, das eine Verzinsung von 4,5 Prozent, dauerhaft gute Wachstumsraten und niedrige Inflationsraten vorsieht, werden die Pensionen 2035 immer noch 11, 5 Prozent des Haushalts auffressen.

Und das, obwohl auch in Bayern die Beamten immer länger arbeiten. Zwischen 1981 und 2001 erreichten nicht einmal 30 Prozent der Beamten die gesetzliche Altersgrenze. Inzwischen sind es fast zwei Drittel. Anders ausgedrückt: So gut wie die rüstigen Pensionäre der 80er- und 90er-Jahre und deren lustige Witwen, die man von Tibet bis Timbuktu auf ihren Abenteuer- und Studienreisen pulkweise antreffen konnte, werden es die Beamten auch in Bayern nie wieder haben.

Privilegien bei Pension und Krankenversicherung

Vielleicht hängt es mit diesem sozialen Abstieg zusammen, dass die Beamten, die jahrelang ihre Interessen am besten von CDU/CSU vertreten sahen, 2012 erstmalig bundesweit der SPD den Vorzug gaben, wie es ihre nicht verbeamteten Kollegen und Kolleginnen im Staatsdienst seit Jahren tun. Auf die Frage, wer die Interessen des öffentlichen Dienstes am besten vertritt, antworteten von den Beamten 30 Prozent SPD, 23 Prozent CDU/CSU, drei Prozent Grüne, ein Prozent FDP, null Prozent Linke – und 43 Prozent keine Partei. Was angesichts ihrer nach wie vor bestehenden Privilegien bei der Pension und der Krankenversicherung doch ein wenig nach Undank klingt.

Um nämlich auf das Pensionsniveau einer Studienrätin zu kommen, müsste eine Journalistin mit etwa gleichem Nettoeinkommen (also eine überdurchschnittlich gut bezahlte Journalistin) aus ihrem versteuerten Einkommen eine ziemlich teure Zusatzversicherung abschließen. Und bei der Krankenversicherung übernimmt der Staat als „Beihilfe“ für die Beamtin die Hälfte der anfallenden Kosten – für die Kinder und den Ehepartner, vorausgesetzt, der verdient nicht zu viel, oft einen höheren Anteil. Die nicht durch die Beihilfe des „Dienstherrn“ abgedeckten Kosten kann sie durch eine Privatversicherung abdecken und sich lebenslang eines besonders charmanten Lächelns der Praxishelferin und der magischen Einräumung von Terminen erfreuen, während unsereiner zu hören bekommt, leider, leider sei dieses Quartal alles ausgebucht.

Man muss wie ich früher Beamter gewesen und mit einer Beamtin verheiratet sein, um die Erfahrung zu machen, wie verschieden die Behandlung beim gleichen Arzt und bei gleicher Symptomatik ausfallen kann. Was natürlich jeder Arzt empört zurückweisen wird. Geschenke von der Pharmaindustrie und Champagner zu Neujahr von dem lokalen Bestattungsunternehmer gibt es bekanntlich auch nicht.

Dem Osten gehen die Lehrer aus

Verschiedene Bundesländer haben zu verschiedenen Zeiten, insbesondere unter SPD-Regierungen, mit der Abschaffung, Reformierung oder Einschränkung des Beamtenstatus experimentiert: NRW wurde schon erwähnt. In Bremen beschloss der Senat 1981, dass Lehrer in der Regel Angestellte sein sollten. Zwanzig Jahre später wurde der Beschluss revidiert. Nicht, weil die Schulen so phänomenal schlecht wären, obwohl viele Bremer Schulen tatsächlich schlecht waren und sind, sondern „um einer Abwanderung von Lehrern in andere Bundesländer vorzubeugen“.

Auch Hamburg und Rheinland-Pfalz sind mit Entbeamtungs-Experimenten gescheitert. In Schleswig-Holstein wollte Heide Simonis ab 1996 nur noch in den Bereichen Polizei, Steuerverwaltung und Justiz – also bei den „hoheitlichen Aufgaben“ – Beamte einstellen. Die Praxis der Verbeamtung, um Sozialabgaben einzusparen, geißelte Simonis als „Kreditkartenmentalität – kauf heute, zahl später“. Mit dem Unterschied, sollte man hinzufügen, dass im Falle von Zahlungsschwierigkeiten nicht die Inkassofirma bei den Politikern auftaucht, sondern der Steuereintreiber bei den Bürgern.

