Wer am verdursten ist der trinkt gift

Als „reiswasserartig“ werden die Durchfälle beschrieben, die die Cholera kennzeichnen. Der Flüssigkeitsverlust von bis zu 25 Litern täglich kann rasch zu Herzrhythmusstörungen, Nierenversagen und schließlich zum Tod führen.

Cholera, die durch das Bakterium Vibrio cholerae ausgelöste Durchfallerkrankung, ist schon seit Jahrtausenden bekannt. Bereits im 6. Jahrhundert vor Christus trat sie in Indien und dort vor allem im Gangestal auf. Erst im 19. Jahrhundert breitete sich die Krankheit von Südostasien nach Europa aus. Insgesamt sieben Epidemien größeren Ausmaßes, so genannte Pandemien, sind in der Weltgeschichte bisher bekannt. Ab dem Jahr 1826 verbreitete sich der Cholera-Erreger auf der ganzen Welt und gelangte 1831 auch nach Deutschland. Ein bekanntes Opfer dieser Epidemie war Georg Wilhelm Friedrich Hegel. 1892 kam es in Hamburg zu einem dramatischen Epidemie, in deren Verlauf knapp 17 000 Menschen erkrankten und 8605 starben. Zeitweise raffte die Seuche 200 Menschen pro Tag in der Hansestadt dahin.

Die siebte Pandemie

Für die momentane, siebte Pandemie ist ein besonderer Biotyp des Erregers verantwortlich: Vibrio cholerae O1 Biovar eltor. Seinen Namen hat der Keim von der Quarantänestation El Tor am Golf von Suez, wo ihn der deutsche Mikrobiologe Emil Gotschlich entdeckte. Der Biotyp trat das erste Mal 1961 in Celebes auf der indonesischen Insel Sulawesi auf. Von dort aus verbreitete sich der Erreger rasch in Südostasien, erreichte 1963 Bangladesch, 1964 Indien und ein Jahr später die Sowjetunion, den Iran und den Irak. 1970 griff er auf den afrikanischen Kontinent über, der bis dahin über 100 Jahre cholerafrei gewesen war. In Afrika tritt heute die überwiegende Mehrheit der Cholerafälle auf.

1991 erreicht die Erkrankungswelle Lateinamerika, das ebenfalls seit einem Jahrhundert keine Cholerafälle mehr zu verzeichnen hatte. Der wohl schlimmste Ausbruch während der derzeitigen Pandemie trat 1994 unter Flüchtlingen aus Ruanda auf, die sich nach Goma in der Demokratischen Republik Kongo gerettet hatten. Über 70.000 Menschen erkrankten, mehr als 12.000 starben.

Afrika besonders betroffen

Aktuelle Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stammen aus dem Jahr 2000: 56 Länder meldeten insgesamt mehr als 137.000 Krankheitsfälle und 4908 Tote. Die Zahl der Choleraerkrankungen sank damit gegenüber dem Vorjahr. Die Letalitätsrate blieb mit 3,6 Prozent konstant. Afrika steht mit 119.000 gemeldeten Erkrankungen und damit etwa 87 Prozent der Cholera-Fälle weltweit an der Spitze. In diesem Jahr sind die Zahlen noch dramatischer: Von Januar bis Ende April 2002 erkrankten weltweit 73.556 Menschen, nur 18 davon leben nicht in Afrika. Epidemien traten vor allem in der Demokratischen Republik Kongo, Mosambik, Südafrika, Tansania und Malawi auf. Allein hier erkrankten in den ersten vier Monaten dieses Jahres über 29.000 Menschen – das sind mehr als alle außerafrikanischen Länder zusammen innerhalb eines Jahres verzeichnen. Zurzeit grassiert die Cholera in Ghana, Kenia, Simbabwe und Uganda.

Verschiedene Vibrionen

Erreger der Cholera ist Vibrio cholerae, ein gramnegatives, kommaförmig gebogenes, aerobes Stäbchenbakterium aus der Familie der Vibrionaceae, das ein normaler Bestandteil der Brackwasser-Flora ist. Mit Hilfe seiner Flagelle kann es sich schnell fortbewegen. Der Keim kann auf Grund seiner Alkalitoleranz aus Proben spezifisch im alkalischen Milieu angezüchtet werden. Nach ihren Lipopolysaccharid-Antigenen werden die Vibrionen in verschiedene Serovare unterteilt. Erreger der Cholera gehören normalerweise zur O1-Serovarietät. Diese O1-Serovare lassen sich auf Grund biochemischer Merkmale in die Biovare „cholerae“ und „eltor“ unterteilen. Das Biovar eltor ist weniger virulent und ruft einen deutlich milderen Krankheitsverlauf hervor als das Biovar cholerae.

