Was ist in dieser Situation richtig 1 3 01 130 VS 1 Ich muss warten Ich muss mich mit dem Fahrer des roten Pkws verständigen der rote Pkw muss warten?

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin stellte nach unrechtmäßiger, schlepperunterstützter Einreise im Bundesgebiet am 03.02.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 03.02.2013 wurde der Bruder der Beschwerdeführerin zu seiner Schleppung zeugenschaftlich von der Polizei einvernommen. Im Zuge der Einvernahme gab er an, dass er geflohen sei, weil seine Schwester entführt und mit einem tschetschenischen Mann gegen ihren Willen verheiratet worden sei. Dieser Mann sei mächtig und einflussreich in Tschetschenien. Da sich seine Schwester von ihm getrennt habe, sei er von den Leuten dieses Mannes ebenfalls entführt, geschlagen und unter Druck gesetzt worden. Daher hätten er und seine Schwester das Land verlassen müssen, um in Sicherheit zu sein. Auf seinem Handy habe der Routenplaner Bratislava-Marseille festgestellt werden können, er sei von einer französischen Nummer angerufen worden, die der in Frankreich lebenden Cousine XXXX gehöre. Sie habe mit seiner Schwester sprechen wollen.

Am 04.02.2013 wurde die Beschwerdeführerin zu ihrer Schleppung zeugenschaftlich von der Polizei einvernommen. Im Zuge der Einvernahme gab sie an, dass sie geflohen sei, weil sei ein tschetschenischer Mann mit "XXXX", den Familiennamen wolle sie nicht angeben, gegen ihren Willen zu ihrer Geliebten machen habe wollen. Er habe von ihr verlangt, sich nach islamischem Recht zu kleiden und habe sie mehrmals bedroht. Bei der Ausreise habe sie den Führerschein, eine Geburtsurkunde und Bargeld bei sich gehabt, ebenso teuren Schmuck, den sie während der Reise verkauft habe. Die SIM-Karte ihres Handys habe sie vor ihrer Abreise vernichtet.

In der Erstbefragung am 05.02.2013 gab die Beschwerdeführerin an, russische Staatsangehörige, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und muslimischen Glaubens zu sein. Sie sei in XXXX, Tschetschenien, geboren und ¿habe 1985-1996 die Grund- und Mittelschule IM XXXX besucht. Bis 1998 habe sie in Grosny die Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. Sie sei von 1998-2000 zwangsverheiratet gewesen. Zuletzt habe sie als Krankenschwester in der Administratur gearbeitet. Sie spreche Russisch und Tschetschenisch, wobei sie tschetschenisch nicht schreiben könne. Ihr Vater lebe in XXXX, ihre Mutter in Grosny. Ihr Bruder sei mit ihr nach Österreich gereist. Sie habe zuletzt in Grosny gelebt.

Sie habe Mitte Jänner 2013 beschlossen, ihren Herkunftsstaat zu verlassen und sei von Grosny aus am 18.01.2013 mit ihrem Bruder per Bus nach XXXX gefahren und habe dort bei einer Freundin übernachtet. Danach seien sie mit einem PKW nach Kiew ausgereist, wo der Lenker sie an eine Frau namens XXXX übergeben habe. Diese Frau habe den weiteren Schlepper organisiert, der sie über unbekannte Länder nach Wien gebracht und bei einer U-Bahnstation aussteigen habe lassen. Mit der Bahn seien sie nach Traiskirchen gefahren, wo die Polizei sie am Bahnhof aufgegriffen und ins Erstaufnahmezentrum gebracht habe. Sie sei legal nach Inguschetien gereist, die Einreise in die EU und nach Österreich sei illegal gewesen. Sie habe einen Reisepass besessen, der allerdings abgelaufen sei und den sie zu Hause verloren habe, ihr Inlandsreisepass befinde sich in Grosny. Zur Reiseroute könne sie nur angeben, dass sie über die Ukraine gekommen seien, nähere Angaben könne sie nicht machen.

Der eigentliche Fluchtgrund von ihr und ihrem Bruder liege bei ihr:

Sie sei zu Hause bereits zwei Mal gegen ihren Willen zwangsverheiratet worden. Der erste Mann habe XXXX geheißen. Am 10.09.2012 sei sie von einem Tschetschenen, der gute Kontakte zu regierungstreuen Leuten habe, aus Grosny entführt und gegen ihren Willen verheiratet worden. Der zweite Mann habe XXXX XXXX geheißen und sei ein XXXX; er sei ca. 50 Jahre alt. Sie habe Mitte Dezember 2012 von XXXX fliehen können und sich in XXXX, einem Teil von Grosny, verstecken können. Mitte Dezember 2012 sei dann ihr Bruder entführt, geschlagen und nach ihr bzw. ihrem Aufenthaltsort befragt worden. Daraufhin hätten sie und ihr Bruder beschlossen, Tschetschenien zu verlassen. Das seien alle ihre Fluchtgründe, andere habe sie nicht. Im Falle der Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben, wenn sie nach Hause zurückkehren würde, würde sie XXXX töten. Er habe ihr dies auch vorher mehrmals angedroht. Die Frage, ob sie mit irgendwelchen Sanktionen im Falle der Rückkehr rechnen müsste, verneinte die Beschwerdeführerin.

Nach der Rückübersetzung gab die Beschwerdeführerin an, dass es keine Verständigungsprobleme gegeben habe.

Die Beschwerdeführerin wies sich mit einem Russischen Führerschein aus.

Am 07.02.2013 wurde der Beschwerdeführerin die Asyl-Verfahrenskarte ausgehändigt.

2. Am 03.07.2013 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesamt von einer Beamtin niederschriftlich einvernommen. Die Beschwerdeführerin gab an, gesund zu sein, keinen Arzt zu brauchen und keine Medikamente einzunehmen.

Die Angabe im Protokoll der Erstbefragung, wonach sie von 1998 bis 2000 verheiratet gewesen sei, stimme nicht, sie sei nur 1998 verheiratet gewesen. Weiters sei sie sich nicht sicher, ob sie wirklich das zweite Mal mit XXXX XXXX verheiratet werden habe sollen, weil ihr dieser Mensch nur gesagt habe, er sei sehr einflussreich, sie habe aber keine Dokumente von ihm gesehen. Sie vermute aber, dass es XXXX XXXX gewesen sei, weil er Andeutungen in diese Richtung gemacht habe. Vielleicht habe er sie aber auch nur einschüchtern wollen.

Zu ihrem Bruder habe sie seit eineinhalb Monaten keinen Kontakt mehr. Er habe gesagt, dass er nach Wien fahre, und sei nicht mehr zurückgekommen. Sie habe auch das Telefon gewechselt, weil ihre Karte kaputt gewesen sei. Sie habe dem Quartiergeber gesagt, dass er nicht wieder auftauchen werde. Sie habe die Telefonnummer von ihrem Bruder nicht. Von ihrem Bruder abgesehen lebe nur eine Cousine 2. Grades in Österreich, mit der sie aber noch nicht Kontakt aufgenommen habe.

Im Herkunftsstaat würden weiterhin ihre Mutter und ihre Vater leben, zu ihrem Vater habe sie aber keine wirkliche Beziehung, weil er eine eigene Familie habe und ihre Eltern schon lange getrennt leben würden. Ihre Mutter lebe immer noch in Grosny in einer Wohnung. Sie hätten auch lange in Russland im Gebiet XXXX gelebt. In dieser Zeit hätten ihnen die tschetschenischen Behörden ihre Wohnung in Grosny weggenommen, wogegen sie - erfolglos - gerichtlich vorgegangen seien. Sie habe 2000 - 2012 in XXXX gelebt und Jus studiert, sie sei Juristin. Sie habe ein XXXX auch gearbeitet. Ihre Mutter und ihr Bruder seien schon früher nach Tschetschenien zurückgekehrt, sie sei 2012 nachgekommen. Sie wollten wieder in Tschetschenien leben. Ihr Plan sei es gewesen, dort als Juristin Arbeit zu finden, in Sibirien sei es kalt und es sei unangenehm dort zu leben. In XXXX habe sie 2004 oder 2005 bis September 2012 in einer Firmenwohnung ihres Arbeitgebers gelebt. Nach der Rückkehr nach Grosny habe sie an der Adresse ihrer Mutter gelebt bis 09. oder 10.09.2012, als sie einen Mann kennenlernte, der sie gewaltsam mit zu sich genommen habe, damit sie bei ihm lebe. Sie habe dort bis Mitte Dezember 2012 gelebt, dann habe sie ihn verlassen. Sie sei nach XXXX in Tschetschenien gezogen und habe dort bei einer guten Freundin namens XXXX gelebt. XXXX habe sie am 18.01.2013 verlassen.

In Grosny habe sie in der Kinderabteilung gearbeitet, Spritzen gegeben etc. Sie habe zunächst in der XXXX als Geburtshelferin und danach in der Kinderklinik von Grosny gearbeitet, sie habe das Recht gehabt, intravenöse Zugänge zu legen. 1998 oder 1999 habe sie das College abgeschlossen und in der XXXX gearbeitet, dann sei der Krieg gekommen und sie sie mit ihrer Familie nach Russland, XXXX, gezogen, wo sie zunächst als Inspektorin, dann als Oberinspektorin in einem großen Unternehmen namens XXXX, später umbenannt in XXXX, gearbeitet habe, das den Gesundheitszustand von Fahrern öffentlicher Verkehrsmittel kontrolliert habe. Sie habe dort Listen geführt und Proben kontrolliert. Sie habe dort bis 2012 gearbeitet. Dazwischen habe sie weiterstudiert. An der staatlichen XXXX in XXXX, das Studium habe sie 2009 beendet. Die diesbezüglichen Unterlagen seien in Grosny. In der Erstbefragung habe sie das nicht angegeben, weil sie nicht danach gefragt worden sei bzw. weil sie gedacht habe, es reiche, ihre Ausbildung in Grosny anzugeben bzw. weil sie gewusst habe, dass die richtige Einvernahme noch komme.

Ihre Mutter arbeite in einer Schule und unterrichte Biologie und Chemie, außerdem gebe sie Nachhilfe. Dadurch könne sie ihren Lebensunterhalt bestreiten, sie verfüge zudem über eine Eigentumswohnung. Die Beschwerdeführerin habe auch weitschichtige Verwandte, engeren Kontakt habe sie aber nur mit der Tante, die ihr am nächsten stehe und in XXXX, Sibirien, lebe.

Sie habe in der Russischen Föderation nie Probleme mit dem Gesetz oder den Behörden gehabt und sei auch nicht vorbestraft, sie sei nie politisch aktiv gewesen. Sie sei zwischen 2000 und September 2012 in Tschetschenien auf Urlaub gewesen.

Das erste Mal sei sie mit 16 Jahren, 1996 geraubt worden. Nach dem moslemischen Gesetz sei das aber keine Ehe. Sie habe mit ihrem ersten Mann gelebt und sie hätten Kontakt gehabt, aber keinen intimen Kontakt. Sie habe dort aber nicht freiwillig gewohnt, er habe sie von der Schule weggeraubt und ihr Vater habe sie ihm übergeben. Sie habe geheult und geschluchzt, weshalb ihr Vater sie schlussendlich aus Mitleid zurückgeholt habe. Sie wisse nur den Vornamen ihres ersten Mannes, XXXX, nicht aber seinen Familiennamen.

Das zweite Mal habe sie XXXX XXXX geraubt, insgesamt sei sie dreimal geraubt worden. Sie habe den ersten Raub bei der Erstbefragung nicht erwähnt, weil sie nicht richtig mit diesem Mann zusammen gewesen sei. Der Dolmetscher habe ihr gesagt, dass sie sagen solle, was ihr wichtig erscheine, daher habe sie den ersten Raub nicht erwähnt.

Das zweite Mal sei sie im College gewesen und die Stiege hinaufgegangen, als Uniformierte gekommen seien, XXXX habe sie erst einmal zuvor gesehen. Auf Nachfrage gab sie an, dass sie beim Hinaufgehen aus dem Augenwinkel Männer gesehen habe, dann seien zwei Uniformierte gekommen und hätten sie geraubt. Man habe sie in irgendein Dorf in den Bergen gebracht, wo XXXXXXXX Schwester gelebt habe. XXXX XXXX habe sie geschlagen und ihr mit dem Tod gedroht, falls sie fliehe. Letztendlich habe sie ihre Mutter von dort abgeholt. Sie sei damals nicht mehr in den Bergen gewesen, XXXX habe sie nach Grosny gebracht und sie habe dort mit ihm gewohnt. Ihre Mutter habe sie abgeholt, weil er sie geschlagen habe. Sie sei weggelaufen und habe ihre Sachen über den Balkon geschmissen. Dann sei sie geflüchtet. Er habe nach ihr gesucht, auch im College. Also habe sie bei XXXX noch einige Lehrbücher abgeholt, als ihre Mutter gekommen sei und gesehen habe, dass XXXX sie geschlagen habe. Ihre Mutter habe die Nachbarn gerufen und sie sei gerettet gewesen. XXXX habe sie dann noch holen wollen, aber die Alten aus ihren Familien hätten das geregelt. Seitdem sei XXXX nie mehr vorbeigekommen. Das alles habe sich 1998 ereignet.

Befragt nach ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin an, dass es zunächst keine Probleme gegeben habe, als sie nach Tschetschenien zurückgekehrt sei. Aber dann habe sie einen Mann kennengelernt und alle ihre Probleme hätten mit diesem Mann begonnen. Er habe ihr gesagt, dass er vier Kinder habe und dass sie keine Kinder bekommen werde, dass sie sein Spielzeug sei. Er habe sie geschlagen und beleidigt. Sie haben den Schleier tragen müssen. Sie möge es nicht, solche Kleider zu tragen, sie habe immer Jeans angehabt. Der Mann aber habe gesagt, dass das ungehörig und nach der Scharia verboten sei und dass er sie dafür schlagen und töten könne. Sie könne nichts über die Identität dieses Mannes sagen, sie habe sich nicht um seine Sache gekümmert und sei verschreckt gewesen.

Sie sei ihm im Zentrum von Grosny begegnet, gemeinsam mit einer Freundin und deren Schwester. Vier Männer seien zusammengestanden und eine schwarz gekleidete Frau sei auf sie und die Freundinnen zugekommen und habe gesagt, dass sie seinem Mann gefalle und sie nach ihrer Telefonnummer gefragt. Sie aber habe einen Freund gehabt, den sie heiraten habe wollen, und sei an dem Mann nicht interessiert gewesen. Er sei schon älter gewesen und über sowas habe sie schon Schlimmes gehört. Die Gesetze in Tschetschenien seien ihr unheimlich. Die Frau habe dann für sich selbst um ihre Telefonnummer gebeten und sie habe sie ihr gegeben. Dies sei Anfang September 2012 gewesen. Ihren Freund habe sie auf einem Tschetschenienurlaub kennengelernt und sie hätten lange Telefonkontakt gehabt; es sei der normale Weg einer Beziehung gewesen. Auf die Frage, warum sie der Frau dennoch ihre Nummer gegeben habe, wenn sie an dem Mann nicht interessiert gewesen sei, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie es der Frau nicht abschlagen habe wollen, weil sie halt so erzogen sei. Die Frau sei älter gewesen, daher habe sie ihr die Nummer geben müssen. Auf den Vorhalt, dass das mit ihrem Auftreten und mit der offensichtlich von ihr vertretenen Gesinnung nicht übereinstimme, gab die Beschwerdeführerin an, das sei wegen der Erziehung so. Sie wisse, dass die Tschetschenen alles durchsetzen würden und daher hätte die Frau sowieso ihren Willen durchsetzen können und ihre Nummer irgendwie bekommen. Auf Nachfrage gab sie an, das Treffen habe einige Tage nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien stattgefunden.

Der Mann habe sie am selben Abend noch angerufen und um ein Treffen gebeten. Sie hätten sich im Café getroffen und er habe sie gebeten, seine zweite Frau zu werden. Er habe ihr angeboten, ihr ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen, Arbeit zu besorgen und alles, was sie wolle. Sie habe mit Hinweis auf ihren Freund abgelehnt. Er habe sie ersucht, es sich zu überlegen. Sie sei heimgegangen und er habe wieder angerufen und um ein weiteres Treffen gebeten. Da sei er schon entschlossener gewesen und habe sie zwingen wollen. Sie habe die Sache normal klären wollen und sie hätten sich ein drittes Mal getroffen. Er habe gesagt, dass er eine Wache habe und dass er nie alleine sei. Sie habe eigentlich mit Freundinnen spazieren gehen wollen, aber dazu sei es nicht mehr gekommen. Er habe wieder angerufen und sie habe gesagt, er solle das sein lassen. Sie habe ein Auto heranfahren sehen. Alle XXXX-Leute würden Autos mit getönten Scheiben fahren. Auf der Nummerntafel stehe nur XXXX. So ein Auto sei gekommen. Es habe schon Fälle gegeben, in denen unangenehme Situationen entstanden seien, weil so ein Auto gekommen sei. Daher sei sie etwas von der Straße zurückgetreten, als sie das schwarze Auto gesehen habe. Es habe gehalten und der Mann sei hinten ausgestiegen, habe zwei Schritte auf sie zugemacht und gesagt:

"Jetzt haben wir und also getroffen und ich könnte dich mitnehmen, um etwas zu besprechen." Sie habe sich geweigert einzusteigen, weil er ihr unsympathisch gewesen sei. Er sei im Verlauf des Gesprächs grober geworden, habe gesagt, dass er nichts zu befürchten habe und dass es besser wäre, sie fahre mit ihm. Dann sei noch ein anderer junger Mann mit Bart gekommen und die hätten sie dann gezwungen, einzusteigen, und hätten sie hinten ins Auto gestoßen.

Sie sei von 10.09.2012 bis Mitte Dezember, ihrer Flucht, durchgehend in der Gewalt dieses Mannes gewesen. Sie sei verpflegt worden und habe Geschenke bekommen. Sie sei allein in einem Haus gewesen. Eine Frau sei manchmal gekommen und hätte sie behandelt, als hätte sie ihr etwas getan. Im Hof seien immer Männer gewesen, offensichtlich seine Leibwächter. Während der Anhaltung habe sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder telefoniert. Der Mann habe sie erst traditionell heiraten wollen, dabei habe er sie gewaltsam festgehalten. Sie habe diesen Mann weder geheiratet, auch nicht nach muslimischem Ritus, noch heiraten wollen, weil er keine Kinder haben wollte. Er habe ihr gesagt, dass sie nur so lange bleibe, als er sie brauche.

Im Oktober 2012 sei sie von diesem Mann schwanger geworden. Er habe gesagt, dass sie keine Kinder haben würden, wenn sie ein Kind bekäme, würde er es töten. Sie habe eine Fehlgeburt gehabt, weil sie so entsetzt gewesen sei. Sie hätten sie zu einer Frau gebracht, die die Abtreibung durchgeführt hätten, aber das Kind sei schon tot gewesen. Die Frau hätte es nur gereinigt. Der Mann habe gesagt, sie bekomme alles von ihm, nur keine Kinder.

Die Flucht sei ihr im Dezember 2012 geglückt. Sie habe schon islamische Kleider getragen und er habe sie zum Markt gebracht, sie aber immer eingeschüchtert, dass wegen seiner Beziehungen immer Augen auf sie gerichtet seien. Sie seien immer wieder am Markt gewesen. Sie habe ihrer Mutter vorher gesagt, sie solle ihre Freundin XXXX verständigen. Sie habe bis zum Tagesgebet gewartet, weil auch etwaige Verfolger beten müssten. Neben der Moschee habe XXXX Freund gewartet und so sei ihr die Flucht geglückt. XXXX habe sie zu sich nach XXXX gebracht, wo sie bis zum 18.01.2013 durchgehend geblieben sei. Ihre Mutter habe das gewusst, ihr Bruder habe nur gewusst, dass sie in XXXX sei, aber er sei nie zuvor bei XXXX gewesen.

Auf den Vorhalt, dass sie in der polizeilichen Erstbefragung angegeben habe, dass XXXX, der XXXX, sie entführt und festgenommen habe, in der gegenständlichen Einvernahme aber, das sie nie gewusst habe, wie der Mann heiße, antwortete die Beschwerdeführer, dass der Mann gesagt habe, dass sie nirgends hingehen könne, weil sie immer in seiner Gewalt gewesen sei und sie sich nicht damit abfinden habe wollen. Er habe nur gesagt, dass er einer der XXXX sei, sie habe aber nie ein Dokument gesehen. Er habe auch gesagt, dass er XXXX heiße, alle anderen hätten ihn auch so genannt. Auf die Frage, warum sie das in der gegenständlichen Einvernahme nicht angegeben habe, antwortete die Beschwerdeführerin, dass sie schon wisse, dass er XXXX heiße, schon älter, um die 50 Jahre alt, sei und eine Glatze habe.

Auf den Vorhalt, dass sie in der polizeilichen Erstbefragung angegeben habe, dass XXXX sie gegen ihren Willen geheiratet habe, in der gegenständlichen Einvernahme aber abstreite, ihn geheiratet zu haben, gab die Beschwerdeführerin an, es habe keine Hochzeit gegeben, er habe nur gesagt, dass sie seine Frau sei, und gesagt, dass er einen Mullah schicke und das Brautgeld bezahle, habe das aber nicht getan. Niemand sei zu ihrer Mutter gekommen und habe das Brautgeld bezahlt. Ihre Mutter sei nur einmal von jemandem angerufen worden, der sich als Mullah ausgegeben und ihr gesagt habe, dass sie geheiratet habe.

Ihr Bruder sei mit ihr geflüchtet, weil er brutal zusammengeschlagen worden sei. Dadurch sei ihr die Gefahr ihrer Lage erst bewusst geworden und sie habe beschlossen auszureisen. Sie sei nicht innerhalb der Russischen Föderation umgezogen, weil Autos mit dem Kennzeichen XXXX überall zu finden seien. Der Mann habe alles von ihr gewusst.

Auf den Vorhalt, dass ihr Bruder in der polizeilichen Erstbefragung angegeben habe, dass sie nur eine Woche in der Gewalt von XXXX gewesen sei, während die Beschwerdeführerin in der gegenständlichen Einvernahme aber angebe, drei Monate lang in seiner Gewalt gewesen zu sein, gab die Beschwerdeführerin an, es seien drei Monate gewesen, vielleicht habe ihr Bruder sagen wollen, dass er eine Woche nach ihrem Raub zusammengeschlagen worden sei. Auf den Vorhalt, dass das im Widerspruch zur Angabe ihres Bruder in der polizeilichen Erstbefragung stehe, dass er geschlagen worden sei um herauszufinden, wo sie sei, was voraussetze, dass sie zu diesem Zeitpunkt schon geflüchtet sei, bekräftigte die Beschwerdeführerin nur, dass ihr Bruder eine Woche nach ihrer Flucht von XXXX niedergeschlagen worden sei. Auf den Vorhalt, dass ihr Bruder in der polizeilichen Erstbefragung angegeben habe, dass er nicht gewusst habe, dass sie in XXXX versteckt gewesen sei, während die Beschwerdeführerin in der gegenständlichen Einvernahme aber angebe, er habe gewusst, in welcher Ortschaft sie versteckt sei, antwortete die Beschwerdeführerin, dass ihr Bruder vielleicht sagen habe wollen, dass er nicht gesagt habe, wo sie sei.

Für den Fall der Rückkehr fürchte sie, dass XXXX sie überall finden könne, weil er Beziehungen habe, sein Ego gekränkt sei und er Wut in sich herumtrage. Er habe ihr auch damit gedroht, sie umzubringen und sie zu verscharren.

Nach der Rückübersetzung ergänzte die Beschwerdeführerin, dass sie auch in einem Personalbüro und bei der Firma XXXX als Juristin gearbeitet habe, das sei ihre Karriere in diesem Unternehmen gewesen. Ihr Bruder habe wahrscheinlich gemeint, dass er eine Woche nach ihrer Flucht geschlagen worden sei und nicht eine Woche nach ihrem Raub. Sonst habe sei keine Ergänzungen und sie habe den Dolmetscher einwandfrei verstanden.

Die Beschwerdeführerin übermittelte mehrere handschriftliche Zettel in russischer Sprache, die das Bundesamt übersetzen ließ.

Darin führt die Beschwerdeführerin aus, Tschetschenien sei antiliberal und gesetzlos, XXXX beschönige die Situation in Tschetschenien mit klugen PR-Tricks. Er verfüge über genug Geld dafür, weil ihm alle Erwerbstätigen "Tribut" zahlen müssen. Er genieße Privilegien seitens des Kreml und werde von Präsident PUTIN protegiert. Alle potentiellen Konkurrenten XXXX seien beseitigt worden. XXXX betreibe exzessiven Personenkult. Kritik an XXXX könne sich gegen den, der sie äußere, und seine Familie richten. Bei Wahlen werde vorgegeben, wer gewählt werden solle, die Wahlen seien nicht fair. Die Emanzipation der tschetschenischen Frau finde nicht statt. Gehe man ohne Kopftuch und bodenlangen Rock auf die Straße, werde man belästigt. Die XXXX-Leute würden mit dem Kennzeichen XXXX herumfahren und es sei besser, ihnen auszuweichen. Sie würden Mädchen entführen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, und sie als Sexsklavinnen halten. Sie würden sie schlagen oder sogar umbringen und nicht nur sie, sondern auch deren Familien. Man könne nicht behaupten, dass der Krieg zu Ende sei, dass sich das Land stabilisiert habe und ein friedliches Leben dort möglich sei. Es würden zwar weniger Menschen getötet als früher, aber beim XXXX-Tschetschenien habe man es mit einer schrecklichen, monströsen, kriminellen Enklave zu tun, die nach eigenen Regeln funktioniere. Presse und Fernsehen befänden sich unter Kontrolle der Exekutive, es sei ein absolutes Tabu, darüber zu sprechen, was die XXXX-Leute täten.

Am 16.10.2013 wurde der belangten Behörde die Meldung betreffend die Beschwerdeführerin wegen versuchten Ladendiebstahls mit zwei Mittäterinnen am Tag zuvor übermittelt.

Mit Bescheid vom 09.12.2013 wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 03.02.2013 sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, als auch im Hinblick auf den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus.

Das Bundesasylamt stellte die Identität der gesunden Beschwerdeführerin auf Grund des vorgelegten Führerscheins fest. Der von der Beschwerdeführerin angegebene Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates sei nicht glaubhaft nachvollziehbar. Es könne nicht festgestellt werden, dass sie einer Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt sei. Eine Gefährdung der Beschwerdeführerin iSd Art. 2, 3 EMRK, 6., 13. ZPEMRK könne ebenso wenig festgestellt werden, wie eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Sie verfüge im Herkunftsstaat über familiäre Anknüpfungspunkte und habe dort ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise verbracht, der Mittelpunkt ihrer Familien- und Lebensinteressen liege jedenfalls nicht in Österreich, sondern in ihrem Herkunftsstaat. Zudem traf das Bundesamt umfangreiche Länderfeststellungen.

Begründend führte das Bundesamt aus, dass es unplausibel sei, dass die Beschwerdeführerin ihre Telefonnummer weitergegeben habe, obwohl ihr das unheimlich gewesen sei und sie den betreffenden Mann abgelehnt und sie angegeben habe, zweimal zwangsverheiratet worden zu sein, weshalb auszuschließen sei, dass sie sich in der von ihr geschilderten Situation tatsächlich so verhalten hätte. Es sei weiters nicht glaubwürdig, dass sie drei Monate lang mit einem Mann zusammengelebt habe, ohne zu versuchen, seine Identität festzustellen, dies sei insbesondere vor dem Hintergrund des von der Beschwerdeführerin behaupteten Bildungsstands unglaubwürdig. Es sei auch unplausibel, wenn die Beschwerdeführerin einerseits angebe, der Entführer habe sie überwachen lassen, und andererseits, dass sei am Markt einkaufen gewesen sei und mit ihrer Familie telefonieren habe können. Widersprüchlich habe sie angegeben, ob der Entführer XXXX XXXX, XXXX, oder ein Unbekannter gewesen sei, ob sie mit ihm verheiratet gewesen sei, oder nicht. Widersprüchlich seien ihre Angaben auch zu denen ihres Bruders, wonach sie nur eine Woche entführt gewesen sei und er nicht gewusst habe, wo sie sich versteckt gehalten habe. Sie habe die Widersprüche nicht entkräften können.

Auch die allgemeine Situation von Frauen in der Russischen Föderation sei nicht so, dass Frauen grundsätzlich einer Verfolgung ausgesetzt seien.

Es drohe ihr keine Verfolgung, sie sei erwachsen, arbeitsfähig, gebildet und habe jahrlange Berufserfahrung, sie verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, konkret in Grosny, weshalb sie auf Grund der tschetschenischen Tradition Unterstützung und Unterkunft finde, und es gebe keine Hinweise, dass sie nicht wieder in der Russischen Föderation einer Arbeit nachgehen könne. Es gebe daher und auf Grund der Länderberichte keine Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes.

Mit Verfahrensanordnung vom 09.12.2013 wurde der Beschwerdeführerin ein Rechtsberater für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof beigegeben.

3. Mit Schriftsatz vom 17.12.2013 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht vollumfänglich Beschwerde gegen diesen Bescheid an den Asylgerichtshof, in der sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

In ihrer Beschwerde führt die Beschwerdeführerin aus, dass sie als alleinstehende Frau in ihrem Herkunftsstaat nicht sicher sei, da sie bereits mehrmals von unbekannten Männern überfallen worden sei, davon zwei Mal zwangsverheiratet, eingesperrt und vergewaltigt. Der letzte, der ihr das angetan habe, sei ein mächtiger Mann, XXXX XXXX. Seit ihr die Flucht von ihm gelungen sei, könne sie in ihrem Herkunftsstaat nicht mehr in Sicherheit leben. Auch ihr Bruder sei von ihren Verfolgern bedroht und schwer zusammengeschlagen worden, um aus ihm herauszupressen, wo sie sich aufhalte. Zudem habe ihr Vater seit der letzten Einvernahme von ihrer Flucht erfahren und ihrer Mutter am Telefon gedroht, dass er es nicht zulassen werde, dass sie solche Schande über die Familie bringen werde. Wenn er sie finde, würde er sie umbringen, egal in welchem Land sie sich aufhalte. Daher könne sie nicht nach Russland zurück.

Das Bundesamt habe es verabsäumt, Ermittlungen zu ihrer konkreten Gefährdung als alleinstehende, westlich orientierte Frau und Opfer mehrfacher Zwangsheiraten in Tschetschenien anzustellen. Sie sei nicht zu ihrer westlichen Orientierung und Situation als Frau in Tschetschenien befragt worden, obwohl dies asylrelevant sei. Der belangten Behörde habe an Verständnis für die tschetschenische Tradition und den kulturellen Hintergrund der Beschwerdeführerin gemangelt, weshalb dem Beamten die zwischenmenschlichen Reaktionen unplausibel geblieben seien. Dass sie ihre Telefonnummer hergegeben habe, sei vor dem Hintergrund ihrer kulturell geprägten Erziehung verständlich. Sie habe zudem geglaubt, ihn am Telefon abwimmeln zu können. Sie habe geglaubt, sich vernünftig mit ihm einigen zu können, weshalb sie sich auch mit ihm getroffen habe. Sie wisse fast nichts über ihren Entführer, außer dem, was er ihr selbst über sich erzählt habe, nämlich dass er XXXX XXXX sei und wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu XXXX XXXX völlige Straffreiheit genieße. Er könne daher mit ihr machen, was er wolle und sie solle bloß nicht glauben sich wehren zu können. Dies habe sie wahrheitsgemäß in er Erstbefragung angegeben. Weil sie aber von anderen Asylwerbern erfahren habe, dass XXXXS Leute überall spionieren würden und er vor Jahren hier einen Mann auf der Straße erschießen habe lassen, habe sie beschlossen, künftig nicht mehr zu erwähnen, wer der Entführer gewesen sei. Dies sei aber falsch und das wolle sie hiermit berichtigen. Es sei für sie ausreichend gewesen zu wissen, dass er XXXX sei. Sie habe wirklich kein Bedürfnis verspürt, weitere Nachforschungen ihn betreffend anzustellen. Sie wisse nicht, warum er sie nicht geheiratet habe. Sie seien nie am Standesamt gewesen, es habe keine offizielle Vermählung gegeben, er habe ihr gesagt, dass er sie nicht heiraten und keine Kinder von ihr haben wolle, sondern dass sie nur sein Spielzeug sei. Er habe ihr aber erzählt, dass er einen Mullah mit dem Brautpreis zu ihrer Mutter geschickt habe, was aber falsch gewesen sei. Sie sei eingesperrt gewesen und streng bewacht worden. Anfangs habe sie nicht frei telefonieren können und es habe in der Leitung gepiepst und geklickt, weshalb sie geglaubt habe, sie werde abgehört. Sie sei schwanger geworden, er habe sie beschimpft und sie habe das Kind verloren. Danach sei sie sehr bedrückt gewesen und hätte den Widerstand aufgegeben. Dadurch habe sich der Entführer sicherer gefühlt und die Bewachung sei zurückgegangen. Es sei ihr immer wieder gelungen, mit ihrer Mutter zu telefonieren. Ihre Mutter habe nicht wollen, dass sie fliehe, weil sie Angst um ihren Bruder gehabt habe. Als Mann wäre er für sie wichtiger als die Beschwerdeführerin. Sie habe ihre Mutter aber überreden können, mit XXXX zu sprechen. Sie wisse, dass das realitätsfremd klinge, würde es aber gerne im Zuge einer mündlichen Verhandlung erörtern. Ihr Bruder habe nicht gemeint, dass sie nur eine Wochen entführt gewesen sei, sondern dass er eine Woche nach der Entführung zusammengeschlagen worden sei. Er habe gemeint, dass er nicht wisse, wo genau im Dorf sie sich verstecke, sehr wohl aber habe er gewusst, in welchem Dorf sie sich verstecke. Außerdem sei ihr Bruder geistig beeinträchtigt und habe sich bei der Einvernahme nicht gut konzentrieren können, weil er nervös gewesen sei. Außerdem sei es nur die Erstbefragung gewesen und weder ihr noch ihrem Bruder sei die Erstbefragung rückübersetzt worden.

Durch die Drohungen ihres Vaters habe sich seit der letzten Einvernahme eine bedeutende Veränderung ergeben, weshalb die rechtliche Beurteilung nun zu einem anderen Schluss führen müsse. Außerdem sei ihr die persönliche Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen worden. Die Zwangsverheiratungen 1996 und 1998 habe sie nur geschildert, um den Hintergrund zu erklären, sie seien nicht ihr eigentlicher Fluchtgrund. Der Familienrückhalt sei nicht mehr gegeben, weil ihr Vater herausgefunden habe, was bei der Entführung passiert sei und geschworen habe, sie zu suchen und umzubringen. Frauen in ihrer Lage würden keinen staatlichen Schutz erhalten, dies ergebe sich aus den Länderberichten. Ehrenmorde seien eine reale Gefahr für tschetschenische Frauen und die Diskriminierungen würden zunehmen. Zudem ergebe sich aus den Länderberichten, dass junge Frauen entführt, vergewaltigt und anschließend zur Heirat gezwungen würden, wie dies auch die Beschwerdeführerin geschildert habe. Es handle sich um ein asylrelevantes Vorbringen wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Auch im Hinblick auf die Gewährung subsidiären Schutzes sei auf ihre Stellung als alleinstehende Frau hinzuweisen, dieser sozialen Gruppe stehe ernsthafte Bedrohung ihrer nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte bevor. Eine Ausweisung sei schon aus dem Grund unzulässig, dass sie auf Grund ihrer Asylantragstellung im Falle der Rückkehr mit asylrelevanter Verfolgung rechnen müsse. Sie lebe im Frauenhaus und fühle sich dort sehr gut aufgehoben. Sie führe hier ein selbstbestimmtes Leben als recht selbstbewusste Frau, auch weil sie einige Zeit ihres Lebens in einem anderen Teil Russlands gelebt habe. Sie wolle ihr Leben nach ihren Vorstellungen führen und habe ein Recht darauf, nicht in ein Land zurückgeschickt zu werden, in dem Menschenrechte auf das Gröbste verletzt würden.

Dem Schriftsatz legte die Beschwerdeführerin die ACCORD-Anfrage vom 14.03.2013 betreffend der Lage von Personen, die im Ausland, insbesondere in Europa, einen Asylantrag gestellt haben und in die Russische Föderation zurückkehren, und die Lage der beiden Tschetschenen, die Ende 2012 rücküberstellt wurden, bei.

Die Beschwerdeführerin brachte mit Schriftsatz vom 23.12.2013 eine zweite Beschwerde gegen denselben Bescheid ein, in der sie den Bescheid zur Gänze bekämpft und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Es vermöge kein einziger Beweggrund für das Fällen der Entscheidung zu überzeugen, vielmehr habe die belangte Behörde selbst sorglos gearbeitet. Sie habe zu Protokoll gegeben, dass sie sich nicht sicher sei, ob sie wirklich mit XXXX XXXX verheiratet gewesen sei, sie vermute es aber. Die belangte Behörde hätte daher keinen Widerspruch dahingehend feststellen dürfen, dass sie einmal angegeben habe, dass sie mit XXXX XXXX verheiratet gewesen sei, und einmal angegeben habe, dass sie sich nicht sicher gewesen sei, mit wem sie verheiratet gewesen sei. Dass sie angegeben habe, zwangsverheiratet worden zu sein, sei nicht im wörtlichen Sinn zu verstehen, weil das Wort "zwangsverheiratet" der Komplexität des Vorbringens nicht gerecht würde. Es handle sich um einen Fehler in der Protokollierung, der der Polizei und nicht ihr zuzurechnen sei, und es liege daher kein Widerspruch vor. Im Hinblick auf die Aussage ihres Bruders, sie sei Anfang September 2012 von einem Tschetschenen aus Grosny entführt und gegen ihren Willen verheiratet worden, sie habe ca. 1 Woche danach flüchten können, beziehe sich das Wort "danach" nicht auf das Wort "entführt" sondern auf das Wort "verheiratet". Weil keine Eheschließung stattgefunden habe, stehe nicht fest, auf welches Datum sich ihr Bruder bezogen habe, denkbar wäre das Datum des Anrufs bei der Mutter, mit dem diese von einer angeblichen Verheiratung in Kenntnis gesetzt worden sei. Es liege daher kein Widerspruch, sondern eine Unklarheit, die aufgeklärt hätte werden müssen, vor. Dass es immer wieder zu Übersetzungsfehlern komme und nur ein sprachkundiger Übersetzer herangezogen worden sei, habe der Behörde bekannt sein müssen. Es werde auf VfGH, 27.06.2012, U98/12, verwiesen. Dass sie angegeben habe, nichts zur Identität des Entführers angeben zu können, liege daran, dass sie bereits zuvor seinen Namen zweimal genannt und die Frage so verstanden habe, ob sie Einschau in seine Dokumente genommen habe. Auch diesbezüglich liege daher kein Widerspruch vor. Es sei nicht unnachvollziehbar, dass sie der Frau die Telefonnummer gegeben habe, weil sie nach den beiden Zwangsverheiratungen eine emotionale Barriere errichtet, lange außerhalb von Tschetschenien gelebt und es geschafft habe, eine normale Beziehung zu einem tschetschenischen Mann zu führen. Daher habe sie keine irrationale Angst gehabt, von diesem Mann wieder entführt zu werden. Sie sei mit der dortigen Kultur trotz langer Abwesenheit noch so verbunden gewesen, dass sie älteren Menschen Respekt zeige. Da die Dame und der Interessent höheren Alters gewesen seien, habe sie ihnen gegenüber die Anstandsregeln wahren müssen. Auch seinem Auftreten nach habe sie sich nicht von ihm fürchten müssen, weil er alt gewesen sei und zivilisierte Kleidung getragen habe. Außerdem sei sie völlig überrumpelt gewesen und in so einer Situation handle man nicht logisch. Die belangte Behörde hätte kulturelle Spezifika berücksichtigen müssen. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde trage den angefochtenen Bescheid nicht. Außerdem sei ihr Asyl als die traditionelle Unterdrückung der Frauen ablehnende, somit westlich denkende Frau gewährt werden müssen. Sie gehöre ein einer anerkannten soziale Gruppe an, weil sie nicht bereit sei, sich als Sklavin eines älteren Herrn von diesem sexuell ausbeuten zu lassen und weil sie in eine selbstbestimmte Zukunft blicken wolle. Die Verfolgung gehe von XXXX XXXX aus, der zwar eine Privatperson sei, aber dem XXXX-XXXX angehöre und in der Russischen Föderation somit auf ungesetzliche Mittel zurückgreifen könne, um sie erneut der Freiheit zu berauben, sie gesundheitlich zu schädigen, ihr Qualen zuzufügen oder sie gar zu töten. Der Staat könne nicht als willens angesehen werden, ihr Schutz zu bieten, weshalb ihm die Verfolgung zuzurechnen sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihr auf Grund der Verfolgung nicht offen, sie könne in ihrer Familie keinen Rückhalt finden, weil ihr Vater davon erfahren habe, dass es in der Zeit ihrer Entführung zu intimen Kontakten gekommen sie und ihr der auf Grund dieser Schande ebenfalls drohe, wie ihr jüngst ihre Mutter erzählt habe. Auch bei der Prüfung des subisidären Schutzes sei die spezielle Lage von Frauen in Tschetschenien zu berücksichtigen, die dort nicht gleichberechtigt seien, sondern ein untergeordnetes Dasein führen müssten.

Das Bundesasylamt legte mit Schreiben vom 27.12.2013 dem Asylgerichtshof die Akten vor.

Die Beschwerdevorlage langte am 07.01.2014 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben vom 05.02.2014 legte das Bundesamt den Zustellnachweis betreffend die Zustellung des angefochtenen Bescheides mit 13.12.2013 vor.

In ihrem Schriftsatz vom 06.03.2013 führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie laufend ihre Deutschkenntnisse verbessere und mittlerweile an einem Deutschkurs für Anfänger mit leichten Vorkenntnissen teilnehme. Sie engagiere sich ehrenamtlich beim XXXX. Sie sei ausgebildete Krankenschwester und lege das diesbezügliche Diplom in beglaubigter Übersetzung vor. Weiters lege sie ihr Jus-Diplom vor. Die Beschwerdeführerin legte die Termine des Deutschkurses für Anfänger beginnend am 06.03.2014 vor und die Beitrittserklärung des XXXX zur Anwartschaft, nicht für ausübende Mitglieder, vom 13.02.2014. Die übersetzte Kopie des Duplikats des Diploms des XXXX vom 10.04.2001 über eine Fachmittelschulbildung auf Basisniveau als Krankenschwester im Fach Schwesternwesen sowie die Kopie des Duplikats der Beilage zum Diplom, Zeugnis über die Mittelschulbildung bestätigen, dass die Beschwerdeführerin als Aufnahmeprüfung ein Diktat in Biologie gemacht habe, im Jahr 1996 eingetreten sei und im Jahr 1998 abgeschlossen habe, das Direktstudium habe 1 Jahr und 10 Monate gedauert, sie habe vier Praktika absolviert und mit "Gut" abgeschlossen. Mit Beschluss der staatlichen Attestationskommission vom 29.06.1998 sei ihr die Qualifikation Krankenschwester im Fach Schwesternwesen zuerkannt worden. Weiters wurden drei Kopien in russischer Sprache vorgelegt.

Am 19.05.2014 legte die Beschwerdeführerin einen neuen Meldezettel vor, wonach die Beschwerdeführerin nunmehr in XXXX lebt.

