616 bgb bedeutung

Ent­gelt­fort­zah­lung bei per­sön­li­cher Ver­hin­de­rung BGB 616: Als Auf­fang­tat­be­stand sieht § 616 BGB vor, dass der Arbeit­neh­mer einen Anspruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung hat, wenn er die geschul­de­te (= ver­trag­lich ver­ein­bar­te) Arbeits­leis­tung nicht erbrin­gen kann

  • wegen eines in sei­ner Per­son lie­gen­den Grundes
  • für eine ver­hält­nis­mä­ßig nicht erheb­li­che Zeit
  • ohne sein Verschulden.

Die­se Vor­schrift ist trotz ihrer noch rela­tiv gro­ßen Bedeu­tung eine Auf­fang­be­stim­mung. Das heißt, ein Arbeit­neh­mer kann sich auf sie nur beru­fen, wenn nicht ande­re, vor­ran­gi­ge Bestim­mun­gen ein­grei­fen. § 616 BGB kann auch zum Nach­teil des Arbeit­neh­mers geän­dert werden.

Die Rege­lung des § 616 BGB gilt nicht nur für Arbeit­neh­mer, son­dern auch für alle Dienst­ver­trä­ge, die kein Arbeits­ver­hält­nis begrün­den. Erfasst wer­den daher bei­spiels­wei­se auch freie Mit­ar­bei­ter und arbeit­neh­mer­ähn­li­che Personen.

  1. Per­sön­li­che Verhinderung

Anspruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung nach § 616 BGB hat der Arbeit­neh­mer nur, wenn ihm die Leis­tung aus einem in sei­ner Per­son lie­gen­den Grund unmög­lich oder – unter stren­gen Anfor­de­run­gen – zumin­dest unzu­mut­bar ist. Es muss sich dem­zu­fol­ge um einen Grund han­deln, der nicht für alle oder meh­re­re Arbeit­neh­mer zusam­men ein­tritt, son­dern um einen sub­jek­ti­ven Ver­hin­de­rungs­grund, der nur bei dem betrof­fe­nen Arbeit­neh­mer vor­liegt. Kein in der Per­son des Arbeit­neh­mers lie­gen­der Grund ist bei­spiels­wei­se bei fol­gen­den Stö­run­gen gegeben:

  • feh­len­de Berufs­aus­übungs­er­laub­nis[1],
  • lan­des- oder bun­des­wei­te Trauer,
  • Smog­alarm und damit ver­bun­de­ne Fahrverbote,
  • streik­be­ding­te Stö­run­gen des öffent­li­chen Nahverkehrs,
  • sons­ti­ge all­ge­mei­ne Verkehrsstörungen,
  • wit­te­rungs­be­ding­te Ver­kehrs­stö­run­gen (Eis­glät­te, Schnee­ver­we­hun­gen usw.).

Eine per­sön­li­che Ver­hin­de­rung wird hin­ge­gen in fol­gen­den Fäl­len angenommen:

  • Erkran­kung naher Angehöriger
  • Pfle­ge naher Angehöriger
  • Ereig­nis­se im Fami­li­en- und Verwandtenkreis
  • Wahr­neh­mung staats­bür­ger­li­cher Pflich­ten (Tätig­keit als ehren­amt­li­cher Rich­ter, Ladung als Zeu­ge etc.)
  • Sons­ti­ge Fäl­le (Umzug, Arzt­be­su­che, Ein­bruch, Brand, …)

1.1 Erkran­kung naher Angehöriger

Die Erkran­kung und dar­aus resul­tie­ren­de Pfle­ge naher Ange­hö­ri­ger kann einen per­sön­li­chen Ver­hin­de­rungs­grund dar­stel­len. Der Arbeit­neh­mer hat aller­dings zuvor die Pfle­ge und Betreu­ung des Kran­ken auf ande­re Wei­se sicher­zu­stel­len, etwa durch ande­re Ver­wand­te, die wäh­rend der Arbeits­zeit des Arbeit­neh­mers die Pfle­ge über­neh­men kön­nen. Die Erkran­kung muss über­dies so schwer sein, dass eine Pfle­ge durch den Arbeit­neh­mer erfor­der­lich wird.[2]]

Bei Kin­dern hängt die Pfle­ge­be­dürf­tig­keit auch vom Alter ab. Bis zu einem Alter von 8 Jah­ren dürf­te sie bei ernst­haf­ter Krank­heit regel­mä­ßig zu beja­hen sein[3], mit stei­gen­dem Alter stei­gen die Anfor­de­run­gen. In der Lite­ra­tur wird – mit Blick auf § 45 SGB V, dazu unten – die Pfle­ge­be­dürf­tig­keit aller­dings auch für den Regel­fall bis auf 12-jäh­ri­ge Kin­der aus­ge­dehnt. Eine ärzt­li­che Beschei­ni­gung genügt in der Regel für den Nach­weis, dass ein kran­kes Kind der Pfle­ge bedarf. Kom­men nur der Vater oder die Mut­ter als geeig­ne­te Pfle­ge­per­so­nen in Betracht und sind sie bei­de berufs­tä­tig, so kön­nen grund­sätz­lich die Eltern dar­über ent­schei­den, wer von ihnen die Pfle­ge über­neh­men soll. Auf Belan­ge der Arbeit­ge­ber soll­ten sie Rück­sicht neh­men; ob sie dazu sogar ver­pflich­tet sind, ist in der rechts­wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur umstritten.