„Im Lehrerbereich ließ sich diese Vorgehensweise mangels Unterstützung anderer Bundesländer leider nicht weiterverfolgen“, hieß es bald in einer Mitteilung des schleswig-holsteinischen Finanzministeriums. Auch hier wurden Pädagogen also abgeworben.

Ähnliche Erfahrungen machte Berlin, als es 2004 unter Klaus Wowereit auf die Verbeamtung neu eingestellter Lehrer verzichtete. Andere Länder – wie zum Beispiel Brandenburg – umwarben die Berliner Junglehrer mit dem Versprechen der Verbeamtung. Im hippen Berlin wohnen, im drögen Brandenburg als Beamter kassieren: Das finden immer mehr Lehrer attraktiv. Mit dem Ergebnis, dass Berlin in Mangelfächern zur Verbeamtung zurückgekehrt ist und auch das Einstiegsgehalt der nicht verbeamteten Lehrer um bis zu 1200 Euro erhöhen musste.

Sachsen macht ähnliche Erfahrungen. Dort müssen Pensionäre wieder vor die Klasse treten: „Dem Osten gehen die Lehrer aus“, sagt die Lehrergewerkschaft GEW, und mit dem Abgang der 68er und Babyboomer im Westen wird sich die Situation für alle Bundesländer verschärfen und die Verhandlungsposition der Lehrer verbessern.

„Man muss unfähige Lehrer feuern können“

Ob freilich eine Lehrerin, die lebenslange, leistungsunabhängige Jobsicherheit anstrebt, wirklich geeignet ist, Kinder des 21. Jahrhunderts auf die Anforderungen der modernen, mobilen Arbeitswelt vorzubereiten, darf man bezweifeln. Wie man überhaupt fragen kann, ob eine Besoldungsstruktur sinnvoll ist, die etwa dem Studienrat für Musik und Sport mehr Geld gibt als der Grundschullehrerin, die in überfüllten, multikulturellen Klassen das Einmaleins und die Grundzüge der deutschen Sprache lehrt und damit die Grundlagen legt für die Gesellschaft von morgen. Und der Professorin für Gender Studies unter besonderer Berücksichtigung der poststrukturalistischen Queer- und Transgender-Theorie mehr als beiden zusammen.

„Wir hätten unsere erfolgreiche Bildungsreform nicht durchführen können ohne die Abschaffung des Beamtenstatus für Lehrer“, sagt etwa der dänische Familientrainer und Erziehungscoach Jesper Juul. „Man muss unfähige Lehrer feuern können.“

In ihrem eigenen Interesse übrigens. Denn der Beamtenstatus mit seinen Privilegien setzt dem in seinem Beruf unglücklichen Lehrer den Anreiz, sich mit häufigen Krankschreibungen und minimalem Einsatz über die Jahre zwischen spätem Uni-Abschluss und Frühpensionierung wegen Tinnitus hinwegzuretten. Würde er nämlich kündigen und auf den Beamtenstatus verzichten, stünde er nicht nur mit einer wertlosen Qualifikation da, sondern mit einem Rentenanspruch, der im Verglich zur Pension geradezu lächerlich ist.

Theoretisch müsste man solche Lehrer woanders beschäftigen können – schließlich soll der Beamte universell einsetzbar sein. Ein schlechter Lehrer mag einen ganz passablen Aktenverwalter abgeben. Aber da sind die Gewerkschaften vor. Wird ein gelernter Lehrer etwa nutzbringend dort eingesetzt, wo sonst ein Absolvent der Verwaltungsakademie sitzt, wäre damit das gesamte Ausbildungsgefüge des öffentlichen Dienstes infrage gestellt. So die Auskunft eines Gewerkschafters, der nicht mit Namen genannt werden will, weil er den Standpunkt zwar öffentlich vertreten muss, aber für „ausgemachten Blödsinn“ hält.