Am 25.09.2014 legte das Bundesamt die Niederschrift der Erstbefragung des Bruders der Beschwerdeführerin vom 05.02.2013 vor, aus der sich ergibt, dass er einvernahmefähig war, ihm die Niederschrift rückübersetzt wurde und es keine Verständigungsschwierigkeiten gab, weiter die ZMR-Auskunft, wonach der Bruder der Beschwerdeführerin mit 27.06.2013 abgemeldet wurde und seither über keine Meldeadresse im Bundesgebiet mehr verfügt und den GVS-Auszug, laut dem die Grundversorgung mit 06.06.2013 eingestellt wurde, weil der Bruder unbekannten Aufenthalts war. Sein Asylverfahren wurde eingestellt.

Mit Schreiben vom 29.09.2014 legte die Beschwerdeführerin eine Kursbestätigung des Vereins XXXX vor, wonach die Beschwerdeführerin seit Juli 2014 regelmäßig den bis Dezember 2014 dauernden Deutschkurs besuche sowie ein Empfehlungsschreiben der Deutschlehrerin.

Am 20.11.2014 langte die ACCORD-Anfrage ein, wonach keine Informationen zu einem XXXX XXXX XXXX namens XXXX XXXX gefunden werden habe können; auch die Suche nach ähnlichen Namen sei erfolglos geblieben.

Mit der Ladung vom 27.11.2014 wurden der Beschwerdeführerin aktuelle Länderberichte zur Lage in der Russischen Föderation, insbesondere in der Republik Tschetschenien übermittelt.

In der mündlichen Verhandlung am 19.12.2914 führte die Beschwerdeführerin aus:

"R befragt die Partei, ob sie physisch und psychisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen und die an sie gerichteten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten bzw. ob irgendwelche Hinderungsgründe vorliegen.

P: Ich fühle mich geistig und körperlich in der Lage an der Verhandlung teilzunehmen. Ich bin ein bisschen krank, ich habe Grippe, ich habe Fieber aber ich nehme Antibiotika ein.

R: Sollen wir die Verhandlung vertagen?

P: Vielleicht schaffe ich es.

R: Wenn Sie das Gefühl haben, wir können die Verhandlung beginnen [können], beginnen wir, ansonsten können wir jederzeit abbrechen.

P: Ich denke, dass ich das heute schaffe.

[...]

R: Ich entnehme dem Akt des Bundesasylamtes (BAA), bzw. seit 01.01.2014 heißt dessen Rechtsnachfolger Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dass Sie XXXX heißen, geb. am XXXX,

Staatsangehörigkeit: Russische Föderation, Volksgruppe:

Tschetschenin, moslemischer Glaube. Ist das korrekt?

P: Das ist korrekt.

R: Sie wurden bereits beim Bundesasylamt bzw. bei den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben?

P: Das erste Mal bin ich von der Polizei einvernommen worden. Damals stand ich unter großem psychischem Druck. Man hat mich eingeschüchtert. Ich bin geflüchtet und das war alles neu für mich, aber man hat das überhaupt nicht berücksichtigt.

R: Wie wurden Sie eingeschüchtert?

P: Dort waren Polizisten, ich selbst hatte nie Probleme mit den Polizisten. Ich habe ja viel erlebt und man hat auf mich verbal Druck ausgeübt.

R: Wie wurde Druck ausgeübt?

P: Ich wurde erniedrigt, aber ich kann mich nicht an alles erinnern.

R: Wie wurden Sie erniedrigt?

P: Man hat mir gesagt, dass alles was ich sage nicht wahr ist. Die Leute haben gelacht und ich habe geweint.

R: Wie war die Einvernahme vor dem Bundesasylamt?

P: Man hat damals keinen Druck auf mich ausgeübt. Es gab Fehler bei der Protokollierung, ich habe das auch angegeben. Trotzdem war es im Vergleich zu meiner ersten Einvernahme sehr in Ordnung.

R: Welche Fehler bei der Protokollierung gab es?

P: Als ich das zweite Mal entführt wurde, als ich das zweite Mal verheiratet war... Ich habe damals keinen Dolmetscher gehabt und habe das Protokoll selbst durchgelesen. Dort steht geschrieben, dass ich im College war als ich entführt wurde. Das war zwar zu der Zeit als ich die Ausbildung im Collage gemacht habe, aber das war an einem freien Tag (Seite 7).

R: Gab es sonst noch Protokollierungsfehler?

P: Auf der 5. Seite steht geschrieben, dass ich 2008 die Akademie abgeschossen, aber tatsächlich habe ich sie 2010 abgeschlossen. Auf der Seite 9, alles was mit dem dritten Mann passiert ist... Es gab zwei Treffen und beim dritten Treffen ist es passiert. Das steht im ersten Absatz.

R: Haben Sie sonst noch Anmerkungen?

P: Nein.

R: Laut der Niederschrift auf S 13 - 14 wurde ihnen die Niederschrift rückübersetzt. Sie bestätigten die Richtigkeit der Niederschrift. Warum geben Sie jetzt Protokollierungsfehler an?

P: Der Dolmetscher hat mir das damals so rückübersetzt. Ich habe währenddessen korrigiert. Womöglich habe ich die heute angegebenen Stellen ausgelassen. Es stand z.B. dort, dass ich in XXXX und nicht in XXXX gearbeitet habe, das wurde allerdings korrigiert.

R: Gab es Probleme mit dem Dolmetscher oder mit der Verdolmetschung?

P: Man hat über eine Identifikation gesprochen und das habe ich nicht verstanden. Ich glaube, dass es sich dabei um eine Identifikationsnummer gehandelt hat. Wahrscheinlich hat jede Person so eine Identifikationsnummer.

R: Die Identifikationsnummer des Dolmetschers?

P: Als man nach dem dritten Mal gefragt hat, wurde die Frage so formuliert, dass man gefragt hat, welche Identifikationsangaben ich zu dem Mann angeben kann. Ich habe damals ausgesagt, dass ich den Pass des Mannes nicht gesehen habe. Ich habe auch gesagt, dass ich keinen Führerschein von ihm gesehen habe. Ich habe das unter Identifikation verstanden.

R: Gibt es sonst noch etwas, was Sie im Hinblick Ihrer vorherigen Einvernahmen richtig stellen möchten?

P: Ich weiß es nicht, was ich heute angegeben habe, habe ich selbst festgestellt.

R: Kennen Sie den Inhalt Ihrer Beschwerde und halten Sie die darin gestellten Anträge aufrecht?

P: Ehrlich gesagt, kann ich mich nicht mehr erinnern was da steht.

R gibt kurz die wichtigsten Passagen der Beschwerde wieder.

P: Ich halte die Anträge aufrecht.

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich - abgesehen von der Grippe, welche Sie jetzt haben - (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht): Sind sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?

P: Ich nehme Arzneimittel ein, ich gehe zum Psychiater, ich wollte von ihm eine Bestätigung haben, in welcher steht welche Medikamente ich einnehme, aber er ist krank geworden. Ich habe seine Visitenkarte, ich werde ihn dann nochmals anrufen.

R: Beim BAA haben Sie noch angegeben gesund zu sein, seit wann sind Sie in Therapie?

P: Ich habe auch damals gesagt, dass ich Medikamente einnehme. Ich habe dann später damit aufgehört, weil ich die Medikamente so schlecht vertragen habe. Ich habe früher Probleme wegen der Verdolmetschung gehabt. Jetzt verstehe ich zB. den Arzt selbst.

R: Vorhalt auf AS 115. Sie haben somit nicht gesagt, dass Sie die Medikamente abgesetzt haben, obwohl sie sie weiterhin benötigen. Was trifft zu?

P: Ich habe in meinem Leben dreimal versucht, mein Leben mit Selbstmord zu beenden. Einmal als ich Arzneimittel eingenommen habe, musste ich drei Tage lang reanimiert werden. Ich weiß, dass diese Probleme in mir sind. Als ich nach Österreich kam, hatte ich niemanden mit dem ich normal hätte sprechen können. Bei XXXX habe ich dann einen russisch sprechenden Arzt gefunden. Wenn man mit einem Arzt ohne dritte Personen spricht, kann man sich seelisch mehr öffnen. Dann kann man auch detaillierter über alle Probleme sprechen. Dort gab es zwar noch eine Frau aber ich habe allein mit dem Arzt gesprochen.

R: Sie haben jetzt angegeben, dass Sie in Österreich niemanden hatten, mit welchen Sie sprechen konnten, laut Akt sind Sie aber mit Ihrem Bruder eingereist. Stimmt das?

P: Über intime Probleme kann man nicht mit dem Bruder sprechen, auch nicht über die seelischen Probleme.

R: Wann haben Sie versucht sich das Leben zu nehmen?

P: Das war 2003 und 2004. Das erste Mal wurde ich entführt als ich 16 Jahre alt war. Das dritte Mal war im Oktober 2012.

R: Wann war das zweite Mal?

P: Im Jahr 2003.

R: Wann war dann das erste Mal?

P: 1996 als ich 16 Jahre alt war.

R: Ich setzte Ihnen eine Frist von zwei Wochen zur Vorlage von Befunden.

P: Ich bin nicht krank oder schizophren. Ich glaube auch, dass ich ein starker Mensch bin. Aber wenn viele Probleme zusammenkommen, dann kann ich das alleine nicht schaffen. P weint.

R: Leiden Sie sonst noch an gesundheitlichen Problemen außer an den psychischen?

P: Wenn ich mir Sorgen mache oder weine, dann wird diese Stelle (rechtes Unterkiefer) rot. Wahrscheinlich muss das auch von Psychologen behandelt werden. Ich habe auch Probleme gynäkologischer Art, dies weil mein Monatszyklus unregelmäßig ist.

R: Die Vorlagefrist von zwei Wochen bezieht sich auch auf allgemeinmedizinische Befunde.

R: Sie haben vor dem Bundesamt ihren Führerschein vorgelegt, den die Dolmetscherin nun übersetzen wird:

D: (AS 35 f.)

P: Russische Föderation,

Führerschein XXXX, Familienname XXXX Vorname XXXX Vatersname: XXXX, Geburtsdatum/ort:XXXX, Tschetschenische Republik, Wohnort: XXXX,

Ausstellungsdatum: 16.01.2007, gültig bis 16.01.2017, Siegel des Verkehrsamts

R: Verfügen Sie über andere identitätsbezeugende Dokumente, die sie heute vorlegen können?

P: Nein.

R: Sie haben sich ihre Diplome nachschicken lassen, warum nicht auch ihren Inlandsreisepass?

P: Ich habe nicht darum gebeten.

R: Wo befindet sich der Inlandsreisepass?

P: Zuhause bei meiner Mutter in Tschetschenien.

R: Gibt es andere Beweismittel, die Sie heute vorlegen möchten?

P: Nein.

R: Wo und wann haben Sie Asylanträge gestellt und in welchem Stadium befinden sich diese?

P: Ich bin das erste Mal in Europa. Ich habe nirgends Asylanträge gestellt.

R: Sie sind über die Ukraine gereist, warum haben Sie nicht dort einen Asylantrag gestellt?

P: Weil die Ukraine sich neben der Russischen Föderation befindet und es leicht ist hin und her zufahren. (zögernd) Ich habe auch gedacht, dass ich hier mehr geschützt werde als in anderen Ländern.

R: Seit wann halten Sie sich durchgehend in Österreich auf?

P: Am 03.02.2013, seitdem habe ich Österreich nicht verlassen.

R: Besitzen Sie außer den asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Österreich noch ein weiteres Aufenthaltsrecht?

P: Nein.

R: Haben Sie in Österreich oder in anderen Staaten außerhalb Ihres Herkunftsstaates noch Verwandte?

P: Ja, aber ich habe keinen Kontakt mit ihnen.

R: Wo haben Sie Verwandte?

P: Ich habe weitschichtige Verwandte. Einer ist in Frankreich und eine hier, aber ich habe keinen Kontakt.

R: Leben Sie in Österreich alleine oder mit jemanden zusammen?

P: Ich lebe alleine.

R: Haben Sie einen Lebensgefährten in Österreich?

P: Nein.

R: Haben Sie in Österreich bislang eine Berufstätigkeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt?

P: Ich habe in XXXX gearbeitet. Das wars.

R: Was haben Sie dort gemacht?

P: Ich habe in der Küche gearbeitet. Ich habe in XXXX gelebt und habe auch ein bisschen beim XXXX gearbeitet.

R: Als Sie in Bad Kreuzen in der Küche gearbeitet haben, war das im Asylheim?

P: Ja. Auf dem Territorium des Lagers.

R: Was haben Sie beim XXXX gearbeitet?

P: Ich habe damals schlecht Deutsch verstanden aber ich bin mitgegangen, auch zu Meetings gegangen.

R: Machen Sie das auch jetzt noch?

P: Nein, leider nicht. Wir wurden nämlich von XXXX nach XXXX gebracht. Das war nicht in XXXX selbst, son[dern] etwas weiter weg. Das war etwas weiter weg.

R: Arbeiten Sie auch jetzt noch?

P: Nein, ich lerne die Sprache. Ich habe mich per E-Mail an das XXXX in XXXX gewandt um wieder helfen zu können, aber man teilte mir mit, dass man derzeit keinen Bedarf hat.

R: Wovon bestreiten Sie derzeit Ihren Lebensunterhalt?

P: Ich bekomme € 320,00. Ich beziehe Grundversorgung, davon lebe ich.

R: Haben Sie versucht (sei es erfolgreich oder erfolglos) Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen? Oder sich selbstständig zu machen?

P: Ich wollte eine Arbeitserlaubnis bekommen aber ich wurde überall mit einer Sprachbarriere konfrontiert. Ich habe dann gedacht, dass es für mich besser wäre, zuerst die Sprache zu erlernen. Ich habe im März eine Prüfung, danach werde ich versuchen eine Saisonarbeiterbewilligung zu bekommen.

R: Sprechen Sie schon Deutsch?

P: Ein bisschen. (ohne Dolmetsch)

R: Wie verbringen Sie den Alltag?

P: Ich habe zwei Kurse in Wien. Im 7. Bezirk und bei Wien Mitte bei der XXXX.

R: In Ihrer Freizeit lernen Sie Deutsch?

P: Nochmal (auf russisch: ich habe das nicht verstanden)

R: Was sind Ihre Hobbys?

P: Mein Hobby ist lesen Buch, reisen, untersuchen neue Alles, Historie. Ich gehe Freizeit immer gehen Museum. (ab hier wieder mit Dolmetscherin)

R: Setzt eine zweiwöchige Frist um Deutschkursbestätigungen vorzulegen.

R: Besuchen Sie in Österreich andere Kurse, eine Schule oder Universität?

P: Noch nicht.

R: Wie nehmen Sie am sozialen Leben in Österreich teil (Mitgliedschaft bei Vereinen, Organisationen, ehrenamtliches Engagement, etc.)?

P: Bei der XXXX hat es ein neues Projekt namens Neuland gegeben, dort habe ich mich eingetragen. Das war ein Integrationsprojekt.

R: Was haben Sie im Rahmen dieses Projekts gemacht?

P: Erstens ging es darum, dass man mit Österreichern spricht, und man wollte uns auch die Museen und verschiedene Städte zeigen. Man wollte uns die Geschichte Österreichs näher bringen. Allerdings bin ich ja in der Zeit übersiedelt. Das war in XXXX und ich hätte dorthin fahren müssen. In XXXX habe ich mich wieder eingetragen um teilnehmen zu können, aber ich warte noch.

R: Mit welchen in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigten Personen oder Familien sind Sie befreundet, bitte nennen Sie Vor- und Familiennamen bzw. deren Adressen.

P: Ich habe schon Kontakt mit anderen Leuten, aber Freunde habe ich nicht, das sind nur Bekannte.

R: Haben Sie eine andere, besondere Bindung an Österreich?

P: Nein.

R: Sind Sie in Österreich und Ihrem Herkunftsland strafgerichtlich unbescholten?

P: Unbescholten.

R: Ich habe im Akt eine Anzeige wegen Diebstahls, gab es deswegen Konsequenzen oder wurde das Verfahren eingestellt?

P: Das war kein Diebstahl, ich habe nur Tester genommen, es gab kein Strafverfahren.

R: Sind sie auf andere Art und Weise mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten?

P: Nein.

R: Das ho. Gericht kann sich nunmehr ein Bild über Ihre privaten und familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des ho. Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zur Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. Ihrer Integration äußern?

P: Nein.

R: Geben Sie mir bitte einen kurzen Lebenslauf von sich an: Wo haben Sie wann und mit wem gelebt und was haben Sie in dieser Zeit beruflich bzw. schulisch gemacht?

P: Ich wurde in der tschetschenischen Republik geboren, habe im XXXX die Grundschule besucht, abgeschlossen habe ich diese 1996.

R: Wie viele Klassen haben Sie besucht?

P: Zehn Klassen. Die elfte Klasse habe ich als Abendschule absolviert. Insgesamt also 11 Klassen.

R: Welche Klasse haben Sie 1996 abgeschlossen?

P: Die elfte Klasse.

R: Wie ging es dann weiter?

P: Als ich das erste Mal entführt wurde, war ich noch in der Schule, man hat mich von der Schule aus entführt.

R: Meine Frage war, wann haben Sie wo mit wem gelebt und welche Ausbildung haben Sie gemacht.

P: 1996 habe ich die elfte Klasse abgeschlossen. Ich wurde im Mai entführt. Ich habe mit ihm nicht lange gelebt. Ich hatte keine intime Beziehung zu ihm gehabt. Aber er wollte mich nicht nach Hause lassen. Meine Eltern haben mir ebenfalls verboten zurückzukehren.

R: Wiederholt die Frage. Wie lange haben Sie mit diesem Mann zusammengelebt und wo?

P: Im XXXX, dies ca. 1 Monat lang.

R: Wohin sind Sie danach gezogen?

P: Wir sind dann nach Grozny gefahren. Meine Mutter, mein Bruder und ich. Ich habe begonnen im medizinischen College eine Ausbildung zu machen.

R: Wann war das?

P: Begonnen habe ich 1996 im September und 1998 habe ich abgeschlossen. Aber in der Mitte meiner Ausbildung wurde ich wieder entführt, das war 1998 Anfang des Jahres. Das war ein Militärangehöriger, er hat beim ersten Krieg teilgenommen.

R: Wie lange haben Sie mit ihm zusammengelebt?

P: Ca. ein halbes Jahr. Das war ein komplizierter Mensch. Er hat mich beim ersten Treffen gesehen und dann hat er mich beim zweiten Treffen entführt.

R: Meine Frage war, wo haben Sie wann mit wem zusammengelebt und welche Ausbildung haben Sie gemacht?

P: Ich habe ein halbes Jahr mit ihm in Grozny gelebt, ich habe 1998 mit ihm das Leben begonnen und auch wieder beendet.

R: Wohin sind Sie dann gezogen?

P: 2000 sind wir nach Russland gezogen. Mein Bruder, meine Mutter und ich, mein Vater ist dann nachgekommen.

R: Wo waren Sie in den zwei Jahren dazwischen?

P: Von 1998 bis 1999 habe ich in Grozny in einer Geburtsklinik gearbeitet und dann habe ich auch in einer Kinderklinik gearbeitet. Dann hat der Krieg, dies war 1999, begonnen. Zuerst haben wir in Inguschetien gelebt, das habe ich bisher nicht angegeben, weil wir dort nicht lange gelebt haben.

R: Wo haben Sie 1998 - 1999 gelebt?

P: In Grosny, an der XXXX.

R: Mit wem?

P: Mit meiner Mutter und meinem Bruder.

R: Wo war Ihr Vater die ganze Zeit?

P: Mein Vater hat zeitweise auch mit anderen Frauen gelebt.

R: Hatten Sie trotzdem Kontakt zu Ihrem Vater?

P: Schon, aber hat uns alle bedroht und wir hatten Angst vor ihm, das war eher eine negative Beziehung.

R: Wie ging es dann ab 2000 weiter?

P: Mitte 2000 sind wir in das Gebiet XXXX übersiedelt. Ich habe dort eine Arbeit gefunden, dies als Inspektorin im Verkehrswesen. Wir haben PKWs und andere Personenbeförderungsmittel gehabt, ich war für den medizinischen Teil zuständig. Ich wurde dann zur Oberinspektorin befördert. Ich habe damals nicht die Fahrer, die unterwegs waren kontrolliert, sondern die anderen Inspektoren, das bezog sich auf die Medikamente, welche gekauft wurden. Dann habe ich mit einer Ausbildung an der Akademie begonnen und zwar als Fernstudium das war glaube ich 2002.

R: Haben Sie das Studium abgeschlossen?

P: Ja. 2010 habe ich mein Diplom bekommen.

R: Wo haben Sie zwischen 2000 und 2010 gelebt?

P: Im Gebiet XXXX.

R: Mit wem?

P: Zuerst habe ich mit meiner Mutter und meinem Bruder dort gelebt, dann ist mein Vater gekommen. Er war ein sehr grober Mann, er hat mich und meine Mutter geschlagen, dann haben sie sich getrennt.

R: Wann war das?

P: Ich weiß es nicht, da Trennungen öfter vorgekommen sind. Aber meine Mutter hat ihn immer wieder zurückgenommen. Aber zum endgültigen Bruch kam es in diesem Zeitraum. 2004 habe ich dann eine Wohnung von einer Organisation bekommen, vielleicht war es auch 2005. Dann habe ich als Fachfrau in der Personalabteilung gearbeitet und dann als Oberfachfrau. Ich wurde wiederum befördert. Zuletzt habe ich als Juristin in dieser Gesellschaft gearbeitet. Ich habe 5 Programme gekannt. Anfang September 2012 bin ich alleine nach Tschetschenien übersiedelt. 2013 bin ich nach Österreich gekommen.

R: Sie haben von ca. 2004, 2005 bis 2010 alleine gelebt?

P: Nein, mein Bruder hat mit mir gelebt, auch meine Mutter und meine Tante. Alleine habe ich nur selten gelebt.

R: Wo hat Ihr Vater dann gelebt?

P: Mein Vater lebte in der Stadt mit einer anderen Frau. Er hat sich nie vergessen lassen.

R: Was bedeutet das?

P: Weil er immer wieder gekommen ist und uns bedroht hat. Aber dann ist er von dort weggefahren mit der anderen Frau.

R: Wohin ist er dann übersiedelt?

P: In den XXXX, nach Tschetschenien.

R: Wann war das ungefähr?

P: Das war 2007 oder 2008.

R: Lebt Ihr Vater jetzt noch in Tschetschenien?

P: Ja. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm.

R: Warum sind Sie 2012 nach Tschetschenien übersiedelt?

P: Ich habe ja in XXXX gelebt und gearbeitet, die Kollegen haben mich zwar normal behandelt aber ich habe trotzdem eine Diskriminierung gefühlt, weil ich keine Russin bin, man mag die Tschetschenen nicht. Obwohl ich viele Russische Züge angenommen habe.

R: Sind Ihre Mutter und Ihr Bruder in XXXX geblieben?

P: Nein, sie waren schon in Tschetschenien, ich glaube, dass mein Bruder 2011 oder 2010 übersiedelt ist. Meine Mutter ist noch früher übersiedelt.

R: Wo haben Sie dann in Tschetschenien gelebt?

P: Im Bezirk XXXX an der XXXX.

R: Haben Sie dort allein gelebt?

P: Nein ich habe dort mit meinem Bruder und meiner Mutter gelebt.

R: Wie geht es Ihren Verwandten im Herkunftsstaat?

P: Mein Bruder ist ja mit mir ausgereist. Dann ist er nach Deutschland gefahren. Meine Mutter lebt in Grozny.

R: Lebt Ihr Bruder aktuell noch in Deutschland?

P: Ja.

R: Welchen Aufenthaltstitel hat er?

P: Er ist Asylwerber so wie ich.

R: Seit wann lebt er in Deutschland?

P: Ich habe das erst später erfahren, dass er dort ist, dies im August oder September. Er hat mir damals gesagt, dass er dort bereits seit 3 Monaten lebt.

R: Was ist der Stand seines Asylverfahrens?

P: Er wartet jetzt auf einen Bescheid.

R: Seit wann haben Sie wieder Kontakt mit ihm?

P: Im September... Ende August oder Anfang September.

R: Warum ist er nach Deutschland gereist?

P: Ehrlich gesagt hat er gesagt, dass er den Druck, den man auf ihn zuerst ausgeübt hat, nicht ausgehalten hat.

R: Wer hat Druck ausgeübt?

P: Er hat Angst vor den Polizisten gehabt, er hat geweint.

R: Wie geht es Ihrer Mutter, wovon bestreitet sie ihren Lebensunterhalt?

P: Meine Mutter arbeitet als Chemie- und Biologielehrerin. Außerdem hat sie noch ein Zusatzeinkommen. Sie gibt Nachhilfe.

R: Wo lebt sie?

P: An der XXXX.

R: Ist das eine Eigentumswohnung oder eine Mitwohnung?

P: Das ist eine Eigentumswohnung.

R: Hat sie Probleme in Tschetschenien?

P: Ich glaube, dass dort alle Probleme haben, welche sich nicht im Umkreis von XXXX aufhalten. Dort wird auch Druck ausgeübt. Wenn man auf die Straße geht, weiß man nie ob man zurückkehren wird oder nicht.

R: Warum sind Sie vor dem Hintergrund dieser Umstände nach Tschetschenien zurückgekehrt?

P: Weil mich jeder gefragt hat, warum ich nicht nach Tschetschenien übersiedle. Früher wurden die Leute nach Sibirien deportiert, heute fahren sie dort freiwillig hin um Geld zu verdienen, trotz der Tatsache, dass die Bevölkerung in Sibirien praktisch nur aus Menschen besteht, die zugereist sind, weil die Urbevölkerung ja sehr klein ist, bin ich dort als Tschetschenin nicht aufgefallen. Im Norden sind auch die Umweltbedingungen sehr streng. Ich habe in Sibirien mein Diplom verteidigt, ich wurde befördert und habe in einem kleinen Rahmen Karriere gemacht und dachte in Tschetschenien Arbeit zu finden.

R: Sind Sie danach in Tschetschenien einer Arbeit nachgegangen?

P: Nein. Man hat mir keine diesbezügliche Möglichkeit gewährt.

R: Wie geht es Ihrer Tante, die in XXXX geblieben ist?

P: Normal, sie arbeitet.

R: Ich habe Ihren Akt eher so verstanden, dass Sie dort einen Freund hatten, den Sie während eines Sommerurlaubes kennengelernt hatten.

P: Das war auch ein Grund aber nicht der Hauptgrund. Es hat aber auch eine Rolle gespielt.

R: Wie haben Sie dann vor Ihrer Ausreise Ihren Lebensunterhalt bestritten, wenn Sie nicht gearbeitet haben.

R: Ich hatte Ersparnisse. In XXXX habe ich ja eine ständige Arbeit gehabt und einen guten Verdienst, ich hatte auch eine Unterkunft. Als ich nach Tschetschenien übersiedelt bin, habe ich nicht gearbeitet, weil man mir keine Möglichkeit dazu gab, ich habe auch nur kurz dort in Freiheit gelebt.

R: Sie sagen, dass Sie Ihren ersten Selbstmord[versuch] mit 16 unternommen habe[n], waren Sie in der Russischen Föderation in Therapie?

P: Ja, 2003 wurde ich reanimiert. Das, was 1996 passiert ist, ist in der Familie geblieben.

R: Haben Sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der Russischen Föderation Psychotherapie in Anspruch genommen?

P: Nein, weil ich Angst hatte, dass sich das auf meine Karriere auswirkt, dort gibt es auch keine qualifizierten Psychologen.

R: Was meinen Sie damit, dass Sie keine qualifizierten Psychologen gibt? Laut den Länderberichten ist die medizinische Versorgung diesbezüglich gegeben.

P: Es gibt psychologische Trainings, aber ich habe das nicht gemacht, weil sich die Frauen dort untereinander kennen. Ich war mein ganzes Leben von dem abhängig, was die Menschen von mir halten. 2003 bei der Entlassung aus dem Krankenhaus hat mir der Arzt eine Psychotherapie empfohlen, dies weil ich depressiv war.

R: Ich habe Ihnen mit der Ladung Feststellungen zur Russischen Föderation übermittelt, wollen Sie dazu Stellung nehmen?

P: Ich habe das schon geschrieben. (bezieht sich auf AS 177)

R: Wollen Sie noch allgemeine Angaben zur Lage in der Russischen Föderation machen?

P: Es wird alles auf Geld aufgebaut, man kann alles kaufen. Die Gesetze werden nur für die Leute geschrieben, die diese Gesetze schreiben oder lesen. Aber niemand befolgt diese Gesetze. Nur die Leute, die sich ganz unten befinden, halten sich an die Gesetze. Ich meine die Leute, die sich nicht mit der Politik beschäftigen. Man kann sogar bei Gericht Beweise kaufen. In der Arbeit gibt es auch so eine Atmosphäre, dass man so etwas kaufen kann. Es gibt ständig eine Diskriminierung. Es geht nicht um die professionellen Kenntnisse in einem Beruf, sondern auch um die Frage wer man ist und woher man kommt. Es ist schwer eine Ausbildung zu machen und eine berufliche Karriere zu machen. In Tschetschenien ist das ein besonderer Fall. XXXX-Leute haben dort eine eigene Ordnung geschaffen. Alle haben Angst vor ihm und niemand traut sich etwas zu sagen. Einfache Arbeiter müssen ihm Geld zahlen, das ist so, wie es unter den Zaren war. Die Leute, die von XXXX führen sich auf, als ob sie Könige wären. XXXX und seine Leute verletzten die Gesetzt auf Schritt und Tritt.

R unterbricht die Verhandlung von 11:15 Uhr bis 11:30 Uhr.

R: Wie geht es Ihnen jetzt gesundheitlich?

P: Ich glaube, dass ich Fieber habe.

R: Möchten Sie die Einvernahme fortsetzen?

P: Ja.

R: Ich kann auch einen Arzt für Sie rufen, wenn Sie möchten.

P: Nein. Ich wollte noch sagen, dass es in Tschetschenien Gesetzlosigkeit gibt und dass dort Gewalt angewendet wird.

R: Sind Sie aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich gekommen bzw. haben Sie in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, damit Sie Ihre wirtschaftliche Situation verbessern?

P: Nein.

R: Haben Sie sich im Herkunftsland politisch betätigt und/oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung?

P: Nein.

R: Hatten Sie sonstige Probleme mit den staatlichen Behörden (zB der Polizei) Ihres Herkunftslandes?

P: Nein.

R: Wurden Sie aufgrund Ihrer Rasse, Nationalität bzw. Zugehörigkeit zu einer best. sozialen Gruppe verfolgt?

P: Das Problem hatte ich deswegen weil ich schwarz bin, nicht weiß.

R: Was meinen Sie damit?

P: Für die Russen bin ich schwarz. Meine Volksgruppenzugehörigkeit ist auch ein Problem.

R: Inwiefern haben Sie deswegen Probleme gehabt?

P: Die Freundinnen, mit welchen ich 10 Jahre lang in Kontakt stand, waren so. Eine Freundin, der ich auch finanziell geholfen habe, hat mir auch zu verstehen gegeben, dass ich schwarz bin. Wortwörtlich sagt man dann "schwarzer Arsch". Die Leute, die sich nicht mit der Politik beschäftigen, haben mir, wenn ich per Telefon tschetschenisch gesprochen habe, gesagt, dass wir nach Tschetschenien zurückfahren sollen, das wir Tschetschenen die Russen umgebracht haben. Dies obwohl ich auch während des Krieges gelitten habe.

R: Waren Sie sonst noch Verfolgungshandlungen aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt?

P: Nein, in Russland nicht.

R: Waren Sie in Tschetschenien aufgrund Volksgruppenzugehörigkeit Verfolgung ausgesetzt?

P: Den Tschetschenen war ich auch fremd. Ich war sozusagen eine Fremde unter den eigenen Leuten. Der Mann, der mich entführt hat, hat mich ständig als Russin bezeichnet, er hat mich als Prostituierte bezeichnet und man wisse nicht, womit ich mich dort beschäftigt hatte.

R: Wurden Sie aus religiösen Gründen verfolgt?

P: Nein.

R: Schildern Sie bitte möglichst genau Ihre Fluchtgründe!

P: Anfang September 2012 bin ich nach Tschetschenien übersiedelt. Ich, meine Freu[n]din und ihre Schwester sind in Tschetschenien spazieren gegangen, ich bin erst vor kurzem gekommen und ich wollte spazieren gehen und mir die Geschäfte anschauen, wir sind im Zentrum gestanden, das war in der Näher der Stelle, wo sich früher der Präsidentenpalast befunden hat, dort standen vier Männer, sie waren älter, auf diesen Platz waren noch viele andere Leute. Eine Frau kam dann auf mich zu und ich habe nicht gesehen, ob sie zu diesen Männern dazugehört oder nicht. Die Frau hat eine geschlossene und lange, schwarze Kleidung getragen. Sie war im mittleren Alter und hatte ein sympathisches Gesicht. Sie kam auf mich zu, sie zeigte mir einen Mann, sie sagte, welche Kleidung er trägt und sie sagte, dass er mich kennenlernen will. Ich habe ihn angeschaut, er hat mir zuerst gar nicht gefallen, was sein Äußeres anbelangt. Ich stand damals mit einem Mann in Kontakt, den ich auch heiraten wollte. Aber auch wenn ich mit diesem Mann nicht in Kontakt gewesen wäre, hätte ich diesen Mann nicht kennenlernen wollen bzw. heiraten wollen. Ich habe schon früher viele diesbezügliche Geschichten gehört und ich kannte auch die Mentalität dieser Menschen. Sie schauen ja auch ähnlich aus. Ich meine... Ich meine ihre... wie soll ich das sagen, ich meine das intellektuelle Niveau und auch einen gewissen Narzissmus, weil die Leute auch in sich selbst verliebt sind. Als die Frau auf mich zukam, sagte sie auch, dass er sehr reich ist und einen hohen Posten in der Republik hat, daraus habe ich auch meine Schlussfolgerungen gezogen. Ich wollte keinen Kontakt mehr. Ich habe ihr gesagt, dass es einen Mann gibt, den ich heiraten will. Sie wollte meine Telefonnummer haben, ich wollte ihr die Telefonnummer nicht geben, sie hat mich sehr darum gebeten. Sie hat wahrscheinlich 100x wiederholt, dass sie meine Telefonnummer haben will. Sie hat die Frage jedes Mal umformuliert. Sie hat mir immer wieder neue Gründe angeführt, aus welchen ich ihr meine Telefonnummer geben soll. Endlich hat sie mir gesagt, dass ich ihr die Nummer geben soll, weil sie nicht weiß, wie sie den Männern erklären sollte, dass sie keine Telefonnummer hat. Ich habe ihr die Nummer gegeben, aber gesagt, dass ich mit den Männern sowieso nicht in Kontakt bleibe. (P weint).

Als ich ihr die Nummer gegeben habe, sind wir von dort weggegangen. Wir sind spazieren gegangen und ich bin dann nach Hause gefahren. Am gleichen Tag am Abend hat er mich dann angerufen. Er hat sich vorgestellt und gesagt, dass er XXXX heiße. Er sagte, dass er mich kennenlernen will, er hat mich gefragt, woher ich gekommen bin und dass ich sehr schön bin. Ich habe ihm gesagt, dass es einen Mann in meinem Leben gibt und dass ich mit ihm nicht in Kontakt bleibe. Ich wollte das so formulieren, dass er selbst Abstand nimmt. Ich wollte sowieso nicht mit ihm in Kontakt stehen und ich hatte auch Angst vor solchen Leuten. Er hat nur gesagt, dass wir uns morgen sehen werden und dann schauen werden, was wir dann weiter machen. Er hat darauf mit schönen Worten beharrt, mich morgen zu sehen. Er hat mich sehr eindrücklich darum gebeten. Ich war dann letztendlich einverstanden mich mit ihm zu treffen. Er hat mich so beharrlich darum gebeten, dass ich nicht wusste, wie ich absagen soll, daher habe ich mich für einverstanden erklärt. Am nächsten Tag nach dem Essen haben wir uns in einem Kaffeehaus getroffen, es hieß auch Kaffeehaus. Zuerst hat er sich normal benommen, er war sehr vorsichtig. Aber dann hat er mir vorgeschlagen ihn zu heiraten. Er sagte, dass er schon eine Frau hat und mir vorgeschlagen seine zweite Frau zu werden. Er hat mir dann Vorschläge angeboten, er hat mir gesagt, dass er für mich eine Arbeit finden wird, dass er mir dort ein Grundstück kaufen wird, wo ich das wünsche. Er hat mir gesagt, dass es in meinem Alter eine Chance ist und dass er einen hohen Posten in der Republik bekleidet. Er hat aber nicht genau gesagt, welchen Posten er dort bekleidet. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich nach Hause gehen muss. Ich bin davon gekommen. Er hat mich am Abend wieder angerufen. Obwohl eigentlich keine Fortsetzung geplant war, dann hat er wieder angerufen. Er hat mich um ein Treffen gebeten. Beim zweiten Treffen habe ich verstanden wie grob er ist. Zuerst war das Gespräch ganz normal. Aber als ich dann immer wieder nein gesagt habe, hat er mich gefragt, wer ich sei. Er hat gezeigt, dass er mich packen kann und ins Auto verfrachten kann. Das zweite Mal hat er mir auch schon gedroht. (Pause) Aber ich habe nicht gedacht, dass das so weit gehen wird. Ich habe das deswegen nicht geglaubt, weil er ja gesagt hat, dass er einen hohen Posten hat und schon älter ist. Das dritte Mal als wir uns gesehen haben, hat er mich davor noch angerufen. Das dritte Treffen war für mich ein Zufall, das war am 10.09. Ich und meine Freundinnen wollten wieder spazieren gehen und ich bin zur Haltestelle gegangen, das war gegen Abend. Das war jedenfalls Nachmittag. Ich bin zur Haltestelle gegangen und habe hinter mir ein Auto gehört, aber ich wusste nicht, dass es sein Auto war, es ist in der Nähe von mir stehen geblieben. Dort war eine Straße und an dieser wuchsen Bäume. Um nicht direkt an der Straße zu gehen bin ich um die Bäume gegangen. Als das Auto stehen geblieben ist, habe ich gesehen, dass er hinten ausstieg. Das Auto war ein XXXX und schwarz. Jedenfalls war das ein XXXX, weil ich das Zeichen erkannt habe. Ich glaube, dass es dieses Auto war. An das Modell kann ich mich nicht genau erinnern, die Fenster waren völlig verdunkelt. Als ich ihn gesehen habe, hat er zwei Schritte in meine Richtung gemacht, dann ist er stehen geblieben, dann hat er gesagt, schau jetzt haben wir uns getroffen. Er hat gesagt, dass er vorbeigefahren ist und dass er mich gesehen hat, aber ich glaube nicht, dass das ein Zufall war. Er hat mich gefragt, wohin ich gehe, er hat gesagt, dass er mich ein Stück mitnehmen kann und in der Zwischenzeit mit mir reden kann. Ich habe nein gesagt, ich habe gesagt, dass ich keine Treffen mehr will. Als er mich früher angerufen hat, habe ich ihm gesagt, dass ich meine Telefonnummer ändern lassen werde. Ich habe das damals auch wiederholt. Er hat nicht gelacht aber gelächelt. Er hat gesagt, dass er vor nichts Angst hat, er hat gesagt, dass ich nicht weiß, wer er ist. Er hat gesagt, dass wir erwachsen sind und ich mich selbst ins Auto setzen soll und mit ihm reden soll. Ich bin nur gestanden und zu diesem Zeitpunkt ist ein Mann ausgestiegen, ich habe ihn bis zu diesem Zeitpunkt nicht wahrgenommen, es war ein junger Mann und er trug einen Bart. XXXX hat mich ergriffen, der Mann hat mich dann von hinten ins Auto verfrachtet. Ich hatte große Angst, ich habe nicht einmal den Boden unter den Füßen gespürt. Es war so, als mein ganzer Körper gelähmt wäre. Wir sind gefahren und dann habe ich ihm gesagt, dass ich auch Verwandte habe und dass mich diese beschützen werden. Er hat mir gesagt, dass er mit meinen Verwandten nichts zu tun hat. Er war... er hatte eine Glatze. Er war etwas korpulent. Er war weder dünn, noch dick und mittelgroß. Im Auto hat er mich angeschrien. Er hat meinen Kopf nach unten gesenkt. Hinten sind wir nur zu zweit gesessen, ich und er. Wir sind bis zum Haus gekommen. Unterwegs habe ich sehr stark geweint. Mein ganzes Make-up war verwischt. Das Auto ist in einen Hof hineingefahren, dort stand ein großes und ein kleines Haus. Wir sind die Treppen hinaufgegangen. Er ging hinter mir und hat die Tür zugemacht, er hat begonnen auf mich einzuschreien, warum ich ihn den anderen gegenüber blamiere. Er hat gesagt, dass er eine Frau und vier Kinder hat. Er hat gesagt, dass meine Rolle in seinem Leben solange andauern wird, bis er genug von mir hat. Als wir im Auto waren, wollte er mich wahrscheinlich beruhigen und hat zu mir gesagt, dass ich mich beruhigen soll, weil ich jetzt seine Frau bin, möglicherweise wollte er mich nur beruhigen und einschüchtern. Er hat gesagt, dass er keine Kinder von mir will. Dann hat alles andere begonnen. Er hat mich verhöhnt, mir gesagt, dass er nicht weiß, mit wem ich in Russland zusammen war. Er hat Gewalt angewandt, auch einmal die Pistole ans Gesicht gehalten (zeigt auf das linke Unterkiefer) und hat mich aufgefordert, ihn zu sagen mit wem ich zusammen war und ihm mein ganzes Leben zu schildern. Er hat mir gesagt, dass ich ihn mein ganzes Leben erzählen soll. Er hat mir gesagt, dass er mich erschießen kann und niemand wird mich finden, dies hat er nicht am ersten Tag gesagt. Am ersten Tag als ich geweint habe, sagte er, dass ich mich beruhigen soll. Ich habe ihm gesagt, dass es beschämend für mich ist. Er hat mir gesagt, dass er Leute zu mir nach Hause geschickt hat, die das Brautgeld für mich bezahlt haben. Später habe ich erfahren, dass weder ein Mullah in unser Haus gekommen ist noch Brautgeld bezahlt wurde. Es hat nur ein Mann angerufen und gesagt, dass die Tochter geheiratet hat, er hat aber die Entführung nicht erwähnt sondern nur von der Heirat gesprochen. Er hat mich bedroht und geschlagen. Er hat gesagt, dass er alles kann. Er hat jeden Satz mit "ich" begonnen. Er hat mir auch einige Male gesagt, dass er dem Clan von XXXX angehört, dass er einer von den XXXX-Männern ist. Die erste Zeit konnte ich mit ihm noch streiten. Er hat mit mir tschetschenisch gesprochen. Ich weiß nicht, wie ich das auf Russisch sagen soll. Er hat mir gesagt, dass ich ihn soweit bringen werde, dass er mir etwas antun wird, dass er mich umbringen kann. Einige Male hat er auch aufgeschrien, dass er ein XXXX XXXX ist. Solange ich mit ihm gelebt habe, habe ich keine Identitätsdokumente von ihm gesehen. In der ganzen Zeitperiode ist nur eine Frau gekommen, die erste Zeit konnte ich die Zimmer nicht verlassen. Dann konnte ich mich im Haus frei bewegen. Bei der ersten Einvernahme wurde ich danach gefragt, und ich habe gesagt, dass er XXXXXXXX war. Ich habe dann später auch gesagt, dass es in Traiskirchen einen Mann gegeben hat, welcher mi[ch] bedroht hat, er hat mir gesagt, dass er mich finden und umbringen wird, ich habe das der Richterin gesagt, diese gab an, selbst von Tschetschenen bedroht zu werden. In der ersten Zeit als ich nach Österreich kam, habe ich das Gefühl gehabt, dass ich aus der Höhle des Löwen gekommen bin. Ich habe gedacht, dass ich hier sicher bin, dies von allen möglichen Sachen. Dann habe ich über Umar ISRAILOW gelesen. Dann musste ich feststellen, dass es auch hier XXXX-Leute gibt, diese stehen alle mit XXXX in Kontakt. Deswegen habe ich beschlossen, mich selbst vor allen möglichen Sachen zu beschützen und geschwiegen. Ich meine jetzt den XXXX. Ich weiß ja nicht, ob er wirklich ein XXXX XXXX war oder nicht. Meine Freundin hat mir dann gesagt, dass sich sogar weitschichtige Verwandte als XXXX XXXX bezeichnen. Ich habe dann entschieden, dass es leichter wäre, wenn ich auf mich selbst achte. Ich habe niemanden meinen Namen genannt. Ich wurde auch einmal von einem anderen Mann hier in Österreich bedroht, diesbezüglich war ich auch bei der Polizei. Diese hat mir gesagt, dass man mich nicht umgebracht und mich nicht verletzt hat, deswegen wird man kein Verfahren einleiten. Als er mich bedroht hat, waren viele Leute dort. Er hat mir gestikulierend gesagt, dass er mich umbringen wird und er hat mir zu verstehen gegeben, dass er mich finden und vergewaltigen wird. Er hat es gezeigt. (P weint)

Ich wusste zuerst nicht ob ich schwanger bin oder nicht, weil ich die Menstruation nicht gleich bekommen habe. Als er das erfahren hat, hat er mir gesagt, dass ich Probleme bekommen werde und dass er keine Kinder von mir bekommen will. Wir haben zu streiten begonnen, er hat mich dann zusammengeschlagen. Er hat gesehen, dass ich eine Blutung habe. Ich wurde dann zu einer Frau gebracht, ich hatte keine Schmerzen. Aber sie hat mir gesagt, dass ich etwas trinken soll und dass das ein Abortus ist. Sie hat mir Tabletten gegeben. Sie hat dort einen Stuhl gehabt und mich hingesetzt. Sie hat mich gereinigt. Danach hat es keinen Sinn mehr gehabt. Ich meine jetzt den Sinn des Lebens. Ich habe überhaupt nichts mehr gespürt, weder körperlich noch psychisch. (Pause)

Er hat mir immer gesagt, dass ich eine "gefallene Frau" bin. Wenn man das jemanden immer wieder sagt, wenn man jemanden sagt, dass man ein Idiot oder Dummkopf ist, beginnt man daran zu glauben oder man sucht nach einem Ausweg, dies wäre ein Selbstmord gewesen. Um nicht verrückt zu werden, habe ich um mich herum einen Raum geschaffen. Ich war innerlich völlig leer. Ich habe damals eine vollständig geschlossene Kleidung getragen. (P deutet einen Schleier an) Ich habe meine Mutter damals nicht gesehen, nach dem Abortus habe ich die Tabletten, welche man mir gegeben hat, alle auf einmal getrunken, ich wollte mich vergiften. Ich habe mich dann übergeben und aus dem Selbstmord ist nichts geworden. Aus dem Selbstmord ist nichts geworden, er hat gesagt, dass es mein Problem ist.

