Kommt das Gedächtnis nach Schlaganfall wieder

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"Und dann geh ich, da will ich das gehen. Und dann Arbeit muss ich ja will ich ja merken..." Die Folgen eines Schlaganfalls sind vielfältig: Betroffene haben Probleme zu gehen, zu fühlen, zu sehen – und zu sprechen. Den Verlust der Sprache bezeichnen Experten als Aphasie.

Die Experten

  • Privat

    median-kliniken.de - PD Dr. med. Christian Dohle

    Ärztlicher Direktor
    Chefarzt Fachklinik für neurologische Rehabilitation, MEDIAN Klinik Berlin-Kladow

    Kladower Damm 223
    14089 Berlin

  • Privat

    median-kliniken.de - Nicole Pickert

    Patholinguistin und Leitende Logopädin, MEDIAN Klinik Berlin-Kladow

    Kladower Damm 223
    14089 Berlin

"Die Aphasie umfasst Einschränkungen aller sprachlichen Fähigkeiten wie Sprechen und Verstehen, Lesen und Schreiben", erklärt Christian Dohle, Neurologe und Ärztlicher Direktor der Median Klinik Berlin-Kladow. Betroffene haben oft Wortfindungsschwierigkeiten oder es fällt ihnen schwer, den Zusammenhang von Sätzen und Texten zu erkennen. Aber: Sie büßen nichts von ihrer Intelligenz ein. "Die Aphasie ist eine Sprachstörung, keine Denkstörung", betont Dohle.

Untergang von Nervenzellen

Der Grund für den Sprachverlust: der Untergang von Nervenzellen infolge einer Blutung oder eines Infarkts im Gehirn. In vier von fünf Fällen ist ein Hirngefäß verstopft, bei rund 15 Prozent der Patienten reißt beispielsweise ein Gefäß und blutet ein. Die nachfolgenden Hirnregionen werden nicht mehr ausreichend durchblutet. Die Hirnzellen leiden unter Sauerstoffmangel und sterben ab - die ersten Zellen bereits nach drei Minuten.

  Eine Aphasie tritt in der Regel auf, wenn Bereiche der linken Großhirnhälfte geschädigt sind. Je nachdem welche Region genau, unterscheiden die Ärzte und Therapeuten zwischen verschiedenen Sprach- und Sprechstörungen (siehe Infobox Kasten "Die vier Formen der Aphasien"). Die beiden bekanntesten: das Broca-Areal. Es kontrolliert die Mundmotorik und ist zuständig für die Sprachproduktion. Das Wernicke-Areal verantwortet das Sprachverständnis. Schwarz und weiß ist bei der Aphasie jedoch selten: "Meist sind mehrere Areale betroffen und häufig auch die Verbindungen dazwischen", sagt Dohle.

Die vier Formen der Aphasie

Quelle: Deutsche Schlaganfall-Hilfe

  • Broca-Aphasie

    Broca-Aphasie

    Menschen mit einer Broca-Aphasie sprechen häufig in kurzen, einfachen Sätzen oder reihen inhaltstragende Wörter einzeln aneinander – ähnlich einem Telegramm. Häufig sprechen sie langsam, das Sprechen ist durch Finden der passenden Wörter erschwert. Menschen mit einer Broca-Aphasie verstehen vergleichsweise gut.

  • Wernicke-Aphasie

    Wernicke-Aphasie

    Menschen mit einer Wernicke-Aphasie produzieren häufig lange, verschachtelte Sätze. Satzteile oder ganze Sätze wiederholen sich. In schweren Fällen scheinen sie flüssig zu sprechen, doch der Inhalt ergibt wenig oder keinen Sinn. Betroffenen fällt es häufig schwer, die passenden Wörter oder Laute zu finden. Auch das Sprachverständnis ist meist stark beeinträchtigt.

  • Amnestische Aphasie

    Amnestische Aphasie

    Leichteste Form der Aphasie. Betroffene haben spontan und beim direkten Benennen von Gegenständen Wortfindungsstörungen. Sie umgehen sie, indem sie Redefloskeln verwenden oder Wörter umschreiben. Selten brechen sie Sätze ab oder ersetzen das Zielwort, das eine semantische Nähe aufweist (z.B. Blume anstatt Baum).

