Was ist die Lehre von der Fuchs und der Storch?

Aufgrund ihres geringen Umfangs und ihres dialogischen Charakters eignen sich Fabeln besonders für handlungs- und produktionsorientierte Aufgabenstellungen wie das Ergänzen oder Verändern von Textteilen oder die Umsetzung als szenische Darstellung oder Bildergeschichte. Ich habe mich für die Weiterentwicklung der Fabel entschieden, von der die Schüler*innen zunächst nur die erste Hälfte zum Lesen bekommen, sodass sie dazu angeregt sind, gestaltend zu schreiben. Diese Aufgabenstellung bereitet sie darauf vor, am Ende der Einheit ganze eigene Fabeln zu schreiben, erleichtert ihnen aber trotzdem deutlich den Zugang, da sie an einen vorhandenen Konflikt anknüpfen können. Um ihnen den Weg zum eigenen Text zu erleichtern, wähle ich ein kleinschrittiges Vorgehen mit einer Übung zur wörtlichen Rede vorweg.

Als Stundeneinstieg projiziere ich ein Bild der beiden Fabeltiere an die Wand. Da die Schüler*innen bereits einige Stunden Übung im Umgang mit Fabeln haben, wird das Bild sie dazu anregen, Vermutungen über einen möglichen Konflikt anzustellen, der sich zwischen dem Fuchs und dem Storch entwickeln könnte. Auf dem Bild ist zu sehen, wie der Fuchs dem Storch einen Brief überreicht, was den Schüler*innen bereits einen weiteren Anknüpfungspunkt für ihre Spekulationen bietet. Die Charaktere einiger Fabeltiere inklusive des Fuchses sind den Schüler*innen bereits bekannt, so dass auf eine erklärende Einleitung verzichtet werden kann. Mit dem Lesen der Fabel wird ein Bezug zum Einstiegsbild hergestellt. Die Schüler*innen können nun das Bild in eine konkrete Geschichte einbetten und die Situation einordnen. In dieser Phase kann außerdem der Inhalt der Fabel mündlich gesichert werden und auf die nicht vorhandene Kommunikation zwischen Storch und Fuchs hingewiesen werden.

In der anschließenden Erarbeitung wiederholen die Schüler*innen kurz die Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede sowohl bei vorangestelltem, eingeschobenem und nachgestelltem Redebegleitsatz. Stärkere Schüler*innen können in der Expertenaufgabe außerdem eigene Sätze mit wörtlicher Rede einbauen. Hierfür habe ich die Stelle ausgewählt, an der der Storch den Konflikt hätte ansprechen können, bevor er sich rächt, sodass die Aufgabe außerdem die Chance beinhaltet, Handlungsalternativen zu entwickeln, bevor die Schüler*innen überhaupt das richtige Ende kennen. Die Lösungen werden mithilfe des IPads und des Beamers gesichert.

Das Schreiben der Fabel findet ebenfalls in Einzelarbeit statt, damit die Schüler*innen sich eigenständig Gedanken machen und sich ihrer eigenen Fantasie bedienen, bevor sie in den kooperativen Austausch mit ihren Mitschüler*innen treten. Die Aufgabenstellung beinhaltet eine Differenzierung, da die Schüler*innen selbst aus mehreren Lehren wählen dürfen, zu denen sie ihren eigenen Schluss entwickeln. Sollten Schüler*innen Probleme bei der Erarbeitung haben, gebe ich „Tipps zum Schreiben einer Fabel“ an schwache Schüler*innen aus, die inhaltliche Ideen sowie die Textsortenmerkmale enthalten. Die Textsortenmerkmale können auch von leistungsstärkeren Schüler*innen genutzt werden, um in einer möglichen Wartezeit ihre Texte eigenständig zu prüfen und weiterzuentwickeln.

Im Anschluss an das Schreiben sollen die Schüler*innen ihre Texte gegenseitig mithilfe der Textlupe korrigieren. Diese ermöglicht es den Schüler*innen, ihre Texte planvoll zu sichten und Hilfen für eine Überarbeitung zu schaffen, die in der Hausaufgabe erfolgt.1 Zudem sollen sie ihre Texte gegenseitig auf die Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede hin überprüfen. Diese Aufgabe kann gegebenenfalls in die Hausaufgabe verlegt werden. Bei der Präsentation der Fabeln im Plenum dienen erneut die drei Spalten der Textlupe als Scaffolding für das Feedback. Darüber hinaus dürfen die Schüler*innen nun raten, welche Lehre der*diejenige ausgewählt hat. Auf diese Weise überprüfen sie, ob eine davon passt, und interpretieren das geschriebene Ende.