Pra­xis-Tipp “Nor­maldau­er” der Frei­stel­lung bei erkrank­tem Kind Als Faust­re­gel wird ange­ge­ben, dass ein Arbeit­neh­mer für ein im Haus­halt leben­des erheb­lich erkrank­tes Kind mit einem Alter von unter 8 Jah­ren für einen Zeit­raum von bis zu 5 Tagen per­sön­lich ver­hin­dert im Sin­ne des § 616 BGB sein kann.

Neben § 616 BGB begrün­det § 45 SGB V einen Anspruch auf unbe­zahl­te Frei­stel­lung (§ 45 Abs. 3 SGB V). Vor­aus­set­zung ist, dass das Fern­blei­ben des Arbeit­neh­mers von der Arbeit nach ärzt­li­chem Zeug­nis erfor­der­lich ist zur Beauf­sich­ti­gung, Betreu­ung oder Pfle­ge des erkrank­ten Kin­des. Die­ser Anspruch ist sub­si­di­är, greift also nur, soweit der Arbeit­neh­mer nicht (auch nicht nach § 616 BGB) Anspruch auf bezahl­te Frei­stel­lung hat. Eine Addi­ti­on bezahl­ter und unbe­zahl­ter Frei­stel­lung ist mög­lich; an eine bezahl­te Frei­stel­lung nach § 616 BGB kann sich für die Rest­lauf­zeit die unbe­zahl­te nach § 45 SGB V anschließen.

Der Anspruch auf Frei­stel­lung von der Arbeit ohne Bezah­lung durch den Arbeit­ge­ber zur Pfle­ge eines erkrank­ten Kin­des beträgt 10 Arbeits­ta­ge, für Allein­er­zie­hen­de 20 Arbeits­ta­ge (pro Kalen­der­jahr ins­ge­samt max. 25/50 Arbeits­ta­ge). Für die­sen Zeit­raum hat die Kran­ken­kas­se Kran­ken­geld zu zah­len. Das Kind darf das 12. Lebens­jahr nicht voll­endet haben. Der Anspruch auf Frei­stel­lung nach § 45 SGB V kann – anders als der nach § 616 BGB – weder durch Tarif­ver­trag noch durch Arbeits­ver­trag zum Nach­teil des Arbeit­neh­mers geän­dert werden.

1.2 Pfle­ge naher Angehöriger

Mit dem Pfle­ge­zeit­ge­setz (Pfle­geZG) wur­den zum 1.7.2008 neue Frei­stel­lungs­an­sprü­che der Beschäf­tig­ten für die Fäl­le geschaf­fen, in denen sie pfle­ge­be­dürf­ti­ge nahe Ange­hö­ri­ge zu ver­sor­gen haben. Zum 1.1.2015 sind eini­ge Ände­run­gen des Pfle­geZG – teils nur redak­tio­nel­ler Art – in Kraft getreten.

Das Gesetz unter­schei­det zwi­schen der bis zu 6‑monatigen Pfle­ge­zeit[4] sowie der kurz­zei­ti­gen Arbeits­ver­hin­de­rung.[5]

Die auf län­ge­re Dau­er ange­leg­te gro­ße Pfle­ge­zeit ist – ähn­lich der Eltern­zeit – auf eine unbe­zahl­te Frei­stel­lung ange­legt. Das Pfle­geZG selbst erlegt dem Arbeit­ge­ber für Pfle­ge­zei­ten kei­ne Ent­gelt­fort­zah­lungs­pflich­ten auf, und auch aus den all­ge­mei­nen gesetz­li­chen Rege­lun­gen erge­ben sich kei­ne Ent­gelt­fort­zah­lungs­pflich­ten. Ins­be­son­de­re gewährt § 616 BGB in die­sem Fall kei­nen Anspruch, weil in bis zu 6‑monatigen Pfle­ge­zei­ten ein­deu­tig kei­ne kurz­zei­ti­ge Arbeits­ver­hin­de­rung mehr zu sehen ist.