  • Globale Aphasie

    Globale Aphasie

    Schwerste Form der Aphasie: Sowohl das Verstehen von Sprache, als auch deren Produktion sind stark gestört. Häufig sprechen Global-Aphasiker nur einzelne Wörter oder immer wiederkehrend die gleiche Redefloskel. Auch das Sprachverständnis ist stark eingeschränkt, sodass oft nur einzelne Wörter verstanden werden können oder diese aus der jeweiligen Situation erschlossen werden.

Erst schnell, dann langsam

Die gute Nachricht: In den ersten vier bis sechs Wochen normalisiert sich die Sprachstörung bei rund einem Drittel der Patienten. "Danach nimmt die spontane Rückbildung der Symptome ab", sagt Schlaganfallexperte Dohle. Das Gehirn beginnt sich neu zu organisieren. "Viele Areale können innerhalb gewisser Grenzen umtrainiert werden. Es wachsen zwar keine neuen Zellen, aber es entstehen neue Verbindungsmuster zwischen den Nervenzellen."

Infos im Netz

  • Deutscher Bundesverband für Logopädie e.V.

    Augustinusstr. 11a
    50226 Frechen

    Tel: 02234 - 379 53 0
    Mail:

  • dsg-info.de - Deutsche Schlaganfall Gesellschaft

    Infos und Beratung für Angehörige unter:

    Tel.: 05241 – 977 00
    Fax: 05241 – 977 07 77
    Mail: 

  • schlaganfall-hilfe.de - Deutsche Schlaganfall Hilfe

    Service und Beratung unter:

    Tel.: 05241 – 977 00
    Fax: 05241 – 977 07 77
    Mail: 

  • aphasiker.de - Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e.V.

  • aphasiker.de - Hilfe für Aphasiker und Angehörige

    Adressen von Aphasie-Zentren, die Hilfe für Aphasiker und ihre Angehörigen anbieten

  • schlaganfall-selbsthilfe-berlin.de - LVSBerlin e.V.

    Landesselbsthilfeverband Schlaganfall- und Aphasiebetroffener und gleichartig Behinderter Berlin e.V.

Nach sechs Monaten ist knapp die Hälfte der Schlaganfallpatienten frei von aphasischen Symptomen. Zahlreiche Studien belegen mittlerweile, dass Patienten durch intensives Training auch danach noch Fortschritte erzielen.

Behandlung in drei Schritten

Aber der Reihe nach: Zunächst sind die Neurologen auf der sogenannten Stroke Unit gefragt, die Patienten so zu behandeln, dass möglichst wenig Hirngewebe verloren geht. Bei einem Gerinnsel, das die Blutversorgung dahinter abschneidet, verabreichen sie eine Infusion. Die enthält ein Enzym, das die Thromben auflöst. Bei dieser sogenannten Lysetherapie zählt jede Minute, sie wirkt nur in den ersten Stunden nach dem Schlaganfall. Große Gerinnsel entfernen die Spezialisten mittlerweile auch per Katheter. Bei bestimmten Blutungen verschließen sie die Quellen operativ.

In der Klinik

Die Behandlung einer Aphasie ist Aufgabe von Sprachtrainern, sogenannten Logopäden oder Patholinguisten. Während in der Stroke Unit ihr Fokus vor allem auf dem Schlucktraining liegt, beginnt die eigentliche Aphasietherapie in der Reha direkt im Anschluss.

  "Wichtig ist eine Therapie – so früh wie möglich und so intensiv wie möglich", sagt Nicole Pickert, Patholinguistin und leitende Logopädin der Median Klinik Berlin-Kladow. "Vor allem in der ersten Zeit nach dem Schlaganfall können wir mit der Behandlung große Fortschritte erzielen."

In der Reha

Vor Beginn der Therapie steht die Diagnostik, bei der die Logopäden mit validierten Tests das

  ·         Lesen,
·         Schreiben,
·         Verstehen und die
·         Sprachproduktion

  checken.

