Haftbefehl
Hip-Hop/Rap · 2018
Chabos wissen wer der Babo ist
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Chabos wissen wer der Babo ist (feat. Nimo, Luciano, Soufian & Eno) [Young Babos Remix]
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Chabos wissen wer der Babo ist (Boys Noize Remix)
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23 February 2018
3 Songs, 9 Minutes
An URBAN release; ℗ 2018 Azzlackz, under exclusive license to Universal Music GmbH
Haftbefehl: Das Wort spricht man jetzt anders aus. Mit „ch“ am Anfang. Als hätte man etwas Unangenehmes am Gaumen kleben. Als würde man Arabisch lernen, es aber nicht richtig hinkriegen. Chaftbefehl. Freunde und Kollegen sagen einfach: der Chaft.
Haftbefehl heißt eigentlich Aykut Anhan, er ist 26 Jahre alt, ein Deutscher türkischer Abstammung. Das sind die Fakten. Der Rest: Gangstermythologie, Rapzirkus. Und artistisches Genie. Wie kommt man zu dieser These angesichts eines Musikers, der in seinen Videos mit Springmessern rumfuchtelt, vor Ferraris posiert und Kokspakete im Kofferraum dicker Limousinen versenkt? Es ist die Sprache.
Der türkische Cousin als kapitalistisches Subjekt
Mal ein sehr gewagter Vergleich: Wenn man ein Gedicht von T. S. Eliot oder Ezra Pound liest, dann versteht man bestenfalls die Hälfe, man braucht hermeneutische Hilfe, einen Übersetzer. Verstehe, das ist eine Metapher, das ist ein Verweis, das meint dies und dieses jenes. So ist es auch bei den Songs von Haftbefehl: Türkisch, Arabisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, alles wird verwurstet und haftiisiert, das heißt in den Mahlstrom einer genial nuschelnden Abkürzungsrhetorik eingespeist. Dazu kommen Schimpfwörter, Modesprech, Orts- und Straßennamen - die Szenen dieser Gauneroper spielen sich im Frankfurter Bahnhofsviertel, zwischen den Bankentürmen und in Offenbach, dem räudigen kleinen Ableger der Mainmetropole, ab.
Wenn es dem Rhythmus dient und der vollkommen hemmungslosen Selbstfeier als kapitalistisches Subjekt, dann reimt sich Gianni (von Gianni Versace) auf Money und Yves Saint Laurent auf Amcaoglu, das türkische Wort für Cousin. „Chabos wissen, wer der Babo ist“, der Titel der ersten Single des neuen Albums „Blockplatin“, könnte bald zum geflügelten Wort werden, wenn man Machtverhältnisse in einem Atemzug klären will. Die Jungs wissen, wer der Boss ist, und der Boss, das ist, wie es im Stück „Generation Azzlack“ heißt, der „Abi Haft“. Haftbefehl, der große Bruder.
Wenig Zeit für neue Kulturtechniken
Wer diese Rollenprosa ernst nimmt, dem wird Brüderle wie ein Chorknabe mit Genderkorrektheitsfimmel erscheinen. Eine Sexismusdebatte führt sich hier schon deshalb ad absurdum, weil alle ge***** werden (hier ist das Partizip einer derben Beischlafvokabel zu denken): Frauen, Konkurrenten, Polizisten, Anwälte. Das ist die Volksmusik des kleinen Mannes, der sich mit dem Größen-Ich eines Moguls ausstattet, aber zu schlau ist, nicht zu wissen, dass man die Kids heute nicht mehr mit verkniffener Gettolyrik an die Download-Buttons lockt. Bushido stilisierte sich als Elendsbarde, seine Karriere sollte eine vom „Bordstein bis zur Skyline“ sein, wie es in einem frühen Songtitel hieß. Die Skyline war dann letztlich nur eine Einladung zu Talkrunden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und ein Einfamilienhaus im Berliner Westen.
Derart spießige Allüren treiben Haftbefehl nicht um. Es gibt bei ihm generell keinen Wunsch nach sozialer Aufwärtsbewegung, es gibt nur die grotesk überzeichnete Inszenierung des Tauschs. Und wo man die Euros, Dollars, Pesos scheffelt (alle Währungen kommen in den Songs von Haftbefehl vor), ob im Untergrund, in der Chefetage, im Wohnsilo oder im Nobelbordell, das ist letztlich egal. „Ich zähl’ die Millen, chillen, Villen, du bist still, Dicker, keine Zeit für Facebook, um Unsinn zu twittern“ - so spricht der Rapper, und so denken sich’s vermutlich auch Fondsmanager und Investmentbroker, die ebenfalls für neue Kulturtechniken nur wenig Zeit haben, denn Zeit ist: Geld.
Wie ein klebriges Stück Döner
Ein Idiom, das sich durch die Nationalsprachen sämtlicher Migrantengruppen in Deutschland fräst; das Bruce Lee auf Tunceli, eine kurdische Provinz, reimt; ein Slang, der Slangformen verwurstet, also Hyperslang, Metasprache geworden ist: Das kriegt so keiner hin wie Haftbefehl. Dazu brettern tonnenschwere Beats, im Hintergrund wimmern arabische Sänger, auf Mickymaus-Höhe verzerrt. Das Nationale wird hier so schnell Zitat, dass man gar nicht hinterherkommt mit der Diagnose: Travestie? Chauvinismus? Beides?
Vergangenes Jahr mischte der Stuttgarter Sänger Cro die Szene auf, mit Hip-Hop für Leute, die sich eigentlich vor Hip-Hop fürchten. Rap für Betriebsfeiern, Radiomusik. Straßenrap sei tot, hieß es. Berlin, das Zuhause von Sido, Bushido und all den andern Gangsterclowns, war vom Radar verschwunden. Jetzt kommt einer aus Offenbach mit seinem derben, düsteren und schlüssigen Sound und krempelt die deutsche Phonetik um. Wie gesagt: „H“ wie „ch“. Vom Gaumen weggeraspelt wie ein klebriges Stück Döner.