Die kurz­zei­ti­ge Arbeits­ver­hin­de­rung im Sin­ne des § 2 Pfle­geZG (klei­ne Pfle­ge­zeit) ist hin­ge­gen kraft Geset­zes auf eine Frei­stel­lung von maxi­mal 10 Arbeits­ta­gen ange­legt. Das Gesetz bin­det die Frei­stel­lung an fol­gen­de Voraussetzungen:

  • Der Betrof­fe­ne muss Beschäf­tig­ter des Unter­neh­mens sein. Der Begriff ist nach § 7 Abs. 1 Pfle­geZG wei­ter gefasst als der Arbeit­neh­mer­be­griff. Er umfasst neben die­sen auch die zur Berufs­bil­dung Beschäf­tig­ten und arbeit­neh­mer­ähn­li­che Per­so­nen. Das sind Per­so­nen, die ohne die Ein­glie­de­rung in das Unter­neh­men wirt­schaft­lich unselbst­stän­dig sind, bei­spiels­wei­se Heim­ar­bei­ter und Gleich­ge­stell­te oder Einfirmen-Handelsvertreter).
  • Ein naher Ange­hö­ri­ger muss akut pfle­ge­be­dürf­tig sein. Zu den “nahen Ange­hö­ri­gen” gehö­ren nach § 7 Abs. 3 Pfle­geZG: Eltern und Schwie­ger­el­tern, Groß­el­tern, Ehe­gat­ten, Lebens­part­ner, Part­ner einer ehe­ähn­li­chen Gemein­schaft und Geschwis­ter, eige­ne Kin­der (auch Adop­tiv- und Pfle­ge­kin­der), sol­che des Ehe­gat­ten und Lebens­part­ners sowie Schwie­ger­kin­der und Enkel­kin­der. Ab dem 1.1.2015 gehö­ren außer­dem zu den “nahen Ange­hö­ri­gen” auch Stief­eltern, Part­ner einer lebens­part­ner­schafts­ähn­li­chen Gemein­schaft, Schwä­ge­rin­nen und Schwä­ger. Es fällt auf, dass aus­drück­lich nach wie vor nicht die Groß­el­tern des Ehe­gat­ten (“Schwie­ger­groß­el­tern”) genannt sind. Eben­so wenig fal­len die Kin­der des Part­ners einer ehe­ähn­li­chen Gemein­schaft oder Enkel eines Lebens­part­ners oder eines Part­ners einer ehe­ähn­li­chen Gemein­schaft unter den Begriff. Auch Onkel und Tan­te wer­den nicht erfasst.
  • Der nahe Ange­hö­ri­ge muss (vor­aus­sicht­lich) pfle­ge­be­dürf­tig sein. Das Pfle­geZG defi­niert die­sen Begriff nicht eigens, son­dern greift durch § 7 Abs. 4 Pfle­geZG auf die Defi­ni­tio­nen des für die sozi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che Absi­che­rung der Pfle­ge ein­schlä­gi­gen Geset­zes, näm­lich das Elf­te Buch des Sozi­al­ge­setz­buchs zurück. Nach §§ 14 und 15 SGB XI muss der Betrof­fe­ne wegen einer kör­per­li­chen, geis­ti­gen oder see­li­schen Behin­de­rung oder Krank­heit für die gewöhn­li­chen und regel­mä­ßig wie­der­keh­ren­den Ver­rich­tun­gen im Ablauf des täg­li­chen Lebens auf Dau­er (vor­aus­sicht­lich min­des­tens 6 Mona­te) in erheb­li­chem oder höhe­rem Maß der Hil­fe bedür­fen. Alle 3 Pfle­ge­stu­fen nach dem SGB XI fal­len unter die­sen Begriff. Abwei­chend vom SGB XI muss für die kurz­zei­ti­ge Arbeits­ver­hin­de­rung die Pfle­ge­be­dürf­tig­keit (und damit die Pfle­ge­stu­fe) noch nicht fest­ge­stellt sein. Es reicht die Pro­gno­se im Zeit­punkt der Arbeits­ver­hin­de­rung, dass die Vor­aus­set­zun­gen der Pfle­ge vor­aus­sicht­lich erfüllt sein wer­den,§ 7 Abs. 4 Satz 2 Pfle­geZG. Die­se Pro­gno­se ist arbeits­ge­richt­lich über­prüf­bar. Es dürf­te dabei uner­heb­lich sein, wenn im spä­te­ren Ver­fah­ren die Vor­aus­set­zun­gen der Pfle­ge­stu­fe I als noch nicht erfüllt ange­se­hen wird, wenn nur die Pro­gno­se auf ver­nünf­ti­gen Annah­men beruh­te und objek­tiv nach­voll­zieh­bar ist. Nicht genü­gen dürf­te, wenn der betrof­fe­ne Beschäf­tig­te aus sei­ner sub­jek­ti­ven Sicht meint, die Vor­aus­set­zun­gen für Pfle­ge wür­den vor­aus­sicht­lich erfüllt.
  • Die Pfle­ge­be­dürf­tig­keit muss akut auf­ge­tre­ten sein. Die Begrün­dung des Gesetz­ent­wurfs erläu­tert dazu, dass eine aku­te Pfle­ge­si­tua­ti­on “regel­mä­ßig” bei jeder Per­son nur ein­mal auf­tritt. Damit scheint das Gesetz davon aus­zu­ge­hen, dass eine aku­te Pfle­ge­si­tua­ti­on im Sin­ne des § 2 Pfle­geZG nur bei zuvor nicht pfle­ge­be­dürf­ti­gen Per­so­nen auf­tre­ten kann. Ver­schärft sich die Pfle­ge­be­dürf­tig­keit bei bereits Pfle­ge­be­dürf­ti­gen, sodass bei­spiels­wei­se eine Anhe­bung der Pfle­ge­stu­fe zu erwar­ten ist, soll nach dem Geset­zes­wil­len grund­sätz­lich kei­ne kurz­zei­ti­ge Arbeits­ver­hin­de­rung vor­lie­gen. Die­ser gesetz­ge­be­ri­sche Wil­le ist aller­dings nicht klar im Gesetz wie­der­ge­ge­ben. Es bleibt daher abzu­war­ten, ob die Recht­spre­chung die­ser engen Aus­le­gung der aku­ten Pfle­ge­be­dürf­tig­keit fol­gen wird. Offen ist dem­zu­fol­ge auch noch, ob eine “akut auf­ge­tre­te­ne Pfle­ge­si­tua­ti­on” bei bereits pfle­ge­be­dürf­ti­gen nahen Ange­hö­ri­gen dann gege­ben ist, wenn die bis­he­ri­ge Pfle­ge­kraft bei häus­li­cher Pfle­ge uner­war­tet aus­fällt.[6]
  • Die Frei­stel­lung muss bezwe­cken, in den ers­ten höchs­tens 10 Tagen der Pfle­ge­be­dürf­tig­keit ent­we­der eine bedarfs­ge­rech­te Pfle­ge zu orga­ni­sie­ren oder eine pfle­ge­ri­sche Ver­sor­gung sicher­zu­stel­len.
  • Die Frei­stel­lung muss zur Erfül­lung der vor­ge­nann­ten Zwe­cke nach § 2 Abs. 1 Pfle­geZG erfor­der­lich sein. Dies bedeu­tet, dass der Beschäf­tig­te die Zwe­cke nicht durch ande­re Maß­nah­men, ins­be­son­de­re nicht durch Ehe­gat­ten, ande­re Ange­hö­ri­ge oder sons­ti­ge Per­so­nen errei­chen kann, die ohne Stö­rung eines Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses tätig wer­den könn­ten. Bleibt der Beschäf­tig­te 10 Tage von der Arbeit fern, obwohl objek­tiv nur 8 erfor­der­lich sind, so sind jeden­falls zwei Frei­stel­lungs­ta­ge nicht durch § 2 Pfle­geZG gedeckt; Glei­ches gilt, wenn objek­tiv kei­ne voll­stän­di­ge Frei­stel­lung erfor­der­lich ist. Für den Arbeit­ge­ber ist zur Erfor­der­lich­keit der bean­spruch­ten Frei­stel­lung in ers­ter Linie die ärzt­li­che Beschei­ni­gung maß­geb­lich, deren Vor­la­ge stets ver­langt wer­den sollte.
  • Der Beschäf­tig­te muss dem Arbeit­ge­ber die Arbeits­ver­hin­de­rung und deren vor­aus­sicht­li­che Dau­er unver­züg­lich mit­tei­len. Eine ent­spre­chen­de Infor­ma­ti­ons­pflicht ist aus dem Bereich der Arbeits­un­fä­hig­keit wegen Krank­heit bekannt. Auf Ver­lan­gen des Arbeit­ge­bers ist zudem (nach­träg­lich) ein ärzt­li­ches Attest vor­zu­le­gen, das sowohl die Pfle­ge­be­dürf­tig­keit an sich als auch die Erfor­der­lich­keit der pfle­ge­ri­schen oder orga­ni­sa­to­ri­schen Maß­nah­men nach­wei­sen muss, § 2 Abs. 2 PflegeZG.

