Der Junge im gestreiften Pyjama Buch

„Wir haben nichts gewusst.“ Eine nicht ungebräuchliche Rechtfertigung von Zeitzeugen zur Existenz nationalsozialistischer Konzentrationslager.

Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit
Frankfurt: Fischer Schatzinsel 2007

„Wir haben nichts gewusst.“ Eine nicht ungebräuchliche Rechtfertigung von Zeitzeugen zur Existenz nationalsozialistischer Konzentrationslager. Einer, der wirklich nichts weiß, ist der neunjährige Bruno in John Boynes neuem Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“. Das ist umso bemerkenswerter, als Brunos Vater hochrangiger NS-Funktionär ist, der 1942 zum Kommandanten von Auschwitz berufen wird.

Mit der Übersiedlung der Familie von Berlin ins KZ beginnt das Buch. Und da der Klappentext dankenswerterweise den Plot verschweigt, steigt der Leser auf den ersten Seiten so unwissend in den Text ein wie der Protagonist selbst. Bruno weiß nur, dass er sein wunderbares Zuhause verlassen muss, um in einem schrecklich langweiligen, von Stacheldraht umzäunten Haus in einer öden Gegend zu leben, wo es niemanden zum Spielen gibt. „Aus-Wisch“, wie er es nennt, weil er den Namen nicht richtig aussprechen kann. Dass die Menschen hinter dem Zaun gestreifte Pyjamas tragen und was sie dort eigentlich machen, bleibt ihm ein Rätsel, das er gar nicht zu ergründen versucht.

Die Langweile treibt ihn irgendwann den Zaun entlang, bis er weiter entfernt auf einen Jungen auf der anderen Seite trifft, Schmuel. In ihren täglichen heimlichen Gesprächen entwickelt sich eine Freundschaft, die die beiden immer enger miteinander verbindet – was sich tatsächlich im Lager abspielt, bleibt Bruno aber weiterhin verborgen. Eine Naivität, die zum tragischen Ende führt.

Der bereits mehrfach preisgekrönte Roman des irischen Autors Boyne ist keine historische Holocaust-Dokumentation, sondern eine in der Realität wurzelnde fiktive Geschichte, die der Vielzahl der literarischen Auseinandersetzungen mit dem Thema eine neue bemerkenswerte Stimme hinzufügt. Die nicht an der sachlichen Richtigkeit oder Denkbarkeit des Inhalts zu messen ist.

Der Text bleibt beeindruckend konsequent in der Perspektive Brunos, der von allen Informationen bewusst ferngehalten wird. Streng-autoritär erzogen, zweifelt der sensible, vereinsamte Junge die bestehenden Machtstrukturen in der Familie in keinem Moment an. Die „unbedingt und ausnahmslos“ einzuhaltenden Grundregeln, die von den Eltern aufgestellt werden, sind für ihn Naturgesetze. Das Gebot, tabuisierte Themen nicht einmal anzusprechen, hat er so verinnerlicht, dass er nicht einmal auf die Idee kommt, unerwünschte oder schwierige Fragen zu stellen.

Nicht in der Familie, und auch nicht Schmuel gegenüber. Alles, was er sieht, hört oder erlebt, ordnet er in sein Weltbild ein, in dem die Wahrheit, die ihn umgibt, undenkbar ist.

Boynes Kunst liegt in der Reduktion. Der Autor erklärt nichts, konzentriert sich auf seine Figuren. Szenen wie die Eliminierung eines ungeschickten jüdischen Dienstbotens werden angedeutet, bleiben aber ausgespart, das Grauen des Konzentrationslagers wird nie explizit beschrieben. Umso beklemmender wird es beim Lesen spürbar, indem man die Wahrnehmungen Brunos eben nicht aus seiner unwissenden Perspektive sieht. Dieses Buch weckt – nicht nur durch die Wahl des Themas – Emotionen, wie auch die rege geführten Diskussionen darüber beweisen. Mit großem sprachlichem und stilistischem Geschick schafft der Autor eine intensive erzählerische Dichte, deren Dramatik ohne billige Effekthascherei entsteht.

Bruno ist – trotzdem er sich anfangs vehement gegen die Übersiedlung auflehnt – kein Kämpfer. Konflikten geht er lieber aus dem Weg, macht das, was man von ihm verlangt. Nur keine Unruhe stiften. Und wenn man die Regeln bricht, dann nur heimlich, ohne dazu zu stehen, wenn man entdeckt wird. Auch wenn er sich selber als Forschergeist sieht, hat er nicht das geringste Bedürfnis, hinter die Wahrheit zu kommen. Gibt sich einfach mit seinem Nicht-Wissen zufrieden. Das ihn letztendlich sein Leben kosten wird. John Boyne hat die Aussage „Ich habe nichts gewusst“ auf die Spitze getrieben.