Hindernis Magensäure

Meist gelangen die Cholera-Erreger durch verunreinigtes Wasser in den Magen-Darm-Trakt des Menschen. Dort stellt die Salzsäure des Magens eine wirksame Barriere gegen die säureempfindlichen Bakterien dar. Da viele Keime im sauren Milieu abgetötet werden, muss die Erregerzahl über 108 betragen, um eine Infektion hervorzurufen. Im alkalischen Milieu des Dünndarms finden die überlebenden Vibrionen ideale Wachstumsbedingungen vor und siedeln sich dort an. Mit Hilfe ihrer Flagelle durchqueren sie die Mukosaschicht und lagern sich an den Epithelzellen des Dünndarms an. Hierbei sind ihnen spezielle Zellausläufer, so genannte Fimbrien, behilflich.

Im Dünndarm produzieren die Bakterien das Cholera-Toxin, das die schweren Durchfälle verursacht. Es gehört zu den AB-Toxinen, zu denen auch das Diphtherie- und Tetanustoxin zählen. Das Gift besteht aus einer aktiven A-Untereinheit und fünf an die Enterozyten bindenden B-Untereinheiten. In den Dünndarmzellen stört es einen über G-Proteine vermittelten Signalweg, der die Ionensekretion reguliert: Die A-Untereinheit blockiert die GTPase-Aktivität der G-Proteine, so dass sich diese nicht mehr selbst „ausschalten“ können. Dadurch ist der Signalweg ständig aktiviert und es kommt zu einem fortwährenden Ausstrom von Chlorid-Ionen aus den Zellen, während die Aufnahme von Natrium-Ionen blockiert ist. Dem Ionengefälle entsprechend fließt Wasser passiv ins Darmlumen nach. Dies führt zu den massiven wässrigen Durchfällen und dem starken Austrocknen des Körpers.

Gefährliche Flüssigkeitsverluste

Nach einer Inkubationszeit von wenigen Stunden bis fünf Tagen (typisch sind zwei bis drei Tage) setzt die Krankheit mit Übelkeit, Erbrechen und „reiswasserartigen“ Durchfällen ein. Pro Tag können so 20 bis 25 Liter Flüssigkeit verloren gehen. Ein erstes Anzeichnen dieser als Exsikkose bezeichneten starken Austrocknung des Körpers ist häufig Heiserkeit. Weiterhin führt der Flüssigkeitsverlust zu Muskelkrämpfen, Blutdruckabfall, Herzrhythmusstörungen, Nierenversagen und schließlich zum Koma. Ohne Behandlung sterben etwa 60 Prozent der Patienten. Für die Diagnose Cholera weist man die Erreger in Stuhl oder Erbrochenem nach.

Hygiene ist erstes Gebot Quelle der Erreger sind kontaminiertes Trinkwasser und Lebensmittel. Durch einfache hygienische Maßnahmen können sich Reisende vor Cholera und anderen Durchfallerkrankungen schützen. Leitungswasser sollte in Ländern mit unzureichenden Sanitäranlagen weder zum Trinken noch zum Zähneputzen verwendet werden. Mit speziellen Iodtabletten oder durch Abkochen kann man es aber zu sicherem Trinkwasser aufbereiten. Auch bei der Nahrung ist Vorsicht geboten: Besonders risikobehaftet sind rohes Obst, Gemüse und Meerestiere, unpasteurisierte Milchprodukte sowie unvollständig gegartes Geflügel. Insgesamt sollten Nahrungsmittel gründlich gekocht und heiß gegessen werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die zubereiteten Speisen nicht mit rohen Zutaten oder unbehandeltem Wasser in Berührung kommen. Schält man seine Banane oder Mango selbst, ist gegen frisches Obst nichts einzuwenden. Grundsätzlich zu meiden sind Speisen von Straßenhändlern und Eiswürfel, da sie meist aus Leitungswasser hergestellt sind. Außerdem ist die Körperhygiene wichtig: Die Hände mit Wasser und Seife zu waschen, verhindert die Kontamination von Lebensmitteln und Getränken und die Übertragung der Erreger von Mensch zu Mensch.

