Das Thema hat Sprengkraft. Nachdem sich Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) öffentlich über arbeitsscheue Hartz-IV-Empfänger aufgeregt hatte, schickten ihm Kritiker eine Bombenattrappe in die Staatskanzlei. Wenige Tage später ging der Paritätische Wohlfahrtsverband auf die „Bild-Zeitung“ los, die Koch zu Hilfe gekommen war. Mit Rechenbeispielen hatte die Zeitung belegen wollen, dass viele Menschen mit Sozialleistungen besser über die Runden kommen als mit einem Job. Der
Sozialverband warf der „Bild“ vor, mit falschen Zahlen zu arbeiten und will jetzt den Presserat anrufen. Wer hat recht?
DIE RECHTSLAGEEmpfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II) müssen jede Arbeit annehmen, zu der sie geistig, seelisch und körperlich in der Lage sind. So weit die Theorie. Dennoch werden die Arbeitsvermittler nicht jeden Arbeitslosen gleich behandeln. Einen Akademiker etwa, der frisch von der Universität kommt und mangels Berufserfahrung keinen Job findet,
werde man nicht in eine Beschäftigung vermitteln, die ihm die berufliche Perspektive nimmt, sagt Erik Benkendorf von der Regionaldirektion für Arbeit, Berlin-Brandenburg. Wenn aber jemand vielleicht schon zehn Jahre arbeitslos ist, er in seinem Beruf also bereits erhebliche Defizite hat, werden niedrigere Maßstäbe zugrunde gelegt.
KINDERBETREUUNG
Bis zum dritten Lebensjahr eines Kindes braucht ein Elternteil nicht arbeiten zu gehen. Ist das Kind älter, muss nachgewiesen werden, dass es keine andere Möglichkeit der Betreuung gibt. Auch wer pflegebedürftige Angehörige hat, die anders nicht versorgt werden können, kann zu Hause bleiben.
DER ZUVERDIENST
Das Geld aus einem Ein-Euro-Job darf man komplett behalten. Bei einer 30-Stunden-Beschäftigung à 1,50 Euro – das ist der übliche Satz in Berlin –, kommt man so auf zusätzlich rund 180 Euro im Monat.
Alle, die einen regulären Job haben, bekommen einen Freibetrag von 100 Euro. Vom höheren Brutto-Einkommen zwischen 100 und 800 Euro dürfen Hartz-IV-Bezieher 20 Prozent behalten, in der Verdienstspanne zwischen 800 und 1200 Euro sind zehn Prozent anrechnungsfrei. Bei Familien mit mindestens einem Kind steigt die Grenze auf 1500 Euro. Beispiel: Von einem Minijob, der 400 Euro im Monat bringt, werden 240 Euro mit den Hartz-IV-Leistungen verrechnet. Es bleiben also zusätzlich zum ALG II 160 Euro mehr.
DER ZUSCHLAG
Wenn der Lohn den Lebensunterhalt der Erwachsenen, aber nicht den der Kinder deckt, kann man einen Kinderzuschlag bis zu 140 Euro pro Kind in Anspruch nehmen. Und wenn nur Teile der Mietkosten nicht bezahlt werden können, kann man Wohngeld bei den Bezirksämtern beantragen (siehe Tabelle). Kinderzuschlag und Wohngeld können auch kombiniert werden; die Jobcenter sollen entsprechend beraten.
DUMPINGLÖHNE
Arbeitslose müssen nicht jeden Lohn akzeptieren. Es gibt allerdings keine einheitlichen Untergrenzen. Vielmehr richten sich diese danach, welche Löhne in bestimmten Branchen entweder nach Tarifvertrag gezahlt werden oder als ortsüblich gelten. Wenn davon mehr als ein Drittel nach unten abgewichen wird, gelten diese Löhne als rechtswidrig oder als Verstoß gegen die guten Sitten. Auch die Jobcenter haben kein Interesse daran, Leute zu Dumpinglöhnen zu vermitteln. Erst in der vergangenen Woche hat das Arbeitsgericht Stralsund den Betreiber einer Pizzeria zu Ausgleichszahlungen ans Jobcenter verurteilt, weil er einer Kellnerin, zwei Küchenhelfern und zwei Pizzaboten Stundenlöhne von 1,32 Euro zahlte und die Behörde aufstockende Leistungen zahlen sollte. Die Behörde war die erste bundesweit, die gegen eine solche Praxis vor Gericht zog. Der Pizzeriabetreiber muss der Behörde 6600 Euro erstatten. Arbeitsmarktexperten wissen: Das ist kein Einzelfall. In strukturschwachen ländlichen Gebieten in Ostdeutschland lassen sich immer wieder Beschäftigte von Arbeitgebern einschüchtern, die mit Verweis auf Sanktionen der Jobcenter drohen.
DIE SANKTIONEN
Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt, muss mit Kürzungen rechnen. Beim ersten Mal wird der Regelsatz für drei Monate um 30 Prozent gesenkt; im Wiederholungsfall beträgt die Reduzierung sogar 60 Prozent. Lediglich die Mietkosten werden weiter übernommen. Bei jungen Erwachsenen wird rigider vorgegangen: Ihnen wird sofort der Regelsatz gestrichen, im Wiederholungsfall werden auch die Wohnungskosten nicht mehr gezahlt. Allerdings ist die Sanktionsquote bei den Jobcentern relativ niedrig. Sie liegt in Berlin bei 2,9 Prozent.