Danach habe ich glaube ich, Frieden geschlossen. Ich meine, mit den Erniedrigungen, von ihm mir gegenüber. Es gab ständig Erniedrigungen seinerseits. Für mich war es unmöglich mit dieser Situation vollständig Frieden zu schließen. Ich habe damals eine tiefe Depression gehabt, habe sehr viel geweint, hatte Augenringe. Er hat mir gesagt, schau dich an, wer braucht dich schon, du bist alt, du wirst niemals Kinder haben können. Mit meiner Mutter habe ich schon gesprochen, nur mit meinem Bruder nicht. In der ersten Zeit hat er mich nur beobachtet und alles Mögliche gemerkt, aber dann hat er mich weniger beobachte. Er hat mir trotzdem gedroht, dass er jeden meiner Schritte weiß und die Augen überall hat. Er hat gesagt, dass es egal ist, was ich tue, ich sei in seinen Händen. Ich habe ständig geweint, als ich mit meiner Mutter gesprochen habe. Ich habe gebeten, dass man mich von dort wegholt. Sie hat einige Male gesagt, dass sie nicht will, dass mein Bruder de[s]wegen Probleme bekommt. Ich habe daher verstanden, als ihr mein Bruder mehr wert ist als ich. (P weint) Er hat mir Geschenke gemacht, nach dem Abortus hat er gesagt, dass ich alle Geschenke haben kann, die ich will. Er wollte mein Verhalten ihm gegenüber kaufen, er hat es nicht immer, aber immer wieder gemacht. Gegen Ende habe ich dann meiner Mutter gesagt, dass ich mich umbringen werde. Aber ich habe gewusst, dass es einen Menschen gibt, der mir helfen kann, das war nicht einmal ein Mann, sondern eine Frau. Meine Mutter hat sie angerufen, sie heißt XXXX. Sie hat mit ihr vereinbart, dass sie mir hilft. Im November hatte ich ja auch mehr Freiheit, ich konnte mit ihm mitreisen. Alleine nicht, aber mit ihm oder mit seinen Wachleuten schon. (Pause)

D: Die Beschwerdeführerin fragt mich, ob ich gelächelt habe und entschuldigt sich für die Frage.

P: Wir sind zu einem Markt namens XXXX gefahren, das war auch am Nachmittag. Ich habe ihn gesagt, dass ich Kleidung brauche und habe gezittert. Ich wurde zu einem Markt gebracht und wir sind [von] eine[m] Geschäft zum anderen gegangen. Als der Mullah mit dem Gebet begonnen hat, war ich noch unterwegs und er ist beten gegangen. Ich war gerade in einem Bekleidungsgeschäft, wir haben vereinbart, dass XXXX, ein Freund von XXXX, kommen wird und ich in sein Auto einsteigen soll. Ich habe lange Zeit nicht die Entscheidung getroffen von dort wegzugehen, weil ich dachte, dass man mich beschattet, aber ich dachte trotzdem, dass er beten gegangen ist. Ich bin in das Auto von XXXX eingestiegen, dort gab es eine Brücke, bei der Brücke ist das Auto von XXXX gestanden und dann setzte ich mich ihr Auto und bin weggefahren. Bei ihr bin ich bis zum 18.01.2013 geblieben. Im Jahr 2012 gegen Ende des Jahres ist das alles passiert. Dann bin ich geflüchtet. In der ersten Zeit habe ich niemanden angerufen, aber dann habe ich meine Mutter angerufen, sie hat mir dann gesagt, dass mein Bruder zusammengeschlagen wurde, das war in der ersten Woche, dann ist er auch nach XXXX XXXX gekommen und wir sind dann ausgereist. Und so bin ich hier zum Bahnhof gekommen.

R: Sind das alle Ihre Fluch[t]gründe?

P: Das sind alle meine Fluchtgründe.

R: Sie haben gesagt, sie wurden bereits 1996 einmal zwangsverheiratet. Gibt es aus diesem Ereignis noch Probleme?

P: Es gibt ein psychisches Problem aber sonst keines.

R: Sie haben gesagt, dass Sie 1998 ein zweites Mal zwangsverheiratet wurden, ergeben sich heute daraus noch Probleme?

P: Nein. In der ersten Zeit hat er mich danach noch verfolgt aber dann nicht mehr.

R: Wie geht es Ihnen, brauchen Sie eine Pause?

P: Es ist alles gut, wir können weitermachen.

R: Als XXXX sie immer wieder angerufen hat und Sie treffen wollte, haben Sie das Problem irgendjemand erzählt?

P: Ja, die Freundin, die mit mir an der Stelle war, wo sich früher der Präsidentenpalast war, hat auch Bescheid gewusst, ich habe ihr gesagt, dass er mich angerufen und mich bedroht hat. Wir haben darüber noch gelacht, für uns war das sozusagen ein Witz.

R: Haben Sie das Problem mit Ihrer Mutter besprochen?

P: Nein wir haben das nicht besprochen.

R: Sie haben es nachdem er Sie im Kaffeehaus bedroht hat, immer noch als Witz aufgefasst?

P: Nein, als er mir gezeigt hat, dass er mich packen und ins Auto verfrachten wird, war das nicht mehr lustig. Da ich schon als Kind der Gewalt ausgesetzt war, habe ich Angst, wenn ich mit Gewalt konfrontiert werde. Mein Vater war sehr brutal. (P weint)

R: Was haben Sie in dieser Situation gemacht, um sich zu schützen?

P: Absolut nichts. Ich habe ja darüber nachgedacht, dass es ja schon einen Mann in meinem Leben gab. Ich dachte schon, dass er mich bedrohen wird, aber nicht entführen wird. Ich meine jetzt, das war 50:50, 50% davon war mir bewusst und 50% nicht. Aber ich habe große Angst vor XXXX-Leuten gehabt. Sie habe auch Autos angehalten, in denen ich gesessen bin, als ich nach Tschetschenien kam.

R: Wie heißt der Freund den Sie heiraten wollten?

P: XXXX.

R: Haben Sie mit XXXX über Ihr Problem gesprochen?

P: Nein das habe ich nicht.

R: Haben Sie, als XXXX Sie bedrohte, versucht zur Polizei zu gehen, Tschetschenien wieder zu verlassen oder mit Ihrer Mutter oder Ihrem Bruder zu sprechen oder eine Frauenhilfsorganisation zu kontaktieren?

P: Ich dachte nur, dass ich heiraten werde und er mich dann in Ruhe lassen wird. Wenn die XXXX-Leute unterwegs sind, gibt ihnen die Polizei den Weg frei, egal mit welcher Geschwindigkeit sie fahren und wie sie die Straßenverkehrsordnung sonst verletzten.

R: Sie geben also an, dass sie gehofft haben, durch eine Heirat mit XXXX der Gefahr durch XXXX zu entgehen, ist das korrekt?

P: Ja.

R: Dann verstehe ich nicht, warum Sie nicht mit XXXX gesprochen haben um schnell zu heiraten und der Gefahr zu entgehen.

P: Warum ich nicht mit ihm gesprochen habe? Er hätte mich nicht verstanden. Er hätte nicht verstanden, warum ich meine Telefonnummer hergegeben habe, ich wollte ihn auch nicht involvieren. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich selbst alle meine Probleme gelöst und dachte, dass das mein Problem ist. Meiner Mutter habe ich auch nie meine Probleme erzählt.

R: Haben Sie dann jemals Ihre Telefonnummer geändert?

P: Ja.

R: Wann?

P: Meine erste Telefonnummer habe ich gleich geändert. Er hat die ersten Tage mein Telefon behalten um zu schauen wer mich anruft oder mir schreibt. Dann hat er mir eine neue Telefonnummer gekauft. Als wir nach XXXX habe ich meine SIM-Karte weggeschmissen, ich habe sie umgetauscht.

R: Sie haben Ihre Telefonnummer nicht geändert, bis nach der Entführung. Ist das korrekt?

P: Ich hatte zwei Telefonnummern, eine von XXXX und eine von XXXX (das sind zwei Anbieter). Ich hatte auch zwei Telefone, eines habe ich ausgeschaltet.

R: Als Sie entführt wurden, hatten Sie zwei Telefone mit?

P: Nein, ein Telefon war alt und ich habe es nicht mitgehabt.

R: Welche Telefonnummer hatte XXXX. Die von dem alten Telefon oder die von dem, das Sie mit hatten.

P: Er hatte die vom neuen.

R: Haben Sie Ihr eigenes neues Telefon behalten oder hat XXXX Ihnen das weggenommen?

P: Er hat mir ein neues Telefon geschenkt. Aber das andere Telefon hat er nicht weggeschmissen, das ist auch im Haus gelegen.

R: Sie hatten, als Sie bei XXXX waren zwei Telefone, das von ihm und ihr eigenes?

P: Das andere Telefon hatte keine gültige Nummer, es lag nur da. Es gab dort auch andere Telefone.

R: Was meinen Sie, es hatte keine gültige Nummer, hat XXXX Ihr Telefon abgemeldet?

P: Ich weiß nicht, was er mit der Karte gemacht hat, dort gab es keine Karte mehr.

R: Mit welchem Telefon konnten Sie in dieser Zeit telefonieren?

P: Ich habe vom neuen Telefon angerufen und dann habe ich die Karte umgelegt und auch von dem alten Telefon telefoniert. Dies deswegen, weil ich in neuen Telefon ein Echo gehört habe.

R: Haben Sie dieses Echo auch im alten Telefon gehört?

P: Manchmal schon. Aber dann habe ich aufgelegt und nochmal angerufen, dann war es weg.

R: Waren das Smartphones?

P: Das war so ein neues Telefon (auf das Smartphone der Richterin zeigend).

R: Wussten Sie die Telefonnummer Ihrer Mutter auswendig?

P: Ja.

R: Und die von XXXX?

P: Auch. Die zwei Nummern habe ich gewusst. Aber XXXX ändert ihre Telefonnummer ständig.

R: Was ist mit Ihrer alten SIM-Karte, die Sie zu XXXX mitgebracht haben?

P: Ich weiß es nicht.

R: Wann haben Sie die SIM-Karte weggeschmissen, die Ihnen XXXX geschenkt hat?

P: Als wir die Stadt verlassen und Richtung XXXX gefahren sind.

R: Warum haben Sie nicht vor Ihrer Entführung Ihre Telefonnummer geändert?

P: Ich hatte keine Zeit. Das war alles sehr plötzlich, alles hat nur sehr kurz gedauert. Ich habe nicht zu 100% geglaubt, dass er das alles machen wird. Alle haben gesagt, dass das StGB früher nicht gültig war. Ich meine bezüglich einer Entführung und der Freiheitsberaubung. Aber dann habe ich gehört, dann hat man den Gesetzen die Gültigkeit verliehen, sodass man nun dafür bestraft wird. Ich war 100% nicht davon überzeugt, dass mir so etwas passieren kann.

R: Sie haben heute angegeben, dass Ihr Freund nicht verstanden hätte, warum Sie den Mann die Telefonnummer gegeben haben, in Ihrer Beschwerde geben Sie hingegen an, dass Sie die Telefonnummer hergeben mussten, weil Sie sie einer älteren Person nach tschetschenischem Brauch nicht verweigern konnten. Demzufolge hätte Ihr Freund es aber verstehen müssen.

P: Weil das was übrig bleibt, wenn man die Traditionen wegnimmt, die männliche Logik ist. Ich glaube nicht, dass er mich als Mann verstanden hätte.

R: Haben Sie als Sie, gewaltsam in das Auto gesetzt wurden, versucht auszusteigen? Sie waren ja nur zu zweit auf der Rückbank.

P: Nein ich habe es nicht versucht, weil er mich zuerst gehalten und dann mit der Hand am Genick nach unten gedrückt hat.

R: Wie lange sind Sie so gefahren?

P: Im Auto war es dunkel. Wahrscheinlich 30 Minuten oder auch mehr.

R: Das Haus, in welches Sie gebracht wurden, befand sich das noch in derselben Stadt (Grozny)?

P: Nein das war nicht in Grozny.

R: Wo war das Haus?

P: Wir sind Richtung Gudermes gefahren aber ich kenne mich in Tschetschenien nicht gut aus, insbesondere kenne ich die Dörfer nicht. Vorher bin ich ja auch in die Dörfer nicht gereist.

R: Wissen Sie in welchem Dorf Sie waren?

P: Das war in der Nähe von Gudermes, dort gab es private Häuser.

R: Sie wissen also nicht den Namen der Siedlung, in welcher Sie sich aufgehalten haben?

P: Vielleicht war das ein Teil von Gudermes.

R: Können Sie mir das Haus beschreiben, in welchem Sie sich aufgehalten haben?

P: Als das Auto dorthin gekommen ist, sind wir hinaufgegangen, damals habe ich nur eine Treppe gesehen, dann habe ich bemerkt, dass es von jeder Seite eine Treppe gibt. Unten gab es einen Keller. Wenn man ins Haus kam, gab es ein großes Zimmer mit Kamin und links war[en] das Esszimmer und auch die Küche, das war in einem. Dann gab es noch ein kleineres Zimmer, links war[en] eine Dusche, ein Klo und eine Art Whirlpool und dann gab es ein großes Schlafzimmer. Die Fenster gingen auf die Straße; man konnte sehen, was auf der Straße passiert. Es gab noch zwei separate Zimmer, die kleiner waren als das Schlafzimmer.

R: War das alles im Erdgeschoss?

P: Mehr gab es nicht, es gab nur dieses Geschoss und den Keller.

R: Sie haben von Treppen gesprochen, wie viele Stufen waren das?

P: Ich kann mich nicht erinnern.

R: Wie viele Meter war der Höhenunterschied?

P: Ca. 1,5 m, genau kann ich das nicht sagen. Gegebenenfalls etwas mehr.

R: Sie haben von einem Hof gesprochen, wie sah dieser Hof aus?

P: Der Hof war asphaltiert, davor war ein kleineres Haus als das andere. Dort gab es vielleicht zwei oder drei Stufen, aber nicht mehr, in diese Richtung bin ich aber nicht gegangen und ich war auch nicht in dem anderen Haus, ich kann mich erinnern, dass es aus roten Ziegeln war.

R: Wie war der Hof eingefriedet?

P: Ich kann mich an das grüne Tor und den grünen Zaun erinnern.

R: Wie hoch war der Zaun?

P: Ich habe auf die Straße geschaut, das war eine breite Straße. Von der einen Seite konnte ich die vorbeifahrenden Autos sehen, von der anderen Seite konnte ich nur das vorbeiziehende Licht der Autos wahrnehmen.

R: Das heißt, dieses Gebäude indem Sie sich befanden, stand direkt an der Straße?

P: Es gab ein bisschen Platz zwischen dem Tor und dem Haus.

R: Wie war jetzt die Einfriedung des Grundstückes, wie hoch war der Zaun?

P: Ungefähr so hoch wie die Unterkante der Fenster. Es war ein recht hoher Zaun. Aber von den Fenstern konnte ich hinaussehen.

R: Wer hat in dem kleinen Haus gewohnt?

P: Ich weiß es nicht, aber ich habe männliche Stimmen im Hof gehört und auch Gelächter.

R: Welches waren die Zimmer, die Sie anfangs nicht verlassen duften?

P: Das waren die zwei kleinen Räume. Dort waren auch das Badezimmer und das Klo. Auf der anderen Seite gab es ein großes Badezimmer.

R: Waren Sie alleine in diesem Haus?

P: Ja. Es ist auch eine Frau dorthin gekommen. Sie war sehr wütend. Sie hat mit mir nicht gesprochen. Ich habe zuerst gedacht, dass wenn sie mich anspricht, ich meine Angst überwinden werde und versuchen werde, über sie frei zu kommen. Aber sie hat so mit mir gesprochen als hätte ich etwas Schlechtes gemacht hätte und ich ein Mensch zweiter Klasse wäre.

R: Wie oft kam XXXX vorbei?

P: Er ist sehr oft gekommen, aber nicht jeden Tag. Ich habe auch seine Gespräche hören können, auch wenn er in ein anderes Zimmer ging. Ich habe mitbekommen, dass er zum Flughafen fahren soll und dort auf XXXX-Leute warten solle. Ich weiß nicht wer gekommen ist, aber ich weiß dass er sehr wütend war, dass er hinfahren muss.

R: Ab wann konnten Sie sich frei bewegen?

P: Danach. Zuvor durfte ich die zwei Zimmer nicht verlassen.

R: Wie wurden Sie daran gehindert?

P: Er hat mich zuerst eingesperrt und dann hat er mir das Verlassen der zwei Zimmer nicht erlaubt, aber das war nicht lange, dann konnte ich auch die anderen Zimmer benutzten.

R: Durften Sie auch den Hof benutzen?

P: Nein. Er hat mir auch gesagt, dass ich nicht beim Fenster stehen kann, und dass er mich umbringen wird, wenn er mich beim Fenster sieht.

R: Wie hat er Sie daran gehindert in den Hof zu gehen?

P: Er hat mich ständig eingesperrt. Die Haupteingangstür war immer versperrt.

R: Die Haupteingangstür des Hofes oder des Hauses?

P: Die des Hauses.

R: Können Sie für ich eine Skizze von dem Haus und dem Grundstück anfertigen?

P: Betreffend der Überdachung, es war kein Flachdach sondern ein Satteldach. Ich kann nicht angeben, wieviel Abstand zwischen Fensterbrett und Dach war.

R: Beschreiben Sie mir den Blick, welchen Sie [vom] Zimmer [aus] hatten.

P: Ich habe Erde gesehen.

R: Wie darf ich mir die Überdachung vorstellen?

P: Es war ein Zubau. Das war ein altes Dach. Zwischen der Überdachung und dem Haus war kein Abstand. Ich habe mich nicht umgeschaut, ich habe nicht hinausgeschaut, mir ging es schlecht. Ich habe die meiste Zeit im Schlafzimmer verbracht. Ich habe nichts gesehen, ich habe den Weg, das heißt die Straße, das heißt Asphalt gesehen.

R: Hatten Sie Internetempfang in diesem Haus?

P: Kabelloses Internet gab es nicht, zumindest nicht in diesem Haus. Aber es gab Fernseher mit Kabelanschluss.

R: Sie hatten zwei Smartphone, hatten Sie auf diesen Internetempfang?

P: Ja. Aber ich habe kein Internet benutzt.

R: Mit wem haben Sie telefoniert, wären Sie in diesem Haus waren?

P: Mit meiner Mutter, ich habe sonst mit niemanden gesprochen. Ich habe nicht mit meinem Bruder gesprochen, dieser befand sich bei meiner Mutter.

R: Haben Sie mit Ihrer Freundin XXXX nicht gesprochen, sie haben gesagt, dass Sie die Nummer auswendig wussten.

P: Nein mit XXXX habe ich nicht gesprochen.

R: Warum nicht?

P: Er kontrollierte alle Nummern die ich angerufen habe und ich sagte ihm, dass ich nur die Nummer meiner Mutter auswendig weiß.

R: Sie haben gesagt, XXXX kam nicht jeden Tag vorbei, sie haben vier Monate dort gelebt. Wie hat Ihr Tagesablauf ausgesehen?

P: Das waren nicht vier Monate. Von Anfang September bis Dezember. Es waren nicht ganz 4 Monate. In der ersten Zeit habe ich überhaupt nichts gemacht. Dann habe ich gekocht, geputzt, ferngesehen, seine Sachen gebügelt. Sonst nichts.

Pause weil P eine Tablette einnehmen möchte.

R bietet längere Pause an.

P lehnt ab.

R: Wo haben Sie die Sachen zum Kochen her gehabt?

P: Im Kühlschrank hat es immer Lebensmittel gegeben, diese hat er immer gebracht. Er war viel Fleisch dort und viele Teigwaren. Es gab dort zwei große Kühlschränke.

R: Was hat die Frau gemacht, die hin und wieder ins Haus kam?

P: Manchmal hat sie gekocht. Ich kann die tschetschenischen Gerichte nicht kochen. Sie war sauer auf [mich]. Sie hat mich sehr missbilligend angesehen.

R: Wer war Sie?

P: Tschetschenin.

R: War das eine Freundin oder andere Frau von ihm?

P: Ich glaube, es war eine weitschichtige Verwandte. Er hat dort viele Papiere gehabt. Ich wollte mir das anschauen, aber ich habe so gezittert, deswegen habe ich mir sie nicht angeschaut.

R: Wo hat er diese Papiere gehabt?

P: Im Esszimmer, es hat dort einen großen Tisch gegeben und einen Beistelltisch, eine Art kleiner Schrank. Dort sind viele Papiere gelegen.

R: Hatten Sie mit ihm einvernehmlichen Geschlechtsverkehr oder hat er Sie vergewaltigt?

P: Das erste und das zweite Mal hat er mich vergewaltigt und wenn ich nein gesagt habe, hat er mich gewürgt und beleidigt.

R: Sie hatten nur zwei Mal Sex mit ihm?

P: Nein, ich habe nicht gesagt, dass ich nur zweimal Sex mit ihm hatte. Ich habe nur die ersten ein, zwei Tage bzw. die erste Woche damit gemeint, er hat mich sehr stark gehalten (P zeigt an den Hals). Er hat mich so gewürgt, dass ich keine Luft mehr bekommen habe.

R: Wie war das die übrige Zeit?

P: Er hat mich dann sehr stark beleidigt, wenn ich nein gesagt habe, hat er mich gewürgt und beleidigt und er hat mich geschlagen, ich war sehr eingeschüchtert.

R: Hat er Sie die übrigen Male vergewaltigt bzw. zum Sex gezwungen oder hatten Sie einvernehmlichen Sex?

P: Ich war nicht richtig einverstanden. Mir war schlecht.

R: Haben Sie verhütet?

P: Nein.

R: Aber er wollte keine Kinder mit Ihnen?

P: Er wollte keine Kinder.

R: Warum hat er dann nicht verhütet?

P: Er hat mir gesagt, dass das mein Problem ist und gesagt, dass er mir ja gesagt hat, dass er keine Kinder mit mir haben will.

R: Wann genau war der Abortus?

P: Ende Oktober.

R: Wie lange wussten Sie zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Sie schwanger sind?

P: Nicht lange. Vielleicht eine Woche oder drei, vier Tage. Ich weiß es nicht.

R: Haben Sie einen Schwangerschaftstest gemacht?

P: Nein.

R: Woher wussten Sie, dass Sie schwanger sind?

P: Weil ich die Tage bekommen hätte sollen, ich habe sie aber nicht bekommen. Mir ist dann noch schlechter gewesen wenn er da war.

R: Ich habe gedacht, Sie haben Probleme mit Ihrem Zyklus und bekommen Ihre Tage unregelmäßig. Wie konnten Sie wissen, dass Sie schwanger sind?

P: Ich habe bei der Einvernahme gesagt, dass ich die Probleme mit meiner Menstruation bereits über ein Jahr habe.

R wiederholt die Frage.

P: Ich habe jetzt die Einvernahme gemeint, als ich nach Österreich gekommen bin.

R wiederholt die Frage.

P: Damals hatte ich noch keine Probleme. Das einzige Problem, das ich damals hatte, war mit meiner Schilddrüse. Damals hatte ich regelmäßig die Tage und zwar am Anfang und am Ende des Monats.

R: Jetzt haben Sie gerade angegeben, dass Sie bei Ihrer ersten Einvernahme bereits angegeben haben, diese Probleme mit Ihrem Zyklus seit über einem Jahr gehabt zu haben, dann müssen Sie sie auch bereits zum Zeitpunkt Ihrer Anhaltung gehabt haben.

P: Die Probleme begannen ein Jahr und ein Monat oder ein Jahr und zwei Monate vor der heutigen Verhandlung. Vor einem Jahr ungefähr. Wenn ich diese Probleme zuhause gehabt hätte, hätte ich vor zwei oder drei Jahren gesagt.

R: Haben Sie im Zeitpunkt Ihrer Anhaltung das Haus einmal verlassen?

P: Alleine nicht.

R: Wer hat Sie begleitet?

P: Meistens er selbst. Aber es gab noch einen Mann, ich meine damit den Fahrer. Ein oder zweimal war ich allein mit dem Fahrer unterwegs. Aber er war ein schlechter Fahrer.

R: Wohin waren Sie mit dem Fahrer unterwegs?

P: Mit dem Fahrer bin ich einmal zum Zahnarzt gefahren und wir sind auch in Geschäfte gefahren um einzukaufen.

R: Wie darf ich mir das vorstellen. Können Sie mir beschreiben wir Sie und der Fahrer einkaufen gegangen sind?

P: Er hat tschetschenische Musik eingeschaltet oder "ZIKAR"-Musik. Das war glaube ich arabisch. Wir haben kein Wort miteinander geredet und hat mich nicht angeschaut.

R: Wie haben Sie sich mit ihm verabredet?

P: Zuerst bin ich mit ihm von einem Geschäft zum anderen gegangen. Danach ist er im Auto sitzen geblieben während ich einkaufen war, ich ging ja nicht weit weg.

R: Wie haben Sie sich das ausgemacht, wenn Sie einkaufen gehen wollten?

P: Ich habe das immer früher ausmachen müssen, dies mit XXXX.

R: Dann hat der Fahrer angeklopft und Sie geholt oder wie hat das funktioniert?

P: ich bin hinausgekommen und dann sind wir weggefahren. Ich bin selbst hinausgegangen.

R: Gerade haben Sie gerade vorher angegeben, dass Sie eingesperrt waren.

P: Manchmal war sie nicht versperrt, dies dann, wenn wir uns etwas ausgemacht haben. In der ersten Zeit war sie immer versperrt aber wenn wir uns etwas ausgemacht haben war sie offen. Das war zwei oder drei Mal der Fall. Die Tür war von außen versperrt, aber ich kann nicht sagen, dass das jedes Mal der Fall war. Einmal als ich die Türklinke in der Hand hatte, hatte ich das Gefühl, dass der Schlüssel außen steckt. Das war aber nicht immer der Fall und ich bin nicht hingegangen um nachzusehen.

R: Wie genau haben Sie jetzt Ihre Flucht aus dem Haus organisiert?

P: Von zuhause.

R: Wie?

P: Ich habe das schon gesagt. Ich wollte zum Markt fahren, es sollte ein schwarzer XXXX von XXXX kommen. Dieses Auto sollte bei der Moschee stehenbleiben. Der Markt ist groß und ich kenne mich nicht sehr gut auf dem Markt aus. Für mich war es leichter mich nach der Moschee zu orientieren. Dann haben wir das Auto gewechselt und das aus Sicherheitsgründen. Ich meine damit, dass ich in ein anderes Auto umgestiegen [bin] als ich mit XXXX unterwegs war. Ich bin in das Auto von XXXX eingestiegen, sie hat bei der Brücke auf mich gewartet.

R: Wie haben Sie sich das telefonisch ausgemacht?

P: Ich habe mit meiner Mutter telefoniert und sie hat mit XXXX gesprochen. Weil ich verstanden habe, dass meine Mutter mir nicht helfen will, habe ich sie ersucht, mit XXXX zu sprechen.

R: Hat XXXX Sie angerufen?

P: Nein, meine Mutter hat mich angerufen.

R: Blieb der Fahrer wieder irgendwo stehen?

P: Nein er ist gegangen um zu beten.

R: Sind Sie nicht beten gegangen?

P: Nein.

R: Mehr Bewachung hat es nicht gegeben?

P: Nein. Nur er war dort, sonst niemand.

R: Haben Sie nie versucht die Polizei anzurufen?

P: Nein das habe ich nicht versucht.

R: Warum nicht?

P: ich sah, dass die Polizei und alle anderen Leute von diesen abhängig sind. Sie haben Angst von den Personen die zur Obrigkeit gehören. Alle Autos, die mit "XXXX" am Kennzeichen haben, wurden in Ruhe gelassen. Egal welche gesetzwidrige Handlungen sie gemacht haben. Manchmal wurden sogar Fußgänger überfahren und die Leute sind nicht stehen geblieben. Auch wenn sie bei Rot gefahren sind und einen Unfall verursacht haben, waren immer die anderen Schuld daran und nicht sie selbst. KRA seht für Präsident XXXX.

R: Warum haben Sie nicht versucht, früher zu fliehen?

P: Ich habe es schon versucht, indem ich meine Mutter ersuchte mir zu helfen. Zuerst hatte ich Pläne von dort zu flüchten. Aber ab Oktober hatte ich so eine Leere in meiner Seele. Zunächst war ich wütend, aber dann hatte ich das Gefühl, dass man mir eine Zwangsjacke angezogen hat.

R: Wie haben Sie versucht zu fliehen, was waren Ihre Pläne?

P: Ich habe es nicht versucht, ich habe nur meine Mutter angerufen. Ich hatte nur diesbezügliche Gedanken. Ich habe gedacht, ich mache sowieso nicht das was du willst. Das war in der ersten Zeit so.

R: Was würde Sie im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?

P: Er hat eine stark ausgeprägte Selbstliebe, diese habe ich verletzt, das ist ein männliches Ego. Außerdem hat mein Vater diese Information anders wahrgenommen. Mein Vater hat mehrmals meiner Mutter gesagt, dass er mich umbringen würde, wenn ich in seine Hände kommen werde.

R: Wann hat Ihr Vater das gesagt?

P: Das war ca. im November 2013.

R: Ich dachte es gibt keinen Kontakt zu Ihrem Vater?

P: Mit mir hat er keinen Kontakt aber mit meiner Mutter. Meine Mutter hat gesagt, dass ich verheiratet bin und dass er mich in Ruhe lassen soll. Ich bin schon mit ihm verheiratet aber nicht standesamtlich.

R: Bisher haben Sie angegeben, weder standesamtlich noch nach muslimischem Ritus mit ihm verheiratet zu sein. Sind Sie nun verheiratet, ja oder nein?

P: Ich habe hier in XXXX geheiratet. Das ist ein anderer Mann.

R: Wen haben Sie geheiratet?

P: Es ist ein tschetschenischer Mann.

R: Wann haben Sie geheiratet?

P: Im September 2013.

R: Sie haben den Bescheid im Dezember bekommen. In Ihrer Beschwerde sagen Sie kein Wort von Ihrer Eheschließung. Auch im ersten Teil der Verhandlung haben Sie angegeben keinen Lebensgefährten zu haben.

P: Ich bin im Dezember 2013 von ihm weggegangen. Als ich unter Stress stand, habe ich mich an einen Psychologen bei XXXX gewandt, ich bin dann nach XXXX umgezogen, dort gibt es eine Pension für Frauen.

R: Ihr Familienstand ist geschieden?

P: Die Ehe war rein nach muslimischem Ritus.

R: Sind Sie nach muslimischem Ritus geschieden oder noch verheiratet?

P: Ich erachte mich nicht mehr als seine Frau, weil eine Ehe "auseinanderfällt", wenn die Eheleute nicht drei Monate lang zusammenleben. Es gibt auch eine Formel, die ein Mann nach dem muslimischen Ritus aussprechen muss, das sind drei Worte, die "ich bin geschieden" bedeuten, aber diese hat er nicht ausgesprochen.

R: Haben Sie heute noch Probleme mit diesem Mann?

P: Mit dem nicht.

R: Was heißt "mit dem nicht"?

P: Ich glaube, dass ich selbst das Problem bin. Mit dem Mann von dem wir die Wohnung gemietet haben, das war ein Türke, er lebt hier schon 30 oder 40 Jahre gibt es Probleme. Von dem habe ich den Vorschlag bekommen, ihn zu heiraten. Einmal wollte er mich gewaltsam dazu bringen, aber es hat von seiner Seite her keine sexuelle Gewalt gegeben.

R: War das in Österreich?

P: Ja, das war vor kurzem.

R: Haben Sie Anzeige erstattet?

P: Nein, er schlägt mir nur vor, ihn zu heiraten. Ich habe mich an die XXXX gewandt, weil ich wieder in ein Frauenhaus kommen wollte. Ich habe geweint, weil er mir geschrieben hat, dass er am selben Tag noch meine Sachen auf die Straße stellen werde. Dann wurde ich nach XXXX geschickt, aber als ich nach Hause kam um die Sachen zu packen, hat er geweint, er hat gesagt, dass er mich liebt und mir niemals irgendwas vorschlagen wird. Solche Sachen wie früher sagt er nicht mehr.

R: Welcher Mann bedroht Sie dann in Österreich, weswegen Sie Anzeige erstattet haben?

P: Ich wollte Anzeige erstatten, aber die Polizisten haben gesagt, dass es zu keiner Bedrohung gekommen ist.

R: Welche Bedrohung war das?

P: Ich bin am Bahnhof gestanden, ich fahre ja jeden Tag wegen der Kurse nach Wien, er kam auf mich zu, begrüßte mich auf Russisch, ich erwiderte nur den Gruß, weil ich zum Zug gehen musste. Dann hat er zu mir gesagt, warum ich russisch spreche. Sie waren zu zweit. Ich habe ihm gesagt, dass ich auch Deutsch sprechen kann, wenn ich das will. Ich kann Deutsch nicht so gut, aber ich habe das so gesagt, weil es ja meine Sache ist. Das war alles sehr plötzlich. Er war mit einem Freund dort. Dort gab es Kameras, der Freund hat ihn gehalten.

R: Wer hat wen gehalten?

P: Der der auf mich zugekommen ist, hat angefangen zu schreien, sein Freund hat ihn dann gehalten. Er hat mich bespuckt.

R: Was hat er geschrien, was hat er von Ihnen gewollt?

P: Er war in einem Erregungszustand. Er hat gesagt, dass er mich finden und umbringen wird und gezeigt, dass er mich vergewaltigen wird.

R: Warum hat er das gemacht?

P: Das weiß ich nicht, ich habe ihn da erst zum zweiten Mal in meinem Leben gesehen.

R: Wann haben Sie ihn zum ersten Mal gesehen?

P: Auch am Westbahnhof. Das erste Mal habe ich ihn am Westbahnhof gesehen und das zweite Mal an einem anderen Bahnhof.

R: Steht dieser Mann in einer Beziehung zu Ihrer Familie in Tschetschenien?

P: Ich weiß es nicht. Er hat mir vorgeworfen, was ich an habe und dass ich keine geschlossene Kleidung trage, das war beim zweiten Mal.

R: Hat er Ihnen sonst noch etwas vorgeworfen?

P: Er hat mich nicht beschuldigt sondern nur geschrien und mich bespuckt. Er hat mir gesagt, dass er mich finden und vergewaltigen wird. Hätte ich auch geschrien, wäre wahrscheinlich die Polizei gekommen. Ich war total verweint, und die Leute haben mich angeschaut, ich habe auch im Zug geweint, in XXXX bin ich dann zur Polizei gegangen.

R: Wer konkret sollte Ihnen, warum konkret in Tschetschenien etwas antun wollen?

P: Er wird mich umbringen, er lässt mich nicht am Leben. Ich dachte zuerst, dass ich irgendwohin nach Russland fahren werde, aber er weiß wo ich vorher gelebt habe und die Leute von denen sind überall.

R: Ihre Mutter hat keine Probleme und Ihre Tante ha[t] keine Probleme, offenbar wird nicht nach Ihnen gesucht.

P: Er sucht 100%ig nach mir.

R: Was würde passieren, wenn Sie (hypothetisch) an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zurückkehren müssten?

P: Er wird mich finden.

R verliest das Ermittlungsergebnis von ACCORD vom 22.09.2014. Möchten Sie dazu etwas sagen.

P: Ich gab anfangs bereits an, dass er sagte XXXX XXXX ist, eine Freundin von mir hat mir aber gesagt, dass das alle seine älteren Verwandten behaupten würden.

R: Gibt es etwas, dass Sie bis dato noch nicht im Asylverfahren vorgebracht haben?

P: Als ich in Tschetschenien gelebt habe wurde ich mehrmals der Gewalt ausgesetzt, Gewalt der sexuellen Art. Das war ein anderer Mann. Das war aber nicht in der letzten Zeit. Er hat mich in den Wald gebracht.

R: Wann war das?

P: Das war vor dem Jahr 2000.

R: Droht ihm von dem heute noch Verfolgung?

P: Nein.

R: Wollen Sie noch etwas Ergänzendes vorbringen oder weitere Beweisanträge stellen?

P: Ich möchte nicht zurückfahren. Ich möchte nicht unter solchen Leuten leben sondern in Freiheit leben. Ich möchte mich frei ausdrücken können oder anziehen, so wie ich das will. Ich möchte auch unter freien Menschen leben auch meinen Familiennamen und Vornamen ändern lassen. Ich möchte ein neues Leben beginnen.

R: Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Sie vorbringen wollten?

P: Ja.

R fragt die P, ob sie die Dolmetscherin gut verstanden habe; dies wird bejaht.

R schließt vorläufig das Beweisverfahren.

R teilt P mit, dass eine Entscheidung auf Grundlage der mündlichen Verhandlung sowie der sonstigen Aktenlage erfolgen werde. BF wird daher angehalten, allfällige Dokumente bzw. Informationen oder Bestätigungen (zB zu den behaupteten Verfolgungshandlungen oder über etwaige nach der Verhandlung eintretende schwere Erkrankungen oder über eine etwaige Integrationsvertiefung z.B. Arbeit, Ausbildung, Sprachkurse), welche für das gegenständliche Verfahren relevant sein können und bislang nicht vorgelegt wurden, umgehend und von sich aus vorzulegen.

R: Die Dolmetscherin wird Ihnen jetzt die gesamte Verhandlungsschrift rückübersetzen. Bitte passen Sie gut auf, ob alle Ihre Angaben korrekt protokolliert wurden. Sollten Sie einen Fehler bemerken oder sonst einen Einwand haben, sagen Sie das bitte.

Die vorläufige Fassung der bisherigen Niederschrift wird durch die Dolmetscherin der P rückübersetzt.

Die Verhandlung wird für den Zeitraum der Übersetzung um 15:00 Uhr unterbrochen.

Fortsetzung der Verhandlung um 16.20 Uhr.

R: Wurde das rückübersetzt was Sie vorher angegeben haben oder wollen Sie weitere Korrekturen anbringen?

P: Zur Seite 7 füge ich hinzu, dass ich das erste Mal bei einer Frau war, die Ärztin war, aber jetzt bin ich bei einem Mann.

Zu Seite 18 möchte ich ergänzen, dass was ich über die Karriere und über den Beruf gesagt habe, bezieht sich auf die Russische Föderation. Der zweite Teil dieser Ausführungen bezieht sich auf Tschetschenien.

Zu Seite 33 möchte ich ergänzen, dass der Fahrer nicht mit mir gesprochen hat.

Zu Seite 37 möchte ich angeben, dass ich im Erregungszustand war, nicht er.

Ich bin nicht nach XXXX übersiedelt, weil ich Kurse habe. Ich wollte die Ausbildung fertig machen, um die Prüfung zu machen, ich habe mich jetzt auch erinnert, dass es von der einen Seite und von der anderen Seite eine Treppe gegeben hat. Die Treppe ging vom Boden aus auf eine Plattform und dann wieder bis zur Erde.

R: Wurde sonst alles korrekt protokolliert?

P: Ja."

Mit Schriftsatz vom 23.02.2015 legte die Beschwerdeführerin einen psychiatrischen Befund des Psychosozialen Zentrums XXXX vom 28.01.2015 vor, wonach sei sich seit September 2013 in traumaspezifischer Behandlung befinde. Sie habe berichtet, in Tschetschenien drei Mal von verschiedenen Männern entführt und sexuell missbraucht worden zu sein. Ihre Stimmung sei dauernd gedrückt, sie müsse ständig weinen. Sie sei leicht reizbar, ängstlich und misstrauisch. Sie schlafe schlecht und habe häufig Albträume, die die Entführungen und Misshandlungen zum Inhalt hätten. Tagsüber sei sie deshalb immer sehr müde, auf der Straße habe sie ständig das Gefühl, beobachtet und verfolgt zu werden. Sie habe immer wieder den Suizidgedanken, sich vor die U-Bahn werfen zu müssen. Sie klage über Appetitlosigkeit, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen sowie chronischen Kopfschmerzen. Sie nehme Seroquel und Tresleen gegen eine posttraumatische Belastungsreaktion sowie reine rez. depressive Störung mit gegenwärtig schwerer Episode. Derzeit werde am Aufbau eines stabilen Vertrauensverhältnisses bearbeitet, damit sie über die belastenden Ereignisse in der Folge sprechen werde können. Aus fachärztlicher Sicht sei eine Rückkehr nach Tschetschenien mit einem hohen Risiko einer massiven Verschlechterung der Symptomatik im Sinne einer Retraumatisierung verbunden. Gesicherte, stabile soziale Verhältnisse würden die Basis für eine erfolgversprechende Behandlung der psychischen Probleme der Patientin bilden. Es werde daher gebeten, für die Beschwerdeführerin stabile Verhältnisse zu schaffen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und muslimischen Glaubens. Ihre Identität steht fest. Sie ist unverheiratet und hat keine Kinder.

