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Strafstöße Müllers Mythos
Der Elfmeter im Licht der Statistik: Ein neues Buch enthüllt Zahlen und Daten über die besten Momente der Bundesliga.
04.04.1993, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 14/1993
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Die Geschichte des deutschen Fußballs muß in großen Teilen neu geschrieben werden: Der Bomber der Nation war in Wirklichkeit ein Blindgänger.
Gerd Müller, der umjubelte Strafraum-Vollstrecker, der unsterbliche Verwandler jener viel zu scharfen Bonhof-Flanke im 74er Endspiel gegen die hochnäsigen Holländer - dieser Gerd Müller hat 19,05 Prozent seiner Bundesliga-Elfmeter verschossen. Fast jeden fünften! Versäbelt, versemmelt, verhauen: alles Müller, oder was? Kann man da noch vom treffsichersten Kicker aller Zeiten sprechen?
Die Demontage des Müller-Mythos gründet auf einer bisher einzigartigen Faktensammlung, die jetzt der ostwestfälische Industriekaufmann Matthias Kropp vorgelegt hat. Titel des brisanten Buches: »Die Chronik der Bundesliga-Elfmeter von 1963 - 1991«. Auf 132 Seiten voller Zahlen und Daten listet Kropp alle Strafstöße der deutschen Eliteklasse auf - ob drin oder nicht drin.
Eineinhalb Jahre lang dauerte seine Recherche in der Bibliothek von Detmold; nun liefert Kropps Material reichlich Stoff, vor allem für unangenehme Nachfragen. Denn vieles, was bisher als Spekulation oder Vorurteil durch die Expertenrunden in Kneipen oder auf Stehtribünen geisterte, erhält durch das Buch fundierte Unterstützung.
Es zwingt jeden Fußballfreund, endlich einmal darüber nachzudenken, *___wie es kommt, daß den Münchner Bayern insgesamt 172 ____Strafstöße zugesprochen, aber nur 110 gegen sie ____verhängt wurden; *___warum der Bremer Spieler Michael Kutzop, sonst mit ____traumwandlerischen Fähigkeiten gesegnet (17 Treffer), ____ausgerechnet einen seiner zwei verschossenen Elfer im ____entscheidenden 86er Match gegen die Bayern an den ____Pfosten gesetzt hat; *___welche Mächte im Spiel waren, als 1965/66 Tasmania ____Berlin in ihrer einzigen Bundesliga-Saison nur ein ____mickeriger Strafstoß genehmigt und der gegen die ____Nürnberger Clubberer auch noch verschossen wurde? ____Tasmanias Abstieg bedarf angesichts dieser Enthüllung ____einer neuen Analyse.
Doch Kropps Buch wühlt nicht nur in der Vergangenheit, es macht auch Mut für die Zukunft. Die Anhänger des VfL Bochum wird es sicher beruhigen, daß ihre ruhrpottgraue Maus 81,37 Prozent Treffer landet und schon deshalb alle Chancen hat, »unabsteigbar« (Bochumer Vereinsspruch) zu bleiben.
Und auch der Deutsche Fußball-Bund, der bislang nicht besonders schlüssig begründen konnte, weshalb er Rainer Bonhof als Assistent des Nationaltrainers berufen hat, bekommt von Kropp nun einen todsicheren Steilpaß präsentiert: Bonhof war mit einer Quote von 95,24 Prozent der mit Abstand sicherste Knaller.
Beziehen kann man das Zahlenwerk beim kleinen Kasseler Sportverlag, der neben Standardwerken über den heimischen Hobby- und Alternativfußball seit neuestem vor allem mit statistischem Material aufwartet.
Ob nun die Geschichte der Aufstiegsrunden zur Fußballbundesliga oder ein historischer Abriß der Regionalliga West: Kein Tor, kein Spielergeburtstag, keine Zuschauerzahl wird ausgelassen. Auch der Osten ist würdig vertreten - »Sparwasser und Mauerblümchen« heißt der Pappband über die roten Kicker von einst.
»Endlich gibt es auch bei uns ein Publikum für Sport-Statistik«, sagt Wolfgang Fuhr, der Inhaber des Verlags, und lobt besonders seine jungen Leser: »Die begnügen sich nicht mehr mit den Anekdoten oder blumigen Geschichten ihrer Väter, die wollen harte Facts.« Amerikaner und Engländer seien da viel weiter: »Die kennen ja sogar die Stollenlänge von Bobby Moores Schuhen im Wembley-Endspiel.«
Im neuen Katalog seines Verlags schlägt der Trend zur angelsächsischen Sammelleidenschaft voll durch. Fuhr hat endlich auch das finnische Fußballjahrbuch 1993 ins Programm aufgenommen und die Geschichte des Fußballs in Kolumbien.
Die Chronik des Bundesliga-Elfers ist bereits ein Renner, selbst aus England sind schon Bestellungen eingegangen. Auch wenn »der wichtigste Elfmeter der deutschen Fußballgeschichte« gar nicht auftaucht, wie Kropp bedauert. Aber das sei eigentlich auch gar nicht nötig, weil der in den Erinnerungen jedes Fans schmerzlich eingebrannt sei.
Es geschah im Dienste der Nationalmannschaft beim Europameisterschafts-Shoot-out an einem milden Sommerabend des Jahres 1976 im Stadion von Belgrad. Da lief ein blondgelockter Spieler zur Vollstreckung an - aber, ach, in einer Rücklage, die einen Treffer zur physikalischen Unmöglichkeit macht. Der Mann trat den Ball, der daraufhin in den dunklen Nachthimmel des Balkans entschwand und niemals mehr gesehen ward.
Anschließend demütigte ein Gegenspieler namens Panenka den Maier Sepp mit einem Bauerntrick und machte die CSSR zum Meister Europas.
Nichts ist vergessen, Uli Hoeneß. Nichts wird jemals vergessen werden. Auch ohne Statistik. _(* Im Spiel 1. FC Köln - Hamburger SV am ) _(13. Februar 1982. )
Elfmeterschütze Bonhof*: Sicherster Knaller mit 95,24 Prozent
* Im Spiel 1. FC Köln - Hamburger SV am 13. Februar 1982.
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