Karin Haller

Das Dritte Reich aus Kindersicht mit Beigeschmack

Kurzgefasst:

Der neunjährige Bruno weiß nichts von der Endlösung oder dem Holocaust. Er ist unberührt von den entsetzlichen Grausamkeiten, die sein Land dem europäischen Volk zufügt. Er weiß nur, dass man ihn von seinem gemütlichen Zuhause in Berlin in ein Haus verpflanzt hat, das in einer öden Gegend liegt, in der er nichts unternehmen kann und keiner mit ihm spielt. Bis er Schmuel kennenlernt, einen Jungen, der ein seltsam ähnliches Dasein auf der anderen Seite des angrenzenden Drahtzauns fristet und der, wie alle Menschen dort, einen gestreiften Pyjama trägt. Durch die Freundschaft mit Schmuel werden Bruno, dem unschuldigen Jungen, mit der Zeit die Augen geöffnet. Und während er erforscht, wovon er unwissentlich ein Teil ist, gerät er unvermeidlich in die Fänge des schrecklichen Geschehens.

Bruno ist ein neunjähriger Junge und lebt mit seiner drei Jahre älteren Schwester Gretel und seinen Eltern in Berlin. Wir schreiben das Jahr 1943, und als Bruno eines Tages nach Hause kommt, sind die Bediensteten gerade dabei, den gesamten Hausstand einzupacken. Es geht nach Auschwitz, wo der Vater, ein hohes Tier bei den Nazis, eine vom Führer persönlich zugeteilte neue Arbeit antritt.

Weg von allen Freunden und allem vertrauten langweilt sich Bruno bald und versteht nicht, was sich auf der anderen Seite des Zaunes, den er direkt von seinem neuen Zimmer aus sehen kann, passiert. So beginnt er zu "forschen" und wandert den Zaun entlang, bis er auf der anderen Seite einen Jungen entdeckt, der in seinem Alter ist und in seiner gestreiften Kleidung einfach dasitzt.

Die beiden freunden sich an, so gut es in dieser Situation geht, nicht wissend, wohin diese Freundschaft einmal führen wird. Bis auch in seinem Gegenüber Schmuel der Forscherdrang geweckt wird.

Ein ideologiefreier Blick auf die Nazi-Zeit

John Boyne wagt mit seinem Roman einen Spagat, der nicht einfach ist und der letztlich auch nicht überzeugend gelingt. Als Jugendbuch gedacht und mit einem neunjährigen als Hauptfigur ist dieses Buch auf keinen Fall auch als Lektüre für Neunjährige geeignet. Der Sprachstil ist daher sehr einfach gehalten, die große Schrift lässt den nur 266 Seiten langen Roman länger aussehen, als er wirklich ist, was aber für Jugendbücher normal ist.

Die Charakterisierung der einzelnen Figuren geschieht immer aus der Sicht Brunos und ist daher nicht immer treffend und vollständig. Der Leser erlebt Brunos Forschen mit und ist leibhaftig bei allen Entdeckungen dabei, die er macht. Es ist, als ob sich mit dem Umzug von Berlin nach Auschwitz eine neue Welt auftut, eine neuer Planet gar. Der Forscherdrang entwickelt sich zwangsläufig, da alles vorherige weg ist und Bruno sich schlicht langweilt.

Komplette Naivität des Neunjährigen

Bruno wird als neunjähriger Junge geschildert, der scheinbar überhaupt keine Ahnung hat, was um ihn herum passiert. Er ist, noch in Berlin, auf seine Freunde und auf seine unnütze ältere Schwester fixiert und weiß noch nicht einmal, was sein Vater beruflich macht, außer, dass er ein wichtiger Mann ist. Selbst als der Führer höchstpersönlich zu ihnen nach Hause kommt, weiß er nicht wirklich, wer das ist und wer dessen weibliche Begleitung ist. Bruno wird so ideologiefrei wie möglich geschildert, um einen möglichst freien und unwissenden Blick auf das Leben der Zeit freizugeben. Zudem ist er auch körperlich kleiner und zurückgebliebener als Gleichaltrige, so dass er dem Leben generell etwas hinterher hinkt. Dazu passt, dass sich eigentlich niemand im Haus wirklich für ihn interessiert und alle ihn wie Luft behandeln.