So geht der Lehrer, der sich nicht mehr in die Klasse traut, wegen Burn-out in die teure Frühpensionierung, während sich immer noch vor den Türen der Bürgerberatung Schlangen bilden, Familienhelfer mit ihren Fällen nicht nachkommen und Polizisten auf der Straße kaum noch zu sehen sind, nicht zuletzt, weil sie so viel Papierkram erledigen müssen.

Sexismus bei der Polizei

„Mann muss sich ein dickes Fell angewöhnen“: Die Polizistin Manuela Ganschow, 36, ist seit 20 Jahren im Dienst

Quelle: Espen Eichhöfer/OSTKREUZ

Polizeiobermeisterin Manuela Ganschow ist, wie sie sagt, „ein Kind der DDR“: Die Erweiterte Polytechnische Oberschule beendete sie im Jahr des Mauerfalls und bewarb sich gleich bei der Polizei. „Da gab’s am meisten Geld.“ Sie war 16, und „ich konnte mir nicht vorstellen, acht Stunden am Tag hinterm Schreibtisch zu sitzen“. Zu ihrer Überraschung war die dreijährige Ausbildung sehr theorielastig: „Gesetzeskunde: BGB, ASOG …“ ASOG? Ach so, Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz, die Grundlage der polizeilichen Arbeit.

POM Ganschow bestätigt das Vorurteil, dass – aus welchen Gründen auch immer – Polizistinnen in der Regel hübsch sind. Ja, das ist eine sexistische Bemerkung, und Ganschow hat in ihrer Karriere auch mit Sexismus zu tun gehabt.

Die zierlich wirkende Frau kam nach der Ausbildung auf eine Dienststelle, wo sie und eine Kollegin die ersten Frauen auf der Schicht waren. Die männlichen Kollegen konnten zunächst mit den Frauen nicht umgehen. „Da musste man sich ein dickes Fell angewöhnen und sich durchsetzen. Das hat mich positiv geprägt. Ich bin selbstbewusster und diplomatischer geworden.“ Diplomatischer? „Ja, man muss auch wissen, wie man eine Position entschärft.“ Zum Beispiel damals, als sie sich in einen nächtlichen Streit zwischen einigen Betrunkenen einmischte und plötzlich jemand mit einem Kurzschwert auf sie losging. „Ich stand kurz vor dem Schusswaffengebrauch. Das ging mir sehr nah.“ Am Ende reichte eine Dosis Pfefferspray.

Die Bürger reagieren anders als früher

In 20 Dienstjahren hat Manuela Ganschow nicht einmal außerhalb des Übungsgeländes geschossen. Auch weil sie es versteht, „diplomatisch“ zu sein. „Man muss mit dem Bürger Kontakt aufnehmen. Ihm erklären, was man jetzt unternimmt und warum.“ Leicht sei das freilich nicht; und in der letzten Zeit sei das noch schwerer als sonst geworden. Warum?

Zum einen sei die Polizei in Berlin kaputtgespart worden. „Das merkt doch jeder, dass kaum einer noch Streife geht. Die Bürger fühlen sich nicht wohl.“ Inzwischen fahren die Beamten Achtstundenschichten, früh, spät und nachts, im täglichen Wechsel. Darunter leidet das Privatleben, Ehen und Freundschaften zerbrechen, die Beamten suchen sich andere Beamten im Schichtdienst als Lebenspartner, weil die wenigstens verstehen, was es bedeutet, heute um 5.45 Uhr anzufangen, morgen um 10.45 Uhr, übermorgen um 20.15 Uhr – und dann wieder von vorn.