Die 35-jährige Beschwerdeführerin verbrachte ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise 2013 in der Russischen Föderation. Sie wurde in der Republik Tschetschenien geboren, wo sie die ersten zwanzig Jahre ihres Lebens verbrachte, elf Jahre lang die Schule besuchte, die Ausbildung zur Krankenschwester machte und in diesem Beruf auch arbeitete. Als etwa Zwanzigjährige zog sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in die Russische Föderation, Gebiet XXXX, Föderationskreis XXXX, wo sie bis 2013, sohin ca. zwölf Jahre lang lebte, arbeitete und studierte. Ihr Vater verbrachte einen Teil dieser Zeit auch in XXXX, ihre Mutter kehrte ca. 2010 in die Republik Tschetschenien zurück. Die Beschwerdeführerin blieb in XXXX, wo auch eine Tante von ihr weiterhin wohnt. Die Beschwerdeführerin lebte in XXXX zeitweise allein, verfügte über eine Dienstwohnung, bestritt ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit und wurde in ihrem Unternehmen mehrfach befördert (von der Inspektorin zur Oberinspektorin, von der Fachfrau zur Oberfachfrau und danach zur Juristin der Personalabteilung). Seit 2000 kehrt sie immer wieder auf Urlaub in die Republik Tschetschenien zurück. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin 2012 in die Republik Tschetschenien zurückübersiedelte.

Im Herkunftsstaat leben die Eltern und eine Tante, zu der enger Kontakt besteht. Die Beschwerdeführerin hat keine engen Verwandten in Österreich. Zu der entfernten Verwandten, die in Österreich lebt, besteht kein Kontakt, ebenso wenig zu der entfernten Verwandten, die in Frankreich lebt. Der Bruder der Beschwerdeführerin lebt in Deutschland als Asylwerber.

Die Beschwerdeführerin spricht russisch und tschetschenisch; sie hat ihre gesamte Schul-, Berufs- und Hochschulbildung im Herkunftsstaat, teils in der Republik Tschetschenien, teils im Föderationskreis XXXX, absolviert und war sowohl in der Republik Tschetschenien (als Krankenschwester) als auch im Föderationskreis XXXX (in verschiedenen Verwaltungsfunktionen) am Arbeitsmarkt integriert. Es ist vom Bestehen eines gewissen Freundes- und Bekanntenkreises in XXXX auszugehen, wo sie ihre Jugend und ihr Erwachsenenleben bis zur Ausreise verbrachte.

Eine ausgeprägte und verfestigte, entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführerin in Österreich kann nicht festgestellt werden. Die unbescholtene Beschwerdeführerin reiste am 03.02.2013 nach Österreich ein und hält sich seit ihrer schlepperunterstützten, unrechtmäßigen Einreise in Österreich auf. Sie verfügte nie über einen Aufenthaltstitel in Österreich und musste sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein. Sie bezieht seit ihrer Einreise im Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung, lebt in einem Quartier der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Die Beschwerdeführerin ist in Österreich noch nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen und arbeitet auch nicht ehrenamtlich. Sie führte nur Remunerationstätigkeiten im Rahmen der Grundversorgung aus; ihre Tätigkeit beim XXXX ist beendet, ebenso ihre Teilnahme am Integrationsprojekt "Neuland". Sie besucht seit 2014 einen Deutschkurs, verfügt aber nur geringe Deutschkenntnisse und hat sonst in den vier Jahren ihres Aufenthalts keine Bildungsmaßnahmen absolviert. Sie ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Ihre Bekanntschaften in Österreich wurden zu einem Zeitpunkt begründet, als sie sich ihres unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste; ihre in Österreich nach muslimischem Ritus geschlossene Ehe wurde aufgelöst.

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen dermaßen schweren physischen oder psychischen akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, die eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.

Die arbeitsfähige Beschwerdeführerin könnte im Falle der Rückkehr wie auch vor der Ausreise ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sichern.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu den Gründen für die Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat ist unglaubwürdig. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin ihren Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass diese konkret Gefahr liefe, in ihrem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Die Lage in der Russischen Föderation, insb. in der Republik Tschetschenien, stellt sich wie folgt dar:

Politische Lage in der Russischen Föderation

Aus den Dumawahlen vom 4. Dezember 2011 ging die Kremlpartei "Einiges Russland" erneut als Sieger hervor. Die Partei musste zwar Verluste hinnehmen, verfügt in der Duma aber weiterhin über eine deutliche Mehrheit. Wie auch die internationale Wahlbeobachtung durch ODIHR (das OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte) feststellte, waren die Wahlen durch erhebliche Manipulationen überschattet. Die Präsidentschaftswahlen vom 4. März 2012 entschied (nach vier Jahren "Pause" erneut) Wladimir Putin für sich. Seit seinem Amtsantritt am 7. Mai wurden bis dato eine Reihe von Gesetzen verabschiedet bzw. verschärft, die den Druck auf Opposition und kritische Zivilgesellschaft erhöhen sowie deren Aktivitäten und Tätigkeit behindern und potentiell einschränken. Beispiele für solche Gesetze sind die Verschärfung des Demonstrationsrechts und die nun bestehende Verpflichtung für russische Nichtregierungsorganisationen, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren, wenn sie sich politisch betätigen und finanzielle Mittel aus dem Ausland erhalten. Bereits vor diesen Gesetzesverschärfungen wurden einige Grundrechte in Russland, wie z. B. Versammlungs- und Meinungsfreiheit, nur bedingt und selektiv gewährt. (AA 10.6.2013)

Als grundsätzlich positiv wurden die Erleichterung der Parteienregistrierung und die Wiedereinführung von Gouverneurswahlen in Russland aufgenommen, die durch jeweilige Gesetzesänderungen im Mai und Juni 2012 beschlossen wurden. Inzwischen konnten sich auch ausgewiesene Oppositionsparteien offiziell registrieren, denen dies zuvor beständig verweigert worden war. Solche Parteien sind jedoch weiterhin vielfältigen Behinderungen und behördlichem Druck ausgesetzt. Bei den Gouverneurswahlen führen Vorbehalts-regelungen (sogenannte "Filter") dazu, dass das Wahlrecht in der Praxis Einschränkungen unterliegt. (AA 10.6.2013)

Die russische Führung hat erklärt, dass die Modernisierung Russlands auch künftig fortgesetzt werden soll. Damit gemeint ist vor allem die wirtschaftlich-technische Modernisierung des Landes. Politisch ist in der Praxis auf allen Ebenen weiterhin ein autoritäres Machtverständnis verbreitet. Das Land bleibt politisch stark zentralisiert. (AA 10.6.2013)

Als nach wie vor problematisch gelten die Defizite in Justiz und Gerichtswesen, die häufig der Einflussnahme durch politische Macht und Interessengruppen unterliegen. Nicht selten werden Kritiker oder anderweitig unliebsame Personen mit Gerichtsverfahren überzogen, in denen sie nicht auf einen fairen Prozess vertrauen können. (AA 10.6.2013)

Politische Lage in Tschetschenien

Die mehrheitlich von Muslimen bewohnte Republik Tschetschenien liegt am Nordabhang des Großen Kaukasus. Nach dem Zerfall der Sowjetunion1991 erklärte die Kaukasusrepublik einseitig ihre Unabhängigkeit. Vergeblich versuchte Moskau, durch Unterstützung lokaler Oppositionsgruppen Präsident Dschochar Dudajew zu stürzen und so seine Interessen in der erdölreichen Region zu sichern. 1996 schließlich marschierten russische Truppen ein und eroberten - unter Inkaufnahme vieler ziviler Opfer und enormer Zerstörungen - zwar die Hauptstadt Grosny, es gelang ihnen aber nicht, die Republik zu befrieden. Trotz Truppenrückzug und Abschluss eines Friedensvertrages blieb die politische Lage instabil. 1999 marschierten erneut russisch Truppen in Tschetschenien ein. (GEO Themenlexikon 2006)

Die zwei Kriege in Tschetschenien stehen für die schlimmsten Gewaltereignisse im ehemals sowjetischen Raum. Der erste Krieg von 1994-1996 richtete sich aus russischer Sicht gegen militante Separatisten. Diese tschetschenische Sezession war von nationalen, kaum von religiösen Motiven bestimmt. Doch schon am ersten Krieg beteiligten sich Mujahedin aus arabischen Ländern und bekundeten islamische Solidarität mit der Sezessionsbewegung. Nach dem Waffenstillstand und in einer kurzen chaotischen Periode faktischer Unabhängigkeit Tschetscheniens begann im bewaffneten Untergrund ein Prozess ideologischer Transformation - mit dem Ergebnis eines transethnischen regionalen Jihad im Nordkaukasus. Der zweite Krieg wurde im Jahr 2000 vom neuen russischen Präsidenten Putin zum Kampf gegen den internationalen islamischen Terrorismus deklariert. (SWP 26.4.2013) Kadyrow und dessen Ombudsmann Nurdi Nukhadzhiev kritisierten vehement das Verhalten der russischen Truppen während der ersten Jahre des zweiten Tschetschenienkrieges und beschuldigten diese schwerwiegender Menschenrechtsverstöße, unter anderem des Verschwindenlassens von Personen. (ICG 19.10.2012) 2007 besiegelte der letzte tschetschenische Untergrundpräsident Doku Umarov die ideologische Transformation und geografische Ausweitung des Wiederstands mit der Ausrufung eines Kaukausus-Emirats, das mit seiner Jihad-Agenda über Tschetschenien hinaus reichte. Damit wurde Tschetschenien, mit dem der Nordkaukasus fünfzehn Jahre lang gleichgesetzt worden war, nicht mehr als das Epizentrum von Gewalt und Aufstand in der Region wahrgenommen und verschwand weitestgehend aus der Berichterstattung. 2009 hob Moskau den zehn Jahre zuvor über die Republik verhängten Sonderstatus als Zone der Terrorismusbekämpfung auf. (SWP 26.4.2013)

Die politische Situation in Tschetschenien wandelte sich nach Jahren des Krieges mit der Machtübernahme des Präsidenten Achmad Kadyrow (sein Sohn Ramzan Kadyrow bekleidet seit dem 2. März 2007 das Präsidentenamt), der später bei einem Attentat getötet wurde. Nach den Parlamentswahlen am 27. November 2004 hat sich die Lage weiter stabilisiert. (BAMF-IOM Juni 2013) Unter der autokratischen Herrschaft seines jungen Präsidenten Ramsan Kadyrow vollzog sich in der Republik ein Prozess des Wiederaufbaus, der bis heute andauert. Von einigen russischen Kommentatoren wurde dem jungen Autokraten bescheinigt, eine effektivere Sezession Tschetscheniens aus russischer Oberherrschaft vollzogen zu haben, als es militanten Separatisten je gelungen wäre. (SWP 26.4.2013) Heute wird die Lage von den jetzigen Machthabern größtenteils kontrolliert. Kleinere bewaffnete Konflikte finden nach wie vor statt, haben jedoch meist einen lokal begrenzten Charakter. (BAMF-IOM Juni 2013) Vertreter russischer und internationaler NGOs zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung. (AA 10.6.2013)

Während Ramzan Kadyrow pathetisch Loyalität gegenüber dem Kreml bekundet und in Grosny Putin-Ikonen ausstellt, macht der Gewaltherrscher ganz und gar sein eigenes Ding. Dazu gehört eine eigenwillige Kulturpolitik, mit der er seinen Gegnern im islamistischen Untergrund den Wind aus den Segeln nehmen will. (SWP 26.4.2013) Er versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge. Die Macht von Ramsan Kadyrow, der seit Anfang September 2010 die neue Amtsbezeichnung "Oberhaupt" Tschetscheniens führt, ist in Tschetschenien unumstritten. (ÖB Moskau September 2013) 2012 restrukturierte Kadyrow die tschetschenische Regierung. (RFE/RL 17.5.2012)

Sicherheitslage im Nordkaukasus

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus ist insgesamt weiterhin angespannt, auch wenn zwischen den einzelnen Entitäten z.T. zu differenzieren ist. (vgl. UKFCO 10.4.2014; AI 23.5.2013) Während für Tschetschenien durchwegs eine Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage konstatiert werden kann, ist die Lage besonders in Dagestan weiterhin volatil. (vgl. auch JF 4.12.2013) Auch die Situation in Teilen Kabardino-Balkariens ist gespannt. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. In Tschetschenien ist es seit Jahresbeginn 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien) (ÖB Moskau September 2013).

Dagestan ist weiterhin die Region im Nordkaukasus, in der die meiste Gewalt herrscht; 60 Prozent aller Todesfälle ereignen sich in diesem Gebiet. (USDOS 27.2.2014) Aber auch in Kabardino-Balkarien, Tschetschenien und Inguschetien kommt es zu Zwischenfällen, so dass von einer Normalisierung nicht gesprochen werden kann. Nur vereinzelt ist bisher von Attentaten und anderen extremistischen Straftaten aus den übrigen Republiken des Förderalbezirks Nordkaukasus zu hören. Anschlagsziele der Aufständischen sind vor allem Vertreter der Sicherheitskräfte und anderer staatlicher Einrichtungen sowie den Extremisten nicht genehme muslimische Geistliche. Opfer gibt es aber immer wieder auch unter der Zivilbevölkerung. (AA 10.6.2013; vgl. auch BAMF 16.9.3013, BAMF 17.2.2014, BAMF 7.4.2014, SWP 26.4.2013; RFE/RL 16.9.2013; RFE/RL 30.6.2013)

Die schlechte Sicherheitslage ist auf eine Kombination unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen: niedriger Grad wirtschaftlicher Entwicklung, verlorenes Vertrauen in die Politik Moskaus sowie ethnische Rivalitäten, ebenso Separatismus, innerethnische Konflikte, jihadistische Bewegungen, Blutrache, Kriminalität, exzessive Gewalt durch Sicherheitskräfte und terroristische Aktivitäten. (USDOS 27.2.2014) Hinzu kommen noch regional spezifische Strukturen und Probleme; im Nordkaukasus herrscht ein kompliziertes Beziehungsgeflecht zwischen russischen Truppen, kremltreuen lokalen Einheiten, islamistischen Rebellen und kriminellen Banden. (ÖB Moskau September 2013)

Seit dem zweiten Tschetschenienkrieg ist Russland massiv mit Militär, Polizei und Geheimdiensten in der Nordkaukasus-Region präsent. Mit der Begründung, die verfassungsmäßige Ordnung in Tschetschenien wiederherzustellen und den islamistischen Terrorismus zu bekämpfen, wurde eine Politik legitimiert, die darauf zielte, die Rebellen physisch zu vernichten. Zwischen unbeteiligter Bevölkerung und nichtstaatlichen Gewaltakteuren wurde nicht unterschieden, Rechtsbrüche nicht geahndet. All dies schürte eine Atmosphäre der Willkür und Rechtlosigkeit, die die Bevölkerung in Ohnmacht und Wut versetzte. Angesichts der Rücksichtslosigkeit der russischen Sicherheitsorgane im "Kampf gegen den Terrorismus" wächst innerhalb der Bevölkerung des Nordkaukasus die Sympathie für gewaltsame Formen des Widerstands. Wegen der allgemeinen Perspektivlosigkeit erhöht sich, insbesondere unter jungen Menschen, die Bereitschaft, sich den islamistischen Gruppen anzuschließen. Die Strategie Moskaus ist offenkundig kontraproduktiv; sie erreicht das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigt. Eine weitere Ursache für die Gewalt sind die zunehmenden Spannungen und Scharmützel zwischen den verschiedenen islamistischen Fraktionen in der Region. Die Gewalt im Nordkaukasus ist auch und vor allem Ausdruck der anhaltenden sozio-ökonomischen und politischen Krise im Nordkaukasus. Die Region leidet seit langem unter Armut, Korruption und Vetternwirtschaft. (vgl. auch JF 4.12.2013) Wirtschaftlich ist der Nordkaukasus von Moskau abhängig. Die von Moskau eingesetzten Regierungen sind mit korrupten und kriminellen Netzwerke verquickt und an einer Verbesserung der Lage nicht wirklich interessiert. Insbesondere im Osten des Nordkaukasus verstärken religiöse Spannungen zwischen gemäßigtem und radikalem Islam die Gewalt. Anders als in den westlichen Teilrepubliken hat der Islam im Osten größeren identitätsbildenden Einfluss, radikale Positionen finden hier mehr Anklang. Umgekehrt wachsen innerhalb der Christen in der Region sowie im russischen Kernland selbst die Ressentiments gegen die Völker des Kaukasus. Dies prägt den Umgang mit dem bewaffneten Widerstand und Extremismus und wirkt sich letztlich konfliktverschärfend aus. (Heller, 6.1.2014)

Der ethno-nationalistische Kampf für die Unabhängigkeit Tschetscheniens wird mittlerweile von einem radikal-islamistischen Diskurs innerhalb des bewaffneten Widerstands überformt. Das 2007 von Doku Umarow, dem "Warlord" und selbsternannten Präsidenten "Itschkeriens", ausgerufene islamisch-fundamentalistische "Kaukasus Emirat" gilt zwar als gemeinsames Ziel und ideologische Klammer für die in der Region operierenden militanten, salafistischen Muslim-Bruderschaften (Jamaate). Die Gruppen sind jedoch lokal organisiert und handeln weitgehend autonom. Auch ihre Motive sind sehr unterschiedlich und primär durch die lokalen Bedingungen beeinflusst. (Heller, 6.1.2014) Das "Kaukasus Emirat" wird von Russland, den USA und der UNO als terroristische Organisation eingestuft. (SFH 22.4.2013)

Zwischen 2009 und 2012 gingen etwa 30 Attentate auf das Konto der unter dem losen Dach des "Kaukasus Emirats" agierenden Gruppen. In der ersten Hälfte des Jahres 2013 wurden acht größere Anschläge gezählt, davon allein vier in Dagestan und jeweils zwei in Tschetschenien und Inguschetien. Die Anschläge richteten sich vor allem gegen Staatsbedienstete, Mitarbeiter der lokalen und föderalen Sicherheitsdienste, hohe Regierungsmitglieder sowie gegen offizielle Vertreter eines gemäßigten Sufi-Islam (vgl. auch AI 23.5.2014; ÖB Moskau September 2013). Letztere stützen die säkularen Regierungen im Nordkaukasus und werden ihrerseits von der Moskauer Zentralregierung protegiert. Anschläge gegen Zivilisten sind in letzter Zeit seltener geworden. Nach der Aufhebung des Ausnahmezustands in Tschetschenien 2009 und ein weiteres Mal nach der Protestwelle gegen Putin 2012 hatte Umarow die Jamaate aufgefordert, von Anschlägen auf die Zivilbevölkerung abzusehen, wie etwa 2010 in der Moskauer Metro oder ein Jahr später auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo. 2013 wurden allerdings neue Attentate auf "weiche" Ziele angedroht und in die Tat umgesetzt, insbesondere um die Winterolympiade 2014 in Sotschi zu stören. Schon der Terroranschlag auf einen Linienbus im südrussischen Wolgograd im Oktober 2013, bei dem fünf Menschen starben, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Im Dezember 2013 fallen dem Terror im Bahnhof von Wolgograd durch einen Selbstmordanschlag mindestens 16 Menschen zum Opfer, bei einem Selbstmordanschlag in einem Bus sterben weitere 13 Menschen. (Heller, 6.1.2014)

Das Moskauer Innenministerium schätzt aktuell die Zahl der Untergrundkämpfer in der Nordkaukasus-Region auf 600, organisiert in rund 40 Gruppen mit Schwerpunkt in Dagestan. Weitere 400 Extremisten aus dem Nordkaukasus hätten sich laut dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB derzeit islamistischen Gruppen in Syrien angeschlossen (vgl-. auch BAMF 30.9.2013). Der FSB überwachte alle Flug- und Reisebewegungen, um zu verhindern, dass von diesen Extremisten in den nächsten Wochen wieder ein Teil zurückkehrt, um im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi Terroranschläge zu verüben. (BAMF 13.1.2014) Mittlerweile kämpfen Zeitungsberichten zufolge mehr als 1000 Söldner aus der Nordkaukasus-Region, insbesondere aus Tschetschenien in Syrien auf der Seite der Islamisten gegen die Regierungsarmee von Bashar al-Assad.

Auf Gewalt durch islamistische Aufständische oder im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans reagieren die regionalen und föderalen Behörden weiterhin vor allem mit harter Repression. (AA 10.6.2013) Ende des Jahres 2013 verkündete der Leiter des FSB, Alexander Bortnikow, dass bei 70 Anti-Terror-Aktionen im Nordkaukasus im Jahr 2013 "mehr als 260 Banditen" getötet worden seien. (BAMF 13.1.2014) Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich dadurch weiter.

Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass im Nordkaukasus Recht und Gesetz auf beiden Seiten missachtet wird und für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte ein Klima der Straflosigkeit anzutreffen sei. (AA 10.6.2013)

Im gesamten Nordkaukasus gab es 2012 weiterhin regelmäßig Sicherheitseinsätze der Polizeikräfte. Dabei kam es Berichten zufolge häufig zu Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, rechtswidriger Inhaftierung, Folter und anderen Misshandlungen sowie außergerichtlichen Hinrichtungen. (AI 23.5.2013) Im Nordkaukasus verübten sowohl die staatlichen Behörden als auch die die örtlichen Milizen mehrere außergerichtliche Tötungen durch. (USDOS 27.2.2014)

Nach Angaben der anerkannten unabhängigen NGO "Kawkaski Usel" wurden 2012 mindestens 1.200 Menschen Opfer, darunter 700 Tote, der anhaltenden Konflikte im Nordkaukasus. Bei den Toten soll es sich um 402 Aufständische, 207 Sicherheitskräfte und 91 Zivilisten gehandelt haben. Damit ging die Opferzahl im Vergleich zu 2011 zwar leicht zurück (1378 Opfer, darunter 750 Tote), sie bleibt aber auf einem hohen Niveau. (AA 10.6.2013)

Für die ersten neun Monate des Jahres 2013 berichtet Caucasian Knot 87 getötete Soldaten, 68 getötete Zivilisten und 220 getötete Rebellen im Nordkaukasus. Von staatlicher Seite wurde verlautbart, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2013 Straftaten, die mit Extremismus in Zusammenhang stehen im Nordkaukasus um 40% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stiegen, jedoch terroristische Angriffe im selben Zeitraum um 10% sanken Dass die von Menschenrechtsorganisationen einerseits und von der Staatsanwaltschaft andererseits angegebenen Zahlen divergieren ist häufig und Zeichen eines Informationskrieges (vgl. auch JF 6.12.2013). Entführungen und Verschwindenlassen gehören weiterhin zu den schwersten Verbrechen, die weiterhin häufig sind. Anders als in den 1990er Jahren, als vor allem Kriminelle und Warlords Personen gegen Lösegeld entführten, stecken heute fast immer staatliche Stellen hinter den Entführungen. Bis Mitte 2013 waren geschätzte

2.909 Personen vermisst gemeldet. Die Hälfte davon - 1611 Personen - verschwand während der Russland-Tschetschenienkriege, der Rest der verschwundenen Personen war in die Kriegshandlungen nicht verwickelt. (JF 4.12.2013).

Im ersten Quartal 2014 wurden laut dem russischen Innenministerium im Nordkaukasus 36 terroristische Verbrechen verübt und 10 Personen getötet und 10 weitere verwundet. Im selben Zeitraum seien 76 Banditen "neutralisiert" worden, davon 14 in führender Position. 153 Rebellen und deren Komplizen seien verhaftet worden. Sieben Mitglieder der illegalen Armeeeinheiten hätten sich freiwillig ergeben. Das Kaukasusemirat behauptet, während dieses Zeitraums 41 Operationen gegen den Staat durchgeführt zu haben; dabei seien 62 Personen, die mit den Behörden verbunden waren oder sie unterstützten, getötet worden. 11 Männer und Frauen seien staatlicherseits als mutmaßliche Rebellen getötet worden. Laut den Rebellen seien sie aber am Aufstand nicht beteiligt gewesen. 539 Personen, darunter vier Frauen, seien unter verschiedenen Vorwänden verhaftet worden; die meisten seien kurz darauf ohne Anklage wieder entlassen worden. Verlässliche Zahlen sind nicht vorhanden. Die Arbeit der russischen Sicherheitsbehörden hat sich demzufolge im letzten Jahr nicht wesentlich geändert, die Sicherheitslage bleibt prekär. Laut dem russischen Innenministerium hat die Untergrundarmee finanzielle Mittel erschlossen, um sich in den einzelnen Regionen zu finanzieren - sie würden von Geschäftsleuten den "zakat" erpressen und rückten daher in die Nähe der organisierten Verbrechens. (JF 18.4.2014)

Obwohl es weniger Unfälle mit Landminen gab als in vorangegangenen Jahren bleibt die Verminung weiterhin ein Problem. Am 11. Juli explodierte eine Landmine aus dem Tschetschenienkrieg in Dagestan in Nähe der tschetschenischen Grenze, tötete eine Person und verletzte eine weitere. Zwei Tage später tötete eine Landmine einen Soldaten und verletzte zwei weitere während eines Militäreinsatzes. (USDOS 27.2.2014)

Rebellen/Widerstandskämpfer/Mudschahed (Tschetschenien)

In den ersten Jahren des zweiten Tschetschenienkrieges kämpften ganze Armeedivisionen und Brigaden russischer Truppen gegen die Rebellen. Nachdem es den föderalen Truppen gelungen war, große Kampfverbände zu besiegen, gingen die Auseinandersetzungen in einen Guerillakrieg über. In den ersten Monaten des zweiten Tschetschenienkrieges waren die russischen Truppen, die sich vor allem auf die als Hochburgen der Rebellen geltenden südlichen Regionen der Republik konzentrierten, beinahe täglich Bombenanschlägen und Angriffen durch Heckenschützen ausgesetzt. Die Stärke und Kräfte der Kämpfer nahmen ab 2002 und deutlich mit 2004 ab, die Häufigkeit militärischer Aktionen ging zurück. Nachdem viele hochrangige Kommandeure der ersten Generation liquidiert worden waren, - nämlich im März 2002 Ibn al-Chattab, im Jänner 2003 Ruslan Gelajew, im März 2005 Aslan Maschadow, im Juni 2006 Abdul-Chalim Sadulajew und im Juli 2006 Schamil Bassajew - verlor die Rebellenbewegung in Tschetschenien insgesamt an Schlagkraft. Heutzutage teilt sich die Rebellenbewegung in Tschetschenien in kleine, extrem mobile und unabhängige Gruppen von Kämpfern, die sich im gesamten Nordkaukasus praktisch mehr oder weniger frei bewegen können. (Staatendokumentation 12.10.2010)

Nach einer Schätzung aus dem Jahr 2011 sind zwischen 80.000 und 100.000 russische Militär- und Polizeikräfte in Tschetschenien präsent. Die Vorgehensweise der tschetschenischen und russischen Behörden gegen die Mudschahed zeigt, dass die Regierung diese als eine ernstzunehmende und gefährliche Organisation wahrnimmt. Für sogenannte Anti-Terror-Operationen gegen Aufständische sind vor allem der russische Inlandgeheimdienst (FSB), das Innenministerium (MVD) und das Verteidigungsministerium zuständig. Der Begriff des "Terrorismus" ist dabei sehr weit gefasst und gibt den Behörden sehr großen Spielraum, strafrechtlich gegen mutmaßliche Kritiker und Gegner des Staates vorzugehen. Die Behörden in Tschetschenien gehen mit äußerster Härte gegen die Aufständischen vor und versuchen mit harten Maßnahmen gegen die Mudschahed, die salafistische Strömung in Tschetschenien zu eliminieren. Ramzan Kadyrow, der Präsident der russischen Republik Tschetschenien, überwacht und führt persönlich den Kampf gegen die Aufständischen. (SFH 22.4.2013)

Es kann von niemandem mit Sicherheit gesagt werden, wie viele Rebellen in Tschetschenien aktiv sind. Rekrutierung findet konstant statt. Rebellen und jene, die aktive Rebellen unterstützen, sind Hauptziel der tschetschenischen Behörden, während ehemalige tschetschenische Rebellen für die Behörden von geringerem Interesse sein dürften. Aktive Rebellen werden für gewöhnlich während Sonderoperationen getötet, während Unterstützer festgenommen werden. (Landinfo 26.10.2012)

Antiterror-Operationen der Regierung töteten in den letzten Jahren viele Führer der Aufständischen. Diese seien jedoch durch jüngere und radikalere Aufständische ersetzt worden: (SFH 22.4.2013) Berichten zufolge wurden zwei der am meisten gesuchten islamistischen Rebellenführer - die Brüder Muslim und Khusein Gakayev getötet. (RFE/RL 24.1.2013) Russische Truppen haben angeblich den Führer einer der tschetschenischen Rebellengruppen, Adam Khushalayev, der den Namen Abu-Malik annahm, und zwei weitere Rebellen getötet. Der tote Rebellenführer habe die Rebellengruppe nach dem Tod des vorherigen Rebellenführers im Jänner 2013 übernommen. (RFE/RL 7.3.3013) Ramzan Kadyow hat mitgeteilt, dass Rustam Saliev, auch bekannt als Abu-Muslim, der Führer der Aufständischen auf Seiten Doku Umarovs im Bezirk Achkhoi-Martan, bei einer Spezialoperation am 8. Juli 2013 getötet wurde. (RFE/RL 8.7.2013)

Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hat den Tod des tschetschenischen Rebellenführers Doku Umarow bestätigt. Der "russische Bin Laden" sei bei einem Einsatz "neutralisiert" worden, sagte FSB-Chef Alexander Bortnikow am Dienstag in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Zudem seien mehr als 200 Extremisten festgenommen worden. Dabei wurden große Mengen Waffen und Sprengsätze sichergestellt. Bortnikow sagte zudem, der FSB habe gemeinsam mit Polizei und Ermittlern die Hintermänner der tödlichen Terroranschläge in Wolgograd vom Dezember 2013 geschnappt. Die Attentate, denen 30 Menschen zum Opfer fielen, seien aufgeklärt, sagte Bortnikow. Mitte März hatte eine Internetseite der Islamisten im Konfliktgebiet Nordkaukasus den "Märtyrertod" Umarows mitgeteilt. Er galt als Chef des selbst-proklamierten sogenannten Emirats des Kaukasus. Die gleichnamige Extremistengruppe kämpft für eine islamistische Herrschaft im gesamten Kaukasusgebiet. Der Rebellenführer bekannte sich zu zahlreichen Gewalttaten im ganzen Land, darunter die Anschläge auf den Moskauer Flughafen Domodedowo im Jänner 2011 und die Moskauer U-Bahn im März 2010 mit insgesamt 77 Toten. In den vergangenen Jahren hatte es mehrmals Meldungen über den Tod Umarows gegeben, die nie bestätigt wurden. Der Terroristenführer selbst hatte gedroht, die ersten russischen Olympischen Winterspiele zu verhindern. Bei den Spielen in Sotschi war es im Februar allerdings ruhig geblieben. (Die Presse 8.4.2014)

Ali Abu-Muhammad, geborener Aliaskhab Kebekov, bestätigte in einer Internetaussendung vom 18. März 2014 den Tod von Doku Umarow. Kebekov stellte fest, dass er zum neuen Führer des Kaukasus-Emirats gewährt wurde. Er war seit 2010 Sharia-Richter im Kaukasus-Emirat. Er kündigte die Fortführung des Jihad an und rief die Muslime des Nordkaukasus auf, sich dem Kampf anzuschließen. Er kündigte aber keine neuen Terroranschläge an. Der neue Rebellenführer stammt aus Dagestan und ist ethnischer Avare. Er spricht arabisch und kaum russisch. Er studierte in Syrien und war im Alkoholschmuggel in den 1990er Jahren involviert, bevor er konvertierte. Kebekov ist der erste nicht tschetschenische Führer der Kaukasischen Rebellen. Das bestätigt den Trend der letzten Jahre, dass sich das Schwergewicht der Kämpfe im Kaukasus von Tschetschenien nach Dagestan verlagert. Dies ist einerseits der auf die Stabilisierung der Situation in Tschetschenien gerichteten Politik und anderseits der Massenmigration tschetschenischer Rebellen nach Syrien geschuldet. Ebenso ist das der Effekt der schnellen Entwicklung radikalen Islams in Dagestan. Es ist zu erwarten, dass Dagestan das Zentrum des Jihad im Nordkaukasus bleiben wird, während die militärische Untergrundbewegung in den übrigen Republiken eine kleinere Rolle spielen wird. Während die Unterstützung für Kebekov in Dagestan unbestritten ist, ist dies in den übrigen Republiken nicht klar. Das zeigt sich auch in der langen führerlosen Zeit nach dem Tod Doku Umarows, was ggf. Meinungsverschiedenheiten in der Frage des künftigen Führers geschuldet war. Es wurde lange vermutet, dass Aslambek Vadalov, der letzte einflussreiche Veteran des Tschetschenienkrieges, ein ethnischer Tschetschene, Nachfolger Umarows wird. Kebekovs Machtergreifung könnte daher zu einer Fragmentierung des Kaukausus-Emirats und einer stärkeren Homogenisierung der Untergrundbewegung in Dagestan führen. (OSW 26.3.2014)

Einige Experten glauben, dass sich das Projekt Kaukasus-Emirat nach dem Tod von Doku Umarow signifikant ändern oder einschlafen wird. Der neue Führer des Kaukasus-Emirats, Alaiskhab Kebekov, wird aller Voraussicht nach eine mildere Form des Jihad verfolgen: Berichten zufolge ist er gegen Selbstmordanschläge. Die Wahl des neuen Emirs reflektiert die Verlagerung des Aufstandes von Tschetschenien nach Dagestan und von Nationalismus zur überstaatlichen islamistischen Ideologie. (JF 24.3.2014)

Die tschetschenischen Rebellen leisteten ihren Treueeid auf den neuen Führer des Kaukasus-Emirats, Emir Abu Muhammad, obwohl der Emir von Tschetschenien, Emir Khamzat, der Umarows erster Stellvertreter war, nicht unter denen war, die den Eid geschworen haben. Es ist nicht klar, ob er an der Seite von Umarow gestorben ist.Einige Beobachter äußerten Zweifel, ob das tschetschenische Jamaat noch existiert oder nicht. Das Jamaat scheint aber weiterzubestehen und verfügt nun über größere Freiheiten, weil bisher ein Gutteil seiner Aktivitäten auf den Schutz von Doku Umarow konzentriert war. Dessen Bruder, Ahmad Umarow, bestätigte in einer Audiobotschaft, dass Khamzat der Emir von Tschetschenien bleibt. Ein Bombenanschlag am 3. April 2014 auf ein Militärfahrzeug bezeugt, dass die Rebellen in Tschetschenien nicht "neutralisiert" wurden. (JF 10.4.2014)

Sicherheitslage und Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien

Laut NRO "Kawkaski-Usel" waren 2011 in Tschetschenien 174 Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen zu beklagen, darunter 82 Tote. (AA 10.6.2013) Verschiedenen Quellen gemäß scheinen die Anti-Terror-Operationen der Behörden oft eher auf die Tötung anstelle der Verhaftung der Aufständischen abzuzielen. (SFH 22.4.2013; vgl. auch AA 10.6.2013) Mehrere Opponenten und Kritiker des Oberhauptes Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, wurden in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland durch Auftragsmörder getötet (darunter Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden. (ÖB Moskau September 2013) Es gibt weiterhin Berichte, wonach Sicherheitskräfte willkürliche Gewalt angewendet haben, die zahlreiche Todesopfer verursacht hat. Die Täter wurden nicht verfolgt. (USDOS 27.2.2014)

Lokale Kommandanten der russischen "Counter Insurgency"-Einheiten verfügen dank Anti-Terror-Gesetzen über weitgehende Vollmachten, um verfassungsmäßige Freiheiten und Rechte in sogenannten "Counter-Terrorist Operation Zones" einzuschränken. (SFH 22.4.2013) So hat zB der erste stellvertretende Innenminister Tschetscheniens, Apti Alaudinov gedroht, mit unrechtmäßigen Handlungen - inklusive Massentötungen und Unterschieben falscher Beweise - vorzugehen, um islamistische Fundamentalisten aus der ehemaligen Rebellenhochburg Urus-Martan - der Hochburg der Islamisten in den 1990er Jahren - zu vertreiben. Er berief sich darauf, vom tschetschenischen Führer Ramzan Kadyrow uneingeschränkte Handlungsvollmacht erhalten zu haben. Laut Alaudinov inkludiert diese Macht auch die Möglichkeit, jeden zu inhaftieren oder zu töten, der nur so ausschaut wie ein islamistischer Terrorist. Alaudinov beschuldigte auch mehrere Funktionäre in Urus-Martan, gegenüber den Tätigkeiten islamistischer Milizen die Augen verschlossen zu haben, weil ihre Familienmitglieder involviert gewesen seien; diese Praxis werde abgestellt. (RFE/RL 13.12.2013)

Auch Entführungen und Folter, um Geständnisse zu erpressen, sind in Tschetschenien nach verschiedenen Berichten häufig. (SFH 22.4.2013) Seit 2002 sind in Tschetschenien über 2000 Personen entführt worden, von denen über die Hälfte bis zum heutigen Tage verschwunden bleibt. Auch heute noch wird von Fällen illegaler Festnahmen und Folter von Verdächtigen berichtet Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. (ÖB Moskau September 2013) Im September 2013 wies das russische Büro der Generalstaatsanwaltschaft den tschetschenischen Minister für Internationale Angelegenheiten wegen mangelnder Kooperation bei der Aufklärung der Fälle von Verschwindenlassen in den Jahren 1990-2000 streng zurecht. (HRW Jänner 2014)

Nach Angaben von Zeugen werde oft dasselbe Muster bei den Entführungen beobachtet: Die Sicherheitskräfte kommen in Autos ohne Nummernschildern und weisen sich nicht aus. Nach mehreren Tagen oder auch längerer Zeit wird die entführte Person in einer Polizeistation "entdeckt". Die Verhaftung wird erst später offiziell registriert und die Zeit zwischen Entführung und "Entdeckung" wird von den Behörden genutzt, um mittels Folter - unter anderem durch Elektroschocks, Schläge, Erstickungen, Übergießen mit kochendem Wasser, Verbrennungen, zu eng sitzenden Handfesseln und sexueller Gewalt - Informationen oder Geständnisse zu erpressen, ohne Anwältinnen oder Anwälten Zugang gewährt zu haben. Nach Angaben der ICG werden entführte Personen manchmal auch in andere Regionen oder Republiken gebracht, um Nachforschungen zu erschweren. Immer wieder gibt es Fälle von verschwundenen Personen. (SFH 22.4.2013) Amnesty International führt die fehlenden Aufklärungen teilweise auf die Geheimhaltung der Operationen gegen Aufständische und deren Kontaktleute zurück. Die meisten Menschenrechtsverletzungen werden durch nicht identifizierbare Personen begangen - vermutlich viele davon Mitglieder der Sicherheitskräfte. Das russische Gesetz erlaubt den Sicherheitskräften wie FSB, MVD und militärischem Geheimdienst insbesondere bei Anti-Terror-Operationen verdeckte Aktivitäten durchzuführen. Dabei dürfen falsche Dokumente und Fahrzeuge ohne Nummernschilder benutzt werden sowie die Identität der Sicherheitsbehörde und ihrer Beamtinnen und Beamten geheim gehalten werden. Die Opfer und Zeugen können die Täter und die involvierte Sicherheitsbehörde dementsprechend nicht identifizieren. Streitet die entsprechende Behörde eine Verwicklung in die außergerichtliche Tötung ab, wird der Fall meistens mit dem Verweis auf "unbekannte Täterschaft" geschlossen. (SFH 22.4.2013)

Folter ist gesetzlich verboten. Der Menschenrechtsbeauftragte Lukin kritisiert in seinem im Frühjahr 2012 veröffentlichten Jahresbericht 2011 erneut folterähnliche Zustände vor allem in den russischen Untersuchungsgefängnissen. NGO wie "Amnesty International" (z.B. Jahresbericht 2011) oder das russische "Komitee gegen Folter" sprechen davon, dass es bei Verhaftungen, Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft weiterhin zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung durch die Polizei und die Ermittlungsbehörden kommt. Ähnlich äußerte sich zuletzt im April 2012 der "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten gegenüber dem damaligen Präsidenten Medwedew. Auch das Antifolterkomitee des Europarats hat in seinem Bericht vom Frühjahr 2011 Fälle von Folter, insbesondere im Nordkaukasus, dokumentiert. (AA 10.6.2013; ÖB Moskau September 2013) Es gab 2012 weiterhin zahlreiche Berichte über Folter und andere Misshandlungen; wirksame Untersuchungen der Vorwürfe waren jedoch selten. Dem Vernehmen nach umgingen die Ordnungskräfte die bestehenden Vorkehrungen zum Schutz vor Folter häufig mit diversen Mitteln. Dazu zählten der Einsatz von Gewalt unter dem Vorwand, die Häftlinge müssten ruhig gestellt werden, und die Nutzung geheimer Hafteinrichtungen, insbesondere im Nordkaukasus. Außerdem verweigerte man den Häftlingen oft den Zugang zu Rechtsbeiständen ihrer Wahl und ernannte stattdessen Pflichtverteidiger, bei denen man davon ausgehen konnte, dass sie Spuren von Folter ignorieren würden (AI 23.5.2013; vgl. auch SFH 11.6.2012). Physischer Missbrauch durch Polizisten erfolgt Berichten zufolge systematisch und findet üblicherweise in den ersten Tagen der Anhaltung statt. Berichte von Menschenrechtsorganisationen und von ehemaligen Polizisten zeigen, dass die Polizei meistens Elektroschock benutzt, Ersticken, Strecken oder das Druckausüben auf Gelenke und Sehnen, weil diese Methoden weniger sichtbare Spuren hinterlassen. Im Nordkaukausus bedienen sich sowohl die örtlichen Behörden als auch die föderalen Sicherheitsbehörden der Folter. (USDOS 27.2.2014) Im März berichteten die Medien ausführlich über einen Fall von Folter in Kasan, nachdem ein 52-jähriger Mann im Krankenhaus an inneren Verletzungen gestorben war. Mehrere Polizisten wurden verhaftet und wegen Machtmissbrauchs angeklagt. Zwei Polizisten wurden später zu zwei bzw. zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Nachdem die Medien über den Fall berichtet hatten, wurden zahlreiche weitere Foltervorwürfe gegen die Polizei in Kasan und in anderen Städten erhoben. Der Leiter der Ermittlungsbehörde griff die Idee einer NGO auf und ließ spezielle Abteilungen einrichten, um Straftaten zu untersuchen, die von Ordnungskräften begangen wurden. Die Initiative wurde jedoch dadurch untergraben, dass diese Abteilungen nicht mit genügend Personal ausgestattet waren (AI 23.5.2013).