Dabei belässt Boyne die Figur des Bruno derart naiv, dass er seine einzigen Bezüge zum Nazi-Regime, die Worte "Furor" und "Aus-Wisch" nicht richtig aussprechen kann. Erst durch seine Begegnung mit Schmuel beginnt er, sich auch für andere(s) als sich selbst und sein eigenes Leben zu interessieren, auch wenn er nicht immer die richtigen Schlüsse zieht. Dass die Menschen des Hauspersonals auch eigene Leben und somit eigene Geschichten haben, entdeckt er in seinem Forscherdrang auch eher zufällig, aber es bringt immerhin seine Denkmaschine in Gang.

Inhaltliche Fehler

Für einen Jungen, der nie ein anderes System als das Dritte Reich erlebt hat, ist das natürlich recht dürftig. Die Wahrscheinlichkeit, mitten in Berlin ideologiefrei aufgewachsenen zu sein, zumal seine nur wenig ältere Schwester weiß, was los ist, ist doch sehr gering. Aber niemand wagt es, den Jungen tatsächlich in das reale Leben einzuweihen, weder die Mutter, die sich sowieso mehr mit Oberleutnant Kotler beschäftigt, noch die Schwester, die auch in ihn verschossen ist, als auch das Personal, das sowieso immer mehr weiß als es sagt.

Allerdings gibt es tatsächlich einige inhaltlich-logische Fehler, die selbst dem geneigtesten Leser auffallen müssen. Da ist vom Vergessen der Namen der Freunde dir Rede, und ein paar Seiten später zählt er sie wieder auf. Dieser und ähnliche Fehler helfen dem wankenden Leser nicht bei seiner Beurteilung des Buches. Zudem bleiben angestoßene Erzählungen wie die Hintergrundgeschichten des Personals weitgehend unerzählt, und das dürfte Bruno bei seinem Forscherdrang selbst über den Zeitraum eines Jahres nicht entgangen sein.

Nach der Lektüre besteht Gesprächsbedarf

Dieses Buch ist für Kinder völlig ungeeignet und für Jugendliche, die sich nicht mit der Materie des Dritten Reiches beschäftigt haben, zum Teil unverständlich und viele Fragen aufwerfend. Für Erwachsene ist dies eine zwiespältige Lektüre. Rein auf den Inhalt besehen ist das Buch sicher eine Enttäuschung, da es den Leser ein ums andere Mal unbefriedigt den Kopf schütteln lässt. Aber es entlarvt das Regime als eine schreckliche Diktatur, die man sich nicht hätte ausdenken können, wenn sie nicht tatsächlich real passiert wäre.

Dieser Roman ist anders als andere Romane über das Dritte Reich und für manchen Leser harter Tobak. Ob man ihn mag oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Letztlich ist es ein Roman, der die Leser zu Diskussionen anregt und damit hat er immerhin erreicht, dass man sich mit diesem Thema beschäftigt. Somit hat John Boyne vielleicht mehr erreicht als andere Romane über die Nazi-Zeit.

Ist der Junge im gestreiften Pyjama nach einer wahren Geschichte?

Der Rabbiner Benjamin Blech bezeichnete das Buch – und in der Folge den Film – „weder als eigentliche Lüge noch als Märchen, sondern als eine Profanierung“. Es habe in Auschwitz keine neunjährigen Kinder gegeben – die Nazis hätten sofort alle Menschen vergast, die nicht arbeitsfähig waren.

Wird Bruno vergast?

Bruno wird gemeinsam mit den Inhaftierten des Lagers vergast, da die Wachen nicht erkennen, dass er der Sohn des Kommandanten ist.

Was passiert im Buch Der Junge im gestreiften Pyjama?

Zu Beginn der Geschichte zieht der intelligente, streng erzogene und einsame Bruno mit seiner Familie von Berlin nach Polen, weil sein Vater zum Kommandant befördert wird. Eines Tages begegnet er an einem Zaun einem anderen Jungen mit dem Namen Schmuel. Eine Freundschaft entwickelt sich, die am Ende tragisch endet.

Warum sollte man der Junge im gestreiften Pyjama lesen?

Die schrecklichen Geschehnisse zu Zeiten des Holocaust aus den unwissenden Augen eines Kindes zu sehen ist absolut wertvoll und eine gute Möglichkeit die deutsche Geschichte Jüngeren näherzubringen. Besonders daran ist aber, dass das Buch deshalb nicht nur etwas für Kinder sondern ebenso für Erwachsene ist.

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