Die Frei­stel­lung als Recht des Beschäf­tig­ten, der Arbeit fern­zu­blei­ben, besteht bei Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen kraft Geset­zes. Der Arbeit­ge­ber muss die Frei­stel­lung nicht etwa gewäh­ren, er kann sie bei Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen auch nicht ver­wei­gern. Inso­fern führt die Bezeich­nung als “Frei­stel­lungs­an­spruch” in die Irre; es han­delt sich viel­mehr um ein spe­zi­el­les Leis­tungs­ver­wei­ge­rungs­recht des Beschäftigten.

Lie­gen die Vor­aus­set­zun­gen des § 2 Pfle­geZG vor, so steht zunächst nur fest, dass die Arbeits­pflicht für die Frei­stel­lungs­zeit und höchs­tens für 10 Tage ruht. Selbst all­ge­mei­ne Regeln – nament­lich § 616 BGB – kön­nen kei­ne län­ge­re Frei­stel­lung zur Pfle­ge naher Ange­hö­ri­ger recht­fer­ti­gen. Denn aus­weis­lich der Begrün­dung des Geset­zes­ent­wurfs zu der Ent­gelt­zah­lung für den Frei­stel­lungs­zeit­raum sah der Gesetz­ge­ber § 2 Pfle­geZG als Son­der­re­ge­lung per­sön­li­cher kurz­zei­ti­ger Arbeits­ver­hin­de­rung an. Die­se Ein­ord­nung ver­bie­tet den Rück­griff auf die all­ge­mei­ne­re Vor­schrift des § 616 BGB für die in § 2 Pfle­geZG gere­gel­ten Fäl­le, nur um zu einer Frei­stel­lung von mehr als 10 Tagen zu gelan­gen. In Tarif- oder Arbeits­ver­trä­gen kann jedoch eine über 10 Tage hin­aus­ge­hen­de Frei­stel­lung ange­ord­net werden.

