Das mädchen am strand wer ist der täter

Wenn im Abendprogramm einmal etwas funktioniert, wird dasselbe Süppchen gern wieder gekocht. Und wieder. Was funktioniert hat, vor fünf Jahren schon, ist das „Broadchurch“-Rezept. Die britische Serie wurde vom ZDF mit „Tod eines Mädchens“ einigermaßen frech, wenngleich erzählerisch nicht ganz so ausgefeilt, kopiert. Beziehungskrisen und das Leid, das der Todesfall bedeutete, spielten in dem gelungenen Zweiteiler unter der Regie von Thomas Berger eine ebenso große Rolle wie der Kriminalfall selbst. Zum Erfolg des Films trugen aber auch die majestätisch ruhige, bestens mit der Küstenlandschaft harmonierende Inszenierung und die schauspielerische Klasse der prominenten Darsteller bei.

Vor einem Jahr folgte die Neuauflage „Die verschwundene Familie“, wie der Vorgänger im fiktiven Ostsee-Ort Nordholm spielend und jetzt von Berger selbst geschrieben. Wieder ermittelte die aus dem Ort stammende Hella Christensen (Barbara Auer), im ersten Teil Nachbarin des Opfers und familiär in das Geschehen verwickelt, gemeinsam mit dem ruppig empathiefreien, ständig mit ihr über Kreuz liegenden, aber hellsichtigen Ermittler Kessler (Heino Ferch). Schon da zeigten sich Abnutzungserscheinungen, weil vieles nach Wiederholung aussah, nicht nach Fortentwicklung. Die Serie „Broadchurch“ hatte wenigstens versucht, die Grundhandlung der ersten Staffel konsistent in die zweite, die partiell zum Gerichtsdrama wurde, zu ziehen.

Allmählich sollte Bürgermeister Börnsen (Marek Erhardt) sich für die Umbenennung in Mordholm starkmachen, denn abermals ist in dem schmucken Örtchen ein Todesopfer zu beklagen, diesmal die Abiturientin Jule (Tijan Marei), die nach einer ausgelassenen Abifeier am Strand erschlagen aufgefunden wird. Zufällig ist die nicht mehr für die Polizei arbeitende Hella Christensen wieder privat involviert, denn Jule hat mit ihrem Sohn Sven (Nick Julius Schuck) die Schulbank geteilt und eventuell auch mehr. Ebenso zufällig schaltet sich der im Ort schlecht gelittene Ermittler Kessler mit einigen Kollegen der Staatsanwaltschaft Hamburg wieder ein und ermittelt auf die Harter-Hund-Methode, wobei er – wohl allein der Bilder wegen – sein Büro in ein Wohnmobil am Strand verlegt.

Privat läuft es immer noch nirgends rund: Hella und ihr Sohn leiden an der ausgesprochenen, aber nicht verwundenen Trennung von Ehemann Johannes (Rainer Bock, der hier nicht ganz so brillieren darf wie jüngst im „König von Köln“). Kessler hängt seiner On-Off-Beziehung mit der Mutter des ersten Todesopfers nach (dabei ist das Kunststück gelungen, die zuvor von Anja Kling gespielte Figur gar nicht auftauchen zu lassen), ist aber ebenso der libertinären Gattin (Natalia Wörner) des örtlichen Immobilienmoguls Klaus Steinkamp (Axel Milberg) nicht abgeneigt; in Steinkamps Diensten stand einst auch Jules Mutter (Sophie von Kessel). Alle hier sind also wieder miteinander verbandelt. Das Buch von Thomas Berger hält die Balance zwischen Drama und Krimi souverän, allerdings sind die Figuren, die man näher kennenlernt, arg schablonenhaft geraten. Dem Opfer Jule etwa wurde – wie schon häufig gesehen, aber dadurch auch nicht glaubhafter – ein Doppelleben als Edelprostituierte angedichtet. So nur ließ sich offenbar eine Spur zu Kessler nach Hamburg legen.

Trotz der wenig kreativen Auflösung nach „Tatort“-Standard bietet der Zweiteiler als Krimi einige Spannung und funktioniert als Lokaldrama wenigstens ansatzweise. Kleine und große Lügen kommen nach und nach ans Licht, verschieben immer wieder die Perspektive. Bald ist ein weiteres Kind verschwunden, wobei zunächst unklar bleibt, ob es als Opfer oder Täter in Frage kommt. Die früheren Episoden muss zum Verständnis des Orts und seiner Bewohner niemand gesehen haben, weil der horizontalen Erzählung hier so wenig Bedeutung zukommt wie der Charaktertiefe der Figuren. Wichtiger waren Berger emotional dichte Verhörszenen und klassisch atmosphärische Bilder. Wahrscheinlich kann man ja tatsächlich nirgends schöner einsam sein als am Meer, und das sehen wir hier in immer neuen Varianten. In Nordholm ist die Enge so eng, dass aus ihr Fremdheit erwächst. Jedes Grundvertrauen scheint erodiert zu sein. Wer das nicht erträgt, geht fort.

Was „Das Mädchen am Strand“ positiv von vielen zur detektivischen Hysterie neigenden Kindermordkrimis unterscheidet, ist der wohltemperierte Erzählfluss. Berger gelingt es, seine überschaubare Handlung mit einigen Verdächtigen, einigen privaten Dramen und der diesmal nicht überstrapazierten Dynamik zwischen den beiden Ermittlerfiguren (die eine nur privat im Einsatz) über 180 Minuten zu dehnen, ohne zu langweilen. Das langsame Erzählen funktioniert freilich nur, weil die Darsteller über genug Rollensicherheit und mimische Nuancen verfügen. So sind es ganz entschieden die Schauspieler, die etablierten wie der junge Cast, die den Zweiteiler, der hoffentlich der letzte aus Nordholm bleibt, tragen und ansehenswert machen.

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