Und dann reagieren auch die Bürger anders als früher, findet Frau Ganschow. „Ich meine, wenn man in den Bereich der Maßnahme kommt, muss man sich fügen. Nicht diskutieren nach dem Motto: Was erlaubt sich die Polizei? Ich halte jemanden an und weise ihn darauf hin, dass sein rechtes Bremslicht nicht funktioniert. Sagt der Fahrer danke schön? Nein, ich werde angepault: Dürfen Sie das? Wo steht das? Haben Sie nichts Besseres zu tun?“

Der Rückhalt in der Bevölkerung sei geringer geworden, „und das ist weder alters- noch schichtabhängig, das ist bei Deutschen genauso wie bei Ausländern.“ Klar, der Professor rege sich anders auf als der Junkie. Beim Ersten sei es mehr: „Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie es zu tun haben?“ Beim Junkie – na ja, das kann man sich vorstellen. Alles kriege die Polizei ab: den Frust der Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz und kein eigenes Geld haben, deren Eltern ihnen nie beigebracht haben, das Eigentum anderer Leute zu respektieren, die in überfüllten Klassen nie etwas Richtiges gelernt hätten; und die Überheblichkeit von Leuten, die auf die Streifenpolizisten herabsehen, weil es eben sture kleine Beamte seien, die keinen Spaß verstünden und so ganz anders sind als die coolen Kommissare in den Fernsehkrimis.

Und bei alledem muss die Polizei nicht nur für Ruhe und Ordnung sorgen, „sondern wir sind oft Sozialarbeiter, Therapeuten und Gesprächspartner. Manchmal werden wir gerufen, weil es angeblich einen Einbruch gegeben hat, und dann merken wir, es ist einfach eine alte Dame, die etwas verlegt hat und sich unterhalten will, weil sie vor Einsamkeit durchdreht.“ Bereut Manuela Ganschow ihre Berufswahl? „Nein. Aber ich würde heute jedem raten, der so qualifiziert ist, wie ich es war: Abi machen, studieren, und dann mal schauen.“

Ist die Verwaltung aufgebläht?

Wie ist es also mit dem Rückhalt bei den Bürgern? Seit vier Jahren lässt der DBB eine „Bürgerbefragung öffentlicher Dienst“ vom Meinungsforschungsinstitut Forsa durchführen. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Mögen es Polizisten im ruppigen Berlin schwer haben – von einem verschwindenden Rückhalt des öffentlichen Diensts bei den Bürgern kann kaum die Rede sein. Im Gegenteil.

Die Aussage „In einem Staat, der viel für seine Bürger tun will, ist eine starke öffentliche Verwaltung unerlässlich“ bejahen heute 83 Prozent der Befragten. Tendenz steigend: 2008 waren es erst 76 Prozent. Dass gleichzeitig allerdings 75 Prozent der Meinung sind, die öffentliche Verwaltung sei „zu aufgebläht“ und koste zu viel, steht dazu nicht im Widerspruch. Erstens weil es zuweilen stimmt, siehe Stendal, und zweitens weil es das Privileg des Bürgers ist, sich aufzuregen, dass er im Finanzamt oder beim Jobcenter nicht gleich drankommt, und gleichzeitig zu meinen, es gebe zu viele Beamte. Oder wie es Anja Stein, stellvertretende Leiterin des Ordnungsamts Neukölln, mir gegenüber ausdrückt: „Alle wollen, dass das Ordnungsamt überall ist, nur nicht bei sich.“

Ist die Verwaltung „aufgebläht“? Peter Heesen verneint das natürlich: „Mit 12,5 Prozent an der Gesamtzahl der Arbeitnehmer hat Deutschland sogar extrem wenige Staatsdiener.“ Ach ja? „In Dänemark und Schweden arbeitet ein Drittel der Arbeitnehmer beim Staat.“ Geschenkt. Skandinavische Volksheime. Kennt man.

„In Großbritannien sind es auch 22 Prozent und in den USA 16 Prozent.“ In den USA? Das Klirren, das ich im Innenohr höre, signalisiert entweder einen Tinnitus, mit dem ich als Lehrer sofort in den Vorruhestand gehen könnte, oder eine zerspringende Illusion. Effizienter als der öffentliche Dienst in Deutschland arbeitet nach Auskunft der OECD allenfalls jener andere angebliche Hort der Bürokratie, die Verwaltung der Europäischen Union in Brüssel.

67 Prozent finden die Beamten kompetent

Die Deutschen witzeln gern über ihre Beamten: „Warum benutzen Beamte dreilagiges Klopapier? Weil sie von jedem Scheiß zwei Durchschläge brauchen.“ Aber unter den zehn angesehensten Berufen des Jahres 2012 – Feuerwehrmann, Kranken- und Altenpfleger, Arzt, Kita- und Kindergartenmitarbeiter, Polizist, Pilot, Richter, Müllmann, Hochschulprofessor und Lehrer (in der Reihenfolge) – finden sich immerhin fünf, die fast immer von Beamten ausgeübt werden.