Von der Fra­ge, ob Beschäf­tig­te nach dem Pfle­geZG frei­zu­stel­len sind, ist die Fra­ge zu unter­schei­den, ob für pfle­ge­be­ding­te Abwe­sen­heits­zei­ten auch ein Ver­gü­tungs­an­spruch besteht. Nach § 2 Abs. 3 Pfle­geZG ist der Arbeit­ge­ber zur Fort­zah­lung der Ver­gü­tung für den Zeit­raum der kurz­zei­ti­gen Arbeits­ver­hin­de­rung nur ver­pflich­tet, soweit sich eine sol­che Ver­pflich­tung aus ande­ren gesetz­li­chen Vor­schrif­ten oder auf­grund Ver­ein­ba­rung ergibt. Das Pfle­geZG selbst regelt damit kei­nen Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruch. Als Ver­ein­ba­run­gen gel­ten ein­schlä­gi­ge Rege­lun­gen in Tarif­ver­trä­gen, Betriebs­ver­ein­ba­run­gen oder Arbeits­ver­trä­gen. Vor­ran­gig zu prü­fen ist daher, ob sol­che (Vergütungs-)Regelungen ein­schlä­gig und ihre Vor­aus­set­zun­gen erfüllt sind.

Ist § 616 BGB im Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis anwend­bar und nicht ver­trag­lich abbe­dun­gen oder durch abschlie­ßen­de ver­trag­li­che Rege­lun­gen ver­drängt, so gewährt die­se Bestim­mung einen Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruch und zwar auch bis zu 10 Tagen. § 616 BGB sieht die Ent­gelt­fort­zah­lung jedoch nur für eine ver­hält­nis­mä­ßig nicht erheb­li­che Zeit vor. Die­se wird in Rela­ti­on zur bis­he­ri­gen Gesamt­lauf­zeit des Arbeits­ver­hält­nis­ses gese­hen. Daher kann es vor­kom­men, dass der Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruch nur für einen Teil der Frei­stel­lung aus § 2 Pfle­geZG besteht. Da § 616 BGB dar­über hin­aus dis­po­ni­bel sowohl für die Tarif­ver­trags- als auch für die Arbeits­ver­trags­par­tei­en ist, kann eine Ent­gelt­fort­zah­lung für die Zei­ten der Pfle­ge­zeit sowohl voll­stän­dig abbe­dun­gen, anders gere­gelt oder auch erwei­tert wer­den. Mit dem Betriebs­rat kann der Arbeit­ge­ber das nur in den Gren­zen des § 77 Abs. 3 BetrVG regeln.

Für Berufs­aus­bil­dungs­ver­hält­nis­se sieht § 19 Abs. 1 Nr. 2b BBiG eine spe­zi­el­le Rege­lung vor.

Neben der Fra­ge nach der Ent­gelt­fort­zah­lung wird zum 1.1.2015 in § 2 Abs. 3 Pfle­geZG klar­ge­stellt, dass sich ein etwai­ger Anspruch des Beschäf­tig­ten auf Zah­lung von Pfle­ge­un­ter­stüt­zungs­geld nach § 44a Abs. 3 des SGB XI rich­tet, der sei­ner­seits eben­falls zum 1.1.2015 um die Absät­ze 3 bis 7 wegen des Pfle­ge­un­ter­stüt­zungs­gel­des erwei­tert wird.

Pra­xis-Tipp Rege­lung im Arbeits­ver­trag zur Frei­stel­lung tref­fen Die gesetz­li­chen Rege­lun­gen in § 2 Pfle­geZG sind alles ande­re als klar. Daher emp­fiehlt sich eine Son­der­re­ge­lung zu § 616 BGB im Arbeits­ver­trag – ins­be­son­de­re, wenn für das Arbeits­ver­hält­nis kein Tarif­ver­trag kraft Tarif­bin­dung gilt. In der Neu­re­ge­lung soll­te vor allem bestimmt wer­den, ob für pfle­ge­be­ding­te Frei­stel­lun­gen nach dem Pfle­geZG – die Frei­stel­lungs­an­sprü­che selbst sind gem. § 8 Pfle­geZG zwin­gen­des Recht – Ver­gü­tungs­leis­tun­gen erbracht wer­den sol­len, und, wenn ja, für wel­che Fäl­le und Zeiträume.

