Das hässliche universum: warum unsere suche nach schönheit die physik in die sackgasse führt

Eine ketzerische Position: Was läuft falsch in der gegenwärtigen Physik?

Physiker glauben häufig, dass die besten Theorien schön, natürlich und elegant sind. Was schön ist, muss wahr sein, Schönheit unterscheidet erfolgreiche Theorien von schlechten. Sabine Hossenfelder zeigt jedoch, dass die Physik sich damit verrannt hat: Durch das Festhalten am Primat der Schönheit gibt es seit mehr als vier Jahrzehnten keinen Durchbruch in der Grundlagenphysik. Schlimmer noch, der Glaube an Schönheit ist so dogmatisch geworden, dass er nun in Konflikt mit wissenschaftlicher Objektivität gerät: Beobachtungen können nicht mehr länger die kühnsten Theorien wie z.B. Supersymmetrie bestätigen. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, muss die Physik ihre Methoden überdenken. Nur wenn Realität als das akzeptiert wird, was sie ist, kann Wissenschaft die Wahrheit erkennen.

© S. Fischer

Die theoretische Physikerin Sabine Hossenfelder kritisiert in ihrem Buch Das hässliche Universum die Irrwege der gegenwärtigen Physik. Seit Jahrzehnten gibt es in der Grundlagenforschung keine nennenswerten Fortschritte, denn man rennt falschen Idealen hinterher. Eine Theorie muss schön, natürlich und einfach sein, um Anerkennung in der Wissenschaftsgemeinde zu finden. Forschungsgelder werden für sinnlose Experimente vergeudet. Dadurch wird aber der Weg zu neuen Erkenntnissen versperrt, meint die Querdenkerin.

Hossenfelder besuchte Teilchenphysiker, Stringtheoretiker und Kosmologen, die sie mit diesen Widersprüchen konfrontierte, darunter Gian Giudice, Nima Arkani-Hamed, George Ellis und die Nobelpreisträger Steven Weinberg und Frank Wilczek. Was hat das subjektive Schönheitsempfinden mit objektiver Wissenschaft zu tun, fragt sie. Wo stecken die supersymmetrischen Partner, die das Standardmodell der Teilchenphysik vervollständigen? Was wird aus der eleganten Stringtheorie, die sich ohne diese Teilchen nicht beweisen lässt? Wohin führt die unüberprüfbare Idee von einem Multiversum? Wo bleiben die Beweise für die Existenz der Dunklen Materie? Manche Gesprächspartner zeigen sich ratlos über die verfahrene Situation, andere verteidigen das Schönheitsideal und halten an Ideen fest, die Sabine Hossenfelder für aussichtslos hält. – Diese intelligenten Dialoge sind amüsant zu lesen dank der trockenen Anmerkungen Hossenfelders zur Gesprächsatmosphäre. Nebenbei entsteht ein Überblick zum aktuellen Stand der Dinge in der Physik. Jedes Kapitel beginnt mit einer selbstironischen Einleitung (s. Inhaltsverzeichnis in der Leseprobe) und endet mit einer knappen Zusammenfassung der Kernaussagen.

Sabine Hossenfelder kamen schon früh Zweifel, ob Einfachheit, Natürlichkeit, Schönheit und Symmetrie als Leitlinien für physikalische Theorien taugen. Ganz offen kritisiert sie die Fehlentwicklungen, die sie in ihrer mehr als 20-jährigen Laufbahn als theoretische Physikerin beobachtet hat. Ihre Generation, meint sie, ist eine erfolglose Generation, was ihren Vorgängern zu verdanken ist. Diese beharrten auf dem Primat der Schönheit, weil das für sie noch funktionierte. Dabei gibt es in der Geschichte der Physik genug Beispiele, in denen hässliche Theorien sich durchsetzten. Keplers Erkenntnis, dass die Planeten nicht in kreisförmigen, sondern in elliptischen Bahnen um die Sonne ziehen, wurde nachträglich anerkannt. Auch die Quantenelektrodynamik hatte es anfangs schwer, wurde aber durch Experimente belegt. Am heutigen Zustand kritisiert Sabine Hossenfelder, dass die wissenschaftliche Methode nicht mehr beachtet wird, indem Theorien weiterverfolgt werden, die nicht zu beweisen sind. Alle folgen der Meute, konzentrieren sich auf die angesagten Forschungsrichtungen. Physiker, die gegen den Strom schwimmen, erhalten keine Forschungsgelder für ihre Projekte und werden angefeindet. Hossenfelder verschweigt auch nicht ihre eigene, oft prekäre berufliche Situation von einem befristeten Job zum nächsten. Heute arbeitet sie als Research Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies zur Quantengravitation und Physik jenseits des Standardmodells der Elementarteilchen.

Das hässliche Universum ist ein starkes, erfrischend offenes Buch von einer Wissenschaftlerin, die sich mit der Materie auskennt und den Finger in die Wunde legt. Ein anspruchsvolle Lektüre, die viel Diskussionsstoff bietet.

3. Platz als Wissensbuch des Jahres 2019 in der Kategorie Zündstoff.

Sabine Hossenfelder: Das hässliche Universum – Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt
Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Sonja Schuhmacher
S. Fischer Verlag 2018, 368 Seiten
ISBN 978-3-10-397246-7
Leseprobe

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