Die Behörden verstießen im Nordkaukasus systematisch gegen ihre Verpflichtung, bei Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte umgehend unparteiische und wirksame Ermittlungen einzuleiten, die Verantwortlichen zu identifizieren und sie vor Gericht zu stellen. In einigen Fällen wurden zwar Strafverfolgungsmaßnahmen ergriffen, meistens konnte im Zuge der Ermittlungen jedoch entweder kein Täter identifiziert werden oder es fanden sich keine Beweise für die Beteiligung von Staatsbediensteten oder man kam zu dem Schluss, es habe sich um keinen Verstoß seitens der Polizeikräfte gehandelt. Nur in Ausnahmefällen wurden Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Polizeibeamte wegen Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit Folter- und Misshandlungsvorwürfen ergriffen. Kein einziger Fall von Verschwindenlassen oder außergerichtlicher Hinrichtung wurde aufgeklärt und kein mutmaßlicher Täter aus den Reihen der Ordnungskräfte vor Gericht gestellt (AI 23.5.2013). Die tschetschenischen und russischen Behörden hätten auch keine Maßnahmen ergriffen, um außergerichtliche Tötungen, Folter und Entführungen im Kampf gegen die aufständischen Gruppen zu verhindern. (SFH 22.4.2013) Es ist vielfach dokumentiert, dass die tschetschenischen Behörden die Aufklärungen außergerichtlicher Tötungen, Entführungen und Folter behindern. In einem Brief an eine russische NGO gaben die föderalen russischen Behörden unter anderem zu, dass die tschetschenische Polizei Untersuchungen zu Entführungen Einheimischer sabotiere und die Täter schütze. Auch sollen gewisse Strukturen innerhalb des tschetschenischen Innenministeriums nicht mit den untersuchenden Behörden kooperieren, weswegen es unmöglich sei, Untersuchungen zu ungesetzlichen Handlungen der entsprechenden Akteure durchzuführen. Die Independent Commission on Human Rights in the Northern Caucasus des russischen Parlaments wiederum habe trotz Hunderter von Klagen bezüglich Tötungen und Vergewaltigungen keine Vollmachten, selber Untersuchungen durchzuführen. Der tschetschenische Ombudsmann zu Menschenrechten hat die Zusammenarbeit mit der in diesem Bereich führenden NGO Memorial verweigert. (SFH 22.4.2013) Einem Bericht der Novaya Gazeta vom 18 Dezember zufolge entließ Präsident Putin Sergei Bobrov, den vor kurzem ernannten Leiter der Untersuchungskommission für Tschetschenien. Die Zeitung berichtete, dass Bobrov zuletzt Verschleppungs- und Mordfälle untersuchen ließ, welche von Sicherheitskräften des tschetschenischen Oberhauptes Ramzan Kadyrow begangen worden sein sollen. (USDOS 27.2.2014)

Jede staatliche Einheit hat ihre eigenen Regeln und Verfahren um zu untersuchen, ob eine Tötung rechtmäßig war. Die folgende strafrechtliche Untersuchung kann in die Zuständigkeit des Innenministeriums oder des Untersuchungskomitees fallen, je nach der Schwere des Verbrechens. (USDOS 27.2.2014) Ein am 30.8.2013 vorgestellter Bericht der Generalstaatsanwaltschaft im Föderalbezirk Nordkaukasus befasst sich mit dem Schicksal entführter/verschwundener Menschen im Nordkaukasus. Danach wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2013 zwölf von 133 Gesuchten gefunden. Mehr als die Hälfte der Entführungen erfolgten in Tschetschenien und Nordossetien. Die Polizei leitete in 60 Fällen Ermittlungs-/Strafverfahren ein, um wegen Entführung bzw. wegen Verschwindenlassens zu ermitteln. Seit Mitte/Ende der 1990er Jahre wurden nach Erkenntnissen der Generalstaatsanwaltschaft 2.909 Personen im Nordkaukasus vermisst, mehr als die Hälfte, 1.611 Personen, davon in Tschetschenien. Die Entführungen bzw. das Verschwinden zielen oft darauf, Geld zu erpressen, Frauen zur Heirat zu zwingen oder Männer dazu zu bringen, in illegalen bewaffneten Gruppierungen zu kämpfen. Menschenrechtler sprechen von rund 20.000 Vermissten in knapp 20 Jahren. (BAMF 2.9.2013) Am 4. Oktober [2013] gab der Menschenrechtsaktivist Alexander Mukomolov bekannt, dass er eine Liste von 7570 im Nordkaukasus vermissten Personen zusammengestellt habe. Jedoch schätzen er und andere Menschenrechtsaktivisten, dass die tatsächliche Zahl viel höher ist. (USDOS 27.2.2014)

Es sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Wiederholte Äußerungen des damaligen Präsidenten (und heutigen Premierministers) Medwedew und anderer Funktionsträger deuten darauf hin, dass Recht und Gesetz hinreichend eingehalten und die Menschenrechte respektiert werden sollen. Es fehlt jedoch bislang an wirklich messbaren Fortschritten vor Ort. Die Urteile des EGMR werden von Russland nicht vollständig umgesetzt (vgl. UKFCO 10.4.2014; HRW Jänner 2014). (AA 10.6.2013) Berichte gehen davon aus, dass die massiven Menschenrechtsverletzungen, die am Nordkaukasus von den Exekutivorganen begangen werden, ohne Zustimmung Moskaus nicht möglich wären. (JF 3.4.2014)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in den meisten der über 200 behandelten Fälle behördlicher Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien eine fehlende Aufklärung der Verbrechen festgestellt. Die Opfer haben zwar theoretisch Zugang zu rechtlichen Mitteln, gegen die Täter vorzugehen. Dennoch wird kaum jemand von der Justiz zur Rechenschaft gezogen. Nach Angaben von Amnesty International ist diese trotz unzähliger Fälle außergerichtlicher Tötungen im ganzen Nordkaukasus erst in drei Fällen in Tschetschenien gegen die vermuteten Täter vorgegangen. Der Bericht des Parlaments des Europarats spricht von einer de facto Straflosigkeit der Täter von Menschenrechtsverletzungen. (SFH 22.4.2013) 2012 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland in 55 von 134 Fällen wegen der Verletzung des Verbots der Folter unmenschlicher Behandlung. Regierungstruppen folterten und misshandelten Berichten zufolge im Nordkaukasuskonflikt Zivilisten und Konfliktparteien. (USDOS 27.2.2014) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte am 09.01.14 Russland, den Angehörigen von verschollenen Tschetschenen Schmerzensgeld von insgesamt mehr als 1,9 Millionen Euro zu zahlen (Entscheidungen v. 09.01.2014 - 53036/08 u.a.). Der EGMR spricht hierbei von 36 verschleppten Männern aus dem Nordkaukasus, die seit Jahren als vermisst gelten. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die Männer bei Einsätzen der russischen Armee in Tschetschenien verschleppt wurden. (BAMF 13.1.2014)

Strafverfolgung und Haftbedingungen

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschter Beweise zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien. (AA 10.6.2013)

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie Rasse, Religion oder Nationalität. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. (AA 10.6.2013)

Die Behörden respektieren im Allgemeinen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anhaltung, außer im Nordkaukasus. Es gib hin und Wieder Berichte über die Verletzung der zeitlichen Grenzen für die Anhaltung und der Pflicht, binnen drei Stunden nach Ende der Anhaltung das Anhalteprotokoll zu erstellen. Es gibt viele Berichte zu willkürlichen Verhaftungen. Diese Praxis ist im Nordkaukasus weit verbreitet. (USDOS 27.2.2014)

Häftlinge werden in fünf Arten von Einrichtungen angehalten:

Polizeianhaltezentren, Untersuchungsgefängnisse, Strafkolonien, Gefängnisse für die, die ITK-Regeln verletzen, und Jugenderziehungskolonien. Laut dem Föderalen Anhaltesystem betrug die Gefängnisbelegung mit Stand 1. Dezember 680.200 im Vergleich zu

701.900 Ende 2012. Diese Zahl inkludiert 562.400 Straftäter, die in 731 Arbeitslagern, 40.900 Insassen offener Lager, 1.698 Personen, die zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt sind, in fünf Gefängnissen, und 2.000 Jugendliche in 46 Jugenderziehungsarbeitslagern. Ungefähr 114.500 Personen wurden in 230 Untersuchungsgefängnissen angehalten. "Inoffizielle Gefängnisse" existieren weiterhin, vor allem im Nordkaukasus. (USDOS 27.2.2014)

Die Situation im Strafvollzug ist unbefriedigend. Die Regierung ist bestrebt, die Zahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte ein Gesetzentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsatz statt Freiheitsstrafe) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. (AA 10.6.2013; vgl. auch SFH 11.6.2012)

Besonders schlecht ist die Lage der Untersuchungshäftlinge. Im Vergleich zu den Strafkolonien berichten Insassen von deutlich schlechteren Haftbedingungen und viel geringerem Rechtsschutz gegenüber ungerechten Behandlungen. Auch wird Unter-suchungshaft in Einzelfällen wiederholt verlängert und kann Jahre dauern. Die vom damaligen Präsidenten Medwedew angestoßene Liberalisierung des Strafrechts für Wirtschaftsvergehen (u.a. teilweise Abschaffung der Untersuchungshaft) wird in vielen Fällen von Gerichten und Strafvollzugsbehörden nicht umgesetzt und dient manchmal korrupten Ermittlern als Mittel zur Erpressung von Geldzahlungen durch Unternehmer. Nach offiziellen Angaben ist die Zahl der Untersuchungshäftlinge jedoch rückläufig. (AA 10.6.2013)

In den Strafkolonien sind die Bedingungen vergleichsweise besser, als die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling effektiver vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal schützt. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Straf-Isolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge seien dort oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. (AA 10.6.2013)

Die Bedingungen des Strafvollzugs bleiben aber schwierig. Die meisten Strafanstalten und Untersuchungsgefängnisse sind veraltet und überbelegt. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist vielfach nur gelegentlich möglich. Das Essen ist einseitig und vitaminarm. (AA 10.6.2013) Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. (AA 10.6.2013; vgl. auch SFH 11.6.2012)

Justizwache und Polizei setzten Häftlinge und Untersuchungshäftlinge physischem Missbrauch aus, der in manchen Fällen zum Tod führte. Die schreiensten Fälle von Folter wurden zwar bestraft, aber die Strafe war oft milde. (USDOS 27.2.2014) Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache, Obdachlose und Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die ab Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt. (AA 10.6.2013) Erniedrigungen, Schikanen, Misshandlungen und Folter kommen regelmäßig vor. Tschetschenen sind von solchen Haftbedingungen besonders betroffen. Gemäß dem US Departement of State haben im Allgemeinen die Diskriminierung von und die Gewalt gegen Minderheiten in der Russischen Föderation in den letzten Jahren stetig zugenommen. The Guardian schreibt, dass Tschetschenen am stärksten von der Brutalität des russischen Gefängnissystems betroffen seien. Zudem werden die Haftbedingungen, welchen die Tschetschenen ausgesetzt sind, regelmäßig als "entsetzlich" beschrieben. Auch die russische Journalistin Elena Maglevannaya zeichnet in ihren Berichten ein düsteres Bild: Ihre ausführlichen Recherchen, welche auf Bildmaterial und handgeschriebenen Aussagen von Inhaftierten und deren Anwälten basieren, belegen ständige Folter, Prügel und Erniedrigung tschetschenischer Häftlinge. Sie stellt fest, dass alle Häftlinge Erniedrigung erfahren. Jedoch gebe es einige Gruppen, die speziell unbeliebt seien: Muslime, Personen aus dem Kaukasus und vor allem Tschetschenen. Auf die Frage, in welcher Weise die Rechte tschetschenischer Häftlinge verletzt werden, antwortet sie folgendermaßen: "Von einer Verletzung von Rechten zu sprechen ist sehr milde ausgedrückt. Tschetschenen werden geschlagen, ihre Füße auf den Boden genagelt, wie im Falle von (...) Zubair Zubairaev, mit Eisenstangen aufgespießt und von Wachhunden attackiert, wie im Falle von Islam Taipov (...). Dem schwer kranken Zaurbek Talkhigov (...) wurden eine lebenswichtige Operation und auch sonstige medizinische Behandlung verweigert. Man muss nicht noch zusätzlich erwähnen, dass Tschetschenen oft ganze Haftstrafen in Zellen absitzen müssen, die eigentlich zum Disziplinararrest vorgesehen wären. Die Bedingungen in diesen Zellen sind extrem hart, und es ist oft kalt und feucht." Elena Maglevannaya wurde wegen übler Nachrede angeklagt. Das Gericht hat sie für schuldig befunden. Sie sollte eine Busse von 6500 US-Dollar bezahlen und eine Widerlegung ihrer Berichte publizieren, was sie nicht tat. Inzwischen hat sie in Finnland Asyl beantragt und erhalten.

Bezüglich der Vorgehensweise der russischen Behörden meinte sie nur:

"Sie brauchen Ruhe, um die Gefangenen weiterhin auf die gleiche Art und Weise zu behandeln." Beunruhigend ist auch, dass viele der heutigen Gefängnisaufseher früher als Soldaten in Tschetschenien gekämpft haben. Sie haben deshalb eine besondere "Abneigung" gegenüber Personen tschetschenischer Volkszugehörigkeit entwickelt. Das Institute for War and Peace Reporting meint dementsprechend, dass tschetschenische Häftlinge den Soldaten, welche in Anti-Terror-Operationen im Nordkaukasus teilgenommen haben, "zum Fraß vorgeworfen" werden. Des Weiteren erfahren tschetschenische Häftlinge auch regelmäßig Diskriminierungen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit. Im Gegensatz zu den meisten Russen, die der orthodoxen Kirche angehören, sind Tschetschenen Muslime. Menschenrechtsorganisationen in Russland erhalten unzählige Briefe von Häftlingen, die sich darüber beklagen, dass sie ihren Glauben nicht ausüben dürfen. Russisch-orthodoxe Priester würden die Gefangenen regelmäßig besuchen, Muslime jedoch würden keinen derartigen Besuch erhalten und oft sogar aufgrund ihrer Religion beschimpft. Die Mutter eines tschetschenischen Häftlings berichtet auch davon, dass ihrem Sohn während des Ramadans absichtlich nur Schweinefleisch gegeben wurde, im Wissen, dass er dadurch nichts zu sich nehmen kann. (SFH 11.6.2012)

Gemäß Paragraph 73 der Strafvollzugsordnung der Russischen Föderation sollten Gefangene ihre Haftstrafen in dem Gebiet verbüßen, in welchem sie leben oder wo sie verurteilt wurden. Dem Paragraphen 73 wurden 2005 einige Änderungen hinzugefügt. Bei bestimmten Verbrechen entscheidet nun ein Bundesorgan über die Details und den Ort des Strafvollzugs. Zu diesen Verbrechen gehören unter anderen die Mitgliedschaft in einer illegalen, bewaffneten Vereinigung, Bandenwesen und Anschläge auf Polizeikräfte. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial weist darauf hin, dass die Nicht-Einhaltung des Paragraphen 73 vor allem Personen tschetschenischer Volkszugehörigkeit betrifft. Swetlana Gannuschkina von Memorial sagt: "Die meisten Einwohner Tschetscheniens sitzen ihre Haftstrafe weit von der Heimat entfernt ab." Die Georgian Daily schreibt, dass Tschetschenen gezwungen sind, ihre Haftstrafen Tausende Kilometer von zu Hause entfernt zu verbüßen. Mehrere Urgent Actions von Amnesty International, in welchen dazu aufgerufen wird, Tschetschenen in Gefängnissen außerhalb Tschetscheniens zu schützen, zeugen von derselben Problematik. Auch unsere Kontaktperson bestätigt, dass es viele solcher Fälle gebe und dass rund 20-25.000 Tschetschenen in Gefängnissen außerhalb Tschetscheniens inhaftiert seien. Dies führt dazu, dass die Gefangenen nur sehr wenig Besuch erhalten. Für die meisten ihrer Verwandten ist es unmöglich, die nötigen Mittel aufzubringen, um sie in entlegenen Orten Russlands zu besuchen. Oft ist dies überhaupt nur dank der Hilfe des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz möglich. Deshalb ist es für Gefangene tschetschenischer Volkszugehörigkeit oft speziell schwer, etwas über ihre Situation im Gefängnis an die Außenwelt mitzuteilen. (SFH 11.6.2012)

Für viele Tschetschenen ist die Situation noch prekärer. Die russischen Behörden erlauben es dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz seit 2004 nicht mehr, Personen zu besuchen, welche im Zusammenhang mit dem "Konflikt" in Tschetschenien im Gefängnis sitzen. Eine sehr vage Richtlinie, welche auf sehr viele Tschetschenen ausgedehnt werden kann und welche sie völlig ungeschützt lässt. (SFH 11.6.2012) Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Haftbedingungen nicht nur in Gefängnissen außerhalb Tschetscheniens prekär sind, sondern auch in Tschetschenien selber. Los Angeles Times zum Beispiel hat ehemalige Gefangene in verschiedenen Teilen Tschetscheniens bezüglich der dort vorherrschenden Haftbedingungen befragt. Sie beschrieben in sehr genauer und ausführlicher Weise die Misshandlungen in tschetschenischen Gefängnissen. Nicht nur gebe es regelmäßig Prügel, sondern auch Überbelegung der Zellen, Entzug von Nahrung und Wasser. Vergewaltigungen und Folter seien fester Bestandteil der alltäglichen Misshandlungen. Sie berichteten auch davon, dass viele Häftlinge während Inspektionen und Besuchen in anderen Anstalten untergebracht wurden, sodass nur die gesunden Insassen zurückblieben. Ekaterina Sokiryanskaya von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial sagt, sie habe nur von ein paar wenigen Fällen gehört, bei welchen Häftlinge aus tschetschenischen Gefängnissen entlassen wurden, ohne dass sie Folter oder Prügel ausgesetzt gewesen waren. Auch der European Council on Refugees and Exiles berichtet, dass es in Tschetschenien in allen Typen von Haftanstalten zu Folter kommt. Die Folterpraxis sei weit verbreitet in Tschetschenien. (SFH 11.6.2012)

Todesstrafe

Das Strafgesetzbuch sieht seit 1997 für schwere Kapitalverbrechen die Todesstrafe vor. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Seit 1996 galt jedoch ein Moratorium des Staatspräsidenten gegen die Verhängung der Todesstrafe. Der Verpflichtung, bis spätestens 1999 auch dem 6. Protokoll zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe beizutreten, ist Russland bisher nicht nachgekommen. Eine Gesetzesvorlage zur Ratifikation des Protokolls ist seit Dezember 2001 in der Duma anhängig, wurde aber bisher nicht zur Abstimmung gebracht, weil sich keine Mehrheit abzeichnet. Die Bevölkerung ist mehrheitlich für die Beibehaltung der Todesstrafe, der Menschenrechtsbeauftragte Lukin berichtet aber von einem zunehmenden Stimmungswandel. Im Hinblick auf die Europaratsmitgliedschaft hat das russische Verfassungsgericht trotz des de-iure-Fortbestehens der Todesstrafe bereits 1999 entschieden und 2009 bestätigt, dass die Todesstrafe in Russland auch weiterhin nicht verhängt werden darf; man kann somit von einer de facto-Abschaffung der Todesstrafe sprechen. Die letzte Hinrichtung gab es am 2. September 1996. (AA 10.6.2013)

Gefährdung Familienangehöriger von Rebellen und von den Rebellen nahestehender Personen

In deutsch- und englischsprachigen Medien und Berichten von russischen und anderen Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen finden sich keine Hinweise, dass in den letzten Jahren oder derzeitig, Personen, die den Widerstand in den Jahren vor der letzten offiziellen Amnestie 2006 unterstützt oder selbst gekämpft und eine Amnestie in Anspruch genommen haben, oder die mit einer solchen Person verwandt sind, nunmehr allein deshalb verfolgt würden. Betroffen sind hauptsächlich Unterstützer und Familienmitglieder gegenwärtig aktiver Widerstandskämpfer. Um unbehelligt leben zu können müssen sich amnestierte Kämpfer und Unterstützer und deren Familien Ramsan Kadyrow gegenüber sicherlich weiterhin loyal zeigen. Ein Austritt aus den lokalen Sicherheitskräften, in denen viele der Amnestierten nunmehr arbeiten (müssen) wird nur bedingt möglich sein. (Staatendokumentation 20.4.2011).

Landinfo berichtet, dass die häufigste Reaktion bei Familienmitgliedern von Rebellen die Entlassung sei. Viele Familienmitglieder würden zudem Pensionen oder sonstige Sozialleistungen verlieren. Ein Anwalt habe Landinfo gegenüber 2009 geäußert, dass er mehrere Familienmitglieder von Rebellen kenne, denen mit der Vertreibung aus ihren Häusern gedroht worden sei. Präsident Kadyrow sei in den Medien aufgetreten und habe dort die Familien von Rebellen verurteilt und von kollektiver Verantwortung gesprochen, was Angst in der Bevölkerung geschürt habe. Mehrere Quellen, darunter Memorial und Human Rights Watch (HRW) hätten Landinfo 2009 mitgeteilt, dass viele Familienmitglieder von Rebellen für einen Zeitraum von zwischen zwei Stunden und zwei Tagen inhaftiert würden. Nach ihrer Freilassung stünden sie unter Beobachtung und könnten mit weiteren Festnahmen bedroht werden. Nach Angaben einer tschetschenischen Menschenrechtsorganisation aus dem Jahr 2001 sei es selten, dass Familienmitglieder festgenommen würden, es könnte aber sein, dass sie zu unterschiedlich langen Vernehmungen vorgeladen würden. Nach Angaben von HRW im Jahr 2011 könnten Familienmitglieder immer noch für ein bis zwei Tage festgehalten werden, wenn der Verdacht bestehe, dass sie über wichtige Informationen hinsichtlich der Rebellen verfügen würden. HRW habe zudem darauf hingewiesen, dass die Anwendung von Folter während der Verhöre wahrscheinlich sei. (ACCORD 4.4.2014)

Landinfo erläutert zudem, dass mehreren Quellen zufolge auch Familienmitglieder von getöteten Rebellen mit Reaktionen rechnen müssten. Eine russische Menschenrechtsorganisation im Nordkaukasus habe 2010 angegeben, dass Familienmitglieder getöteter Rebellen unter Beobachtung der Sicherheitskräfte stünden. Die männlichen Familienmitglieder würden für unzuverlässig gehalten und verdächtigt werden, Verbindungen zu den Rebellen zu haben. Auch nur der geringste Verdacht, dass es Verbindungen zu den Rebellen gebe, könnte zu ernsten Konsequenzen führen. Nach Angaben der russischen NGO Committee Against Torture (CAT) aus dem Jahr 2011 könnten vor allem Familien mit jungen Männern Probleme haben. Familien, in denen es Rebellen gebe oder gegeben habe, würden mit viel Angst leben, weil sie wüssten, dass ihre Söhne verdächtigt werden könnten. Familien, in denen nur die Töchter überlebt hätten, hätten weniger zu befürchten. Eine russische Menschenrechtsorganisation in Sankt Petersburg habe 2011 auf die Tradition der Blutrache hingewiesen, die dazu führen könnte, dass Familienmitglieder getöteter Rebellen mit Konsequenzen konfrontiert seien. Wenn ein Polizist oder Regierungsbeamter von einem Rebellen, der später selbst getötet worden sei, umgebracht worden sei, könnte die Familienmitglieder des Rebellen Ziel von Vergeltungsaktionen werden. Nach der Tradition der Blutrache beziehe sich dies aber nur auf Brüder von Rebellen. Nach Angaben einer russischen Menschenrechtsorganisation im Nordkaukasus aus dem Jahr 2010 sei es schwer zu sagen, wie lange Familien getöteter Rebellen mit Konsequenzen zu rechnen hätten. Dies hänge von der individuellen Familie ab und davon, wie wichtig die Position des getöteten Rebellen gewesen sei. Familien, die beginnen würden, mit den Behörden zu kooperieren, könnten in Ruhe gelassen werden. Es sei nicht bekannt, ob Häuser von Familien getöteter Rebellen angezündet worden seien. (ACCORD 4.4.2014)

Es gibt eine Reihe von Hinweisen, dass Familienangehörige von sich im Ausland befindenden vermuteten Aufständischen von den Sicherheitskräften regelmäßig bedroht werden. Es ist nach Expertenangaben davon auszugehen, dass das Risiko der Reflexverfolgung erhöht ist, wenn ein Familienmitglied im Westen Asyl bekommen hat. (SFH 22.4.2013)

(Aktuelle) Mitglieder, Sympathisierende einer aufständischen Gruppe, aber auch deren Freunde und Verwandte laufen nach Einschätzung von Beobachtern in Gefahr, von staatlichen Sicherheitskräften gefoltert, entführt oder sogar außergerichtlich getötet zu werden. Eine Vielzahl von Quellen (vgl. auch ACCORD 4.4.2014; HRW Jänner 2014; USDOS 27.2.2014) dokumentieren, dass staatliche Sicherheitskräfte in Tschetschenien Verwandte und vermutete Sympathisierende von angeblichen Aufständischen kollektiv bestrafen, entführen, foltern und bedrohen. Die Dunkelziffer scheint hoch, da sich die Opfer oft weigern, aus Angst vor Vergeltung durch die Sicherheitskräfte darüber zu sprechen. Nach Angaben von Beobachtern haben die tschetschenischen Behörden freie Hand in der Wahl ihrer Methoden, um mögliche Aufständische, Sympathisierende der Aufständischen und deren Familienangehörige zu identifizieren und zu bestrafen. Oft würden die Häuser der Angehörigen vor deren Augen verbrannt. (SFH 22.4.2013) Memorial hat zwischen Sommer 2008 und März 2009 26 Fälle von Kollektivbestrafung dokumentiert, bei denen die Verwandten von Kämpfern in Tschetschenien Brandanschlägen zum Ofer fielen; diese seien zumindest mit der Zustimmung der tschetschenischen Behörden erfolgt, um die Verwandten der Rebellen unter Druck zu setzen. (JF 31.10.2013) Die NGO Memorial dokumentierte in einem aktuellen Beispiel das Niederbrennen von Häusern von Verwandten von Aufständischen im tschetschenischen Distrikt Gudermes am 24. April 2012 durch Mitglieder einer Spezialeinheit. Finden die Behörden eine gesuchte Person nicht, dann üben sie in der Regel Gewalt gegen die nächsten Verwandten aus. Wenn keine unmittelbaren Verwandten gefunden werden, dann weiten die Behörden ihre Suche auf Tanten, Onkel oder Cousinen und Cousins aus. Ein von der NGO Memorial dokumentierter Fall zeigt exemplarisch die Methoden der tschetschenischen Behörden bei der Fahndung nach gesuchten Personen auf: Die Ehefrau, die Eltern und die Geschwister der gesuchten Person wurden im März 2012 durch Polizeibeamte mittels Schlägen, Elektroschocks und der Androhung von Vergewaltigung gefoltert. Die Beamten drohten den Verwandten zudem, sie zu töten. Nach den Angaben eines Vertreters der NGO SOVA seien die meisten der Personen, welche angäben, dass sie von den tschetschenischen Behörden verfolgt würden, Angehörige von Aufständischen. Es wird berichtet, dass Angehörige von angeblichen Aufständischen in geheime Gefängnisse gebracht und gefoltert werden. Einige Opfer sterben in Haft, andere verschwinden, bis ihre Leichen mit klaren Folterspuren gefunden werden. (SFH 22.4.2013) Den Angaben von Memorial zufolge verschwand im ersten Halbjahr 2013 eine Person, nachdem diese von Sicherheitskräften verschleppt worden war. (HRW Jänner 2014)

Am 3. November 2013 unterzeichnete der russische Präsident Putin ein neues Gesetz, das Verwandte dazu verpflichtet die Kosten für die Schäden zu zahlen, die durch einen Angriff entstanden sind. Diese Maßnahme wird von Menschenrechtsaktivisten als Kollektivstrafe kritisiert. (USDOS 27.2.2014; Freedom House 23.1.2014)

Das Gesetz Nr. 302-F3 trat am 14.11.2013 in Kraft. Es behandelt auch "Schadenswiedergutmachung von immateriellen Schäden". (VB 29.1.2014)

Nach diesem Gesetz können Familienangehörige und ähnlich Nahestehende von Terroristen zu Kompensationszahlungen für Schäden durch Terrorismus verpflichtet werden. Vorwürfe von "Sippenhaftung" wollten die Initiatoren des Gesetzesvorschlags nicht gelten lassen, denn die Prüfung hat sich in solchen Fällen darauf zu beziehen, ob die Familie oder Angehörigen eines Terroristen einen wirtschaftlichen Vorteil in ihrer Lebenssituation (z.B. Vermögen, Einrichtungsgegenstände, Fahrzeuge etc.) hätten, der ausschließlich auf die Erträge aus den terroristischen Aktivitäten des Täters entstanden sei. "Bloße Kompensation" soll es nicht geben. (VB Oktober 2013) Präsident Wladimir Putin selbst brachte am 27. September 2013 den Gesetzesantrag in der Duma ein. Das Unterhaus beschloss den Antrag am 15. Oktober 2013, innerhalb einer Woche wurde das Gesetzt in zweiter und dritter Lesung bestätigt. (JF 31.10.2013)

Das neue Gesetz sieht vor, dass Terroristen und ihre Angehörigen zu Schadenersatz für die Verluste der Opfer von Terroranschlägen, inklusive Schadenersatz für immaterielle Schäden, herangezogen werden können. Das Prinzip der Kollektivstrafe, das bereits im realen Leben getestet wurde, wurde dadurch offiziell durch die Änderung des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation und des Gesetzes über die Bekämpfung des Terrorismus eingeführt. Das neue Gesetz trifft keine Regelung für den Fall, dass die Familienmitglieder der Rebellen die Restitutionszahlungen für die Anschläge ihrer Verwandten nicht bezahlen können. Es scheint sich daher eher um eine Präventionsmaßnahme denn um tatsächliche materielle Kompensation zu handeln. Das Gesetz wird eine Kettenreaktion auslösen, die die unmittelbaren Familienmitglieder der Rebellen, nahe Verwandte und Angehörige des Clans involviert. Es wird daher eher den Widerstand derer anfachen, die mit der Politik Moskaus in der Region unzufrieden sind. Das überhastet erlassene Gesetz wird als einer der Meilensteine in Vorbereitung der olympischen Spiele in Sotschi gesehen. (JF 31.10.2013) Die neue Gesetzgebung ist in der Praxis allerdings noch nie angewendet worden. (ACCORD 4.4.2014)

Meinungsfreiheit

Während die Regierung Pressefreiheit und Meinungsfreiheit im Allgemeinen respektiert, nutzten regionale Behörden und Gemeindebehörden Verletzungen von Verfahrensbestimmungen und unbestimmte Gesetzesbestimmungen, um Personen zu inhaftieren, die die Regierung kritisierten. Staatlich kontrollierte Medien berichteten oft nicht über Menschenrechtsverletzungen, Korruption auf höherer Ebene, politische Ansichten der Opposition und das Verhalten föderaler Truppen im Nordkaukasus. In anderen Fällen nützte die Regierung ihren Einfluss als direkter Eigentümer oder die Eigentümerschaft größerer privater Firmen mit Regierungsbeteiligung, um größere nationale Medien und deren örtliche Niederlassungen zu kontrollieren, insbesondere im Bereich Fernsehen. (USDOS 27.2.2014)

Es gibt Berichte über Selbstzensur im Fernsehen und in den Printmedien, insbesondere betreffend kritische Berichte über die Regierung. Im Juli ordnete ein Gericht in Grozny die Sperre von Youtube an, weil es ein US-Amateurviedeo namens "Innocence of Muslims" bereitgestellt hat. Ramzan Kadyrow sagte zu Journalisten im Mai 2013, dass Youtube genützt werden könne, um auf Radikale zu antworten, die Muslime beschimpfen und die Gesellschaft spalten wollten. Er persönlich sei aber nicht gegen die Entsperrung von Youtube in seiner Republik. (RFE/RL 14.3.2013) Am 2. Juli 2013 urteilte das Gericht in Nizhniy Novgorod, dass das Buch des Menschenrechtsaktivisten Stanislav Dmitriyevskiy über die Menschenrechtsverletzungen der russischen Truppen im Nordkaukasus nicht extremistisch war. Dieses Urteil wurde vom Berufungsgericht bestätigt. (USDOS 27.2.2014; vgl. auch HRW Jänner 2014)

Hochrangige Beamte reagierten zuweilen sehr negativ auf die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen und schätzten ihre Arbeit als unpatriotisch und schlecht für die nationale Sicherheit des Staates ein. Laut Presseberichten nannte Präsident Putin bei einer Ansprache an den Sicherheitsrat des Staates am 9. September 2013 die Arbeit internationaler Menschenrechtsorganisationen im Nordkaukasus "antirussisch" und forderte die Regierung auf, auf sie "adäquat zu reagieren". (USDOS 27.2.2014) Der tschetschenische stellvertretende Innenminister Apti Alaudinov drohte, dass jede Person, die Kadyrow oder seine Adminstration kritisiere für ihren Widerspruch bestraft werde. (RFE/RL 13.12.2013)

Auch 2012 gab es Berichte über die Schikanierung von Menschenrechtsverteidigern im Nordkaukasus und in anderen Regionen. Engagierte Bürger, Journalisten und Rechtsanwälte, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen vertraten, mussten mit tätlichen Angriffen u.a. durch Polizeibeamte rechnen. (AI 23.5.2013) Auffällig bleibt die geringe Zahl aufgeklärter Straftaten gegen Journalisten oder Kritiker bzw. der sehr schleppende Verlauf von Ermittlungen in solchen Fällen. Insgesamt ist die Unabhängigkeit von Ermittlungen und der Rechtsprechung nach wie vor nicht gewährleistet. Weiterhin mangelhaft ist die Umsetzung von Gerichtsurteilen. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden in Russland in der Sache häufig nicht vollständig umgesetzt, sondern nur in Bezug auf verhängte Entschädigungszahlungen. (AA 10.6.2013)

Religionsfreiheit

Die Russische Föderation ist ein multinationaler und multikonfessioneller Staat. Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Orthodoxie, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. (AA 10.6.2013)

Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt einen Monopolanspruch für alle Gläubigen russischer Herkunft und propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt, die verfassungsmäßige Stellung anderer Glaubensgemeinschaften und die Trennung von Staat und Kirche bleiben jedoch weitgehend aufrechterhalten. Mit dem Schuljahr 2012/13 wurden an russischen Schulen die Fächer Religion (orthodox, muslimisch, jüdisch oder buddhistisch) oder Ethik als Pflichtunterricht eingeführt. Bisher hat sich offenbar die Mehrheit der Schüler bzw. deren Eltern für Ethik entschieden. (AA 10.6.2013)

In Russland leben rund 20 Millionen Muslime; der Islams ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. Der Islam in Russland ist in seiner Grundausrichtung von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Es gibt Anzeichen dafür, dass Spannungen innerhalb der muslimischen Gemeinde(n) in Russland zunehmen. Der Staat fördert und kontrolliert die Ausbildung von Imamen. (AA 10.6.2013)

Nicht als traditionelle Religionen anerkannte Glaubensrichtungen, wie insbesondere die Zeugen Jehovas oder islamische Strömungen im Nordkaukasus und im Wolgagebiet, denen der Vorwurf gemacht wird, in Bezug zu Terrorgruppen zu stehen, stoßen auf Schwierigkeiten mit staatlichen Behörden. Gegen solche Religionsgemeinschaften erheben die Behörden häufig nicht plausibel belegte Extremismusvorwürfe und leiten auf dieser Grundlage auch Strafverfahren ein. (AA 10.6.2013)

Putin erhob das jahrhundertelange Zusammenleben zwischen orthodoxen Christen und Muslimen zu einem Grundmerkmal der Geschichte Russlands und führte das Land in die Organisation der Islamischen Konferenz. Auf der anderen Seite nehmen Staat und Gesellschaft in Russland den Islam durch das Prisma des Kampfs gegen Extremismus wahr. Im Jahr 2000 warnte der neue Präsident Putin vor einer Infektion durch religiösen Extremismus, der sich vom Kaukasus über die Wolga ins Innere Russlands ausbreiten könne. Mit solchen Aussagen sollten erneute massive Kriegsmaßnahmen in Tschetschenien als Kampf gegen islamischen Terrorismus gerechtfertigt werden. Auf der regionalen Ebene des Staates unterscheidet sich die Politik gegenüber dem Islam. In Tschetschenien etwa praktiziert der Autokrat Ramzan Kadyrow eine eigenwillige Kulturpolitik, die unter dem Schlagwort "nationale Tradition" Frauen islamische Bekleidung vorschreibt. In der Nachbarregion Sewastopol dagegen erließ die Regierung im Oktober 2012 ein Hijab-Verbot an öffentlichen Schulen. Zur staatlichen Sphäre gehört auch der institutionalisierte Islam in Gestalt geistlicher Verwaltungen oder Muftiate, einer bürokratischen Einrichtung, die bis zur Islampolitik der Zarin Katharina ins 18. Jahrhundert zurückgeht. Diese Institution hat in sowjetischer Zeit die staatliche Kontrolle über den muslimischen Bevölkerungsteil der UdSSR gewährleistet. Das damalige Bild eines "Islam von Granden des KGB" wirkt in der muslimischen Bevölkerung bis heute nach und lässt die offizielle Geistlichkeit eher als staatliche denn als religiöse Autorität erscheinen. Diese für den Islam untypische "Amtskirche" durchlief in der nachsowjetischen Entwicklung einen Prozess der Zersplitterung, aus dem heraus eine Vielzahl von Muftiaten auf ethnischer und lokaler Basis entstand. (SWP April 2013)

Konfliktlinien verlaufen nicht in erster Linie zwischen der ROK und den geistlichen Verwaltungen der Muslime; schärfere Konfliktlinien besehen innerhalb der islamischen Gemeinden, dh zwischen "Islamen" unterschiedlicher Provenienz. Auf der einen Seite steht der sog. traditionelle Islam, der häufig mit nationalem Brauchtum gleichgesetzt wird. Man spricht etwa von einem "kaukasischen Islam", der vom Sufismus und religiösen Bruderschafts- und Ordenswesen geprägt ist. Auf der anderen Seite steht ein vom Ausland beeinflusster Fundamentalismus, der ethnische oder lokale Identifikation in den Bereich religiöser Unwissenheit verweist und traditionelles Brauchtum wie den Besuch von Heiligengräbern als heidnisch diffamiert und bekämpft. Für die Anhänger dieses Fundamentalismus bildete sich in Russland das Schlagwort "Wahabiten" heraus. Der Leiter einer islamischen Gemeinde im Nordkaukasus äußerte sich bereits vor zehn Jahren zum inflationären Gebrauch dieser Bezeichnung. "Wenn jemand das rituelle Gebet korrekt vollzieht, nicht trinkt, nicht raucht, nicht flucht, dann hält man ihn für einen Wahabiten." Hier wird ein Problem angesprochen, das den Diskurs über islamischen Extremismus im postsowjetischen Raum belastet: die mangelnde Unterscheidung zwischen religiös aktiven Muslimen, politisch aktiven, aber nicht gewaltorientierten Islamisten und militanten Jihadisten. Aus der undifferenzierten Wahrnehmung von religiösem Extremismus durch die Staatsmacht resultieren Maßnahmen, die eine Radikalisierung von Muslimen eher beförderten. (SWP April 2013)

Es sind heute 74 religiöse Organisationen in der Republik Tschetschenien registriert, die drei Konfessionen repräsentieren: 72 davon den Islam, eine die Orthodoxie und eine das Evangelische Christentum. Außerdem gibt es mehr als 200 nicht registrierte Gruppen sowohl islamischer als auch orthodoxer Konfession (BAMF-IOM Juni 2013).

Die Bevölkerung Tschetscheniens gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist. Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013). Laut einem Bericht der tschetschenischen Informationsagentur von 24.08.2011 hat sich Achmat Kadyrow um das Wiedererstarken des Sufismus in Tschetschenien verdient gemacht. Der Sufismus ist eine der Hauptströmungen des Islam und mit der tschetschenischen Mentalität eng verbunden. Der Sufismus steht für den traditionellen Islam und ist eine Gegenkraft gegen den Wahabismus. Sofern sich Personen offen dem Wahabismus zuwenden, werden sie von den Sicherheitsorganen generell als Terroristen angesehen und dementsprechend als Verbrecher behandelt (Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau an BMAF vom 13.8.2012).