Damit die Schüler*innen am Ende der Stunde trotzdem die vollständige Original-Fabel kennen, wird darauf folgend das eigentliche Ende gelesen. Die Lehre der Fabel wird von mir jedoch weggelassen, um für die Schüler*innen die Gelegenheit zu schaffen, selbst eine für sie persönlich relevante Lehre auszuwählen. Im Transfer sollen die Schüler*innen die Aussage der Fabel nun deuten und auf Situationen aus ihrem eigenen Leben übertragen.

2. Didaktische Entscheidungen

Die Behandlung von Fabeln im Deutschunterricht der 6. Klasse ist in den Fachanforderungen für das Fach Deutsch des Landes Schleswig-Holstein vorgesehen, wo sie im Bereich ‚Lesen – mit Texten und Medien umgehen‘ als Textsorte aufgeführt sind. Der Bereich ‚Schreiben‘ sieht gestaltendes Schreiben produktiver Textformen sowie die sprachliche Gestaltung von Texten mit wörtlicher Rede vor. In Hinblick auf die Allgemeine Hochschulreife sollen die Schüler*innen „Texte orthografisch und grammatisch korrekt sowie fachsprachlich präzise, prägnant und stilistisch angemessen verfassen“2 können. Die Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede gehört außerdem zu den Inhalten, die in Klasse 5 und 6 erlernt werden sollen.

Ich habe mich im Rahmen meiner makrodidaktischen Planungen für die Fabel „Der Fuchs und der Storch“ entschieden, da sie sich aufgrund des Konflikts, der in zwei Teilen abläuft, besonders für eine kreative Weiterentwicklung eignet und zudem durch Leerstellen wie die nicht vorhandene wörtliche Rede einen Polyvalenzgrad aufweist. Anstatt der sehr knappen Version aus der Antike von Aesop habe ich mich für eine Nacherzählung der Fabel von Florian Russi entschieden, weil diese zum einen weniger den Schüler*innen unbekannte Wörter enthält und zum anderen etwas ausführlicher mit mehr Adjektiven die Situation beschreibt. Schwierige Ausdrücke in der von mir gewählten Version sind zum Beispiel „sich einstellen“ sowie „auserlesen“. Diese habe ich bewusst nicht durch den Schüler*innen bekannte Wörter ersetzt, weil ich denke, dass die Schüler*innen der Herausforderung gewachsen sind, sich die Bedeutungen aus dem Kontext zu erschließen. Weiterhin ist der Text exemplarisch für die Textgattung Fabel, weil die Figuren zwei Tiere sind, die sprechen und denken können und menschliche Verhaltensweisen zeigen. Allerdings stehen sich hier zwei Tiere gegenüber, die keine gegensätzlichen Eigenschaften verkörpern, sondern beide den Ruf haben, klug zu sein. Der Fuchs ist schlau und listig, der Storch ist meist weise und gelehrt. In dieser Fabel ergibt sich der Konflikt eher aus den physischen Gegensätzen der beiden Tiere, die sich ansonsten ebenbürtig sind. Trotzdem ist der Fuchs typischerweise derjenige, der die List initiiert und mit der Provokation beginnt, denn er will den weisen Storch reinlegen, um zu beweisen, dass er klüger ist. Die Reaktion des Storchs, Rache an seinem Rivalen zu nehmen, können die Schüler*innen moralisch bewerten. Beide Figuren weisen je nach Erfahrungswelt der Schüler*innen ein Identifikationspotential auf.

Untypisch für die Textgattung Fabel ist, dass es keinen Dialogteil aus Rede und Gegenrede gibt, in dem die auftretenden Tiere ein Streitgespräch austragen. Allerdings ist die Konfliktsituation für die Schüler*innen trotzdem mühelos erkennbar. Diese gestalterische Besonderheit passt zur inhaltlichen Ebene, da der Konflikt nicht zustande käme, wenn der Storch dem Fuchs offen seine Gefühle offenbart hätte, anstatt sich stumm zu ärgern und Rachepläne zu schmieden. Dadurch ergeben sich Leerstellen, die die Schüler*innen mit wörtlicher Rede füllen können. Zudem ist die Fabel in Prosaform geschrieben Die Verssprache beispielsweise in der Fassung von Jean de la Fontaine dagegen würde den Schüler*innen den Zugang erschweren und der Aufgabenstellung im Weg stehen, die Fabel weiterzuschreiben. Der knappe Umfang und die Einfachheit der Sprache sorgen für ein schnelles Verstehen bei den Schüler*innen.

