Welche Länder beziehen Gas aus Deutschland

Russland hat in der Vergangenheit schon mal den Erdgashahn zugedreht. In der schwelenden Ukraine-Krise könnten Exportstopps aus Russland zum Problem für Europa werden. Denn der Kontinent ist stark von russischem Erdgas abhängig.

Die Krise zwischen Russland und der Ukraine könnte ernste Konsequenzen haben, wenn er in einen offenen Konflikt oder gar Krieg ausbricht. Nicht nur militärisch und politisch. Auch für den europäischen Energiemarkt könnte es düster aussehen. Denn wenn Russlands Präsident Wladimir Putin als Folge möglicher Sanktionen Europa den Gashahn zudreht, stünden einige Länder in der Europäischen Union nicht gut da.

Das Erdgas ist für Putin ein gutes politischen Druckmittel. Denn Europa ist abhängig von russischem Gas und importiert davon große Mengen aus den riesigen Gasfeldern. Anders Overvad, Chefanalytiker des dänischen Think Tanks Europa, erklärte in der dänischen Zeitung "Berlingske": "Das bedeutet, dass wir Russland ein Instrument an die Hand gegeben haben, mit dem einige der am stärksten gefährdeten und verletzlichsten Gruppen in Europa angegriffen werden können. Denn sie sind diejenigen, die es besonders hart zu spüren bekommen, wenn die Energiepreise steigen."

Russland warnt vor Konsequenzen für Europa

Es wäre nicht das erste Mal, dass Russland seine Macht beim Gas nutzt. Bereits 2006 stellte Russland während eines politischen Streits das Gas für die benachbarte Ukraine ab, und 2009 beeinträchtigte der Gaskrieg mit den Nachbarländern mitten im Winter die Lieferungen in mehrere EU-Länder.

Die Drohungen sind schon ausgesprochen worden. Sollte Russland aus dem Banken-Netzwerk Swift ausgestoßen werden, würden "die europäischen Länder kein Gas, Öl und Metalle aus Russland erhalten können", warnte Nikolay Zhuravlev, stellvertretender Sprecher des Föderationsrates, am Dienstag in der russischen Nachrichtenagentur Tass. "Swift ist ein Abrechnungssystem, es ist eine Dienstleistung. Wenn Russland also von Swift getrennt wird, erhalten wir keine (fremde) Währung, aber Käufer, in erster Linie europäische Länder, erhalten unsere Waren nicht – Öl, Gas, Metalle und andere wichtige Bestandteile ihrer Importe. Brauchen sie es? Ich bin mir nicht sicher", so Zhuravlev.

Andererseits könnten Sanktionen von europäischer Seite auch die Gaspipeline Nord Stream 2 betreffen, was ebenfalls den Import von Erdgas beeinträchtigen könnte.

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Viele EU-Staaten abhängig von russischem Gas

Knapp 40 Prozent seiner Erdgasimporte bekam die EU im Jahr 2016 aus Russland. Damals wurden 357,1 Millionen Tonnen Rohöleinheiten importert. Der russische Anteil bei den Erdgasimporten in die EU lag 2019 bei knapp 41 Prozent. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben sich Russland und die Ukraine um Pipelines durch ukrainisches Territorium gestritten, was die russischen Behörden dazu veranlasst hat, andere Routen zu finden. Das Gas wird in Pipelines nach Europa geliefert, etwa die Yamal-Pipeline, Nord Stream oder die Druschba-Pipeline, die ausgerechnet durch die Ukraine führt. Rund ein Drittel des russischen Erdgases fließt durch die Ukraine.

Für einige der EU-Staaten würde ein Stopp des russischen Gases bedeuten, dass die Energieversorgung stark beeinträchtigt wird:

Ungarn ist zum Beispiel sehr abhängig von den Gaslieferungen. Das Land importiert fast sein gesamtes Gas aus Russland – 95 Prozent. Ein großes Problem: 2015 machte Erdgas 30 Prozent des Energiemixes des Zehn-Millionen-Einwohner-Landes aus. 2020 lag dieser Anteil laut dem Datenportal "Out World in Data" bei mehr als 26 Prozent.