1.3 Ereig­nis­se im Fami­li­en- und Verwandtenkreis

Auch bedeut­sa­me Ereig­nis­se im Fami­li­en- und Ver­wand­ten­kreis oder im Haus­halt kön­nen eine kurz­fris­ti­ge Frei­stel­lung nach § 616 BGB recht­fer­ti­gen. Im Regel­fall dürf­ten in die­sen Fäl­len nur ein, höchs­tens zwei Arbeits­ta­ge für die Frei­stel­lung in Betracht kommen.

Ent­spre­chen­de Ereig­nis­se sind beispielsweise:

  • kirch­li­che und stan­des­amt­li­che Ehe­schlie­ßung[7] – wohl auch die der Kin­der und eine noch­ma­li­ge Hei­rat der Eltern,
  • Begrün­dung einer Lebens­part­ner­schaft nach dem LPartG,
  • Geburt eines Kin­des[8],
  • Erst­kom­mu­ni­on und Kon­fir­ma­ti­on der Kinder,
  • eige­ne sil­ber­ne und gol­de­ne Hoch­zeit sowie die­je­ni­ge der Eltern[9][3],
  • Tod und Begräb­nis eines nahen Ange­hö­ri­gen (Eltern, Kin­der, Geschwis­ter) oder von im Haus­halt leben­den nahen Ange­hö­ri­gen (Schwie­ger­el­tern, Tan­te, Onkel).

 1.4 Wahr­neh­mung staats­bür­ger­li­cher Pflichten

Der Arbeit­neh­mer kann staats­bür­ger­li­che Pflich­ten und hoheit­li­che Prü­fungs­ter­mi­ne in der Regel nicht ableh­nen oder ver­schie­ben, nur weil er berufs­tä­tig ist. Der Arbeit­neh­mer darf in die­sen Fäl­len nur solan­ge feh­len, wie die Betä­ti­gung ein­schließ­lich der An- und Abfahrt­zeit dau­ert. Als per­sön­li­che Ver­hin­de­rungs­grün­de kom­men in Betracht:

  • Inan­spruch­nah­me als ehren­amt­li­cher Rich­ter[10],
  • Wahr­neh­mung eines Amtes in der Selbst­ver­wal­tung der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger,
  • Tätig­keit für Feu­er­wehr oder Kata­stro­phen­schutz, wenn kei­ne lan­des­recht­li­che Rege­lung mit ande­ren Fol­gen besteht,
  • gericht­li­che Vor­la­dung als Zeu­ge oder Sach­ver­stän­di­ger[11],
  • per­sön­li­ches Erschei­nen des Arbeit­neh­mers vor Gericht auf Ladung, ohne dass ein Fall der Unab­kömm­lich­keit vor­liegt[12],
  • Ladung vor eine Behör­de, wenn der Arbeit­neh­mer nicht einen Drit­ten (auch Rechts­an­walt) zum Ter­min schi­cken kann und nicht ein pri­va­ter Anlass für die Behör­den­la­dung besteht.[13]

1.5 Sons­ti­ge Fälle

Über die vor­ge­nann­ten Fäl­le hin­aus sind in Recht­spre­chung und Lite­ra­tur eine Viel­zahl wei­te­rer Anwen­dungs­fäl­le des § 616 BGB genannt. Fol­gen­de Fäl­le sei­en herausgegriffen:

  • Beson­ders belas­ten­der Umzug[14],
  • Aus­übung reli­giö­ser Pflich­ten, ins­be­son­de­re Gebe­te, die unab­wend­bar wäh­rend der Arbeits­zeit zu leis­ten sind – jedoch nach Abstim­mung mit dem Vor­ge­setz­ten, regel­mä­ßig hin­ge­gen nicht eigen­mäch­tig[15],
  • Aus­übung von Ämtern in Pri­vat­ver­ei­nen und Gewerk­schaf­ten: In die­sen Fäl­len ist strei­tig, ob ein Fall des § 616 BGB vor­liegt. Im Regel­fall dürf­te es dem Arbeit­neh­mer zumut­bar sein, ent­we­der von der Teil­nah­me abzu­se­hen oder Urlaub oder unbe­zahl­te Frei­stel­lung in Anspruch zu neh­men; bei der Aus­übung von Gewerk­schafts­äm­tern kommt es vor, dass der Tarif­ver­trag einen Frei­stel­lungs­an­spruch begrün­det[16],
  • Arzt­be­such; soweit es nicht mög­lich ist, den Ter­min außer­halb der Arbeits­zeit wahr­zu­neh­men[17] – fin­det der Arzt­be­such bereits wegen einer Erkran­kung statt, die zur Arbeits­un­fä­hig­keit führt, besteht ein Anspruch nach dem spe­zi­el­le­ren Entgeltfortzahlungsgesetz,
  • Ver­kehrs­un­fall des Arbeit­neh­mers und tech­ni­sche Pan­ne des Autos. Aller­dings nicht bei Stra­ßen­sper­rung oder Schnee und Glatt­eis, da der Grund des Feh­lens nicht in der Per­son des Arbeit­neh­mers liegt, son­dern in der objek­ti­ven Ver­kehrs­la­ge. Glei­ches gilt im Fal­le einer ver­spä­te­ten Urlaubs­rück­kehr wegen Verspätung/Ausfall eine Zugs oder Flugs.
  • Sons­ti­ge per­sön­li­che Unglücks­fäl­le (z. B. Ein­bruch, Brand),
  • Tätig­keits­ver­bot nach dem Infek­ti­ons­schutz­ge­setz[18][
  • gesund­heits­po­li­zei­li­che Unter­su­chun­gen[19],
  • sowie unschul­dig erlit­te­ne Unter­su­chungs­haft.[20]
  1. Ver­hält­nis­mä­ßig nicht erheb­li­che Zeit

Anspruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung hat der Arbeit­neh­mer nur, wenn er nur eine ver­hält­nis­mä­ßig nicht erheb­li­che Zeit an der Arbeits­leis­tung ver­hin­dert ist. Die­se Ein­schrän­kung ist äußerst vage. Aus­schlag­ge­bend sind jeden­falls die Umstän­de eines jeden Ein­zel­falls, all­ge­mei­ne Richt­wer­te las­sen sich kaum geben. Die herr­schen­de Mei­nung und Recht­spre­chung mes­sen die Ver­hält­nis­mä­ßig­keit mit der Rela­ti­on der Aus­fall­zeit zur gesam­ten Dau­er des Arbeitsverhältnisses.

Ob es dem­zu­fol­ge im Nor­mal­fall abso­lu­te Höchst­gren­zen geben kann, ist frag­lich. Die Lite­ra­tur gibt ein sehr unein­heit­li­ches Bild. Die Anga­ben schwan­ken unge­fähr in fol­gen­den Bereichen:

Beschäf­ti­gungs­dau­erHöchs­te AngabeNied­rigs­te AngabeBeschäf­ti­gung bis zu 6 Monatebis zu 3 Tagemaxi­mal 1 Tagbis 12 Monatebis zu 1 Wochebis zu 2 Tagemehr als 12 Monatebis zu 2 Wochenmaxi­mal 3 Tage

Dies sind nur gro­be Richt­wer­te. Außer­dem kön­nen die­se Wer­te nicht als Pau­scha­len für die Frei­stel­lung genom­men wer­den. Denn das Gesetz kennt die Frei­stel­lung gene­rell nur, solan­ge der Arbeit­neh­mer ver­hin­dert ist. Bei Erkran­kung naher Ange­hö­ri­ger fällt die Abgren­zung in der Regel nicht schwer, da die Ver­hin­de­rung höchs­tens vom Beginn bis spä­tes­tens zum Ende der Krank­heit andau­ert. Bei Ereig­nis­sen im Fami­li­en- und Ver­wand­ten­kreis, bei der Wahr­neh­mung staats­bür­ger­li­cher Pflich­ten und bei den sons­ti­gen Fäl­len wird im Regel­fall nur das Ereig­nis ein­schließ­lich ange­mes­se­ner An- und Abrei­se­zei­ten den Ver­hin­de­rungs­fall dar­stel­len. In Fäl­len der Pfle­ge naher Ange­hö­ri­ger legt § 2 Abs. 1 Pfle­geZG selbst eine abso­lu­te Höchst­gren­ze von zehn Arbeits­ta­gen fest.

Der Anspruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung nach § 616 BGB steht und fällt mit einer Ver­hin­de­rung, die ins­ge­samt eine ver­hält­nis­mä­ßig nicht erheb­li­che Zeit andau­ert. Dau­ert die Ver­hin­de­rung län­ger als eine ver­hält­nis­mä­ßig nicht erheb­li­che Zeit, so besteht kein Anspruch. Der Arbeit­neh­mer hat nicht etwa anteil­mä­ßig Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

  1. Feh­len­des Verschulden

Der Anspruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung ist nach § 616 Satz 1 BGB nur dann gege­ben, wenn den Arbeit­neh­mer an der Ver­hin­de­rung kein Ver­schul­den trifft. Unter Ver­schul­den wird zunächst der all­ge­mei­ne zivil­recht­li­che Begriff des § 276 BGB ver­stan­den, näm­lich die vor­sätz­li­che (bewuss­te und gewoll­te) oder fahr­läs­si­ge Ver­let­zung von Ver­trags­pflich­ten des Arbeit­neh­mers gegen­über dem Arbeit­ge­ber. Unter Ver­schul­den wird fer­ner ein soge­nann­tes “Ver­schul­den gegen sich selbst” ver­stan­den.[21] Dar­un­ter ist ein Ver­hal­ten zu ver­ste­hen, das nach der Beur­tei­lung aus Sicht eines ver­stän­di­gen Men­schen einen gro­ben Ver­stoß gegen die im eige­nen Inter­es­se zu erwar­ten­den Ver­hal­tens­wei­sen und Vor­sichts­maß­nah­men darstellt.