Der Aufbau der Fabel folgt dem Schema Situation – Aktion – Reaktion – Ergebnis. In den ersten drei Sätzen erfolgt die Situationsbeschreibung. Die beteiligten Tiere werden vorgestellt und die Ausgangssituation erläutert. Dann agiert zunächst der Fuchs, indem er den Storch einlädt und ihm einen Streich spielt, woraufhin der Storch reagiert, indem er den Fuchs seinerseits hereinlegt. Der Konflikt zwischen Fuchs und Storch steht beispielhaft für zwischenmenschliches Verhalten und ist allgemeingültig und auf die Lebenswelt der Kinder übertragbar. Die Lehre der Fabel ermöglicht es den Schüler*innen, Verhaltensempfehlungen für das eigene Leben daraus zu ziehen.

Der Text lässt zwei Lesarten offen: Es ist einerseits möglich, die Lehre so auszulegen, dass der Storch das Verhalten des Fuchses spiegelt, um diesem sein Fehlverhalten aufzuzeigen und ihn zu belehren (da der Storch ja das weisere der beiden Tiere ist). Andererseits kann man auch das Verhalten des Storchs kritisieren, da er anstatt seinen Ärger zu kommunizieren nach der Maxime ‚wie du mir, so ich dir‘ handelt und sich am Fuchs rächt. Um die zweite Lesart in den Vordergrund zu rücken, lasse ich die Analyse der Eigenschaften der beiden Fabeltiere weg und lege stattdessen den Fokus auf den Transfer auf ihre eigene Lebenswelt, damit sie erkennen, dass es bessere Alternativen gibt als sich zu rächen. Außerdem möchte ich sie ihre eigenen Fabelfortsetzungen zu unterschiedlichen Lehren schreiben lassen, damit sie weitere Handlungsempfehlungen entwickeln können.3

Die Lehre „Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg auch keinem anderen zu.“ steht als Epimythion und lässt sich auf vielfältige Weisen auf das Leben der Schüler*innen übertragen. Beispielsweise gibt es in dieser Klasse zuweilen die Situation, dass jemand ausgelacht wird, weil der*diejenige etwas nicht kann. Passiert demjenigen später auch ein Fehler, möchte er selbst auch nicht ausgelacht werden.

Eine mögliche Alternative zu dieser Fabel wäre zum Beispiel „Die zwei Ziegen“, da sich auch hier zwei ebenbürtige Tiere buchstäblich gegenüberstehen. Wie bei „Der Fuchs und der Storch“ ließen sich auch hier Handlungsalternativen für die Tiere erarbeiten oder die Lehre auf das Leben der Kinder übertragen. Da der Konflikt hier jedoch nur in einem Teil abläuft, bietet sich dieser Text nicht unbedingt zum Weiterschreiben an. Es wären andere produktive Erarbeitungen möglich wie zum Beispiel das Umschreiben (Wie wäre die Geschichte mit einer anderen Lehre am Schluss verlaufen?) oder die Umsetzung als szenisches Spiel (Wie lässt sich die Handlung auf euer Leben übertragen?).

Quellen:

Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012.

Bobsin, Julia: Die Textlupe. In: Baurmann, J./ Brand, T./ Spinner, K./ Menzel, W. (Hrsg.): Methoden im Deutschunterricht. Exemplarische Lernwege für die Sekundarstufe I und II, Hannover 2020, S. 162-163.

Ministerium für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.): Fachanforderungen für das Fach Deutsch, Kiel 2014.

Klafki, Wolfgang: Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung in: Roth, H. / Blumenthal, A. (Hrsg): Grundlegende Aufsätze aus der Zeitschrift Die Deutsche Schule, Hannover 1964.

[...]

1 Vgl. Bobsin, Julia: Die Textlupe. In: Baurmann, J./ Brand, T./ Spinner, K./ Menzel, W. (Hrsg.): Methoden im Deutschunterricht. Exemplarische Lernwege für die Sekundarstufe I und II. S. 162.

2 Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012, S. 16.

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