Wenn man sich anschaut, welche Berufe an Ansehen gewonnen und welche verloren haben seit 2007, so sind die größten Gewinner die öffentlichen Dienstleister Müllmänner, Briefträger, Lehrer, Beamte und Polizisten, die größten Verlierer Manager, Unternehmer, Steuerberater, Werbefachleute und Bankangestellte. (Woran kann das bloß liegen?) Den Beamten wird bescheinigt, „pflichtbewusst, verantwortungsbewusst, zuverlässig und rechtschaffen“ zu sein. 67 Prozent finden die Beamten sogar „kompetent“. 64 Prozent sind der Meinung, die Verwaltung sei „viel freundlicher als früher“. Tendenz auch hier steigend: 2007 meinten das erst 58 Prozent.

Nur bedenkliche 43 Prozent der Deutschen allerdings halten ihre Beamten für unbestechlich. Ob dieses negative Urteil auf eigenen Erfahrungen beruht, darf man bezweifeln: Als ich Lehrer war und mit meinen Noten auf dem Abgangs- oder Abizeugnis immerhin die berufliche Zukunft meiner Schüler und Schülerinnen entscheidend beeinflussen konnte, hat kein Elternteil je den Versuch gemacht, eine bessere Note zu kaufen, sehr zu meiner Enttäuschung: So dicke hat’s ein Studienrat nun auch nicht.

Wahrscheinlich kamen die Eltern gar nicht auf die Idee, ein deutscher Lehrer könne bestechlich sein. Übrigens halten sich 73 Prozent der Beamten selbst für unbestechlich. In Rumänien hingegen, so ein Kollege, der an der Deutschen Schule in Bukarest unterrichtet hat, sei es eine Selbstverständlichkeit, dass sich die Eltern für das Abizeugnis erkenntlich zeigen. So komme ganz ungebeten der Monteur vorbei, um eine neue Heizung einzubauen, schöne Grüße vom Firmeninhaber; plötzlich habe das Auto neue Winterreifen, dem Garagenbesitzer sei es eine Ehre, und was der Wunder mehr sind.

Nur ein Tipp, denn der Auslandsschuldienst – ein Beamten-Kapitel für sich – hat immer wieder Schwierigkeiten, geeignete Lehrkräfte zu rekrutieren: Nach Madrid wollen sie alle, nach Ulan-Bator will keiner.

Viele Abgeordnete aus dem öffentlichen Dienst

Ganz gleich, wie man zu den Beamten steht: Sie bleiben uns erhalten. Nicht nur, weil die Bevölkerung ziemlich positiv zu ihnen steht, und zwar überraschenderweise am positivsten in der Gruppe der unter 30-Jährigen. Nicht nur, weil Lehrer etwa in einer ziemlich guten Verhandlungsposition gegenüber den Ländern dastehen. Sondern auch, weil zur Abschaffung des Beamtenstatus, der – gegen den Willen der Westalliierten – im Grundgesetz festgeschrieben wurde, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig wäre.

Und die ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil im gegenwärtigen Bundestag 32 Prozent der insgesamt 622 Abgeordneten aus dem öffentlichen Dienst stammen. Von ihnen sind 114 Beamte und 84 Angestellte. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil sinkt allerdings der Anteil der Staatsdiener: 1998 waren es noch 36 Prozent.

Auch das Bonmot von Otto Graf Lambsdorff, der Bundestag sei „mal voller, mal leerer, aber immer voller Lehrer“, ist nur bedingt richtig: In der 12. Wahlperiode (1990–1994) waren 123 oder 17,6 Prozent der Abgeordneten Lehrer, im jetzigen Parlament sind es mit 57 nur noch 9,1 Prozent. Möglicherweise wollte Lambsdorff als Jurist mit seiner Äußerung von der Tatsache ablenken, dass der Bundestag tatsächlich voller Juristen ist: Mit 143 Abgeordneten bilden sie die größte einzelne Berufsgruppe im Parlament.