Kadyrow hat seine eigene islamisch-nationalistische staatliche Ideologie geschaffen. Er nützt den Sufismus als Staatsideologie, fördert die muslimischen Kleidervorschriften für Frauen und befürwortet Polygamie. Ein Großteil des staatlichen Fernsehens ist religiösen Angelegenheiten gewidmet, Fernsehsprecherinnen tragen Kopftuch. Die heiligen Stätten der Sufi wurden restauriert. Es gibt zwanzig Madrasas, zwei höhere Islamische Schulen, drei Hafiz Koranschulen und mehr als 700 Moscheen. Religiöses Leben und Erziehung sind unter strikter staatlicher Kontrolle. (ICG 19.10.2012)

In Tschetschenien wurde Mitte Jänner 2014 eine eindrückliche Kampagne gegen Salafismus, Habschismus und andere bekannte islamische Denkschulen gestartet. Bei einem Treffen mit Imamen am 23. Jänner 2014 kündigte Ramzan Kadyrow an, Wahabismus, Habschismus und andere radikale Strömungen auszurotten, ebenso wie Sunna und Tariqua, die nie in Tschetschenien existiert hätten. (vgl. auch ICG 19.10.2012) Der Kampf gegen radikale Muslime beginne mit dem persönlichen Erscheinungsbild. Junge Männer, deren Bart eine gewisse Länge überschreite, könnten als Salafisten bezeichnet, eingesperrt und auf die Liste gefährlicher Personen gesetzt werden. Gleiches gelte für Personen, die auf ihrem Mobiltelefon Videos mit salafistischen Gebeten gespeichert hätten. Die Behörden postierten "Sittenwächter" vor dem Eingang der staatlichen Universitäten, um das Auftreten der Studenten zu kontrollieren, insb. die Länge der Bärte und die Art des Hijab. Personen mit zu langem Bart oder mit schwarzem Hijab wurden am Betreten der Universität gehindert. Der Hijab ist in Tschetschenien nicht verboten, aber der schwarze Hijab, der auch das Kinn bedeckt, wird als staatsfeindlich angesehen; sein Tragen wird verfolgt. Vor einigen Jahren zahlte Ramzan Kadyrow noch jeder Frau, die sich bereit erklärte, den Hijab an der Universtität zu tragen, $ 1000. Damals war nicht absehbar, dass das Tragen des Hijab zur Mode unter den jungen Frauen werden und sich die Art des Hijab graduell ändern würde - bis zum Verdecken des gesamten Gesichts. Seit Präsident Putin den Hijab als dem traditionellen russischen Islam fremd bezeichnet hat, war es Kadyrow nicht mehr möglich, das Tragen des Hijab zu fördern. Die aktuelle Kampagne soll nun den Trend, den die regionale Regierung selbst gestartet hat, wieder unter Kontrolle bringen. Kadyrow kündigte auch an, herauszufinden, was tschetschenischen Studenten an ausländischen Universitäten gelehrt werde und sie zu Befragungen zu bestellen. (JF 31.1.2014)

Am 22. Februar 2013 trafen Ramzan Kadyrow und Patriarch Kyrill auf Initiative des Kremls zusammen. Kadyrow forderte - als Repräsentant der gesamten muslimischen Gemeinschaft des Landes - den Bau von Moscheen in Moskau und anderen Regionen des Landes, weil es leichter sei, die Massen in den Moscheen zu kontrollieren, die vom Staat gebaut würden, als junge Leute, die ihr Wissen über den Islam aus dem Internet beziehen. Nach dem Treffen verfügte Kadyrow, dass orthodoxen Priestern in Tschetschenien Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden. Allerdings gibt es nur drei Priester in Tschetschenien. Kadyrow stelle überdies in Aussicht, Land an die Kossaken zu verteilen, damit sie Landwirtschaft betreiben könnten; dass diese Maßnahme im großen Stil umgesetzt wird, gilt als unwahrscheinlich. (JF 7.3.2014) Bereits zuvor wurde die orthodoxe Kirche in Grozny wiederaufgebaut, es wurden alle christlichen Friedhöfe gesäubert und für frühere russische Bewohner Transportmittel zur Verfügung gestellt, um deren Familiengräber zu besuchen. Die Rückkehr ethnischer Russen wird befürwortet. (ICG 19.10.2012) Moskau ist an einem Ende des Exodus ethnischer Russen aus dem Kaukasus interessiert. Die russisch-orthodoxe Kirche hat erfolglos versucht, ihre Präsenz im Nordkaukasus aufrecht zu erhalten. Die Zahl der ethnischen Russen im Nordkaukasus ist so gering, dass fraglich ist, ob in zwanzig Jahren noch ethnische Russen in dieser Region leben werden. Tschetschenien kann mittlerweile als mono-ethnisch bezeichnet werden. Der Kreml geht davon aus, dass nur die russisch-orthodoxe Kirche ethnische Russen von einem Verlassen des Kaukasus abhalten kann. (JF 7.3.2014)

Die allgemeine Situation von tschetschenischen Frauen

Grundsätzlich garantiert die Verfassung der Russischen Föderation Männern und Frauen dieselben Rechte. Dennoch sind Frauen von Diskriminierung, z.B. am Arbeitsmarkt betroffen. Von einer gesellschaftlichen Diskriminierung alleinstehender Frauen und Mütter kann zumindest in Kernrussland nicht ausgegangen werden. Ein ernstes Problem in Russland stellt jedoch häusliche Gewalt dar. Dieses wird von Polizei und Sozialbehörden oft als interne Familienangelegenheit abgetan. Es gibt in der Russischen Föderation keine föderale Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt. Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei sind begrenzt. Eine Bestrafung der Aggressoren ist bei Körperverletzung, Rowdytum oder sonstigen gewalttätigen Übergriffen möglich. Obgleich die Zahl der Frauenhäuser in der Russischen Föderation zunimmt, ist deren Zahl noch gering (derzeit ca. 25 mit insgesamt 200 Betten). Nachdem die gesetzlichen Regelungen den Opfern von häuslicher Gewalt nur teilweise Schutz bieten, fliehen Opfer von häuslicher Gewalt meist zu Freunden oder Bekannten, oder finden sich mit der Situation ab. Ein weit verbreitetes Problem, für das es ebenfalls keine gesetzliche Regelung gibt, ist sexuelle Belästigung. (ÖB Moskau September 2013; vgl. auch UKFCO 10.4.2014; IRB 15.11.2013)

Die Situation im Nordkaukasus unterscheidet sich maßgeblich von der in anderen Teilen Russland. Die menschenrechtliche Situation von Frauen im Nordkaukasus ist nach wie vor problematisch. Berichte von Ehrenmorden, Brautentführungen, "Sittenwächtern" und häuslicher Gewalt im Nordkaukasus sind besorgniserregend. In den meisten Fällen werden diese Verbrechen nicht zur Anzeige gebracht, bzw. keine Strafverfolgung eingeleitet. Eine Quantifizierung des Problems ist schwierig, NGOs in Tschetschenien berichten jedoch von zumindest einem neuen Fall pro Monat. Problematisch scheint auch die Situation von Frauen im Fall einer Scheidung oder bei Tod des Ehemannes. In der Frage der Obsorge für die gemeinsamen Kinder, sowie in der Frage der Aufteilung des gemeinsamen Besitzes spielen traditionelle Vorstellungen eine wichtige Rolle. Oft haben Frauen es deshalb schwer die ihnen nach russischem Gesetz zustehenden Rechte auch in der Realität durchzusetzen. (ÖB Moskau September 2013)

In Tschetschenien hat der Druck auf Frauen erheblich zugenommen, sich gemäß den vom dortigen Regime als islamisch propagierten Sitten zu verhalten und zu kleiden. Russische Menschenrechtsorganisationen sprechen von systematischen Diskriminierungen, die nicht zuletzt im Widerspruch zur russischen Verfassung und anderen geltenden Gesetzen stehen. (AA 10.6.2013)

Als Teil seiner "Bescheidenheitskampagne" verlangte Kadyrow von den Frauen, in der Öffentlichkeit (inkl. Schulen, Universitäten und Regierungsgebäuden) Kopftuch zu tragen (vgl. auch SWP April 2013). Er befürwortet, dass jungen Frauen die Mobiltelefone abgenommen werden um ungebührlichen Umgang mit Männern zu unterbinden. (USDOS 27.2.2014) Swetlana Gannuschkina, Vorsitzende der Organisation "Komitee Bürgerbeteiligung" und Mitglied des "Menschenrechtszentrums Memorial", berichtet über die in Tschetschenien zwingend vorgeschriebene Kleiderordnung für Frauen. Der Kopftuchzwang sei für viele erniedrigend. Immer wieder platzen bewaffnete junge Männer mitten in eine Vorlesung, überprüfen, ob Studentinnen und Professorinnen entsprechend gekleidet sind. (AJ Oktober 2013)

Die Stellung der Frau in der tschetschenischen Gesellschaft wird in starkem Maße von den patriarchalen Gewohnheitsrechten - den Adaten - geprägt, die der Frau die Rolle der Dienerin zuweisen und einen strengen Ehrenkodex beinhalten. Demnach sind Frauen für Haus und Hof verantwortlich. Ob eine Frau heiratet, ob und wo sie arbeitet, eine Ausbildung bekommt oder beispielsweise einen Arzt besucht, entscheidet erst die Familie, später der Ehemann. Eheschließungen werden von den Eltern vereinbart oder durch Brautraub durch den Mann entschieden. In Tschetschenien ist es nach wie vor üblich, Frauen durch Entführung zur Ehe zu zwingen. Die Zwangsehen führen zu schweren psychischen Belastungen der Frauen. Allerdings prägte die Sowjetära vor allem die städtische Bevölkerung und führte dort zu einem Wertewandel und zu einer Orientierung an Rollenbildern der sowjetischen Gesellschaft. So ist ein Großteil der Tschetscheninnen in den Städten gut ausgebildet und berufstätig. (AMICA)

Landinfo berichtet, dass der Einfluss des "Adat" [Gewohnheitsrecht] und teilweise auch die Islamisierung in Tschetschenien während des Regimes von Präsident Ramzan Kadyrov, die Situation für tschetschenische Frauen schwieriger wurde. Die zwei Tschetschenienkriege beeinflussten auch die Familienstruktur und machten Frauen verletzlicher. Sehr wenige Frauen suchen Schutz bei Behörden nachdem sie Opfer von Gewalt wurden. In den wenigen Fällen in denen Frauen Unterstützung bei den Behörden suchen, scheinen sie nicht den Schutz zu erhalten, den sie brauchen. (Anfragebeantwortung 10.3.2014)

Außerehelicher Geschlechtsverkehr gilt im Allgemeinen als Schande für die Familie. Die eigene Familie sorgt aber in der Regel dafür, dass Derartiges im Verborgenen bleibt. Hat die Frau keine Kinder, lasse man sie gehen; ihre eigene Familie müsse dann die Verantwortung für sie übernehmen. Habe sie Kinder, könne die Familie des Mannes die Kinder beanspruchen. Würden die Kinder in diesem Fall bei ihr bleiben, würde sie Schande über ihre Kinder bringen. (ACCORD 31.3.2014)

Der Caucasian Knot berichtet, dass sogenannte Ehrenmorde - wenn enge Verwandte junge Mädchen oder Frauen bestrafen, die einer außerehelichen Beziehung oder familiärer Untreue verdächtig sind - sich in Tschetschenien in den 1990er Jahren zu verbreiten begannen. (Anfragebeantwortung 10.3.2014; vgl. auch HRW Jänner 2014; USDOS 27.2.2014) Dieser erklärte 2008 in einem Interview, wie das Geschlechterverhältnis seiner Ansicht nach auszusehen habe: "Die Frau muss ihren Platz kennen. Die Frau ist ein Besitz, der Mann ist der Besitzer. Und wenn sich bei uns eine Frau nicht entsprechend verhält, sind ihr Mann, ihr Vater und ihr Bruder dafür verantwortlich. Und wenn eine Frau über die Stränge schlägt, wird sie unseren Sitten entsprechend von ihren Verwandten getötet." (AJ Oktober 2013) Sogenannte "Ehrenmorde" werden in Tschetschenien nicht statistisch erfasst. Sie kenne ein Dorf, in dem bereits neun Frauen ermordet worden seien, weil sie angeblich gegen den Ehrenkodex verstoßen hätten, berichtet Gannuschkina. Eine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, haben die betroffenen Frauen im Land Kadyrows kaum. (AJ Oktober 2013)

In einigen Teilen des Nordkaukasus sind Frauen weiterhin der Brautentführung, Polygynie, Zwangsheirat (inkl. Kinderheirat) und rechtlicher Diskriminierung ausgesetzt. (USDOS 27.2.2014) Es gab in einigen Teilen des Nordkaukasus auch Fälle, in denen Männer vorgaben, nach alter Tradition "Brautraub" zu betreiben, berichtetermaßen aber junge Frauen entführten und vergewaltigten und in einigen Fällen zu einer Heirat zwangen. In den anderen Fällen waren die Frauen für immer "befleckt", weil sie keine Jungfrauen mehr waren und somit nicht in eine legitime Ehe eintreten konnten (USDOS 27.2.2014) Von der Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde angegeben, dass sich eine Frau zum Beispiel bei einer gewalttätigen Brautentführung, durchaus an die staatlichen Organe wenden könnte und auch Hilfe bekommen könnte, es sei aber bisher kein solcher Fall bekannt. (ÖB Moskau 10.5.2013)

Nach Einschätzung einer russischen Menschenrechtsexpertin ist keine staatliche Struktur in Tschetschenien in der Lage oder auch nur willens, die Frauen vor der Gewalt der Behörden und der häuslichen Gewalt zu schützen. Eine Frau zu töten, weil sie sich nicht "richtig" verhalten habe, sein in Tschetschenien nichts Besonderes. Auch von den Bundesbehörden hätten die Frauen keinen Schutz zu erwarten. Morde an Frauen würden praktisch nie aufgeklärt. Besonders aussichtslos sei die Situation, wenn es sich bei den Aggressoren um "Kadyrows Leute" handle. Gem. ho. Recherche gibt es in Tschetschenien nach wie vor kein Frauenhaus, in dem von Gewalt betroffene Frauen, unterkommen könnten. (vgl. auch ÖB Moskau September 2013; UKFCO 10.4.2014; IRB 15.11.2013) Laut einer informellen Anfrage einer tschetschenischen NGO beim Ministerium für Arbeit, Beschäftigung und Soziales der Rep. Tschetschenien, gibt es ein Tageszentrum für Frauen mit Kindern bis zum Alter von 3 Monaten. (ÖB Moskau 10.5.2013) Nachdem die gesetzlichen Regelungen den Opfern von häuslicher Gewalt nur teilweise Schutz bieten, fliehen Opfer von häuslicher Gewalt meist zu Freunden oder Bekannten, oder finden sich mit der Situation ab. (Anfragebeantwortung 10.3.2014)

Die Situation von alleinstehenden Frauen und Witwen

Mehreren Quellen zufolge seien alleinstehende Frauen im Nordkaukasus verwundbar und schutzlos. Nach Angaben einer internationalen Organisation im Nordkaukasus und von Human Rights Watch (HRW) aus dem Jahr 2009 sei eine Familie stark, wenn ein Mann als Familienoberhaupt fungiere. In vielen Familien gebe es jedoch keine Männer mehr, was eine große Last für die Frauen zur Folge habe und sie in eine prekäre Lage bringe. Eine Menschenrechtsorganisation im Nordkaukasus habe 2009 angegeben, dass es für tschetschenische Frauen sehr wichtig sei, verheiratet zu sein und einen Mann zu haben, der sie beschütze. Frauen, die nicht verheiratet seien, seien verwundbarer als verheiratete Frauen. Zudem könnten unverheiratete Frauen in einer prekäreren Lage sein, wenn sie Familienmitglieder hätten, die Rebellen seien. Eine internationale Organisation im Nordkaukasus habe 2009 angegeben, dass es wesentlich für eine Frau sei, Brüder zu haben, die sie schützen könnten, sollte sie keinen Mann haben. Habe eine Frau jedoch einen schlechten Ruf und keinen Schutz, könne sie festgenommen und möglicherweise auch Opfer eines Mordes werden. Frauen mit einem schlechten Ruf seien ebenso gefährdet wie Frauen, die mit Rebellen verwandt seien. Als Beispiel dafür, wie wichtig es für eine Frau im Nordkaukasus sei, einen Bruder oder Mann zu haben, hätten verschiedene Quellen (darunter auch ein tschetschenischer Anwalt im Jahr 2012) angegeben, dass eine Frau, die außerhalb Tschetscheniens studieren wolle, entweder in Begleitung eines Bruders reise oder bei Verwandten vor Ort lebe. Selbst in gebildeten Familien sei es Tradition, dass Frauen die Region nur in Begleitung eines engen männlichen Verwandten verlassen sollten. Nach Angaben von HRW aus dem Jahr 2009 würden Witwen, die nachweisen könnten, dass sie verheiratet gewesen seien, geachtet. Könnten sie das nicht nachweisen, seien sie in einer prekären Lage und hätten eine niedrige Stellung in der Gesellschaft. (ACCORD 4.4.2014)

Landinfo schreibt, dass Frauen in Tschetschenien üblicherweise nicht für Polygamie seien. Dennoch sei die Einstellung dazu gemischt, da Polygamie Möglichkeiten für Frauen biete, die ansonsten weniger Möglichkeiten hätten, zu heiraten. Es handle sich dabei um Witwen, Frauen, die verlassen worden seien, und Frauen über 35 Jahre. Einen Mann zu haben sei im Nordkaukasus von großer Bedeutung. Eine NGO in Moskau habe 2011 angegeben habe, dass Witwen mit Kindern einen höheren Status in Tschetschenien hätten als geschiedene Frauen. Eine Witwe werde sofort gefragt, ob sie zusammen mit den Kindern im Haus der Schwiegereltern bleiben, oder ohne Kinder ein neues Leben beginnen wolle. Dies gebe der Mutter die Möglichkeit, erneut zu heiraten. Wenn die Mutter bei den Schwiegereltern lebe, erwarte man von ihr, dass sie das Gedenken an den verstorbenen Ehemann in Ehren halte und nicht wieder heirate. Es gebe kein Verbot für eine Witwe, wieder zu heiraten, aber in diesem Fall verliere sie für gewöhnlich den Kontakt zu ihren Kindern. (ACCORD 4.4.2014)

Ob eine Witwe wieder heiraten kann, hängt von der sozialen Position der Familie des verstorbenen Mannes ab. Handelt es sich um eine "gute Familie", kann die Frau wieder heiraten und manchmal auch das Kind mitnehmen. Wenn nicht, gibt es ein Problem mit den Kindern, weil diese dann üblicherweise beim Vater bleiben. Es kann auch vorkommen, dass die Kinder bei der Mutter bleiben, bis diese wieder heiratet. Eine Frau könne sich nach dem Tod des Mannes auch zur "freien Witwe" erklären; danach könne sie Männerbesuch bekommen, dürfe aber ihre Kinder nicht sehen und werde nicht geachtet. (ACCORD 31.3.2014)

Hingegen würden Brüder der verstorbenen Männer ihre Schwägerinnen nicht einfach so heiraten, vor allem nicht, wenn sie über 30 sind. Dieser Brauch werde nicht oft in der Praxis umgesetzt. Die Weigerung der Frau, den Schwager zu heiraten, würde nicht zu Blutfehden oder Blutrache führen (ACCORD 4.4.2014).

Scheidung und Obsorge

Nach russischem Recht sind grundsätzlich beide Elternteile, unabhängig davon, ob sie verheiratet, unverheiratet oder geschieden sind, im Bezug auf das Sorgerecht für die minderjährigen Kinder gleichberechtigt. Im Zuge einer Scheidung wird nicht automatisch auch das Sorgerecht geregelt. Sorgerechtsfragen, d.h. Aufenthaltsbestimmungsrecht, Besuchsrechte, usw., können, wenn die Eltern nicht zu einer Übereinkunft kommen, gerichtlich geregelt werden. Wird ein Elternteil bei der Durchsetzung seiner Rechte (z.B. Besuchsrechte) vom anderen Elternteil behindert, kann das Gericht eine Geldstrafe verhängen oder die Rechte des Elternteils mit Hilfe von Gerichtsvollziehern durchsetzen. Dies geschieht in der Praxis allerdings äußerst selten. Nach Einschätzung eines Experten für russisches Recht wird in der Russischen Föderation bei getrennten Wohnsitzen der Eltern, das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei Kindern unter 10 Jahren a priori der Mutter zugesprochen. Ist das Kind älter als 10 Jahre wird seine Meinung ebenfalls berücksichtigt. Grundsätzlich kann man sagen, so der Experte, dass im russischen Obsorgeverfahren die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden, davon ausgenommen sind jedoch die russischen Regionen im Nordkaukasus (v.a. Tschetschenien und Dagestan), wo nicht von einer Rechtsstaatlichkeit im Obsorgeverfahren auszugehen ist. (ÖB Moskau 10.5.2013)

Die Republik Tschetschenien ist Teil der Russischen Föderation, das heißt, dass auch dort, die russischen Gesetze gelten. In Tschetschenien sei es laut Vertretern verschiedener NGOs jedoch traditionell bedingt üblich, dass Kinder im Fall einer Scheidung beim Vater bzw. der Familie des Vaters bleiben. Die Realität wird von den NGO-Vertretern unterschiedlich beschrieben. Von manchen wird konstatiert, dass es für die Familie des Vaters eine Schande sei, wenn das Kind nicht bei ihm bzw. seiner Familie bleibt und es sich um Einzelfälle handelt, wenn die Kinder nach der Scheidung bei der Mutter bleiben. Von einer anderen NGO-Vertreterin wiederum heißt es, dass es in Tschetschenien max. 5% der Männer kümmert, was Nachbarn und Verwandte denken, materielle Fragen stünden für die meisten im Vordergrund. Es gäbe durchaus Fälle in denen die Kinder nach einer Scheidung bei der Mutter bleiben, vorausgesetzt, dass diese das überhaupt will. Dabei wäre zu beachten, dass geschiedene Frauen, die gemeinsam mit ihren Kindern leben, in der Regel nicht wieder heiraten können, da traditionell die Frau zum neuen Mann zieht und es hier Animositäten gegen die Kinder des Vorgängers geben kann. Einhellig wurde von den Kontaktpersonen der Botschaft bestätigt, dass Frauen sich in Obsorgefragen (Aufenthaltsbestimmungsrecht, Besuchsrechte) nur sehr selten an ein Gericht wenden und, falls doch, die Unterstützung ihrer Familie bräuchten, um den Gerichtsweg zu bestreiten. In den meisten Fällen würden diese Fragen allerdings in der Familie oder mit Hilfe eines religiösen Vermittlers geregelt. Eine Anwältin aus der Republik Tschetschenien führte im Rahmen eines Seminars im Juni 2012 aus, dass der Weg zum Gericht sei für geschiedene Frauen in Tschetschenien oft der letzte Ausweg ist, wenn andere Vermittlungsversuche (über Verwandte, religiöse Vertreter, usw.) gescheitert sind. Frauen würden diesen Schritt aber scheuen, weil er die Beziehung zum Ex-Mann endgültig zerstört, was viele tschetschenische Frauen für falsch halten. Tschetschenische Gerichte würden ihre Entscheidungen in Obsorgefragen häufig mit den materiellen Verhältnissen der Eltern begründen, wobei eine tschetschenische Frau im Falle einer Scheidung in der Regel leer ausgehe. Nachdem eine geschiedene Frau in der Regel in das Elternhaus zurückkehren würde, brauche sie die Zustimmung ihrer Eltern, ihre Kinder bei sich aufzunehmen. Diese Zustimmung würde von den Eltern, so die Anwältin, manchmal aus Gründen des Stolzes oder aufgrund von Ressentiments gegenüber dem Ex-Mann verwehrt. Aus all diesen Gründen könnten, so die Anwältin, faktisch nur sehr wenige geschiedene Frauen in Tschetschenien ihre von der russischen Gesetzgebung vorgesehenen Rechte im Bezug auf ihre Kinder auch durchsetzen. Bei einer Recherche der Botschaft im Internet konnten insgesamt vier Gerichtsentscheidungen aus den Jahren 2010 - 2011 tschetschenischer Gerichte zum Thema Scheidung und Aufenthaltsbestimmungsrecht der mj. Kinder gefunden werden. Bei diesen vier Entscheidungen wurde bei fehlender Übereinkunft der Eltern in drei Fällen das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter zugesprochen, in einem Fall dem Vater. Die Entscheidungen wurden von den Gerichten u.a. auch mit dem Gutachten der Jugendwohlfahrtsbehörde zu den materiellen Umstände, Lebensverhältnissen der Elternteile begründet. (ÖB Moskau 10.5.2013)

Bei Rücksprache der Botschaft mit einer Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde berichtet, dass die Aufteilung des Besitzes im Fall einer Scheidung von den gemeinsamen Ehejahren abhängig ist (egal, ob die Ehe offiziell vor dem Standesamt geschlossen wurde) und abhängig davon, wo die Kinder nach der Scheidung leben würden. Dies sei einer der materiellen Gründe, warum Eltern ein Interesse daran haben, dass die Kinder nach der Scheidung bei ihnen leben. (ÖB Moskau 10.5.2013)

Zugang zu Bildung

Das Netzwerk aus Vorschuleinrichtungen beinhaltet sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Kindergärten. Häufig ist die Anzahl von Kindergärten nicht ausreichend, insbesondere in kleinen Städten und Dörfern. Viele staatliche Programme wurden entwickelt, um das Kindergärten-Netzwerk zu vergrößern und die Qualität der Vorschul-Bildung zu erhöhen. Das Hauptproblem für Eltern ist das Finden eines Kindergartenplatzes, da die Plätze streng limitiert sind und die Kinder direkt nach der Geburt auf eine Warteliste gesetzt werden müssen. Die täglichen Kindergartenkosten sind vergleichsweise hoch, insbesondere für große Familien mit niedrigem Einkommen: Die durchschnittlichen Kindergartenkosten liegen bei 1000 RUB (32 USD). Viele Mütter ziehen es daher vor, zu hause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern, als zu arbeiten und den Großteil des Verdienstes für die Vorschulbetreuung auszugeben. (BAMF-IOM Juni 2013)

In Russland gibt es sowohl staatliche als auch private Bildungseinrichtungen. Jeder russische Staatsbürger hat Anspruch auf kostenlose Bildung. Dieser Anspruch kann an allen staatlichen Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen verwirklicht werden (an Hochschulen gibt es ein leistungsbezogenes Auswahlverfahren). Es wird mit jedem Jahr schwerer, einen Platz an den besonders angesehenen kostenlosen Hochschulen zu bekommen. Und selbst die Aufnahme an einer guten Berufsschule ist nicht selbstverständlich. Die Zahl der kostenlosen Studienplätze ist im letzten Jahrzehnt um 50% gesunken. (BAMF-IOM Juni 2013)

Bildungskredite sind eine sehr junge Form der Bankdienstleistung. Die Zahl der Finanzinstitutionen, die solche Dienstleistungen anbieten ist landesweit eher gering. Die Nachfrage nach den Bildungskrediten erregt allgemein jedoch großes Interesse. Banken haben das Recht, eigene Listen von anerkannten Bildungsinstitutionen, Abteilungen und Kursen anzufertigen. Sie ziehen es vor, Kredite an Studenten zu vergeben, die sich für technische und naturwissenschaftliche Fächer entscheiden oder die eine führende russische Universität mit hohen Bildungsgebühren besuchen. (BAMF-IOM Juni 2013)

Schüler an kostenlosen staatlichen Schulen erhalten ein staatliches Stipendium, dessen Höhe bis zu RUB 1199 (ca. 38 USD) im Monat beträgt. Für Schüler weiterführender Fachschulen sind es RUB 436 (ca. 14 USD) im Monat. (BAMF-IOM Juni 2013)

Der Schulbesuch ist in Tschetschenien grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen materiellen Bedingungen statt. Nach Angaben der VN entspricht die Anzahl der Lehrer wieder dem Niveau vor den Tschetschenienkriegen, allerdings sei die Versorgung mit Lernmitteln häufig noch unzureichend. (AA 10.6.2013)

2011 gab es nach Angaben des tschetschenischen Bildungsministers 215.000 Schüler/innen in 454 Schulen. Weiters gibt es 15 Technische Schulen und 3 Hochschulen, an denen insgesamt 60.000 Schüler/innen und Student/innen eingeschrieben sind. Zudem gibt es die Möglichkeit, "zusätzliche Schuleinrichtungen" wie Sport- oder Berufsschulen zu besuchen. An den Schulen unterrichten rund 18.000 Lehrer/innen, dennoch besteht weiterhin Lehrermangel. Dieser wird neben fehlenden Plätzen im Bereich der Vorschulbildung als vordringlichstes Problem im Bildungssektor genannt. (Rüdisser 2012)

Die Politik des Präsidenten der Republik Tschetschenien ist darauf ausgerichtet, das Ansehen von Bildung zu erhöhen. Diese Frage gehört nicht nur zum Aufgabenbereich des Bildungsministeriums, sondern auch der Bezirks-, Stadt- und Dorfadministrationen der Republik. Laut den Angaben des tschetschenischen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft wurden 2007-2008 RUB 1 Billion 540 Millionen (USD 50 Millionen) für den Wiederaufbau von 3 Universitäten, 2 Fachhochschulen, 4 Berufsschulen und 25 Schulen ausgegeben. Im Jahre 2007 erhielten die Schulen 169 Lernausstattungen und 65 Busse (vor allem für die Schulen auf dem Land). Über 320 Schulen bekamen einen Internetanschluss und 102 Schulen erhielten je RUB 1 Million (USD 32258) für die Realisation innovativer Entwicklungsprogramme. (BAMF-IOM Juni 2013)

Korruption

Das Gesetz sieht Strafen für Korruption durch Beamte vor, aber die Regierung erkennt an, dass sie Probleme hat, das Gesetz effektiv durchzusetzen und Amtsträger oft in korrupte Praktiken involviert sind, ohne Strafverfolgung ausgesetzt zu sein. Korruption war in Exekutive, Legislative und Gerichtsbarkeit auf allen Ebenen des Staates weit verbreitet. Sie manifestiert sich vor allem in der Bestechung von Beamten, Budgetmissbrauch, Diebstahl von Staatseigentum, Schmiergeldzahlungen in Vergabeverfahren, Erpressung und Amtsmissbrauch zur Erlangung persönlicher Vorteile. Während es Strafverfahren wegen Bestechung gab, bleibt die mangelnde Rechtsdurchsetzung generell ein Problem. Korruption im staatlichen Bereich bleibt ein drängendes Problem in einer Vielzahl von Bereichen, inklusive Bildung, Einberufung zum Militärdienst, Gesundheitswesen, Handel, Wohnungswesen, Pensionen, Sozialleistungen, Rechtsdurchsetzung und im Gerichtssystem. (USDOS 27.2.2014)

Wirtschaftliche Lage

Der Lebensstandard im Nordkaukasus ist weitaus niedriger als im restlichen Russland. Die Einkommen liegen deutlich unter dem russlandweiten Durchschnitt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. (Heller, 6.1.2014)

Das Existenzminimum lag in Tschetschenien im dritten Quartal 2011 bei durchschnittlich 6.559 Rubel pro Monat. Ein Mindestwarenkorb an Lebensmitteln kostete im Dezember 2011 2.750 Rubel. Eine Alterspension betrug im 3. Quartal 2011 durchschnittlich 6.798 Rubel pro Monat. Der monatliche Durchschnittslohn lag im Jahr 2010 bei

13.919 Rubel, wobei man in der Textilbranche, in der Metallverarbeitung oder Kunststoffherstellung lediglich rund 4.500 Rubel verdiente. Der Durchschnittslohn im Föderationskreis Nordkaukasus lag 2010 bei nur 12.569 Rubel, russlandweit hingegen bei 20.952 Rubel. (Rüdisser)

Hinsichtlich der Verfügbarkeit und der Kosten von Grundnahrungsmitteln ist auf die Mentalität des tschetschenischen Volkes zu verweisen, diese hat es laut Einschätzung des tschetschenischen Landwirtschaftsministeriums ermöglicht, dass die Menschen selbst während der beiden Kriege genug zu essen hatten. Laut Beurteilung des Landwirtschaftsministeriums gibt es aufgrund der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung der tschetschenischen Bevölkerung auch heutzutage keine Familie in Tschetschenien, die sich nicht die Lebensmittel kaufen kann, welche sie benötigt. (Bericht 2011)

Die Arbeitslosigkeit in der Nord-Kaukasus-Region ist die höchste in Russland. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen beträgt ca. 576.7 Tausend Menschen (bzw. 13% der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung). Die höchste Arbeitslosenquote findet man hierbei in Inguschetien - 47%, Tschetschenien - 33% und Dagestan - 11,6%. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in Russland liegt bei 5,3%. (BAMF-IOM Juni 2013)

Die hohe Arbeitslosenrate wird von der tschetschenischen Regierung als größtes soziales Problem genannt, dessen Lösung vorrangiges Ziel der Regierungsarbeit ist. Angaben über die Arbeitslosenrate in Tschetschenien gibt es verschiedene. Anfang September 2011 gab es nach Auskunft des tschetschenischen Arbeits- und Sozialministeriums rund 200.000 registrierte Arbeitslose, was etwa 29% der erwerbsfähigen Bevölkerung entspricht. Der Vertreter des Föderationskreises Nordkaukasus gab die Arbeitslosenrate per September 2011 mit rund 38% an. 2007 lag die offizielle Arbeitslosenrate noch bei 66%. Der Herausgeber einer tschetschenischen Wochenzeitung schätzt die tatsächliche Arbeitslosenrate auf 85%. Laut IOM erhielt 2008 lediglich die Hälfte der offiziell als arbeitslos gemeldeten Personen Arbeitslosenunterstützung. (Rüdisser, 2012)

Formale Einkommensmöglichkeiten sind beschränkt. Die besten Chancen auf einen Arbeitsplatz bestehen im öffentlichen Sektor und bei der tschetschenischen Regierung. Einen Privatsektor und dementsprechend Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft gibt es so gut wie nicht. Korruption ist auch in der Wirtschaft weit verbreitet. Um einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst zu erhalten, ist vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen. Ferner kann die Clanzugehörigkeit die Chancen am Arbeitsmarkt stark beeinflussen. Laut dem tschetschenischen Landwirtschaftsministerium sind etwa 70% der tschetschenischen Bevölkerung auch in der landwirtschaftlichen Produktion tätig. "Beschäftigung im Privathaushalt", also Produktion in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Jagd oder Fischerei für den Eigenverbrauch oder Verkauf auf dem Markt, ist weit verbreitet. 2008 stand diese Beschäftigungsart auf dem dritten Platz der Beschäftigungsarten in der Republik. Die über Rosstat zu beobachtende Entwicklung lässt nur schwer diesbezügliche Schlüsse zu: Waren es 2008 noch insgesamt 104.000 Personen, die "im Haushalt" beschäftigt waren (32.000 davon produzierten für den Vertrieb, 72.000 ausschließlich für den Eigenverbrauch), so waren es im Jahr 2009 nur noch 24.000 Personen (8.000 für den Vertrieb). Zudem weist bereits eine Studie von IOM aus dem Jahr 2009 darauf hin, dass in Tschetschenien im Vergleich zu anderen Föderationssubjekten Russlands ein übermäßig hoher Anteil der Bevölkerung im semi-formalen und informellen Sektor tätig ist. Gemäß Rosstat waren in der Tschetschenischen Republik 2009 44,7% der gesamten beschäftigten Bevölkerung im informellen Sektor tätig - wesentlich mehr, als in der Russischen Föderation gesamt (19,5%). Im dritten Quartal 2011 sollen es nur mehr 31,3% gewesen sein, was nach wie vor über dem Landesdurchschnitt von 20,2% liegt. Fast alle dieser im informellen Sektor arbeitenden Tschetschenen sind ausschließlich in diesem tätig. (Rüdisser, 2012)

Die wichtigsten Wirtschaftszweige der Republik Tschetschenien sind:

Erdöl- und Erdgasförderung, die petrochemische Industrie, Landwirtschaft, Maschinenbau, Leichtindustrie und Forstwirtschaft. (BAMF-IOM Juni 2013) Nach Angaben des tschetschenischen Landwirtschaftsministeriums kann mittlerweile wieder ein Großteil des Eigenbedarfs selbst produziert werden. Dem Problem der Antipersonenminen tritt man entgegen, indem jährlich Landminen entschärft werden. Dennoch sind noch rund 250 km², also etwa 2,5% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Tschetscheniens aufgrund der Verminung nicht nutzbar. Neue Landminen kamen in den letzten Jahren aber nicht hinzu. (Rüdisser)

Mit der Schaffung des "Nord-Kaukasus Distrikts", der Annahme eines umfangreichen Programmes für die sozioökonomische Entwicklung und der Betrauung von Wirtschaftsfachleuten mit hohen politischen Funktionen in der Region verfolgt Moskau seit Anfang 2010 einen neuen, umfassenderen Ansatz zur Stabilisierung der nordkaukasischen Republiken. Anstatt den Fokus auf Sicherheitsaspekte im engeren Sinn zu legen und die nordkaukasischen Republiken durch Transferzahlungen in finanzieller Abhängigkeit zu halten, gehen die geplanten Maßnahmen in Richtung einer strukturellen und nachhaltigeren Konsolidierung. Der damalige Premierminister Putin hat am 6. September 2010 eine Strategie zur Entwicklung des Nordkaukasus bis 2025 signiert. Die Strategie kombiniert föderale Programme und private Geschäftsprojekte und soll bis zu 400.000 Arbeitsplätze schaffen. Im Wirtschaftsbereich sollen vor allem die Bau-, die Energie-, die Agrar- und die Tourismusbranche gefördert werden. Insgesamt wurden Projekte mit dem Gesamtwert von 600 Mrd. Rubel (ca. 15 Mrd. Euro) gebilligt. Als Teil dieses Programmes wurden im Rahmen einer Sitzung der Kommission für sozio-ökonomische Entwicklung im Nordkaukasus Anfang Mai 2011 von der russ. Regierung 30 vorrangige Investitionsprojekte für die Region ausgewählt. Für diese sollen 145 Mrd. Rubel (3,5 Mrd. Euro) zur Verfügung gestellt werden (ÖB Moskau September 2013). An der Umsetzung des Projekts "Nordkaukasus 2025" wird zum Teil auch bereits gearbeitet. Erklärtes Ziel ist es, für die Menschen im Nordkaukasus Arbeitsplätze und Perspektiven zu schaffen und damit Extremismus und Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Bisher zeigen die Pläne und Maßnahmen jedoch kaum die offiziell gewünschte Wirkung. (AA 10.6.2013)

In der Republik Tschetschenien werden zudem zwei Bundesprogramme realisiert: Das Programm "Der Süden Russlands" und das Programm "Sozialer und wirtschaftlicher Wiederaufbau der Republik Tschetschenien". Diese beinhalten vor allem den Wiederaufbau der Infrastruktur, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Wiederaufnahme der Landwirtschaft. Im Rahmen dieser Programme werden Kompensationszahlungen für zerstörte Wohnungen und Häuser geleistet und Schulen aufgebaut. Der Wiederaufbau von Städten und (Berg-)Dörfern schreitet weiter voran. Ähnliche Aufbaumaßnahmen wurden im Nozhay-Yurtovskiy Bezirk 2009 durchgeführt. Selbst Dörfer, die vor dem Krieg nicht an das Gasnetz angeschlossen waren, werden jetzt mit Energie versorgt. Der Wiederaufbau wird mit staatlichen Geldern und über Kredite finanziert. (BAMF-IOM Juni 2013) Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen dank föderaler Gelder fast vollständig wieder aufgebaut. (AA 10.6.2013)

Finanziell bleibt die Republik Tschetschenien nach wie vor von Förderungen aus Moskau abhängig. Schätzungen zufolge stammen auch heute noch bis zu 90% des tschetschenischen Budgets aus föderalen Geldern, was von Ramsan Kadyrow jedoch bestritten wird. (Rüdisser)

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich dank großer Zuschüsse aus dem russischen Föderalen Budget nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen seit 2007 deutlich verbessert - ausgehend von sehr niedrigem Niveau. Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Die Staatsausgaben in Tschetschenien sind pro Einwohner doppelt so hoch wie im Durchschnitt des südlichen Föderalen Bezirks. Gleichwohl bleibt Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut der Bevölkerung das größte soziale Problem. (AA 10.6.2013)

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung in Russland ist auf einfachem Niveau, aber grundsätzlich ausreichend. Zumindest in den Großstädten, wie Moskau und St. Petersburg, sind auch das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen vorhanden. Nach Einschätzung westlicher NROs ist das Hauptproblem weniger die fehlende technische oder finanzielle Ausstattung, sondern ein gravierender Ärztemangel. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf klinische Behandlung ausgerichtet ist und gleichzeitig Allgemeinmediziner fehlen. Außerdem ist das Gesundheitssystem strukturell unterfinanziert. Russische Bürger haben ein Recht auf kostenfreie medizinische Grundversorgung, doch in der Praxis werden nahezu alle Gesundheitsdienstleistungen erst nach verdeckter privater Zuzahlung geleistet. Nach Angaben des Zentrums für soziale Politik der Russischen Wissenschaftsakademie erhält rund die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung keine medizinische Versorgung, da diese Menschen keine Zeit für Warteschlangen in den formell kostenlosen medizinischen Einrichtungen haben. (AA 10.6.2013)

Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird. Die Versicherungsgesellschaften werden für jede Region von staatlicher Seite ausgewählt. Die kostenlose Versorgung soll folgende Bereiche abdecken: - Notfallhilfe - ambulante Versorgung und Vorsorgemedikamente, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zuhause und in Polikliniken - Behandlung im Krankenhaus (BAMF-IOM Juni 2013; ÖB Moskau September 2013)

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherungskarte mit einer individuellen Nummer. Diese wird auf der Basis eines Abkommens zwischen einer Einzelperson und dem Versicherungssystem ausgestellt. Nach der Registrierung im Versicherungssystem erhalten die Bürger die entsprechende Übereinkunft sowie eine Plastikkarte, wodurch ihnen der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Karte (oder alternativ das Abkommen mit der Versicherung) vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die ambulante Behandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden. Ehemalige Arbeitnehmer sollten ihre Versicherungskarte nach der Entlassung dem Unternehmen aushändigen. Der Arbeitgeber wird die Karte der Versicherungsgesellschaft aushändigen. Arbeitslose, Kinder und Rentner erhalten ihre OMS-Karte von der Versicherungsgesellschaft in Abhängigkeit von ihrem Wohnort. Es sollten Dokumente zur Bestätigung der Meldung in einem bestimmten Gebiet vorgelegt werden: ein Pass, ein temporärer Ausweis, ein Versicherungszertifikat oder das Formular Nr. 9, für den Fall, dass kein Pass vorhanden ist. (BAMF-IOM Juni 2013; ÖB Moskau September 2013)

Die Notfallversorgung über die "Schnelle Hilfe" (Telefonnummer 03) ist gewährleistet. Die sogenannten Notfall-Krankenhäuser bieten einen medizinischen Grundstandard. (AA 10.6.2013)

Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass die Zuordnung zu einer medizinischen Anstalt anhand des Wohn-, Arbeits-, oder Ausbildungsorts erfolgt. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. Selbstbehalte sind nicht vorgesehen. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird. (ÖB Moskau September 2013)

Die Versorgung mit Medikamenten ist zumindest in den Großstädten gut, aber nicht kostenfrei. Neben russischen Produkten sind gegen entsprechende Bezahlung auch viele importierte Medikamente erhältlich. (AA 10.6.2013) Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt:

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In ambulanten Kliniken, städtischen und Gebietskrankenhäusern sowie im Falle einer Behandlung zu hause, auf Kosten des Patienten; ausgenommen sind Personen, die einer der Kategorien angehören, die einen Anspruch auf staatliche Unterstützung haben. - In 24-Stunden-Krankenhäusern und Tageskliniken werden die Ausgaben von der staatlichen Krankenversicherung (OMS) und den lokalen Budgets gedeckt. Dies bedeutet, dass Medikamente kostenlos an entsprechend pflichtversicherte Patienten herausgegeben werden. - Im Rahmen einer Notfallversorgung sind die benötigten Medikamente kostenlos; nicht nur innerhalb einer Klinik, sondern auch außerhalb. Diese Kosten werden für alle Staatsbürger vom Staatsbudget gedeckt. Dies schließt auch Personen ein, die nicht im OMS-System registriert sind. (BAMF-IOM Juni 2013)

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit und soziale Entwicklung erstellt. Sie umfasst:

Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (6 Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter 3Jahren, Kinder unter 6 Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. (BAMF-IOM Juni 2013)

Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt. Die Preise für Aspirin-Tabletten in Moskauer Apotheken liegen beispielsweise zwischen 40 (ca. 1,28 USD) und 180 RUB (ca. 5,80 USD). Um Arzneimittel erhalten zu können, sollte die betreffende Person über einen Personalausweis und eine Krankenpflichtversicherung (OMS) oder eine freiwillige Krankenversicherung (DMS) verfügen. (BAMF-IOM Juni 2013)

Es werden in der Russischen Föderation folgende Formen kostenloser psychiatrischer Hilfe staatlicherseits gewährleistet: psychiatrische Behandlung, dringende psychiatrische Hilfe, konsultative Diagnostik, psychoprophylaktische Hilfe, stationäre wie außerstationäre Rehabilitationshilfe, alle Arten psychiatrischer Gutachten, Feststellung einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, Unterstützung der Menschen mit psychischen Abweichungen im Alltag und bei der Arbeitsbeschaffung, Klärung der mit einer Vormundschaft verbundenen Fragen, Rechtsberatung und andere Arten juristischer Hilfe in psychiatrischen und psychoneurologischen Einrichtungen, soziale Unterstützung körperlich behinderter und älterer psychisch Kranker im Alltag und ihre Pflege, Berufsbildung für körperlich behinderte und minderjährige psychisch Kranker und psychiatrische Hilfe und Betreuung im Notfall. (BAMF-IOM Juni 2013)

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung in der Republik Tschetschenien liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt jedoch auch laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben. (AA 10.6.2013)

Angaben liegen nur für die tschetschenische Hauptstadt vor: Im Rahmen der Durchführung des vorrangigen nationalen Projekts "Gesundheitswesen" finden in fast allen medizinischen Einrichtungen der im Krieg zerstörten Stadt Grosny Wiederaufbauarbeiten statt. (BAMF-IOM Juni 2013) Nach den massiven Zerstörungen - bis zu 70% der medizinischen Infrastruktur - ist der physische Wiederaufbau auch im Gesundheitswesen mittlerweile weit fortgeschritten. Insgesamt gab es 2011 in Tschetschenien 368 medizinische Einrichtungen, wie (Bezirks- und Republiks-)Krankenhäuser und Polykliniken. Polykliniken sind Ambulanzen, in denen (Vorsorge-)Untersuchungen und ambulante Behandlungen durchgeführt werden. In jeder Bezirkshauptstadt - der größte tschetschenische Bezirk hat rund 3.000 km2 - gibt es mindestens ein allgemeines Krankenhaus mit Betten. Spezialisierte Einrichtungen, wie etwa Krankenhäuser für psychisch Kranke, eine Republiksfürsorgestelle für Haut- und Geschlechtskrankheiten, ein Klinisches Republikskrankenhaus für Kriegsveteran/innen oder eine Republiksfürsorgestelle für den Kampf gegen Tuberkulose, finden sich in der Hauptstadt Grosny. Auch bezüglich weiterer von Rosstat veröffentlichter Kennzahlen zeichnen sich Besserungen im Gesundheitswesen ab: So stieg die Anzahl der Ärzt/innen von 17,7 pro 10.000 Einwohner/innen im Jahr 2004 auf 28,6 im Jahr 2010. Im föderationsweiten Vergleich zeigt sich jedoch dennoch weiterer Aufholbedarf, stehen doch in Russland durchschnittlich 50,1 Ärzt/innen pro 10.000 Einwohner/innen zur Verfügung. Ähnliches gilt für die Anzahl an Krankenhausbetten. Hier wird jedoch ersichtlich, dass Tschetschenien zwar unter dem Landesdurchschnitt, aber über dem Durchschnitt des Föderationskreises Nordkaukasus (FKNK) liegt:

Während es landesweit 93,7 Betten sind, so stehen im FKNK durchschnittlich 77,7, in der Tschetschenischen Republik aber 82,5 Betten pro 10.000 Einwohner/innen zur Verfügung. Medizinische Grundversorgung ist flächendeckend verfügbar. Grundsätzlich sind - bis auf Herz- und einige wenige weitere komplizierte Operationen - alle medizinischen Behandlungen in der Republik Tschetschenien möglich. Für nicht vor Ort verfügbare Behandlungen steht die Möglichkeit offen, in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen. Medizinische Behandlungen sind über die Pflichtversicherung zudem de jure kostenlos. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass einerseits die Qualität der medizinischen Versorgung unter dem Mangel an Fachkräften und Ausstattung leiden kann, sowie andererseits aufgrund der allseits verbreiteten Korruption auch davon ausgegangen werden muss, dass de facto für medizinische Behandlungen von Patient/innen "private Zuzahlungen" geleistet werden müssen. (Rüdisser, 2012)

Wohnsituation

Die Wohnsituation in der Russischen Föderation ist im Allgemeinen als schwierig zu bezeichnen. Die durchschnittliche Wohnfläche in einem Haus oder einer Wohnung liegt bei 19-20 m² pro Person (2-3 mal weniger als in entwickelten europäischen Ländern). Diese Art der Unterkunft steht Statistiken zufolge jedoch weniger als 50% der Bevölkerung zur Verfügung. 4,2 Millionen Familien warten gegenwärtig auf eine staatliche Unterbringung in neuen bzw. instand gesetzten Unterkünften. Es wird darauf hingewiesen, dass die Wartezeiten bis zum Erhalt einer Unterkunft im Rahmen eines Sozialprogrammes bei 15-20 Jahren liegen können. Anspruchsberechtigt sind Personen mit bestimmten Erkrankungen, Personen, die auf weniger als 10m² leben, Familien mit 4 und mehr Kindern etc. Im Rahmen des Sozialwohnungswesens gibt es folgende Angebote: - Es gibt ein System der sogenannten "Sozialrente", d.h. Personen, die auf die Verbesserung ihrer Wohnsituation warten - zumeist Personen mit niedrigem Einkommen - erhalten eine staatliche oder städtische Unterkunft. Der Wohnstandard in diesen Fällen beträgt 12m² pro Person. Nach einer entsprechenden Entscheidung durch die zuständige Behörde wird die Unterkunft kostenlos gewährt. - Es gibt Programme, die junge Familien mit Kindern unterstützen, in denen die Eltern jünger als 35 sind. Das bedeutet, dass die Familien eine spezielle Subvention erhalten oder der Staat Teile der Wohnkosten übernimmt bzw. ein Kredit zu Vorzugsbedingungen gewährt wird.