  "Die gezielte Diagnostik durch Fachleute, ist notwendig, damit wir wissen, welche Form der Aphasie vorliegt und worauf wir bei der Therapie besonders achten müssen", betont die Expertin für Störungen der Sprache, des Sprechens und des Schluckens. Danach haben die Patienten in der Regel täglich Einzeltherapie. Zusätzliche Gruppentherapie und Übungsmaterial für das eigenständige Training verstärken die Effekte.

  Die Logopäden verfolgen ein klares Ziel: "Wir wollen keine Testergebnisse verbessern, sondern erreichen, dass die Patienten im Alltag besser klar kommen. Die Therapie muss eine alltagsrelevante Konsequenz haben", sagt Pickert. Dazu gehören beispielsweise das Trainieren des Sprachverstehens mit Wort-Bild-Übungen oder das Etablieren eines Ja-Nein-Codes.

Tipps für Angehörige

  • · Mit ruhiger Stimme und gleichbleibender Lautstärke sprechen.

    · Wie mit einem Erwachsenen sprechen und nicht wie mit einem Kleinkind.

    · Dem Aphasiker nicht ins Wort fallen, ihn ausreden lassen. Angehörige sollten nicht für die Patienten reden, ihnen das Reden nicht abnehmen.

    · Durch Fragen herausfinden, was gemeint ist. Dabei langsam und möglichst in einfachen Sätzen sprechen, die mit JA oder NEIN beantwortet werden können.

    · Nachfragen, wenn man etwas nicht versteht.

    Quelle: MEDIAN Klinik Berlin-Kladow

Wieder zu Hause

Auch nach der Reha geht die Therapie weiter – mit Hilfe eines Logopäden am Wohnort. Meist empfiehlt sich eine regelmäßige Therapie. "Am besten täglich und ein Leben lang," meint die Patholinguistin. Im Alltag ist das oft nicht umsetzbar – weil es an Therapeuten mangelt und weil die Kassen oft nur wenige Stunden pro Woche zahlen.

  Der Logopäde sollte Erfahrungen bei der Behandlung der Aphasie haben. Dazu sind die Patienten gefordert, denn Üben ist das A und O einer erfolgreichen Therapie. Das kann anstrengend sein. "Wir lernen immer dann, wenn wir an der Leistungsgrenze sind", sagt Pickert. "In der Therapie wird genau das geübt, was der Patient nicht kann, so dass auch mal mit Stagnation und Frustration zu rechnen ist."

Was Angehörige tun können

Pickert rät davon ab, dass Patienten mit ihren Angehörigen üben: "Sie sollten lieber den angenehmen, positiven Part übernehmen und nicht den Drill." Wer will, kann sich jedoch vom Therapeuten anleiten lassen und den Therapieprozess durch Üben unterstützen. Dazu gehören beiläufige Abfragen im Alltag, beispielsweise welcher Tag oder wie spät es ist.

  Viel wichtiger als das gemeinsame Üben sei jedoch, dass die Patienten Sprache im Alltag nutzen: "Aphasiker sollten möglichst viel und vor allem selber sprechen. Die Lust zu reden ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie", sagt Pickert. Statt ihm ins Wort zu fallen sollen Angehörige die Patienten mehr fordern, damit sie das Sprechen ständig trainieren.

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Sprachtherapien

Verschiedene Therapien bringen Abwechslung in den anstrengenden Trainingsalltag: die melodische Intonationstherapie beispielsweise, bei der Patienten Wörter nicht sprechen, sondern singen. "Obwohl sie Schwierigkeiten beim Sprechen haben, können Betroffene erstaunlicherweise oft noch ganze Texte weitestgehend fehlerfrei singen", sagt Pickert.