Die baltischen Staaten hätten ebenfalls große Probleme, wenn Putin den Gashahn zudreht. 2016 lag der Erdgasanteil am Energiemix in Litauen bei 25 Prozent, in Lettland bei 26 Prozent und in Estland bei knapp acht Prozent. Allerdings importieren alle drei Länder fast ihr gesamtes Erdgas aus Russland. 2020 lag der Anteil des durch Gas erzeugten Stroms laut "Our World in Data" in Lettland bei knapp 39 Prozent, in Litauen bei mehr als 38 Prozent und in Estland bei weniger als ein Prozent.

Schwer, neue Erdgasquellen zu finden

Auch Italien müsste bei einem Stopp der Gaslieferungen aus Russland mit Schwierigkeiten rechnen. Das Land gewinnt rund 40 Prozent seiner Energie aus Erdgas. Ein Großteil davon kommt aus Russland, nämlich 34 Prozent. Auch aus Norwegen, Algerien oder Katar importiert das Mittelmeerland sein Erdgas.

In Tschechien liegt der Anteil von Erdgas bei Stromerzeugung bei rund 16 Prozent. Allerdings importiert die Republik ebenfalls einen Großteil seines Gases aus Russland: 63 Prozent macht der Anteil aus.

2020 importierte Deutschland mehr als 56 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland. Rund 49 Prozent der deutschen Erdgasimporte kommen aus dem Riesenreich, womit Deutschland einer der Hauptkunden Russlands ist. Im dritten Quartal des vergangenen Jahres lag der Anteil des durch Erdgas erzeugten und ins Netz eingespeiste Strom bei 8,7 Prozent. Ein Jahr zuvor lag er allerdings bei 14,4 Prozent.

Das große Problem: Falls Russland das Gas abdreht, wird es nicht einfach sein, auf die Schnelle neue Quellen zu bekommen. Das unterstreicht auch ein Bericht des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2020 mit dem Titel "Energieversorgungssicherheit in der Außenpolitik der EU". Besonders im Winter könnte das besonders bitter für die Bevölkerung in betroffenen Staaten werden.

Erdgas ist ein knappes Gut – außer in Russland

"Insgesamt sind die EU-Mitgliedstaaten derzeit und wahrscheinlich auch in Zukunft mit Abstand die größten Abnehmer von Erdöl und Erdgas aus Russland", heißt es darin. Einige der am stärksten von Erdgas aus Russland abhängigen Länder hätten aber schon Schritte unternommen, um sich besser gegen Erdgasknappheit zu wappnen. Litauen etwa hat Flüssigerdgasterminals errichtet. Lettland hat seine unterirdische Erdgasspeicherkapazität vergrößert, die nun ausreicht, um den Verbrauch von zwei Jahren zu decken.

Mögliche andere Länder, aus denen die EU-Länder Erdgas importieren könnten, wären noch Norwegen, die Niederlande, Großbritannien oder Dänemark. Doch Norwegen, Europas zweitgrößter Lieferant, liefert schon mit maximaler Kapazität und kann fehlende Lieferungen aus Russland nicht ersetzen, sagte Ministerpräsident Jonas Gahr Støre. Südeuropa kann immerhin aserbaidschanisches Gas über die Transadriatische Pipeline nach Italien und die Transanatolische Erdgaspipeline (Tanap) durch die Türkei beziehen.

Zwar könnten die europäischen Staaten untereinander Erdgas liefern. Wenn das aber ein knappes Gut wird, könnte damit geknausert werden. Insbesondere wenn die europäischen Gasvorräte für den Winter, wenn die Nachfrage traditionell am höchsten ist, sehr niedrig sind – was der Fall ist, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.

Andere Stromquellen könnten helfen

Längerfristig plane die Europäische Kommission ein System, das es den EU-Ländern ermöglicht, gemeinsam strategische Gasvorräte zu kaufen. Zudem sollen den Plänen nach Millionen von Gebäuden renoviert werden, um Energie zu sparen und CO2-Emissionen einzudämmen.  