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Kinder aus Waisenhäusern haben mit 18 Jahren ein Anrecht auf eine Sozialwohnung vom Staat. - Flüchtlinge und Vertriebene können temporär auf speziellen staatseigenen Grundstücken kostenlos untergebracht werden, sofern ihr Flüchtlingsstatus staatlich anerkannt worden ist.

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Es gibt ein System von staatlichen Institutionen für ältere Menschen, behinderte Erwachsene und Kinder. Sie können dort kostenlos untergebracht werden und erhalten Zugang zur medizinischen Versorgung. - Es gibt staatliche Krisenzentren und Unterkünfte für Erwachsene und Kinder, die vom Ministerium für Gesundheit und soziale Entwicklung geführt werden, sowie ein Netzwerk von sozialen Einrichtungen, die auf die Unterstützung von Kindern und Familien ausgerichtet sind. - Viele nicht-staatliche Unterkünfte werden von NGOs geführt. Staatliche Unterstützung für diese Einrichtungen ist ungewöhnlich und die meisten dieser Unterkünfte werden von internationalen und ausländischen Organisationen finanziert. Aufgrund mangelnder Finanzierung ist die Verfügbarkeit begrenzt und es ist nicht möglich, alle hilfsbedürftigen zu versorgen. (BAMF-IOM Juni 2013)

Wohnraum bleibt ein großes Problem in Tschetschenien. Nach Schätzungen der VN wurden in den Tschetschenienkriegen seit Anfang der neunziger Jahre über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist noch nicht abgeschlossen. Problematisch ist auch in diesem Zusammenhang die Korruption (man geht davon aus, dass 30-50% gewährter Kompensationssummen gleich wieder als Schmiergelder gezahlt werden müssen). (AA 10.6.2013)

Wiedereinreise nach Tschetschenien

Bei der Einreise nach Russland werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen (AA 10.6.2013; vgl. auch SFH 22.4.2013). Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten. Noch nicht endgültig gelöst ist die Ausstellung von Reisepässen für die Bewohner Tschetscheniens, weil den dortigen Behörden keine Vordrucke anvertraut wurden. (AA 10.6.2013)

Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Geldstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets. (AA 10.6.2013) Es ist möglich, dass eine Person, die im Reisepass keinen Ausreistempel aus Russland vorweisen kann, von den Behörden genauer überprüft wird. Haben Personen durch ihre Ausreise gegen russische Gesetze verstoßen, wie zum Beispiel im Fall eines Wehrdienstentzuges, droht ihnen bei der Rückkehr nach Russland unter Umständen ein Strafverfahren. (SFH 22.4.2013) Asylantragstellung im Ausland ist in der Russischen Föderation kein Straftatbestand. (ÖB Moskau September 2013)

Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben. (AA 10.6.2013)

Von einer NGO in Tschetschenien, die freiwillige Rückkehrer betreut, wurde mitgeteilt, dass freiwillige Rückkehrer bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert seien. Es sei weder ein besonders Prozedere für Rückkehrer noch Befragungen vorgesehen. Rückkehrer müssten auch bei der Neuausstellung von Dokumenten keine besonderen Fragen beantworten, viele seien ohnehin noch im Besitz ihres russischen Inlandspasses. Sogar wenn ein Heimreisezertifikat vorgelegt werde, würde dies nicht zu Problemen führen, da den Behörden die Situation in diesem Fall ohnehin klar wäre. Nichtsdestotrotz wurde mitgeteilt, dass es Einzelfälle gab, wo freiwillige Rückkehrer mit Heimreisezertifikaten bei Ankunft am Flughafen Moskau für einige Stunden angehalten wurden. Es sei ein Fall bekannt, wo ein freiwilliger Rückkehrer angeblich als ehemaliger Widerstandskämpfer "mitgenommen worden sei". (ÖB Moskau September 2013)

Die Abschiebung von russischen Staatsangehörigen aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Abschiebung geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rückübernahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Personen von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Gemäß Rückübernahmeabkommen muss die Rückstellung 10 Tage vor Ankunft in der Russischen Föderation den russischen Behörden mitgeteilt werden. Wenn die rückzuübernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rückübernahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation wird den Abgeschobenen von einem Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdiensts der Russischen Föderation ein Fragebogen ausgehändigt. Das Ausfüllen dieses Fragebogens beruht auf Freiwilligkeit. Darin werden u.a. Fragen zum beabsichtigten Wohnsitz in Russland gestellt, zum Grund des Verlusts des Reisedokuments und ob man in dem Land, aus dem man abgeschoben wurden, ordentlich behandelt wurde. Dieser Fragebogen dient laut Auskunft der russischen Seite dazu, die lokalen Stellen des Föderalen Migrationsdienstes am Ort des beabsichtigten Wohnsitzes zu informieren, dass eine Überprüfung der Identität und der Staatsangehörigkeit bereits im Zuge der Rückübernahme stattgefunden hat und somit nicht nochmals erforderlich ist. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Abschiebung informiert wird und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. (ÖB Moskau September 2013)

Informationen zur weiteren Situation von Abgeschobenen nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation liegen der Botschaft nicht vor. Im November 2012 wurde ein per Sammelflug aus Österreich abgeschobener Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug abgeschobener, Tschetschene in Grozny inhaftiert. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet: (ÖB Moskau September 2013) Danial M. und eine weitere tschetschenische Person wurden am 28. November 2012 aus Österreich nach Moskau abgeschoben. Danial M. habe die österreichischen Behörden mehrfach darauf hingewiesen, dass er in Russland nicht sicher sei, weil er Aufständischen geholfen habe. Es gelang ihm bei der Ankunft in Moskau zunächst, sich einer Verhaftung zu entziehen. Er wurde später aufgegriffen und ist zurzeit in Tschetschenien in Haft. Danial M. wird vorgeworfen, dass er Verbindungen zu Aufständischen gehabt und an zwei terroristischen Attacken mitgewirkt haben soll. Wenn Danial M. schuldig gesprochen würde, droht ihm lebenslange Haft. Der 37-jährige Riswan W. wurde fünf Monate nach seiner freiwilligen Rückkehr aus Österreich im August 2011 in Grosny von Spezialeinheiten verhaftet. Ihm wird ebenfalls die Teilnahme am bewaffneten Widerstand vorgeworfen. Ihm drohen 15 bis 20 Jahre Haft. (SFH 22.4.2013; vgl. Die Presse, 30.6.2012)

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Ebenso liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor, ob Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. (AA 10.6.2013)

Personen aus Tschetschenien, welche aus dem Ausland zurückkehren, werden oft verdächtigt, mit aufständischen Gruppen in Verbindung zu stehen. Rückkehrende werden in der Regel von Vertretern des Inlandgeheimdiensts FSB und des Innenministeriums verhört. Häufig würden sie bedroht, erpresst oder Strafverfahren gegen sie konstruiert. Tschetschenische Rückkehrende sollen bei den Befragungen geschlagen und gefoltert worden sein. Nach Angaben von Beobachtern soll es Fälle von Entführungen und Tötungen von tschetschenischen Rückkehrenden gegeben haben. Rückkehrende würden bedroht und zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst gezwungen. Der Auskunft eines Experten gemäß kann die Flucht einer Person aus Tschetschenien ins Ausland unter den geschilderten Umständen das Risiko einer Verfolgung bei einer Rückkehr erhöhen. Nach Ansicht eines Menschenrechtsaktivisten in Grosny würden Personen, die früher einmal verdächtigt wurden, bei einer Rückkehr wieder in das Visier der Behörden geraten. (SFH 22.4.2013)

Humanitäre Lage der Rückkehrer nach Tschetschenien

Schwierig bleibt die humanitäre Lage der tschetschenischen Flüchtlinge/Binnenvertriebenen innerhalb und außerhalb Tschetscheniens, wiewohl ihre Zahl rückläufig ist. Laut Dänischem Flüchtlingsrat (DRC) leben allein in Tschetschenien und Inguschetien derzeit noch bis zu 5.000 Flüchtlinge in akuter Not. Die Binnenvertriebenen leben in Übergangsunterkünften, aber auch in Privatwohnungen oder bei Verwandten. Auf Drängen der russischen Seite hat UNHCR seine Mission zur Unterstützung von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen im Nordkaukasus 2011 beendet, sieht jedoch weiterhin erheblichen Handlungsbedarf auch in Tschetschenien. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben). (AA 10.6.2013)

Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit, die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung sei für viele unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit sei um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten würden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, würden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal würden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien könne nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt. (ÖB Moskau September 2013)

Zur Wohnungssituation wurde mitgeteilt, dass Rückkehrer in der Regel bei Verwandten unterkommen. (ÖB Moskau September 2013)

Im Juni 2006 wurde in der Russischen Föderation ein Programm zur Unterstützung im Ausland lebender Landsleute bei der freiwilligen Umsiedlung nach Russland verabschiedet. Teilnehmer des Programms "Sootetschestwinniki" (russisch für "Landsleute") und etwaige Familienmitglieder haben der Kategorie des Einzugsterritoriums entsprechend das Recht auf eine Erstattung der Umzugskosten sowie auf Fördergelder und auf den Erhalt des sogenannten Kompensationspakets. Die Teilnahme an diesem staatlichen Programm ermöglicht es Landsleuten mit ausländischer Staatsbürgerschaft, eine Aufenthaltsgenehmigung, unbefristete Aufenthaltserlaubnis bzw. die russische Staatsbürgerschaft in beschleunigtem Verfahren zu bekommen. Zur Teilnahme an diesem Programm ist ein Teilnehmerzeugnis, das in den Vertretungen des Bundesdienstes für Arbeit und Beschäftigung zu erhalten ist, erforderlich. Die Möglichkeit der Teilnahme an diesem Programm wurde im September 2012 verlängert und ist zunächst unbefristet. (BAMF-IOM Juni 2013)

Die Lage von zurückkehrenden Frauen ist sehr schwierig. Besonders schwierig ist es für Frauen, die als Kinder oder Jugendliche in den Westen gekommen sind, da sie eine ganz andere Mentalität haben. Wenn eine Frau keinen Mann an ihrer Seite hat, kann sie in Tschetschenien praktisch nicht überleben. Sie braucht in dieser patriarchalen Gesellschaft einen Mann an ihrer Seite, einen Bruder, einen Ehemann, einen Vater oder einen Cousin, der für sie die Verantwortung übernimmt und sie schützt. Personen, die aus anderen Regionen der Russischen Föderation, beispielsweise Inguschetien, nach Tschetschenien zurückgekehrt sind, also nicht wirklich aus dem Ausland, wurden in sogenannten ‚Punkten der vorübergehenden Unterbringung' einquartiert. Frauen, die einige Zeit im Ausland waren, zurückkehren und nicht mehr die Möglichkeit haben, in einem solchen ‚Punkt der vorübergehenden Unterbringung' zu wohnen, werden keinen Schutz erhalten. Wenn diese Frauen aber keinen ständigen Wohnsitz haben, können sie sich auch nicht polizeilich registrieren. Alle staatlichen Unterstützungsleistungen sind jedoch nach wie vor an die Registrierung geknüpft. (ACCORD 4.4.2014)

Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können in einem Kinderheim untergebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen. Wie der damalige Präsident Medwedew im Herbst 2010 selbst einräumte, sind die Zustände in solchen Heimen nicht selten schlecht. (AA 10.6.2013)

Relokationsmöglichkeit in der Russischen Föderation

IOM bestätigte, dass die Grenze zwischen Tschetschenien und dem restliche Russland völlig offen ist, weil Tschetschenien ein integraler Bestanteil der Russischen Föderation ist. Es gibt fallweise Kontrollen, aber keine langen Autoschlangen oder lange Schlangen wartender Menschen. Autos können von den Sicherheitskräften bei solchen gelegentlichen Kontrollen kontrolliert werden. (DIS Oktober 2011, Seite 16)

Die Reise bzw. der Aufenthalt von Personen aus den Krisengebieten im Nordkaukasus in anderen Teilen der Russischen Föderation ist grundsätzlich möglich, wird aber durch Transportprobleme, durch fehlende Aufnahmekapazitäten und durch antikaukasische Stimmung erschwert. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. In großen Städten wird der Zuzug von Personen reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Dies beschränkt die Möglichkeit zurückgeführter Tschetschenen, sich legal dort niederzulassen. (AA 10.6.2013)

Alle erwachsenen russischen Staatsbürger müssen bei Inlandsreisen behördlich ausgestellte "Inlandspässe" mit sich führen und müssen sich nach ihrer Ankunft bei den lokalen Behörden registrieren. Personen ohne Inlandspass oder ohne ordentliche Registrierung wurden von Behörden oft staatliche Dienste verwehrt. (vgl. auch ACCORD 4.4.2014) Viele regionale Regierungen schränken das Recht durch Regelungen für die Registrierung des Wohnsitzes, die an Sowjetzeiten erinnern, ein. (USDOS 27.2.2014, vgl. auch AA 10.6.2013)

Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses (ein von russischen Auslandsvertretungen in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht nicht aus) und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen.

Die dauerhafte Registrierung wird laut FMS in den Inlandsreisepass gestempelt, eine vorübergehende Registrierung ist auf einem einzulegenden Blatt Papier vermerkt. Bis zu 90 Tage kann man sich ohne jegliche Registrierung an einem Ort aufhalten. Die Registrierung kann in der räumlich zuständigen Zweigstelle des FMS in Russland vorgenommen werden. Besitzt eine Person nicht die für die Registrierung notwendigen Dokumente, so kann der FMS die Identität der Person über Datenbanken verifizieren, und die notwendigen Dokumente ausgestellt werden. (DIS Oktober 2011, Seite 16). Die vorübergehende Registrierung wurde erleichtert, indem sie nunmehr postalisch erledigt werden kann. Persönliches Erscheinen ist nun nicht mehr notwendig. (DIS Oktober 2011, Seite 17) Gemäß IOM besteht betreffend Zugang zur medizinischen Versorgung, Bildung oder sozialen Rechten, kein Unterschied zwischen dauerhafter und vorübergehender Registrierung. (DIS Oktober 2011, Seite 22).

Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es sind Fälle von Tschetschenen in Moskau bekannt, die sich gegenüber ihren Vermietern als Tataren ausgaben, weil sie sich so weniger Schwierigkeiten bei ihrer Registrierung erhofften. (AA 10.6.2013) Zudem verheimlichen Tschetschenen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. (DIS August 2012, Seite 31; vgl. auch ACCORD 4.4.2014) Der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Tschetschenen landesweit, insbesondere in den Großstädten häufig die Registrierung verweigert wird. (AA 10.6.2013) Gemäß einem Anwalt der Memorial Migration & Rights Programme and Civic Assistance Committee (CAC) haben Tschetschenen bei einer Registrierung in St. Petersburg nicht mehr Probleme als andere russische Bürger. Gemäß einem Vertreter der Chechen Social and Cultural Association ist die Registrierung des Wohnsitzes kein Problem für Tschetschenen. (DIS Oktober 2011, Seite 18) Laut SOVA leben viele Tschetschenen in der Region Stavropol, es gibt viele tschetschenische Studenten an der Universität der Stadt Stavropol. Dies führte bereits zu kleineren Spannungen im Süden der Region. (DIS Oktober 2011, Seite 15) Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen können Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss. (DIS August 2012, Seite 44) Mehrere Quellen gaben an, dass im Zuge der Registrierung vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen ist. Es kann vorkommen, dass Personen aus dem Nordkaukasus eine höhere Summe zu zahlen angehalten werden. (DIS August 2012)

Memorial geht davon aus, dass der FMS die Polizei über die Registrierung eines Tschetschenen informieren muss. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. (DIS August 2012) Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. (DIS August 2012, Seite 31)

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden haben grundsätzlich die Möglichkeit, auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation Personen in Gewahrsam zu nehmen und in ihre Heimatregion zu verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. (AA 10.6.2013)

Was die Sicherheit von Tschetschenen in anderen Teilen der Russischen Föderation betrifft, so kann eine Beurteilung der Gefährdung nur im Einzelfall erfolgen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Tschetschenen, die in Tschetschenien keine Probleme hatten und etwa nur zur Arbeitssuche in einen anderen Teil der Russischen Föderation kommen (diese haben möglicherweise mit Diskriminierung und Anfeindungen aufgrund der weit verbreiteten Fremdenfeindlichkeit in Russland zu kämpfen) und Tschetschenen, die in Tschetschenien tatsächlich verfolgt werden (diese sind gegebenenfalls auch in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht sicher). (ÖB Moskau September 2013) Swetlana Gannuschkina und Oleg Orlov (Memorial) gehen davon aus, dass Tschetschenen in andere Regionen Russlands ziehen können, und einige tun dies auch. Ist eine Person nicht offenkundig kritisch gegenüber Kadyrow, so kann diese überall in der Russischen Föderation leben, ohne Angst haben zu müssen getötet oder in die Republik Tschetschenien zurückgeschickt zu werden. (DIS Oktober 2011, Seite 35)

Eine Person, die dem Risiko der Verfolgung durch Staatsbeamte oder Personen, die im Einverständnis mit diesen handeln, ausgesetzt ist, kann sich nicht auf einen wirklich effektiven und dauerhaften Schutz in anderen Teilen der Russischen Föderation als ihrer Herkunftsregion verlassen. Das jeweilige Risiko besteht in der gesamten Russischen Föderation, in Einzelfällen sogar darüber hinaus. Amnesty International liegen Fälle vor, in denen Personen aus dem Nordkaukasus, die in andere Teile der Russischen Föderation übersiedelten (in einem Fall sogar bis nach Yakutia in Ostsibirien), zurück in den Nordkaukasus gebracht und dort wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in bewaffneten Gruppierungen inhaftiert, gefoltert und misshandelt wurden. Amnesty International sind auch umgekehrt Fälle bekannt, in denen Personen im Nordkaukasus gewaltsam verschwanden. Erst später stellte sich heraus, dass diese in Moskau als mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen inhaftiert worden waren, die Familien nicht über den Aufenthaltsort informiert worden waren und die Gefangenen unterdessen Verhören ohne Zugang zu einem Anwalt ausgesetzt waren. (ACCORD 4.4.2014) Wird eine Person tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden. Laut einem Anwalt von Memorial könnten Personen in Verbindung mit Oppositionsführern mit hohem Bekanntheitsgrad, aktive Rebellenkämpfer oder bekannte und tatverdächtige Terroristen der Bedrohung einer Entführung oder Tötung durch tschetschenische Behörden ausgesetzt sein. Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden (DIS Oktober 2011, Seite 35).

‚Racial profiling' ist ein Problem bei der Arbeit russischer Polizeibehörden: Die Polizei nimmt also verstärkt Menschen - oftmals allein aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes - gezielt ins Visier. Die Personalpapiere der betroffenen Personen werden unverhältnismäßig häufiger auf eine ordnungsgemäße Anmeldung hin überprüft. Dabei kommt es nicht selten zu tätlichen Übergriffen oder anderen Einschüchterungsversuchen durch die Polizei. Die betroffenen Personen werden genötigt, Bestechungsgelder zu zahlen, um weiteren Schikanen zu entgehen. Darüber gibt es Informationen über Wohnungsdurchsuchungen bei Tschetschenen. Im Zuge der genannten Kontrollen und der Durchsuchungsaktionen laufen die Betroffenen Gefahr, willkürlich inhaftiert zu werden. Oft werden sie von der Polizei automatisch als potentielle Straftatverdächtige betrachtet. (ACCORD 4.4.2014) Personen mit dunklerer Hautfarbe aus dem Kaukasus oder afrikanischer oder asiatischer Herkunft wurden oft zur Überprüfung ihrer Dokumente herausgegriffen. Es gab glaubhafte Berichte, dass die Polizei nicht registrierte Personen willkürlich und über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus strafte oder Bestechungsgelder verlangte (USDOS 27.2.2014, vgl. auch AA 10.6.2013). Mehrere Quellen gaben an, dass Tschetschenen heutzutage weniger oft für Personenkontrollen herausgegriffen werden, als etwa Zentralasiaten. (DIS 8.2012, Seite 18). Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten aber immer noch erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt. (AA 10.6.2013) Laut einem Vertreter des Committee Against Torture ist Diskriminierung von Tschetschenen durch Behörden (etwa Polizisten) nicht auf einen Erlass oder Befehl der Regierung zurückzuführen, sondern auf persönliche Vorurteile und das Misstrauen einzelner. (DIS August 2012, Seite 6).

Zumindest gelegentlich kommt es nach Aussage mehrerer Quellen vor, dass Tschetschenen Drogen oder Waffen untergeschoben werden, um einen Strafrechtsfall zu fabrizieren. Jedoch kommen solche Fälle falscher Anschuldigungen weniger oft vor als vor einigen Jahren und sind nicht systematisch; betroffen von solchen Praktiken sind nicht nur Tschetschenen. (DIS August 2012, Seite 26).

Humanitäre Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation

Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen, es sei denn, es handelt sich um einen Clan-Konflikt. (DIS Oktober 2011, Seite 15).

Die russische Volkszählung 2010 zeigte, dass Tschetschenen in verschiedenen Teilen der Russischen Föderation leben. Zum Beispiel 14524 in Moskau (wobei hier die de facto Anzahl sicher um ein vielfaches höher ist), 1482 in Sankt Petersburg, 3343 in der Republik Kalmykien, 7229 im Gebiet Astrachan, 9649 im Gebiet Wolgograd, 5738 im Gebiet Saratov, 10502 im Gebiet Tjumen, 6889 im autonomen Kreis der Chanten und Mansen, 1309 im Gebiet Woronesch, 1075 im Gebiet Orlov, 1867 im Gebiet Twer, etc. (ÖB Moskau September 2013) Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NRO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000. (DIS August 2012, Seite 31). Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association gab an, dass sein Verein in 60 Regionen in Russland Zweigstellen hat. Jede Zweigstelle erfasst 10.000 bis 20.000 Tschetschenen. Die meisten tschetschenischen Einwohner gibt es in Moskau und St. Petersburg, und in vielen der umgebenden Regionen. Beträchtliche tschetschenische Gemeinschaften gibt es auch in den Städten und Regionen im südlichen Russland, darunter in Volgograd, Saratov, Samara und Astrachan. Von den rund 100.000 Tschetschenen, die 1996 nach Moskau flohen, halten sich heutzutage noch rund 25.000 in der Region Moskau auf. Diese haben dort eine dauerhafte Registrierung. Zusätzlich lebt eine große Gruppe von Tschetschenen in Moskau und der Region Moskau, die nicht registriert ist, oder nur vorübergehend registriert ist. Ein großer Anteil der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen hätte keine Registrierung und arbeitet im Handel, auf Märkten und in Cafes. (DIS Oktober 2011, Seite 13). In St. Petersburg bevorzugen es viele Tschetschenen für 90 Tage unregistriert dort zu leben, und nach 90 Tagen neue Papiere zu suchen, die eine erst kürzliche Ankunft bestätigen, wie etwa ein Zugticket. (DIS Oktober 2011, Seite 18)

Sk-Strategy (Center for strategic studies and development of civil society in the North Caucasus) gab im Juni 2011 an, dass es unter Tschetschenen verbreitet sei, in andere Teile der Russischen Föderation zu ziehen, die Mehrheit tue dies aus wirtschaftlichen Gründen. Jene, die es sich leisten könnten, würden sich in Moskau oder St. Petersburg niederlassen, aber der durchschnittliche Tschetschene könne sich dies aufgrund der dortigen hohen Lebenshaltungskosten nicht leisten. Die meisten durchschnittlichen Tschetschenen ließen sich typischerweise in Städten mit weniger Einwohnern nieder und bevorzugten hier Hafenstädte, wie Murmansk, Arkhangelsk und Städte in der Region Leningrad. In kleineren Städten gibt es weniger Wettbewerb um Arbeitsplätze und tschetschenische Migranten fänden daher leichter Arbeit. Hafenstädte haben öfter eine heterogene Bevölkerung, das heißt eine Migrantengemeinde. Von einem solchen kosmopolitischen Klima können tschetschenische Migranten profitieren. (DIS Oktober 2011, Seite 13).

Die russische Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von Rasse, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik. (AA 10.6.2013; vgl. auch DIS Oktober 2011, Seite 25) In Russland ist man sich der Risiken, die Rassismus in einem traditionell multiethnischen Staat wie Russland darstellt, bewusst. Regelmäßig wird auf hoher und höchster politischer Ebene gegen Rassismus und Intoleranz appelliert. Es fehlt jedoch nach wie vor eine kohärente Politik zur Bekämpfung des grassierenden Rassismus. (vgl. auch AA 10.6.2013)

Immer wieder kommt es zu Fällen, in denen Auseinandersetzungen entlang ethnischer Linien verlaufen. Ethnische Stereotypen im Boulevardjournalismus und in der Alltagskultur verstärken besonders unter den russischen Moslems (12% der Bevölkerung) ein Gefühl der Entfremdung. (ÖB Moskau September 2013) Gemäß der Chechen Social and Cultural Association ist die negative Stimmung nicht nur gegen Tschetschenen, sondern gegen Personen aus dem Kaukasus insgesamt gerichtet. Eine zunehmende Anzahl von jungen Kaukasiern studiert an Universitäten in Moskau, diese würden ihre ethnische Zugehörigkeit und Kultur offen zur Schau stellen; gelegentlich käme es zu (auch physischen) Auseinandersetzungen. (DIS August 2012, Seite 9).

SOVA gab an, dass die Haltung gegenüber Personen aus dem Nordkaukasus negativer wird. Russen haben verschiedene Gründe, warum ihnen Personen aus dem Nordkaukasus unbehaglich seien: Diese werden als anders oder als gewalttätig betrachtet, oder man hat Angst vor terroristischen Aktivitäten. In großen Städten werden sie zudem als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachtet (DIS August 2012, 6). Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet und richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Regelmäßige Medienberichte über Schlägereien und Vandalismus zeigen, dass Ressentiments in Gewalt umschlagen können. Menschen "nichtslawischen Aussehens" werden Ziele fremdenfeindlicher Angriffe durch "Skinheads", obwohl seit einiger Zeit ein Rückgang der Opferzahlen zu verzeichnen ist. Für 2011 verzeichnete die Menschenrechts-NRO "Sowa" 20 Todesopfer (2010: 42) und 148 Verletzte (2010: 401) durch fremdenfeindliche Übergriffe. 2009 waren 84 Todesopfer und 433 Verletzte zu beklagen. (AA 10.6.2013) SOVA zufolge wurden bis Dezember [2013] durch rassistisch motivierte Gewalt 20 Personen getötet und 173 weitere verletzt. Neun Personen erhielten Todesdrohungen. Es wurden in 32 Regionen Vorfälle gemeldet. Die Gewalt konzentrierte sich auf Moskau und St. Petersburg. Die Opfer stammten hauptsächlich Zentralasien und dem Kaukasus. (USDOS 27.2.2014) Einer internationalen Organisation zufolge sind Moskau und St. Petersburg nicht mit anderen Städten Russlands vergleichbar, da dort die Menschen mehr Vorurteile gegenüber Migranten haben. Nicht nur Tschetschenen sind in den großen Städten Diskriminierung ausgesetzt. Die internationale Organisation geht jedoch nicht davon aus, dass im Allgemeinen diese Diskriminierung eine Verfolgung darstellt. (DIS August 2012, Seite 11). Betreffend rassistisch motivierter Gewalt gibt es keine allein Tschetschenen betreffenden Daten, Tschetschenen gehören hier zur Gruppe der Kaukasier. Es gibt keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen. Untererfassung von Hassverbrechen ist gemäß SOVA ein Thema und dürfte im Steigen begriffen sein. Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten. (DIS Oktober 2011, Seite 24).

Ethnische Tschetschenen und Angehörige anderer nordkaukasischer Nationalitäten können in der Russischen Föderation (Kernrussland) von Diskriminierung am Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche sowie vor Gericht betroffen sein. (ÖB Moskau September 2013).

Russische Staatsbürger benötigen keine gesonderte Genehmigung, um eine Arbeit außerhalb der Region ihres Wohnsitzes anzunehmen, da sie landesweit freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Mit dem Erreichen des 14. Lebensjahres und der Ausstellung eines Personalausweises - dem wichtigsten internen Dokument - hat eine Person das Recht darauf, zu arbeiten. Für Personen, die jünger als 18 Jahre sind, gibt es Vorschriften zur verkürzten Arbeitszeit. Personen im Rentenalter können ebenfalls arbeiten. Es existiert darüber hinaus ein System von Leistungen zum Schutz der Arbeitnehmerrechte bestimmter Bürgergruppen, wie z.B. schwangeren Frauen und Müttern mit Kindern, die jünger als drei Jahre sind. In den meisten Fällen muss für eine Anstellung ein Personalausweis vorgelegt werden. Zusätzlich gibt es ein Dokumentations-System über die Arbeitshistorie einer Person im sogenannten "Arbeits-Nachweis-Buch". Dieses Buch wird beim Arbeitgeber hinterlegt, der es im Falle einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses an den Arbeitnehmer aushändigt. Der Anteil der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung entsprach zuletzt 75,2 Millionen Menschen bzw. etwa 53% der Gesamtbevölkerung des Landes. Der vorwiegende Teil der arbeitenden Bevölkerung ist in großen und mittelständischen Unternehmen beschäftigt, die nicht dem Kleinunternehmertum zugerechnet werden. (BAMF-IOM Juni 2013) Mehreren Quellen zufolge finden nur sehr wenige Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst und bei der Polizei (DIS August 2012, Seite 29).

Jeder Arbeitslose (außer Schülern, Studenten und Rentnern) kann einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe stellen. Um die Arbeitslosenhilfe zu erhalten, müssen russische Staatsbürger bei den Beschäftigungszentren des Bundesarbeits- und Beschäftigtendienstes ("Rostrud") an ihrem Wohnort (entsprechend dem Meldestempel im Pass) gemeldet sein. (BAMF-IOM Juni 2013)

Die Arbeitsagentur wird dem Arbeitsuchenden innerhalb von 10 Tagen nach der Übermittlung seiner Dokumente entsprechende Stellen anbieten. Nimmt der Arbeitsuchende keine der angebotenen Stellen an, erhält er den Arbeitslosen-Status und die Arbeitslosenhilfe wird für ihn berechnet. Die Beihilfe wird auf Basis des Durchschnitts-Einkommens berechnet, das die Person während der letzten Beschäftigung bezogen hat; die Beihilfe ist jedoch begrenzt durch ein Minimum und ein Maximum, das durch die Russische Gesetzgebung festgelegt wurde. Seit 2009 liegt die minimale Beihilfe bei RUB 850 (27 USD) im Monat und das Maximum bei RUB 4900 (156 USD). Die Beihilfe wird monatlich gezahlt, vom ersten Tag der offiziellen Anerkennung der Arbeitslosigkeit. (BAMF-IOM Juni 2013)

Seit 2000 haben sich die Realeinkünfte der Bevölkerung im Durchschnitt mehr als verdoppelt, gleichzeitig ging die Armut zurück. Während nach offiziellen Angaben im Jahr 2000 in Russland über 29 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebten, waren es 2011 etwa 14 %. Staatliche Unterstützung reicht häufig jedoch nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Die zwischenzeitlich gestiegene Arbeitslosenquote sank nunmehr wieder auf das Niveau vor der Wirtschaftskrise. (AA 10.6.2013)

Humanitäre Lage von älteren Menschen und Menschen mit Behinderung in der Russischen Föderation

In der Russischen Föderation leben 29,4 Millionen Rentner (21% der Gesamtbevölkerung). Ihre hauptsächliche Unterstützung besteht in einer Altersrente. Alle russischen Staatsbürger, die in Besitz einer Rentenversicherung sind, haben einen staatlich garantierten Anspruch auf den Erhalt einer Rente. Es gibt verschiedene Rentenformen: - die Altersrente - die Ruhestandsrente (für ehemalige Polizei- und Militärbedienstete) - die Sozialrente - die Hinterbliebenenrente - Invalidenrente (BAMF-IOM Juni 2013)

Die derzeitige Rente besteht aus einem Basisanteil von 3610,31 RUB/Monat (ca. 115 USD), sowie einem Versicherungsanteil und einem Akkumulationsanteil. In manchen Regionen, die über ausreichende Finanzmittel verfügen, gibt es zusätzliche Unterstützung, so z.B. in Moskau. Manche Regionen bieten in Form von Dienstleistungen zusätzliche Hilfe an. Im Regelfall entrichten die Arbeitgeber den Beitrag an die Rentenversicherung für den jeweiligen Arbeitnehmer. Die Höhe des o.g. Basisanteils und des Versicherungsanteils wird staatlich festgelegt; der Akkumulationsanteil obliegt der Kontrolle durch den Rentenversicherten. Der Akkumulationsanteil wurde im Jahr 2002 eingeführt und spielt lediglich für Staatsbürger eine Rolle, die 1967 oder später geboren wurden. Das Renteneintrittsalter für Frauen liegt bei 55 Jahren, für Männer bei 60 Jahren.

Eine Altersrente kann gewährt werden, wenn die betreffende Person mindestens 5 Jahre durchgehend versicherungspflichtig gearbeitet hat. (BAMF-IOM Juni 2013) Die problematische Situation der Rentner hat sich in der jüngeren Vergangenheit nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. Die Renten belaufen sich auf durchschnittlich 9.093 Rubel (227Euro) pro Monat (1. Halbjahr 2012). (AA 10.6.2013)

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in die Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Im Jahr 2005 wurden die Personengruppen benannt, die einen Anspruch auf staatliche soziale Unterstützung haben. Es wurde ein so genanntes "soziales Paket" für die medizinische Versorgung, Sanatoriumsaufenthalte und die kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wurde im Zuge dieser Maßnahmen aufgelegt. Besonderer Wert wird auf eine effiziente Zusammenarbeit zwischen sozialen Organisationen, Vertretern der Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen gelegt, die bedürftigen Bevölkerungsgruppen Unterstützung zukommen lassen sollen. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können: - Invaliden und Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges - Invaliden und Veteranen militärischer Operationen - Invaliden mit Behinderung I., II. und III. Grades - Kinder mit Behinderung - Arbeitsveteranen - Arbeiter der Heimatfront (Großer Vaterländischer Krieg) - Beteiligte der Tschernobyl-Unfallfolgenbeseitigung - Opfer politischer Repressionen - Personen, die sich um das Land verdient gemacht haben ("Helden der Sowjetunion und Russland" etc.) (BAMF-IOM Juni 2013)

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich: - ärztlich verschriebene Medikamente - Sanatoriumsaufenthalt - Ausgaben im Nahverkehr (städtischer Schienenverkehr; Fahrten zur Behandlungsstätte) (BAMF-IOM Juni 2013)

Es gibt ein System von speziellen staatlichen Einrichtungen für ältere Menschen und Behinderte (Erwachsene und Kinder), innerhalb dessen sie leben können und kostenlose medizinische Behandlung erhalten. Die staatlichen Sozialzentren und Unterkünfte des Ministeriums für Gesundheit und Soziale Entwicklung gibt es für Erwachsene und für Kinder. Es gibt außerdem ein Netzwerk sozialer Einrichtungen, die gefährdete Familien und Kinder unterstützen. (BAMF-IOM Juni 2013) Zurzeit gibt es in der Russischen Föderation mehr als 240.000 ältere, schwerstkranke und behinderte Menschen in 1400 sozialen Einrichtungen verschiedener Art. Darüber unterstützen Sozialarbeiter einzelne Personen in ihren Haushalten, zumeist in den Städten. (BAMF-IOM Juni 2013)

Die Invalidenrente setzt sich zusammen aus einer Basiskomponente und einer Versicherungskomponente. Die Versicherungskomponente ist abhängig vom jeweiligen Alter und Einkommen bis zum Jahr 2002 (d.h. von der Summe der gezahlten Rentenbeiträge). Die feste Basiskomponente richtet sich nach dem Grad der Behinderung (I, II oder III). Seit dem 1. Januar 2010 liegt der Basisbetrag der Invalidenrente bei: - Gruppe I - RUB 5124 (163 USD) - Gruppe II - RUB 2562 (82 USD) - Gruppe III - RUB 1281 (41 USD) Leistungen für Arbeitslose, die sich um ein behindertes Kind, einen Invaliden I. Grades oder ältere Menschen kümmern, betragen etwa RUB 1200 (ca. 38 USD). Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen. (BAMF-IOM Juni 2013)

Das nationale Projekt "Bildung" schließt auch die Entwicklung eines Fernlehrprogrammes für behinderte Kinder mit ein. (BAMF-IOM Juni 2013)

Humanitäre Lage von Frauen und Müttern in der Russischen Föderation

Schwangerschaftsgeld: Vom 1. Januar 2007 an erhalten schwangere Frauen ein spezielles Schwangerschaftszertifikat (seit 2011: RUB 10.000 (ca. 319) USD), das sie für die Bezahlung der gynäkologischen Betreuung und Behandlung während der Schwangerschaft und der Geburt verwenden können. (BAMF-IOM Juni 2013)

Anlässlich der Geburt eines Kindes bzw. zu dessen Pflege gibt es in der Russischen Föderation ein Geburtengeld. Das Geburtengeld beträgt in Russland/in Tschetschenien 2013 ca. EUR 327,-. (ÖB Moskau, 10.5.2013)

Mutterschafts-Kapital: Die Kosten für den Kin Laut einem am 01. Januar 2007 erlassenen Gesetz erhalten russische Frauen, die mehr als zwei Kinder haben, vom Staat eine Einmalzahlung (in 2013 liegt diese bei RUB 408960 [USD 13065]), die bei einer Bank hinterlegt werden. Das zweite oder weitere Kind muss nach dem 1. Januar 2007 geboren worden sein. Dieses Geld nennt sich "Mutterschafts-Kapital" und wird auf einem speziellen Bankkonto hinterlegt, für das den Frauen ein Zertifikat ausgehändigt wird, das ihren Anspruch auf das Kapital bestätigt. Auf dieses Geld, das grundsätzlich nicht bar ausgezahlt wird, kann erst zugegriffen werden, wenn das Kind 3 Jahre alt ist (d.h. Frauen, die das Kapital im Januar 2007 erhalten, haben erst im Januar 2010 Zugriff darauf). Der hinterlegte Betrag darf nicht in bar ausgezahlt werden, sondern nur zu Investitionszwecken dienen, z.B. der Verbesserung der familiären Wohnverhältnisse, der Ausbildung der Kinder oder der Rente der Mutter. Diese Beihilfe erhält die Frau nur einmalig, auch wenn sie mehrere Kinder hat. Seit dem 01. Januar 2009 kann dieses Mutterschaftsgeld, unabhängig vom Alter des Kindes, auch zur Hypothekentilgung herangezogen werden. (BAMF-IOM Juni 2013)

Kindergeld: Diese finanzielle Unterstützung gibt es in zwei verschiedenen Formen: eine einmalige Zahlung an die Eltern nach der Geburt des Kindes in Höhe von RUR 13.087 (USD 418) und monatliche Zahlungen bis das Kind 1,5 Jahre alt ist. Seit 2012 beträgt das monatliche Kindergeld für berufstätige Frauen während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind mindestens 2326 RUB (ca. USD 74) und 4.651 RUB (ca. USD 148) für weitere Kinder. Für arbeitslose Frauen beträgt das monatliche Kindergeld während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind 2.453 RUB (78 USD) und 4.907 RUB (156 USD) für weitere Kinder. (BAMF-IOM Juni 2013)

Die Kosten für den Kindergartenbesuch dürfen 20% der laufenden Kosten (bei Familien mit einem Kind) nicht überschreiten. Familien mit zwei Kindern erhalten eine 50%ige Rückerstattung, Familien mit drei und mehr Kindern eine Kompensation in Höhe von 70%. Dieses Geld wird au das Konto eines Elternteils überweisen. Familien, in denen ein Kind eine Verhaltensstörung aufweist, zahlen keine Gebühren für den Besuch eines staatlichen Kindergartens. Die monatliche Kindergartengebühr liegt bei 1.500 RUB (USD 48), die Höhe schwankt je nach Wohnort. (BAMF-IOM Juni 2013)

In verschiedenen Regionen Russlands gibt es weitere ergänzende finanzielle Hilfsprogramme für alleinstehende Mütter. So sieht z.B. das Moskauer Programm abgesehen von den oben erwähnten Hilfen zusätzliche städtische Zahlungen vor, die auf die individuelle Sozialkarte überwiesen werden (monatliche Kompensation der Lebensmittelausgaben in Höhe von RUB 3.200 (USD 102) für Kinder bis 3 Jahre und RUB 1.600 (51 USD) für Kinder bis 16 Jahre. Alleinstehende Mütter erhalten außerdem Preisnachlässe für viele Waren, Konsumgüter und pharmazeutische Erzeugnisse, sowie materielle Hilfe in Naturalien. Zusammen mit der Sozialkarte bekommt man eine Auflistung von Geschäften, Apotheken und Dienstleistungsunternehmen, die Preisnachlässe gewähren. Gemäß den Rechtsnormen föderaler und kommunaler Gesetzgebung haben alleinstehende Mütter (und Väter) ein Vorrecht auf eine Wohnungszuteilung aus den kommunalen Wohnungsbeständen. (BAMF-IOM Juni 2013)

Das Existenzminimum in der Republik Tschetschenien lag Ende 2012 bei etwa 170 EUR pro Kopf (127 EUR für Pensionisten, 164 EUR für Kinder, 185 EUR für arbeitsfähige Personen). Für bedürftige Bürger, das heißt für Familien deren pro Kopf Einkommen geringer als ca. EUR 38,- ist, gibt es eine soziale Unterstützung in Höhe von 2,50 EUR für die Dauer von 6 Monaten. Nach Einschätzung von verschiedenen Mitarbeitern von internationalen NGOs im Nordkaukasus sind die Sozialleistungen nicht ausreichend, damit eine alleinstehenden Frau mit Kindern allein davon leben könnte, andererseits wurde bestätigt, dass sich in Tschetschenien wohl immer ein Verwandter finden würden, der bereit sei die Familie mit Wohnraum als auch finanziell zu unterstützten. (ÖB Moskau, 10.5.2013)

Von einer Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde mitgeteilt, dass das System von Alimentenzahlungen in Russland/Tschetschenien im Fall einer Scheidung noch nicht besonders ausgereift ist. Im Fall des Todes des Ehemanns würden der Ehefrau ebenso wie jedem Kind jedoch eine Rente "aufgrund des Verlusts des Versorgers" zustehen, die durchaus ein vernünftiges Einkommen darstelle. (ÖB Moskau, 10.5.2013)

Im Rahmen verschiedener "gender projects" unterhalten diverse Nichtregierungsorganisationen in einigen Regionen der Russischen Föderation Frauenasyle. Die meisten Nichtregierungsorganisationen, die solche Asyle betreiben, werden von internationalen oder ausländischen Organisationen finanziert. Leider ist die fehlende Finanzierung der Hauptgrund dafür, dass längst nicht alle Bedürftige Hilfe dieser Art bekommen können. Es gibt faktisch in jeder russischen Region Krisenzentren für Frauen. Diese werden sowohl von staatlichen Sozialdiensten als auch von internationalen Programmen gesponsert und bieten soziale, psychologische und juristische Beratung für folgende Gruppen an: - Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind (darunter auch Minderjährige) - Frauen, die Angehörige verloren haben - Frauen, die behinderte Kinder haben - Frauen, die selbst behindert sind - Frauen, die schwanger und minderjährig oder allein stehend sind - Frauen mit Kindern aus nicht vollständigen Familien - Frauen, die sich im Konflikt mit ihrer Familie befinden - Frauen, die sich im Schwangerschafts- oder Kinderbetreuungsurlaub befinden (BAMF-IOM Juni 2013)

Echtheit der Dokumente

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente, die russische Staatsangehörige aus den russischen Kaukasusrepubliken mit sich führen (insbesondere Reisedokumente), sind nicht selten mit unrichtigem Inhalt ausgestellt. Immer wieder werden auch bei der Botschaft gefälschte Dokumente vorgelegt. In Russland ist es darüber hinaus auch möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haft-befehle, Gerichtsurteile. Die Verwaltungsstrukturen in Tschetschenien sind größtenteils wieder aufgebaut, so dass die Echtheit von Dokumenten aus Tschetschenien grundsätzlich überprüft werden kann. (AA 10.6.2013; vgl. auch IRB 15.11.2013)

Probleme ergeben sich allerdings dadurch, dass bei den kriegerischen Auseinandersetzun-gen viele Archive zerstört wurden. Häufig sind Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Es gibt aber auch Fälschungen, die mit chemischen Mitteln auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind. (AA 10.6.2013)

2. Beweiswürdigung:

Die Identität der Beschwerdeführerin steht auf Grund des vorgelegten, unbedenklichen Führerscheins der Russischen Föderation fest. Die Angaben zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und Religionszugehörig ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin. Die Angaben zur Ehe in Österreich ergeben sich aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung.