  Die Idee der Therapie ist, mit Gesang die rechte, noch gesunde Hirnrinde zu stimulieren, bis diese schließlich die Sprachfunktionen der zerstörten linken Hirnrinde übernimmt. Das Verfahren scheint eher in der akuten Therapie wirksam als bei chronischen Aphasikern. Bei der ILAT-Therapie (Intensive Language-Action Therapy, Intensivsprachtherapie) kommunizieren kleine Patientengruppen mit einem ähnlichen Sprachniveau in Alltagssituationen. "Dadurch lassen sich die sprachlichen Fähigkeiten bereits innerhalb von zwei Behandlungswochen signifikant verbessern, auch im hohen Alter und bei langer Krankheitsdauer", sagt Pickert.

Unterstützende Therapien

Neurologe Dohle kennt allerdings auch die Grenzen einer logopädischen Therapie. "Bei etwa der Hälfte der Patienten gelingt es nicht oder nur sehr mühsam, die sprachlichen Defizite zu beseitigen", so der Schlaganfallexperte.

  Vor allem für sie sucht man nach neuen Wegen, um den Therapieerfolg zu verbessern. Eine Idee: das Gehirn zu stimulieren, um es aufnahmefähiger zu machen, beispielsweise mit Gleichstrom. Dafür werden am Kopf des Patienten zwei Elektroden angebracht, dazwischen fließt Strom. "Der Strom soll die Erregbarkeit oder die Plastizität des Gehirns steigern und so die Lernfähigkeit verbessern," erklärt Dohle. Das gelingt, wenn auch nur im gewissen Maße.

Hightech fürs Hirn

Technische Entwicklungen erleichtern Therapeuten die Therapie und Patienten ihren Alltag. Dazu gehören Sprachapps wie Neolexon, Constant Therapy, Tactus oder Lingraphica und spezielle Computerprogramme wie EvoCare, aphasiaware und Lingware. Studien zeigen, dass Patienten damit größere Fortschritte erzielen als ohne die Übungen. Dohle sieht vor allem in der ambulanten Therapie Möglichkeiten der Unterstützung durch die neuen Medien.

Kein Ende für den Fortschritt in Sicht

Noch gibt es keine Zauberpille oder Wundertechnologie, die das Sprechen über Nacht wieder herstellt. Sprache wiederzuerlangen ist ein andauernder Prozess. Eine kürzlich publizierte Arbeit konnte zeigen, dass chronischen Aphasiker, deren Schlaganfall Jahre zurücklag, durch eine intensivierte Sprachtherapie noch einmal immense Fortschritte machen.

  "An sich ist die Verbesserung nie abgeschlossen. Das Gehirn bleibt auch nach einem Schlaganfall plastisch", sagt Dohle. "Wieder zu sprechen, ist hartes Training. Man lernt nur durch Wiederholung und ein Training an der Leistungsgrenze." Im besten Fall ein Leben lang.

Kann man sich nach einem Schlaganfall an alles erinnern?

An Dinge, die lange zurück liegen, können sich die Patienten dagegen häufig noch erinnern. Das Ausmaß und die Schwere der Beeinträchtigungen hängen in erster Linie davon ab, welche Gehirnregionen betroffen und wie stark sie durch den Schlaganfall geschädigt worden sind.

Kann man nach einem Schlaganfall wieder ganz normal werden?

Einige Patienten haben möglicherweise vollständig wiederhergestellte Funktionen, während andere weiterhin ihre Rehabilitation fortsetzen. Eine beruhigende Statistik ist, dass von den Schlaganfallpatienten, die nach 6 Monaten nicht ohne Hilfe gehen konnten, 74 % nach 2 Jahren wieder gehen können.

Wann erste Besserung nach Schlaganfall?

Es kommt auf die ersten 3 Monate der Genesung an Im Allgemeinen tritt die schnellste Erholung innerhalb der ersten 3 Monate nach dem Schlaganfall auf, während sich das Gehirn in diesem erhöhten Zustand der Plastizität befindet. Die Schlaganfall-Rehabilitation wird in dieser Zeit größere Auswirkungen haben.

Ist man nach einem Schlaganfall verwirrt?

Schlaganfall-Patienten leiden häufig an körperlichen Beeinträchtigungen wie beispielsweise einer Lähmung der Beine oder Arme. Ein Schlaganfall kann jedoch auch kognitive Beschwerden wie Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen zur Folge haben. Auch Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit kommen vor.

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