Wasserverluste ausgleichen

Im Vordergrund der Therapie steht der möglichst rasche Ersatz der verlorenen Elektrolyte und der massiven Wasserverluste. In den meisten Fällen – bei etwa 80 bis 90 Prozent der Patienten – reicht eine orale Rehydratation zur Behandlung der Cholera aus. Die WHO empfiehlt eine Salz- und Glucosetrinklösung, die folgende Elektrolyte enthält: Glucose (20 g/l), Natriumbikarbonat (2,5 g/l), Natriumchlorid (3,5 g/l), Kaliumchlorid (1,5 g/l). Der Zucker ermöglicht speziellen Pumpen in der Membran der Dünndarmzellen, die Ionen aufzunehmen. Das Wasser fließt dann dem Ionengefälle entsprechend passiv nach. Päckchen mit den Salzen und der Glucose in geeigneter Menge, um einen Liter Lösung herzustellen, stehen in den meisten Entwicklungsländern in großen Mengen zur Verfügung. Mit ihnen kann eine rasche Versorgung der Patienten in Falle eines Choleraausbruchs gewährleistet werden. Eine rechtzeitige Therapie senkt die Sterblichkeit auf 1 Prozent.

Bei schweren Fällen reicht eine orale Rehydratation nicht aus, weshalb die Flüssigkeit intravenös verabreicht werden muss. Bei Patienten mit Cholera gravis sind zum Teil acht bis zehn Liter Infusionslösung notwendig, bevor eine orale Flüssigkeitsgabe die Wasserverluste ausgleichen kann. In schweren Fällen kann auch eine Antibiotikatherapie die Diarrhö mildern. Mittel der Wahl sind Tetracycline, obwohl die Zahl der Resistenzen gegen diese Substanzen zunimmt. Wirksame Antibiotika sind auch Doxycycline, Erythromycin, Chloramphenicol, Furazolidon und Cotrimoxazol.

Hygienemaßnahmen

Einzige Infektionsquelle ist der infizierte Mensch. Um einen Ausbruch zu verhindern, ist es daher notwendig, Cholerapatienten zu identifizieren und so rasch wie möglich zu isolieren. Die Cholera gehört mit Pest, Pocken und Gelbfieber zu den vier Quarantänekrankheiten. In Deutschland muss sowohl der Verdacht auf eine Erkrankung, eine Erkrankung selbst als auch der Tod eines Patienten dem Bundesgesundheitsamt gemeldet werden.

Wenn einzelne Cholerafälle auftreten, sind drei Maßnahmen entscheidend, um ein größeren Ausbruch zu verhindern: Zum einen müssen die menschlichen Exkremente hygienisch entsorgt und das Trinkwasser adäquat aufgereinigt werden. In chloriertem Wasser können die Erreger nicht überleben. Außerdem sollte der Bevölkerung genügend sicheres Trinkwasser zur Verfügung gestellt werden. Auch beim Essen sind hygienische Grundregeln zu beachten, um die Ausbreitung der Pathogene zu verhindern. Nahrungsmittel sollten gründlich gekocht und heiß verzehrt werden. Frisches Obst und Gemüse sowie Eiscreme und Eiswürfel sind zu meiden. Eine prophylaktische Behandlung der Bevölkerung mit Antibiotika hat keinen Einfluss auf die Ausbreitung der Krankheit.

Impfung nicht empfohlen

Der in Deutschland zugelassene parenterale Impfstoff verleiht einen unvollständigen und befristeten (etwa sechsmonatigen) Schutz, weshalb er für Reisende nicht zu empfehlen ist. Seit einiger Zeit existieren allerdings zwei orale Impfstoffe, die abgetötete ganze Vibrio cholerae O1 enthalten. Nach zwei in einem Abstand von einer Woche gegebenen Dosen sollen sie einen bis zu 80-prozentigen Schutz bieten. Die Impfstoffe aus Schweden (Dukoral®, Biotec AB, Lund) und der Schweiz (Mutacol®, Berna, Bern) sind in Deutschland nicht zugelassen. Auch diese Prophylaxe hält die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin für unnötig, „da für die Prävention primär Hygienemaßnahmen im Vordergrund stehen“. Außerdem verlangt zurzeit kein Land der Erde ein Impfzertifikat, um die Einreise zu bewilligen. Ausschließlich für Entwicklungshelfer und medizinisches Personal in Risikogebieten ist eine Impfung empfehlenswert.