DIE GEGENWEHR
Als Erstes muss Widerspruch bei der Behörde eingelegt werden. Wird dieser abgelehnt, bleibt die Klage vor dem Sozialgericht. Diese ist unentgeltlich, man braucht auch keine anwaltliche Vertretung. Das Sozialgericht Berlin ist das größte in Deutschland.
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- Hartz IV
Symbolfoto. Foto: Anke Donner
28.04.2022, 11:00 Uhr,
zuletzt aktualisiert: 28.04.2022, 11:33 Uhr
Region. Im Sommer sollen Hartz-IV-Empfänger statt der 100 Euro Corona-Bonus, nun einmalig 200 Euro bekommen. Die Bundesregierung hat sich darauf in der gestrigen Sitzung geeinigt. Bei unseren Lesern hatte bereits die Ankündigung für ziemlichen Zorn gesorgt.
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Ein Coronabonus in Höhe von 100 Euro wurde bereits im ersten Entlastungspaket im März beschlossen. Aufgrund der steigenden Lebensunterhalts- und Energiekosten gibt es jedoch jetzt
noch einmal 100 Euro - steuerfrei - on top. Ausgezahlt werden soll das zusätzliche Geld im Juli. Dass Empfänger von Arbeitslosengeld II jetzt mehr Geld bekommen sollen, wirft bei vielen regionalHeute.de-Lesern die Frage nach dem Warum auf. Und zwar nicht nur, warum Hartz-IV-Empfängern nun überhaupt mehr Geld zusteht, sondern auch, warum man sich überhaupt noch die Mühe machen sollte, jeden Tag zur Arbeit zu gehen. Eine kontroverse Diskussion brach auf den Seiten unserer sozialen Netzwerke aus,
bei der sich nicht alle Leser über eben diese neue Regelung im Entlastungspaket der Bundesregierung beklagten, aber doch ein Großteil.
Warum noch arbeiten?
Manch einer lässt ganze Hasstiraden los und macht seinem Unmut so richtig Luft. So schimpft eine Leserin "Genau... immer mehr in Hals reinschieben. Wozu noch arbeiten gehen, wenn der Staat einem so den Arsch pudert? Vielleicht sollte man lieber den fleißigen Steuerzahlern mal entgegenkommen, die für diese ganze Sch**** aufkommen müssen."
Ein weiterer Leser schreibt: "Unfassbar. Menschen, die nichts leisten, noch mehr Zuwendungen schenken. Was hat jemand, der Hartz4 bezieht, für Einschränkungen in der Pandemie? Menschen, die arbeiten und sich somit für die Gesellschaft einsetzen, sollten eine Sonderstellung haben, aber nicht die Leute, die reich an Zeit sind."
"Na klar, wer sonst.... Wir blöden, die voll durchziehen auf Arbeit, brauchen nix... da kommt dir doch die Galle hoch!"
- Eine Leserin
Viele Leser fühlen sich ungerecht behandelt, ja regelrecht bestraft. Was der nächste Kommentar deutlich macht. "Warum, wenn man fragen darf? Wir, die arbeitende Bevölkerung, die Kurzarbeit hatte, sprich nicht arbeiten durften, müssen für jeden daheimgebliebenen Tag 15 bis 20 Euro bei der Lohnsteuer zurückzahlen. Ich glaube, es reicht langsam hin! Ich glaube, wir hören besser bald alle auf zu arbeiten, lohnt sich ja bald wirklich nicht mehr", heißt es
darin.
Fehler im System?
Auch wenn ein Großteil kein Verständnis für den doppelten Bonus hat, gibt es doch eine Gemeinschaft, die genau das befürwortet. Dabei wird jedoch oftmals deutlich, dass es Aufgabe des Staates sei, die "arbeitswilligen Hartz-IV-Empfänger" von den "nicht arbeitswilligen Hartz-IV-Empfängern" zu unterscheiden. Man dürfe daher nicht alle über einen Kamm scheren. So schreibt eine Leserin: "Vom Prinzip her keine Einwände, wenn die vorher bitte endlich mal prüfen würden, wer Hartz-IV-berechtigt bezieht und wer aus purer Faulheit. Die Schnorrer, die kein Bock zu nichts haben, sollten nämlich null bekommen."
"Dass das System problematisch ist, stelle ich nicht in Frage, aber dann nach unten zu treten und sich aufzuregen, dass die Ärmsten einmalig ein wenig mehr bekommen, ist der falsche Weg."
- Eine Leserin
Nicht allein die zusätzlichen Euro sorgen für Entrüstung, sondern die Tatsache, dass das Geld
unversteuert in den Brieftaschen derer landet, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Denn auch die arbeitende Bevölkerung bekommt ja einen Bonus - muss diesen jedoch voll versteuern. Was am Ende von den 300 Euro übrig bleibt, die einmalig ausgezahlt werden, wird die Gehaltsabrechnung zeigen.
Das Entlastungspaket der Bundesregierung
Am gestrigen Mittwoch hat die Regierungskoalition ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen, um die Bürger zu entlasten und die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine abzumildern.
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Demnach werden im Juli an Empfänger von Arbeitslosengeld II einmalig 200 Euro
ausgezahlt. Zudem soll Arbeitnehmern eine Energiepreispauschale in Höhe von einmalig 300 Euro ausgezahlt werden. Auch das Kindergeld soll im Juli um einen Einmalbetrag in Höhe von 100 Euro erhöht und die Energiesteuer für drei Monate gesenkt werden.