Eine Alternative wäre noch der Import von flüssigem Erdgas (LNG). Die Einfuhren nach Nordeuropa, insbesondere aus den Vereinigten Staaten, sind in diesem Monat gestiegen. Die EU-Infrastruktur könnte höhere LNG-Importe bewältigen, obwohl es eine Grenze dafür gibt, wie viel LNG-Lieferanten produzieren und transportieren können. Die globale Verflüssigungskapazität sei fast vollständig ausgelastet, sagte die Denkfabrik Bruegel am Donnerstag. "Unter der Annahme von Durchschnittstemperaturen würden hohe LNG-Importe die schwersten physischen Engpässe noch vor Ende dieses Winters verhindern", so Bruegel.

Auch die Versorgung durch andere Stromquellen sind eine Option, zum Beispiel Kernkraft. Aber die nukleare Verfügbarkeit nimmt in Deutschland, Großbritannien, Belgien und Frankreich aufgrund von Stilllegungen, Ausläufen und häufigen Ausfällen ab. Außerdem wurden im Kampf gegen den Klimawandel mehrere alte Kohlekraftwerke in der EU abgeschaltet. Einige Länder behalten Kohlekraftwerke für die Notversorgung, aber viele wurden aufgrund der hohen Gaspreise bereits wieder hochgefahren, wie Reuters weiter berichtet.

Europäischer Notfallplan

Für den Fall, dass es mit dem Erdgas in Europa tatsächlich eng werden sollte , hat die EU Vorschriften, um auf eine Gasversorgungskrise zu reagieren. Es gibt drei Alarmstufen: Frühwarnung, Alarm und Notfall. Jedes EU-Land muss einen Plan zur Bewältigung der drei Krisenstufen sowie präventive Maßnahmen zur Risikobegrenzung haben. Die ersten beiden Ebenen erfordern marktbasierte Antworten.

Im Notfall können Regierungen eingreifen, um die Gasversorgung von Haushalten und wesentlichen Diensten sicherzustellen. So könnten Unternehmen angewiesen werden, mehr Gas aus Speichern zu verwenden, von Gas auf andere Brennstoffe wie Öl oder Kohle umzusteigen oder Industrieanlagen abzuschalten. Zudem gibt es innerhalb der EU solidarische Maßnahmen, etwa gegenseitige Hilfe zwischen den Staaten.

Weitere Quellen: E3G, Europäisches Parlament, "Berlingske", Bundeszentrale für politische Bildung (1), Bundeszentrale für politische Bildung (2), Statistisches Bundesamt, Statista, Eurostat (1), Eurostat (2), Eurostat (3)

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Wohin exportiert Deutschland Gas?

Erdgas - Deutscher Export nach Länder 2020 Die Statistik zeigt die Verteilung der exportierten Gasmenge Deutschlands auf die Nachbarländer im Jahr 2020. Im Jahr 2020 exportierte Deutschland rund 5,4 Prozent der gesamten Erdgasexportmenge nach Frankreich.

Welche Länder versorgt Deutschland mit Erdgas?

An der deutschen Gasversorgung sind im Wesentlichen drei Länder bzw. Unternehmen beteiligt. Hierzu zählen Russland, Norwegen und die Niederlande. Gemeinsam decken sie rund 88 Prozent des deutschen Erdgases ab.

In welcher Staat ist der wichtigste Lieferant von Erdgas an die EU?

Welcher Staat ist der wichtigste Lieferant von Erdgas an die EU? Das meiste Erdgas in Europa kommt aus Russland. Gasimporte von Russland nach Europa geschehen überwiegend über Pipelines, etwa die Yamal-Pipeline, die Druschba-Pipeline oder Nord Stream.

Welche Länder beliefert Russland mit Gas?

Zu gut einem Drittel bezieht Deutschland sein Erdgas aus Russland. In den ost- und südosteuropäischen EU-Ländern ist diese Energieabhängigkeit deutlich größer: Die baltischen Länder, Polen, die Slowakei und Bulgarien sind bei ihren Gasimporten zu 100 Prozent auf den russischen Staatskonzern Gazprom angewiesen.

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