Weder ängstlich noch unflexibel

Und selbst wenn es gelänge, das Beamtentum abzuschaffen: Viel ändern würde sich dadurch wenig. Bekanntlich haben einige Staaten das geschafft, zum Beispiel die DDR (ups, schlechtes Beispiel!) oder die Schweiz, wo sich die Bürger und Bürgerinnen vor zwölf Jahren in einer Volksabstimmung für die Abschaffung des Berufsbeamtentums auf Bundesebene aussprachen, und wo auch etwa die Hälfte der Kantone ebenfalls den Beamtenstatus abgeschafft haben, außer für Richter, Finanzbeamte und die Polizei. Doch wie Doris Schüepp, Generalsekretärin der Berufsvertretung des Personals im öffentlichen Dienst, kürzlich in einem Interview erklärte: „So groß ist der Unterschied nicht.“

Was ja die Beamten eigentlich beruhigen müsste. Am Ende dürfte eine schrittweise Angleichung ihres Arbeitsverhältnisses an die Bedingungen, unter denen ihre Kollegen und Kolleginnen im öffentlichen Dienst arbeiten, auch den Beamten nützen. Schon allein, weil der Neidfaktor wegfiele. Immerhin klagen 36 Prozent der Beamten, das Ansehen des öffentlichen Dienstes sei „gering“, und 69 Prozent sind der Meinung, die Medien berichteten „nicht objektiv und unfreundlich“ über sie.

Würden die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ ein wenig aufgeweicht, wäre der öffentliche Dienst offener für Seiteneinsteiger – und für Aussteiger – und für eine Bezahlung nach Leistung statt nach Dienstjahren. Das würde vermutlich der Tatsache abhelfen, dass laut Umfragen nur 51 Prozent der Beamten – und nur 31 Prozent der Bevölkerung insgesamt – die Beamtenschaft für „flexibel“ halten und dass 21 Prozent der Beamten sich selbst als „ängstlich“ einschätzen.

Trotzdem: Die Beamten, mit denen ich sprach, schienen mir weder ängstlich noch unflexibel zu sein. Im Gegenteil. Am Ende spiegelt die Beamtenschaft die Verhältnisse in der Gesellschaft wider, der sie dient. Deutschland ist bunter, lockerer, antiautoritärer geworden; und eine graue, steife, autoritätshörige Beamtenschaft passt nicht zu diesem Land.

Man mag sich über die Sprachregelung lustig machen, die aus Georg Jacobis Bittstellern zuerst Kunden und nun Leistungsberechtigte gemacht hat. Aber wer noch den barschen Ton im Ohr hat, mit dem früher der Mann hinter dem Schalter den Bürger abfertigte, wird den neuen deutschen Beamten zu schätzen wissen.

Wie viele Beamte in Deutschland 2021?

Rund 5,1 Millionen Menschen in Deutschland waren 2021 im öffentlichen Dienst beschäftigt (Stichtag 30. Juni 2021).

Wie viel Beamte gibt es in Deutschland?

Von den insgesamt rund fünf Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind 1,7 Millionen Beamte oder Richter und weitere 170 000 Berufs- oder Zeitsoldaten. Die Arbeitnehmer stellen mit mehr als drei Millionen über 60 Prozent der Beschäftigten. Der Frauenanteil liegt insgesamt bei 58 Prozent.

Wie viel Prozent der Deutschen sind Beamte?

Damit war 2019 mehr als jeder zehnte Erwerbstätige in Deutschland im öffentlichen Dienst beschäftigt (10,8 Prozent). Von den 4,9 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Jahr 2019 waren 61,6 Prozent Arbeitnehmer, 34,9 Prozent Beamte und Richter sowie 3,5 Prozent Berufs- und Zeitsoldaten.

Wie viele Beamte und Pensionäre gibt es in Deutschland?

WIESBADEN – Am 1. Januar 2021 gab es 1 360 800 Pensionärinnen und Pensionäre des öffentlichen Dienstes nach dem Beamten- und Soldatenversorgungsrecht. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren das 1,5 % mehr als ein Jahr zuvor.

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