Wie hilfreich eine Durchimpfung von Risikogruppen wie Bewohner von Flüchtlingslagern, Slums oder Überschwemmungsgebieten zum Eindämmen eines Ausbruchs ist, wird zurzeit diskutiert. In einigen Ländern wie zum Beispiel Vietnam wurde eine orale Vakzinen bereits als Prophylaxe bei einer drohenden Cholera-Epidemie getestet. Da die Daten noch nicht vollständig ausgewertet sind, kann der Erfolg der Aktionen allerdings noch nicht abgeschätzt werden. Experten der WHO sind der Ansicht, dass der großflächige Einsatz der Vakzine keine geeignete Präventionsmaßnahme ist, da eine Impfung bei den geimpften Menschen und den Gesundheitsbehörden einen „falschen Eindruck von Sicherheit“ vermitteln könnte. Effektivere hygienische Maßnahmen könnten dadurch vernachlässigt werden.

Choleraähnliche Diarrhö Jeder kennt Escherichia coli als harmlose Darmbewohner von Menschen und anderen Tieren. Aber die Enterobacteriaceen können auch anders: Einige Vertreter rufen schwere Erkrankungen hervor: So verursachen so genannte enterotoxigene E. coli (ETEC) choleraähnliche Durchfälle. Erst 1960 als Pathogen entdeckt sind sie heute zu einem der häufigsten Erreger von Diarrhöen bei Reisenden und kleinen Kindern in strukturschwachen Ländern aufgestiegen. Etwa die Hälfte aller Reisedurchfälle gehen auf die Bakterien zurück, die in Trinkwasser oder auf Nahrungsmitteln lauern. Ein bis drei Tage nach Kontakt mit dem Erreger setzt die Krankheit mit wässrigen Durchfällen und Unterleibskrämpfen ein. Weiterhin können Übelkeit, Fieber, Schüttelfrost sowie Kopf- und Muskelschmerzen auftreten. Die Symptome halten etwa drei bis vier Tage, selten über eine Woche, an.

ETEC-Infektionen ähneln nicht nur auf Grund ihrer Symptome der Cholera, auch das Toxin der E.-coli-Keime entspricht dem der Vibrio cholerae. Die Pathogenität der ETEC beruht auf zwei Giften: dem hitzelabilen (LT) und dem sehr kleinen und deswegen hitzestabilen (ST) Toxin. Die hitzelabile Variante gehört zu den AB-Toxinen und ist dem Cholera-Toxin sowohl in Struktur als auch im Wirkmechanismus sehr ähnlich. Es aktiviert ebenfalls den Signalweg, der die Sekretion von Elektrolyten aus den Dünndarmzellen reguliert. Das hitzestabile Toxin hemmt dagegen die Aufnahme von Natrium- und Chloridionen aus dem Darmlumen. Die verschiedenen ETEC-Stämme produzieren entweder eines oder beide Toxine, das Krankheitsbild ist in allen Fällen das selbe.

Die meisten infizierten Menschen stehen die Krankheit innerhalb weniger Tage durch, ohne Antibiotika zu benötigen. Allerdings sollten Patienten ausreichend trinken, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Für Erwachsene stehen hierfür Salz-Päckchen zur Zubereitung von Trinklösungen zur Verfügung, die als OTC-Produkte erhältlich sind. Antibiotika können die Symptome, vor allem die Durchfälle mildern, sind aber meist nicht angezeigt. Gegen verschiedene Substanzen wie Ampicillin und Trimethoprim-Sulfamethoxazol sind die Keime bereits häufig resistent. Ist die Infektion durchstanden, bleibt eine mehrere Monate währende Immunität. Daher stecken sich vor allem kleine Kinder und Touristen mit der Krankheit an.

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