Die Angaben zum Asylverfahren der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführerin in Österreich beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt, der Polizei und in der mündlichen Verhandlung. Der Bezug von Grundversorgung durch die Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem GVS-Auszug. Die Angaben betreffend den Kontakt der Beschwerdeführerin zu ihren Verwandten ergeben sich aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung. Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin wird durch den Strafregisterauszug dokumentiert.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt, der Polizei und in der mündlichen Verhandlung.

Die Angaben zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin und dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befund. Demnach leidet die Beschwerdeführerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Depression. Darüber hinausgehende dauerhafte und behandlungsbedürftige Erkrankungen können mangels Vorlage von Befunden trotz Aufforderung nicht festgestellt werden. Die Beschwerdeführerin hat nicht angegeben, in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt zu sein, vielmehr gibt sie an, bis Ende 2012 gearbeitet zu haben und in Österreich eine Arbeitsbewilligung als Saisonarbeiterin erlangen zu wollen.

Die Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin beruhen auf dem unglaubwürdigen Vorbringen der Beschwerdeführerin während des Asylverfahrens.

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, es habe Probleme bei der Verdolmetschung gegeben, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die behauptete Mangelhaftigkeit der Niederschrift nicht greifen kann, wenn die Niederschrift Wort für Wort rückübersetzt wurde und der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Niederschrift bestätigte (vgl. dazu auch VwGH 14.10.1992, 92/01/0399; 10.03.1993, 92/01/0879). Sowohl der Beschwerdeführerin als auch ihrem Bruder wurde jeweils die Niederschrift laut Protokoll rückübersetzt, beide gaben jeweils an, die Verständigung mit dem Dolmetscher sei gut gewesen und beide bestätigten dies jeweils mit ihrer Unterschrift.

Ungeachtet der Frage der Glaubwürdigkeit resultiert aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin 1996 und 1998 entführt worden zu sein, keine asylrelevante Furcht vor Verfolgung, weil sie in der mündlichen Verhandlung angibt, dass sie deswegen keine Probleme im Herkunftsstaat habe.

Die Beschwerdeführerin behauptet im Wesentlichen, entführt worden zu sein und im Falle der Rückkehr von ihrem Entführer, der dem XXXX-Clan angehöre, verfolgt zu werden. Die geschilderte Entführung ist allerdings unglaubwürdig.

Widersprüchlich ist bereits, ob die Beschwerdeführerin weiß, wer sie entführt haben soll: Die Beschwerdeführerin gab in der Erstbefragung am 05.02.2013 ausdrücklich an, der Entführer sei XXXX XXXX gewesen, XXXX. In der Einvernahme vor dem Bundesamt am 03.07.2013 gab sie an, dass sie sich nicht sicher sei, ob es XXXX XXXX gewesen sei, der Entführer habe ihr nur gesagt, dass er sehr einflussreich sei, sie habe aber keine Dokumente von ihm gesehen. Sie vermute aber, dass es XXXX XXXX gewesen sei, weil er Andeutungen in diese Richtung gemacht habe. Auf den Vorhalt des Widerspruchs zu ihrer Erstbefragung gab die Beschwerdeführerin an, dass sie nie gewusst habe, wie der Entführer heiße, er habe nur gesagt, dass er einer der XXXXS sei, aber sie habe nie ein Dokument gesehen. Er habe auch gesagt, dass er XXXX heiße, alle anderen hätten ihn auch so genannt. In der Beschwerde vom 17.12.2013 gab die Beschwerdeführerin wiederum ausdrücklich an, der Entführer sei ein mächtiger Mann, XXXX XXXX, gewesen. Sie wisse nur vor ihm, was er ihr selbst erzählt habe und er habe ihr gesagt, dass er XXXX XXXX sei und wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu XXXX XXXX absolute Straffreiheit genieße. Weil sie aber von anderen Asylwerbern gehört habe, dass die Leute von XXXX in Österreich spionieren würden und vor Jahren in Wien einen Tschetschenen erschießen hätten lassen, habe sie beschlossen, nicht mehr zu erwähnen, wer der Entführer gewesen sei, aber das sei falsch gewesen. Es genüge ihr zu wissen, dass er ein XXXX sei. Auch in der mündlichen Verhandlung gab sie zunächst an, dass sie in der ersten Befragung gesagt habe, dass es ein XXXX XXXX gewesen sei. Sie habe in Österreich zunächst das Gefühl gehabt, dass sie der Höhle des Löwen entkommen sei, aber dann von der Ermordung von Umar ISRAILOW gelesen und festgestellt, dass es auch hier XXXX-Leute gebe, und geschwiegen. Diese Ausführungen sind aber aktenwidrig: Die Beschwerdeführerin gab zwar in der Erstbefragung am 05.02.2013 an, der Entführer sei XXXX XXXX gewesen, aber nicht danach - wie in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung behauptet - sondern davor, in der zeugenschaftlichen Einvernahme vom 04.02.2013, dass der Entführer mit Vornamen XXXX geheißen habe, sie den Nachnamen aber nicht angeben wolle, dies also in einer Zeit, als sie sich ihren Angaben zufolge in Österreich noch sicher fühlte. Warum sie sie zunächst - ggf. aus Sicherheitsüberlegungen - den Namen des Entführers nicht genannt haben will, tags darauf hingegen sehr wohl, um ein halbes Jahr später anzugeben, dass sie sich nicht sicher sei, wer der Entführer gewesen sei, kann die Beschwerdeführerin nicht erklären. Der Grund für das Aussageverhalten der Beschwerdeführerin dürfte vielmehr darin liegen, dass kein XXXXXXXX XXXX namens XXXX XXXX gefunden werden konnte, wie dies auch die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 20.11.2014 bestätigte. Dies kann sie auch mit dem Vorbringen nicht entkräften, eine Freundin habe ihr gesagt, dass sich auch weitschichtige Verwandte als Onkel bezeichnen würden; da sie andererseits angibt, tief in der tschetschenischen Kultur verwurzelt zu sein, muss ihr die Bezeichnung von tschetschenischen Verwandten auch zuvor schon geläufig gewesen sein. Umgekehrt gab die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung auch an, dass die Einvernahme vor dem Bundesamt in Ordnung gewesen sei, sie aber bei der polizeilichen Einvernahme unter großem psychischen Druck gestanden sei, weil man sie eingeschüchtert und unter Druck gesetzt habe, dies auf Nachfrage dadurch, dass man sie erniedrigt habe, dies auf Nachfrage dadurch, dass man ihr gesagt habe, dass man ihr nicht glaube, und gelacht habe. Hiezu passt aber nicht, dass sie in der polizeilichen Erstbefragung mehr Angaben zu ihrem Entführer machte als vor dem Bundesamt. Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin so empfundene Erniedrigung durch die Polizei bei der Erstbefragung dadurch, dass die Polizisten angeblich gelacht haben, ist darauf hinzuweisen, dass sie dies in der hg. mündlichen Verhandlung auch der Dolmetscherin vorwarf, was aber nicht der Fall war. Ebenfalls aktenwidrig ist, dass es sich bei der Erstbefragung um den (einschüchternden) ersten Kontakt mit der Polizei gehandelt habe, wie die Beschwerdeführerin angibt, weil sie tags zuvor bereits zu ihrer Schleppung zeugenschaftlich von der Polizei einvernommen und zwei Tage davor von der Polizei am Bahnhof Traiskirchen aufgegriffen wurde.

Auch darüber hinaus stellt sie das sonstige Wissen um ihren Entführer unterschiedlich dar: In der Einvernahme vor dem Bundesamt gab die Beschwerdeführerin an, sie könne nichts über die Identität dieses Mannes sagen, weil sie sich nicht um seine Sachen gekümmert habe und verschreckt gewesen sei, aber er habe gesagt, dass er sehr einflussreich sei. Sie habe keine Dokumente von ihm gesehen. In der Beschwerde vom 17.12.2013 gab sie an, er habe ihr erzählt, dass er verwandtschaftliche Beziehungen zu XXXX XXXX habe und sie habe kein Bedürfnis verspürt, weitere Nachforschungen ihn betreffend anzustellen. In der mündlichen Verhandlung führte sie aus, mehr als drei Monate in der Gewalt dieses Mannes, aber die meiste Zeit allein im Haus gewesen zu sein. Er habe dort viele Papiere gehabt, die im Esszimmer am großen Tisch, am Beistelltisch und im Schrank gelegen seien; sie habe sie sich anschauen wollen, aber so gezittert, dass sie sich nicht getraut habe. Sie habe auch gehört, was er am Telefon gesagt habe, auch wenn er in ein anderes Zimmer gegangen sei. So sei er zB angerufen worden, dass er XXXX-Leute am Flughafen abholen solle. Vor diesem Hintergrund ist völlig unglaubwürdig, dass die Beschwerdeführerin, eine Juristin, den Namen ihres Entführers nicht kennen und keine näheren Angaben zu ihrem Entführer machen können will.

Weiters schildert sie die Beziehung zum Entführer unterschiedlich:

In der Erstbefragung vom 05.02.2013 gab die Beschwerdeführerin an, sie sei zweimal gegen ihren Willen zwangsverheiratet worden, das zweite Mal mit XXXX XXXX, dem XXXX. In der Einvernahme vor dem Bundesamt stritt sie ab, mit ihm verheiratet gewesen zu sein. Es habe keine Hochzeit gegeben, er habe nur gesagt, dass er einen Mullah schicke und das Brautgeld bezahle, habe dies aber nicht getan. Ihre Mutter sei nur von jemandem, der sich als Mullah ausgegeben habe, angerufen worden, der ihr gesagt habe, dass sie geheiratet habe. In der Beschwerde vom 17.12.2013 gab sie wiederum an, mit XXXX XXXX zwangsverheiratet gewesen zu sein, es habe aber keine offizielle standesamtliche Eheschließung gegeben, in der Beschwerdeergänzung gibt sie an, dass das Wort "zwangsverheiratet" der Komplexität des Vorganges nicht gerecht würde. Es ist aber davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin, die Rechtswissenschaften studiert hat, angeben kann, ob sie verheiratet war oder nicht. Ihr Bruder gab in der Befragung am 03.02.2013 übrigens an, geflohen zu sein, weil seine Schwester gegen ihren Willen mit einem mächtigen und einflussreichen Mann verheiratet worden sei. Auch in der Ersteinvernahme vom 05.02.2013 gab er - wie auch seine Schwester an diesem Tag - an, sie sei von einem Tschetschenen, der Kontakt zu regierungstreuen Leuten habe, gegen ihren Willen verheiratet worden. Dass ihr Bruder nervös gewesen und "geistig schwach" sei, kann erstens angesichts der Tatsache, dass seine Angaben den von ihr zu diesem Zeitpunkt gemachten entsprachen, dahinstehen und ergibt sich zweitens nicht aus den diesbezüglichen Protokollen. Eine Einvernahme vor dem Bundesamt konnte mit dem Bruder nicht durchgeführt werden, weil er sich dem Verfahren entzog.

Auch die Dauer der angeblichen Entführung wird von der Beschwerdeführerin und ihrem Bruder unterschiedlich angegeben:

Während die Beschwerdeführerin angibt, Mitte September 2012

entführt, im Dezember 2012 entkommen und Mitte Jänner 2013 - nachdem

ihr Bruder im Dezember 2012 niedergeschlagen worden sei - geflohen

zu sein, gab ihr Bruder an: "Sie wurde Anfang September 2012 von

einem Tschetschenen ... aus Grosny entführt und gegen ihren Willen

verheiratet. Meine Schwester konnte ca. 1 Woche danach flüchten und

hat sich in XXXX ... versteckt gehalten. Mitte Dezember 2012 ...

wurde auch ich von maskierten Männern entführt und in Grosny angehalten." Auf den Vorhalt des Widerspruchs gab die Beschwerdeführerin zunächst an, ihr Bruder habe damit gemeint, er

sei eine Woche nach ihrem Raub niedergeschlagen worden, danach, er

sei eine Woche nach ihrer Flucht niedergeschlagen worden. In der Beschwerdeergänzung nimmt die Beschwerdeführerin eine grammatikalische Interpretation des Protokolls der Einvernahme ihres Bruders vor, stellt fest, dass sich bei "eine Woche danach" das Wort "danach" auf die Eheschließung und nicht auf die Flucht beziehe und - da keine Eheschließung stattgefunden habe - nicht festgestellt werden könne, auf welchen Zeitpunkt sich ihr Bruder bezogen habe, weshalb er "vermutlich eine Woche nachdem ihre Mutter vom angeblichen Mullah angerufen wurde", gemeint habe. Hiefür gibt es im Einvernahmeprotokoll aber keinen Anhaltspunkt.

Auch wenn die Beschwerdeführerin ihr Fluchtvorbringen im Großen und Ganzen kongruent wiedergibt, gibt es vereinzelte Widersprüche in ihren Angaben:

So gab sie vor dem Bundesamt an, der Frau ihre Telefonnummer gegeben zu haben, weil sie für sich darum gebeten habe, in der mündlichen Verhandlung gab sie an, sie der Frau gegeben zu haben, weil diese gesagt habe, sie wisse nicht, wie sie den Männern erklären soll, dass ihr die Beschwerdeführerin die Nummer nicht gegeben habe.

Als das Bundesamt nachfragte, warum die Beschwerdeführerin ihre Nummer weitergab, obwohl sie das nicht wollte, gab sie an, dass die Frau, die sie um ihre Nummer gebeten habe, älter gewesen sei und es ihr ihre Erziehung geboten hätte, ihr die Nummer zu geben. Die Tschetschenen würden sowieso ihren Willen durchsetzen und sie hätte die Nummer ohnedies irgendwie bekommen. In der Beschwerde tritt die Beschwerdeführerin der Feststellung des Bundesamtes, dass dies unplausibel sei, mit der Begründung entgegen, dass es vor dem Hintergrund ihrer kulturellen geprägten Erziehung verständlich sei; die belangte Behörde hätte die kulturellen Spezifika berücksichtigen müssen, so die Beschwerdeergänzung. In der mündlichen Verhandlung gab die Beschwerdeführerin hingegen an, dass sie ihrem Freund XXXX, den sie heiraten habe wollen, nichts erzählt habe, dass sie die Nummer weitergeben habe müssen, weil er es nicht verstanden hätte. Auf die Nachfrage, warum er es nicht verstanden hätte, wenn sie doch angebe, dass sie auf Grund des tschetschenischen Brauchtums nicht anders handeln hätte können, führt sie aus, dass das, was bleibe, wenn man die Traditionen wegnehme, die männliche Logik sei, die ihr Freund als Mann nicht verstanden hätte. Damit vermag die Beschwerdeführerin diese Unplausibilität nicht aufzuklären.

Widersprüche gibt es auch betreffend die Entführung an sich: Während die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt angab, sie habe sein Auto heranfahren gesehen, was bedeutet, dass es ihr entgegen gekommen sein muss, gab sie in der mündlichen Verhandlung an, sie habe das Auto hinter sich gehört, was bedeutet, dass es in ihre Richtung gefahren sein muss.

Widersprüche ergeben sich auch betreffend die Anhaltung: Während sie vor dem Bundesamt angab, während ihrer Entführung mit ihrer Mutter und ihrem Bruder telefoniert zu haben, führte sie in der mündlichen Verhandlung aus, sie habe nur mit ihrer Mutter gesprochen, sonst niemandem.

Im Hinblick auf den Abort gab sie vor dem Bundesamt an, sie sei im Oktober 2012 von ihrem Entführer schwanger geworden. Er habe ihr gesagt, dass er keine Kinder von ihr haben wolle und dass er ein Kind von ihr töten werde, weshalb sie so entsetzt gewesen sei, dass sie eine Fehlgeburt gehabt habe. Man habe sie daraufhin zu einer Frau gebracht, die eine Abtreibung gemacht habe, aber das Kind sei schon tot gewesen, die Frau habe es nur gereinigt. Ungeachtet dessen, dass auf Grund dieses Vorbringens unklar ist, ob die Beschwerdeführerin zuerst einen Abort hatte und dann zu einer Frau gebracht wurde, oder ob sie zuerst zu einer Frau gebracht wurde, die danach eine Abtreibung vornahm, und wie es möglich sein soll, einen maximal sechs Wochen alten, somit etwa 4mm großen Fötus zu reinigen, deckt sich dieses Vorbringen nicht mit dem in der mündlichen Verhandlung erstatteten: Demnach war sie sich nicht sicher, ob sie schwanger war, weil sie unregelmäßige Blutungen hatte und hat sich mit ihrem Entführer gestritten, nachdem er von der möglichen Schwangerschaft erfahren hat. Er habe sie niedergeschlagen und sie habe zu bluten begonnen, weshalb man sie zu einer Frau gebracht habe, die gesagt habe, dass das eine Fehlgeburt sei und ihr Tabletten gegeben habe, mit denen sie danach versucht habe, sich umzubringen. Auf die Nachfrage, woher sie gewusst habe, dass sie schwanger sei, gab sie an, dass sie ihre Tage bekommen hätte sollen. Auf den Vorhalt, dass sie doch angebe, einen unregelmäßigen Zyklus zu haben, gab sie an, dass sie dieses Problem damals noch nicht gehabt habe, dies in Widerspruch zu ihren bisherigen Einvernahmen.

Widersprüchlich ist auch, wer die Beschwerdeführerin an dem Tag, als sie die Flucht ergriff, zum Markt fuhr: Während sie vor dem Bundesamt angab, "er" habe sie zum Markt gebracht, aber eingeschüchtert, dass wegen seiner Beziehungen immer Augen auf sie gerichtet seien, gab sie in der mündlichen Verhandlung an, es sei sein Fahrer gewesen, der nie mit ihr gesprochen habe.

Weiters stimmt die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung angefertigte Skizze des Hauses, in dem sie angehalten worden sein soll, mit ihrer Beschreibung des Hauses nicht überein, weil zumindest ein Zimmer fehlt sowie eine Tür zwischen den beiden Zimmern, in denen sie zunächst eingesperrt gewesen sein will. Auffällig ist auch, dass die Beschwerdeführerin große Probleme hatte, die Aussicht aus den Fenstern der Zimmer, wo sie eingesperrt gewesen sein will, zu beschreiben.

Ungeachtet der Widersprüche ist das Fluchtvorbringen zudem völlig unplausibel:

Zunächst ist unplausibel, dass die Beschwerdeführerin ihre Telefonnummer an einen Mann, vor dem sie Angst hat und an dem sie kein Interesse hat weitergibt, obwohl sie angibt, in den Hochzeitsvorbereitungen mit einem anderen Mann gestanden zu sein, und dann - selbst wenn sie auf Grund von Brauchtum nicht anders handeln hätte können - auch noch die Telefonnummer behält, als er sie bereits bedroht, während sie danach ihre SIM-Karte entsorgt, um nicht auffindbar zu sein.

Dann ist unplausibel, dass sie überhaupt beim Telefon abhebt, wenn sie mit dem Mann nichts zu tun haben will, dies insbesondere nachdem sie ihm persönlich sagte, dass sie nichts von ihm will, und noch mehr nach dem zweiten Treffen, bei dem er sie physisch bedroht haben soll.

Weiters ist unplausibel, dass sie auch nachdem er sie in einem Café physisch bedroht haben soll weder mit ihrer Mutter noch mit ihrem Freund über die beiden Treffen und die Bedrohungen spricht, um zB die Hochzeitsvorbereitungen zu beschleunigen, obwohl sie zeitgleich angibt, dass sie durch eine Heirat mit ihrem Freund der Bedrohung durch den Entführer entgehen wollte, und dass bekannt sei, dass Tschetschenen bekommen, was sie wollen.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Haus eingesperrt war: Zunächst gab sie an, dass die Haupteingangstüre immer versperrt gewesen sei; auf Nachfrage gab sie an, damit die Haustür zu meinen. Befragt, wie ihre Fahrten mit dem Chauffeur zum Markt ausgesehen hätten, gab sie hingegen an, sie habe das mit XXXX ausgemacht, sei einfach hinausgegangen, ins Auto des Fahrers eingestiegen und sie seien weggefahren. Auf den Vorhalt, wie denn das gehe, wenn denn die Tür versperrt sei, gab sie an, dass sie immer offengesperrt gewesen sei, wenn sie sich etwas ausgemacht habe. Sie habe einmal das Gefühl gehabt, dass außen ein Schlüssel stecke, als sie die Klinke in der Hand gehabt habe, aber sie habe nie nachgesehen. Vor diesem Hintergrund kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin eingesperrt war.

Auch sonst kann nicht erkannt werden, dass die Beschwerdeführerin gegen ihren Willen festgehalten worden wäre: Auf Grund ihrer Schilderung handelte es sich bei dem Haus, in dem sie eingesperrt war um einen Bungalow und die Fensterunterkante befand sich max. 1,5 m über dem Boden. Zudem grenzte das Satteldach eines Schuppens direkt an das Fenster des einen Zimmers, in dem sie zuerst eingesperrt gewesen sein will, während das andere auf eine stark befahrene Straße geht. Es kann sohin nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin nicht entkommen oder Hilfe rufen hätte können. Hinzu kommt, dass sie ihren Angaben zufolge von ihrem Entführer nach ein paar Tagen ein neues Smartphone mit SIM-Karte geschenkt bekommen hat. Auch dass der Entführer sie auf den Markt fahren lässt, damit sie einkaufen gehen könne und dass sie das allein tun habe können, während der Fahrer im Wagen gewartet habe, ist mehr als unplausibel.

Zudem fällt auf, dass die Beschwerdeführerin vorgeblich eine Entführung und Freiheitsberaubung mit fortgesetzten Vergewaltigungen zu beschreiben sucht, aber bei der Schilderung der Ereignisse immer darauf fokussiert, dass der Entführer keine Kinder von ihr haben wollte und forderte, dass sie sich nach muslimischen Vorschriften kleide. Erst auf Nachfragen gibt sie detaillos, oberflächlich und emotionslos an, vergewaltigt worden zu sein, dies obwohl sie vorbringt, aus diesem Grund zum Zeitpunkt der Verhandlung bereits zwei Monate in Psychotherapie gewesen zu sein und obwohl die Verhandlung ausschließlich in Anwesenheit von Frauen ohne Zuschauer im Verhandlungssaal stattfand.

Es kann auf Grund dieser widersprüchlichen und unplausiblen Angaben sowie dem sonstigen Verhalten der Beschwerdeführerin auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin - von Urlaub abgesehen - vor ihrer Ausreise in die Republik Tschetschenien zurückkehrte: Die Beschwerdeführerin ließ sich ihre Diplome aus dem Herkunftsstaat nach Österreich übermitteln, nicht aber ihren Inlandsreisepass, aus dem sich ihre aktuelle Meldeadresse in der Russischen Föderation ergeben hätte. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dieser sich in Tschetschenien befindet, zumal sie angibt, legal aus Tschetschenien ausgereist zu sein. Auch die SIM-Karte, aus der abgelesen hätte werden können, welche Telefonnummern sie vor ihrer Ausreise anrief und von wo aus sie angerufen wurde, wurde vernichtet.

Eine Verfolgung der Beschwerdeführerin durch ihren Entführer kann somit nicht festgestellt werden und droht ihr auch im Falle der Rückkehr nicht. Dass ihr Bruder auf der Suche nach ihr zusammengeschlagen worden sei, ist bereits auf Grund der Widersprüche in den Aussagen von Bruder und Schwester unglaubwürdig.

Auch eine Verfolgung durch ihren Vater droht der Beschwerdeführerin nicht. Dieses Vorbringen erstattete die Beschwerdeführerin erst in der Beschwerde. Es ist aber - bereits ungeachtet der Tatsache, dass die gesamte Entführung an sich unglaubwürdig ist - vor dem Hintergrund ihrer sonstigen Angaben völlig unplausibel, dass ihr Vater ein Interesse daran haben sollte, sie zu verfolgen, wo sie doch einerseits angibt, sie habe seit ihrer Zeit in XXXX keinen Kontakt mehr zu ihm, und andererseits, dass die Familie die Angelegenheit geklärt habe, nachdem die 1998 das erste bzw. zweite Mal entführt worden sei und ihre Mutter sie befreit habe. Das kann die Beschwerdeführerin auch nicht dadurch plausibilisieren, dass es während der zweiten bzw. dritten Entführung zu "intimen Kontakten" gekommen sei, weil dies - ihren Angaben zufolge - auch bei der ersten bzw. zweiten Entführung der Fall war und die Familie dennoch die Sache gütlich regelte.

Auch soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, Probleme mit Männern in Österreich zu haben - ihrem türkischer Vermieter, der sie zwingen habe wollen, sie zu heiraten, einem Russisch sprechender Mann, der ihr am Wiener Westbahnhof bzw. auf einem anderen Bahnhof angedroht habe, sie zu vergewaltigen, dem Mann, der ihr in Traiskirchen gedroht habe, sie umzubringen, und ihrem Ex-Mann, den sie im November 2013 in XXXX nach muslimischem Ritus geheiratet, von dem sie sich aber mittlerweile wieder getrennt habe - stehen diese ihren Angaben zufolge in keinem Zusammenhang mit ihrem Fluchtvorbringen.

Die Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation insb. in der Republik Tschetschenien gründen sich auf folgende Quellen:

AA 7.3.2011 Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 25

AA 10.6.2013 Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 10.6.2013

ACCORD 12.8.2010 ACCORD Anfragebeantwortung a-7349 vom 12.8.2010

ACCORD 31.3.2014 ACCORD Anfragebeantwortung a-8631, 31.3.2014

ACCORD 4.4.2014 ACCORD Anfragebeantwortung a8633-3 (8648), 4.4.2014

ACCORD 4.4.2014 ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation - Tschetschenien: Situation von Witwen von Widerstandskämpfern bei der Rückkehr, 4.4.2014

AI 23.5.2013 Amnesty International, Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Russische Föderation, 23.5.2013

AJ Oktober 2013 Clasen, Hinter den Bergen - Gewalt, staatliche Willkür und Korruption sind in den Kaukasus-Republiken alltäglich, Amnesty Journal Oktober 2013,

//www.amnesty.de/journal/2013/oktober/hinter-den-bergen?, Zugriff am 17.4.2014

AMICA AMICA e.V., Zur Situation der Frauen in Tschetschenien, //www.amica-ev.org/de/laender/tschetschenien/amica-e.v.-in-tschetschenien, ohne Datum, Zugriff am 25.4.2014

Anfragebeantwortung 10.3.2014 BFA-Staatendokumentation, Anfragebeantwortung zu Ehrenmord und staatlicher Schutzmöglichkeit, 10.3.2014

BAMF 2.9.2013 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Briefing Notes, 2.9.2013

BAMF 16.9.2013 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Briefing Notes, 16.9.2013

BAMF 30.9.2013 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Briefing Notes, 20.9.2013

BAMF 13.1.2014 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Briefing Notes, 13.1.2014

BAMF 17.2.2014 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Briefing Notes, 17.2.2014

BAMF 7.4.2014 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Briefing Notes, 7.4.2014

BAMF-IOM Juni 2013 Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge/Internationale Organisation für Migration, Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2013

Bericht 2011 Staatendokumentation, Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 23

Die Presse, 30.6.2012 Sommerbauer, Heimkehr nach Tschetschenien - ins Gefängnis, Die Presse, 30.6.2012, //diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1261212/print.do#, Zugriff am 8.5.2014

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DIS Oktober 2011 Danish Immigration Service, Chechens in the Russian Federation, Oktober 2011,

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HRW Jänner 2014 Human Rights Watch, Russia Country Summary, January 2014

ICG 19.10.2012 International Crisis Group, The North Caucasus: The Challenges of Integration (I), Ethnicity and Conflict, Europe Report N°220 - 19 October 2012

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//www.iomvienna.at/de/aktivitaeten/reintegrationsunterstuetzung/laufende-projekte/545-unterstuetzung-der-freiwilligen-rueckkehr-und-reintegration-von-rueckkehrenden-in-die-russische-foederation-republik-tschetschenien, Zugriff am 8.5.2014

IRB 15.11.2013 Immigration and Refugee Board of Canada, Russia:

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IRB 15.11.2013 Immigration and Refugee Board of Canada, Russia:

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VB 29.1.2014 Verbindungsbeamter des BM.I für die Russische Föderation, Anfragebeantwortung 29.1.2014

3. Rechtliche Beurteilung:

Nach § 75 Abs. 18 AsylG 2005 kann gegen Entscheidungen des Bundesasylamtes, die vor dem 31.12.2013 erlassen wurden, wenn die Beschwerdefrist mit Ablauf des 31.12.2013 noch läuft und gegen diese Entscheidung nicht bereits bis zum Ablauf des 31.12.2013 Beschwerde erhoben wurde, vom 01.01.2014 bis 15.01.2014 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben werden. Eine gegen eine solche Entscheidung bis zum Ablauf des 31.12.2013 erhobene Beschwerde gilt als rechtzeitig erhobene Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt (§ 58 Abs. 2 VwGVG).

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Zu A)

3.2. Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 19.04.2001, 99/20/0273).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs. 1 AsylG).

Die von der Beschwerdeführerin relevierten Fluchtgründe und Gründe für eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat sind unglaubwürdig. Auch auf Grund der Länderberichte oder sonst amtswegig ist kein Grund für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat ersichtlich.

Soweit in der Beschwerde vorgebracht wird, der Beschwerdeführerin drohe Verfolgung als alleinstehende, westlich orientierte Frau und Opfer mehrerer Zwangsverheiratungen, verkennt die Beschwerde, dass es sich bei der Beschwerdeführerin zwar um eine tschetschenische Volksgruppenangehörige handelt, dass sie aber seit 2000 nicht mehr in Tschetschenien, sondern im Föderationskreis XXXX lebt. Weder hat die Beschwerdeführerin Probleme als alleinstehende, westlich orientierte Frau und (ungeachtet der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens) Opfer mehrerer Zwangsverheiratungen im Föderationskreis XXXX vorgebracht, noch ergeben sich diese aus ihrem Vorbringen, sie habe in XXXX zT allein, zT mit Verwandten gelebt, eine Dienstwohnung gehabt, ihr Jusstudium abgeschlossen und ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit, bei der sie mehrfach befördert wurde, bestritten. Vor dem Hintergrund ihres Vorbringens, dass sie zwei Ausbildungen abgeschlossen hat und selbst mehrfach befördert wurde, tut sie auch mit den allgemeinen Ausführungen zur Lage in der Russischen Föderation, dass es am Arbeitsmarkt nicht darauf ankomme, was man könne, sondern wen man kenne, und dass es schwer sei, eine Ausbildung und beruflich Karriere zu machen, keine Probleme dar, die sie selbst betreffen. Mit ihrem Vorbringen tut die Beschwerdeführerin sohin keine Verfolgung auf Grund ihres Geschlechts oder der Zugehörigkeit zu einer anderen sozialen Gruppe dar.

Eine Verfolgung im Föderationskreis XXXX droht der Beschwerdeführerin ihrem Vorbringen zufolge auch nicht wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit: Zwar gibt sie an, ihre Freundinnen bzw. die Leute hätten sie "schwarzer Arsch" genannt, wenn sie am Telefon Tschetschenisch gesprochen habe und hätten gesagt, dass sie heimfahren solle nach Tschetschenien bzw. hätten gesagt, dass Tschetschenen Russen umgebracht hätten, darüberhinausgehende Verfolgungshandlungen verneint die Beschwerdeführerin hingegen ausdrücklich. Sie sei zwar bei der Arbeit normal behandelt worden, habe aber trotzdem gefühlt, dass man Tschetschenen nicht möge. Befragt, warum sie angibt, nach Tschetschenien zurückgekehrt zu sein, führt die Beschwerdeführerin aus, dass sie zwar im Föderationskreis XXXX nicht als Tschetschenin aufgefallen sei, weil die Bevölkerung in Sibirien praktisch nur aus Menschen bestehe, die zugereist seien, weil die "Urbevölkerung" dort sehr klein sei, aber die Umweltbedingungen seien sehr streng. Damit tut die Beschwerdeführerin aber keine asylrelevante Verfolgung auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit dar.

Im Ergebnis ist daher der Ausspruch in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu bestätigen und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. abzuweisen.

3.3. Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

3.3.1. Wird ein Asylantrag "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Der Fremde hat das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinen Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG 1997 glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 02.08.2000, 98/21/0461, VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011).

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

3.3.2. Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist die Situation für Tschetschenen in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr der Beschwerdeführerin für diese als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in der Russischen Föderation sind Tschetschenen aktuell nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin wird aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen für unglaubwürdig erachtet und es bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit der Beschwerdeführerin aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre, weshalb kein Fall des § 3 AsylG 2005 vorliegt (siehe Punkt 3.3.1.).

Vor dem Hintergrund der genannten Erkenntnisquellen und den darauf basierenden Feststellungen finden sich weder Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 AsylG 2005 ausgesetzt sein würde, noch dass "außergewöhnliche Umstände" der Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat entgegenstünden. Es lässt sich nicht ersehen, dass es der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation an der notdürftigsten Lebensgrundlage fehlen würde:

Die arbeitsfähige, gebildete Beschwerdeführerin kann - wie auch vor ihrer Ausreise - ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sichern. Dass sie als Tschetschenin in XXXX, wo sie seit 2000 lebte, keine Arbeit oder Wohnung finden würde, ist vor dem Hintergrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin, bis zu ihrer Ausreise seit 2000 durchgehend erwerbstätig gewesen zu sein, mehrfach befördert worden zu sein, eine zweite Ausbildung gemacht zu haben, eine Dienstwohnung gehabt zu haben und dort immer noch eine Tante zu haben, mit der sie bisher guten Kontakt gehabt habe, sowie den Länderberichten, dass sich die Lage der Tschetschenen in der Russischen Föderation jedenfalls nicht verschlechterte, nicht zu befürchten. Auch die Klimaverhältnisse in der im südlichsten Teil Sibirens an der Grenze zu Kasachstan gelegenen Stadt begründen keine Gefahr, dort in eine aussichtslose Lage zu geraten.

Eine Verfolgung als westlich orientierte Frau hat die Beschwerdeführerin jedenfalls in XXXX, wo sie ihr Leben als Erwachsene verbrachte, nicht zu befürchten. Dass sie keinen Anschluss finden würde, ergibt sich so nicht aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, die von Freundinnen und einer Tante, die dort lebt, erzählt und entspricht auch nicht den Länderberichten, wonach es eine starke tschetschenische Diaspora in allen größeren Städten in der russischen Föderation gibt. Dass die Beschwerdeführerin dort Aggressionen seitens der Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt war, konnte nicht festgestellt werden, da sie angibt, sie sei dort als Tschetschenin nicht aufgefallen, weil alle Leute, die dort lebten, zugezogen seien.

Die Beschwerdeführerin leidet - wie in der Beweiswürdigung dargelegt - an keinen schwerwiegenden psychischen und physischen Krankheiten und nimmt keine Behandlung in Anspruch, die im Herkunftsstaat nicht verfügbar wäre:

Die Beschwerdeführerin befindet sich in Psychotherapie. Sie gibt aber an, dass ihr diese bereits in der Russischen Föderation verschrieben worden sei, dass sie sie aber nicht in Anspruch genommen habe, weil man einander kenne und sie davon abhängig gewesen sei, was man von ihr halte. Auf Grund der Länderberichte ist Psychotherapie in der Russischen Föderation verfügbar; mit ihrem Vorbringen tut die Beschwerdeführerin keine Unmöglichkeit der Inanspruchnahme dieser Leistungen dar, vielmehr führt sie aus, auf Grund ihrer psychischen Probleme bereits im Herkunftsstaat behandelt worden zu sein.

Dass sie aktuell noch Probleme mit der Schilddrüse hat, hat die Beschwerdeführerin nicht behauptet; sie hat auch keine diesbezüglichen Befunde vorgelegt. Soweit sie vorbringt, einen unregelmäßigen Zyklus zu haben, tut sie kein lebensbedrohliches gynäkologisches Problem dar.

Irgendein besonderes "real risk", dass es durch die Rückführung der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde, kann daher nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen würden, sind nicht erkennbar.

Im Ergebnis ist daher auch der Ausspruch in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu bestätigen und die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. abzuweisen.

3.4. Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung

3.4.1. Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des § 75 Abs. 18 AsylG 2005 den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes, so hat es aufgrund der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 20 AsylG 2005 darüber zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend.

3.4.2. Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG:

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist nach § 9 Abs. 1 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind nach § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, sowie die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

3.4.3. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua., Appl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

3.4.4. Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

3.4.4.1. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme würde nicht in das Recht der Beschwerdeführerin auf Familienleben eingreifen: Die Beschwerdeführerin gibt an, ihre 2013 in Österreich nach muslimischem Recht geschlossene Ehe bestehe nicht mehr. Mit einer weitschichtigen Verwandten, die in Österreich lebe, habe sie keinen Kontakt. Sie führt sohin kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK in Österreich.

3.4.4.2. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme würde auch nicht unverhältnismäßig in das Recht der Beschwerdeführerin auf Privatleben eingreifen:

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführerin in Österreich über schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Ausgehend davon, dass der Verwaltungsgerichtshof bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer ausgeht (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 8.3.2005, 2004/18/0354; 27.3.2007, 2005/21/0378), und im Erkenntnis vom 26.6.2007, 2007/10/0479, feststellt, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte", ist im Fall der Beschwerdeführerin, der sich erst seit Februar 2013 - sohin seit zwei Jahren und zwei Monaten - in Österreich aufhält, anzunehmen, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet zu kurz ist, um schützenswertes Privatleben in Österreich zu entwickeln.

Selbst für den Fall, dass man vom Vorliegen schützenswerten Privatlebens ausginge, wäre ein Eingriff in dieses verhältnismäßig:

Dass der Fremde strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.2.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.4.2012, 2011/18/0253).

Die Beschwerdeführerin verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens. Die Dauer des vorliegenden Asylverfahrens übersteigt mit zwei Jahren und zwei Monaten nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 4.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

Die Beschwerdeführerin verfügt über starke Bindungen zum Herkunftsstaat, wo sie ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise verbracht hat, die Landessprachen russisch und tschetschenisch spricht, ihre Schul-, Berufs- und Hochschulbildung absolvierte, im Arbeitsleben eingebunden war und wo Verwandten leben, mit denen sie vor der Ausreise zum Teil in Hausgemeinschaft lebte. Es besteht auch weiterhin Kontakt zum Herkunftsstaat.

Im Gegensatz dazu ist die Beschwerdeführerin in Österreich nur schwach integriert: Sie besucht einen Deutschkurs, verfügt aber nur über geringe Deutschkenntnisse und hat sonst keinerlei Bildungsmaßnahmen in Anspruch genommen. Sie war nie legal erwerbstätig, ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht Grundversorgung. Aktuell leistet sie keine ehrenamtliche Arbeit und engagiert sich nicht in Vereinen; sie leistete Remunerationstätigkeiten im Rahmen der Grundversorgung und war an ihrem alten Wohnort beim XXXX aktiv, allerdings führt sie diese Aktivitäten an ihrem neuen Wohnort nicht fort, weil das XXXX an ihrem Wohnort keinen Bedarf hat. Sie hat sich an ihrem neuen Wohnort um die Teilnahme an einem Integrationsprojekt beworben, aber sie warte noch auf eine Antwort. Sie hat während der Zeit, in der sie sich ihres unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste, Bekannte getroffen, verfügt aber über keine intensive Beziehung zu in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen.

Diesen schwach ausgeprägten privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes überwiegen daher derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit die privaten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. dazu VfSlg. 17.516/2005 sowie ferner VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

Im Ergebnis ist daher Spruchpunkt III. des Bescheides des Bundesasylamtes zu beheben und das Verfahren zur umfassenden Prüfung einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Im gegenständlichen Fall war die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz bereits in auf Grund der Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrem Fluchtvorbringen und auf Grund der Länderberichte zu fällen. Auch verfahrensrechtlich wurden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen.

Welches Verhalten ist richtig 1 3 01 060 VS 1 Ich muss Blinken ich muss warten Der rote PKW muss warten?

Es gilt rechts vor links. Somit hast du Vorfahrt und musst nicht warten.

Was ist in dieser Situation richtig Transporter?

Da der Gegenverkehr Vorrang hat, darf er vor dir fahren. Du musst entgegenkommende Fahrzeuge vorbeifahren lassen, da der parkende Transporter auf deiner Fahrbahn steht. Erst wenn der Entgegenkommende vorbeigefahren bist, darfst du am Transporter vorbeifahren.

Welches Verhalten ist richtig 1 3 01 103 VS 1 Ich muss warten?

Du musst warten und Vorfahrt gewähren.

Wie verhalten Sie sich hier richtig 1 3 01 129 VS 1 Ich warte bis der Radfahrer abgebogen ist Ich warne den Radfahrer durch Hupen Ich fahre vor dem Radfahrer?

Du musst ihm Vorfahrt gewähren. Es gibt keinen Grund zu hupen.

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