Pra­xis-Bei­spiel Ver­schul­den Ehe­part­ner des Arbeit­neh­mers fährt (allei­ne) in einen ohne gro­ße Kos­ten­be­las­tung umzu­dis­po­nie­ren­den Urlaub, obwohl sich die Krank­heit des Kin­des bereits abzeich­net. Beson­ders leicht­fer­ti­ge Ver­ur­sa­chung eines Ver­kehrs­un­falls. Arbeit­neh­mer hat Arzt­ter­min wäh­rend der Arbeits­zeit ange­nom­men, obwohl auch eine Behand­lung außer­halb der Arbeits­zeit mög­lich gewe­sen wäre.

  1. Mit­tei­lung der Ver­hin­de­rung an den Arbeitgeber

§ 616 BGB sta­tu­iert anders als § 5 EFZG kei­ne aus­drück­li­che Ver­pflich­tung des Arbeit­neh­mers, dem Arbeit­ge­ber die Ver­hin­de­rung mit­zu­tei­len und nach­zu­wei­sen. Dies bedeu­tet aber nicht, dass den Arbeit­neh­mer kei­ne sol­che Pflicht trifft. Aus der all­ge­mei­nen arbeits­recht­li­chen Treue­pflicht ist der Arbeit­neh­mer gehal­ten, den Arbeit­ge­ber so früh wie mög­lich zu infor­mie­ren. Der Arbeit­ge­ber soll hier­durch die Mög­lich­keit erhal­ten, durch ent­spre­chen­de Dis­po­si­tio­nen Betriebs­stö­run­gen oder gar Schä­den zu ver­rin­gern oder zu vermeiden.

Im Übri­gen hat der Arbeit­neh­mer die Anspruchs­vor­aus­set­zun­gen – grds. mit Aus­nah­me des Ver­schul­dens[22] – ggf. dar­zu­le­gen und zu bewei­sen, wenn der Arbeit­ge­ber die Vor­aus­set­zun­gen bestrei­tet. Im letz­ten Fall muss der Arbeit­neh­mer also durch Urkun­den, Zeu­gen oder ande­re im Zivil­pro­zess zuge­las­se­ne Beweis­mit­tel ins­be­son­de­re den Ver­hin­de­rungs­grund und die Dau­er der Ver­hin­de­rung dem Arbeit­ge­ber nachweisen.

5. Umfang der Entgeltfortzahlung

§ 616 Satz 1 BGB ent­hält kei­ne Aus­sa­ge über den Umfang der Ent­gelt­fort­zah­lung. Damit bleibt es inso­weit bei der all­ge­mei­nen zivil­recht­li­chen Regel. Der Arbeit­ge­ber hat das­je­ni­ge Arbeits­ent­gelt fort­zu­zah­len, das der Arbeit­neh­mer bei Arbeit in der Zeit der Ver­hin­de­rung ver­dient hät­te. Es gilt somit das Lohn­aus­fall­prin­zip eben­so wie bei der Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall. Aller­dings sind die Son­der­re­geln in § 4 Abs. 2 und 3 EFZG nicht anzu­wen­den, fer­ner ist bei der Ent­gelt­fort­zah­lung nach § 616 BGB die Ein­be­zie­hung der Über­stun­den anders als nach § 4 Abs. 1a EFZG nicht aus­ge­schlos­sen. Fort­zu­zah­len ist folg­lich das gesam­te Ent­gelt, was wäh­rend der Aus­fall­zeit vor­aus­sicht­lich ver­dient wor­den wäre, nicht jedoch Aufwendungsersatz.

Der Arbeit­ge­ber kann dem Arbeit­neh­mer auf die Ent­gelt­fort­zah­lung den Betrag anrech­nen, der dem Arbeit­neh­mer für die Zeit der Ver­hin­de­rung aus einer auf­grund gesetz­li­cher Ver­pflich­tung bestehen­den Kran­ken- oder Unfall­ver­si­che­rung zukommt (§ 616 Satz 2 BGB). Das gilt aller­dings inso­weit nicht, als ein Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger nur des­halb zur (einst­wei­li­gen) wirt­schaft­li­chen Siche­rung des Arbeit­neh­mers leis­tet, weil der Arbeit­ge­ber den Anspruch aus § 616 BGB nicht erfüllt; in die­sem Fall geht der Anspruch gegen den Arbeit­ge­ber auf den Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger über (§ 115 SGB X). Ande­re Ein­künf­te bei­spiels­wei­se aus Ren­ten­ver­si­che­rung, Pri­vat­ver­si­che­rung oder Ent­schä­di­gun­gen für die Aus­übung staats­bür­ger­li­cher Pflich­ten sind nicht anzurechnen.

Einen gesetz­li­chen Über­gang von etwai­gen Scha­dens­er­satz­an­sprü­chen des Arbeit­neh­mers gegen Drit­te ähn­lich wie § 6 EFZG gibt es für § 616 BGB nicht. Der Arbeit­ge­ber hat aber ana­log § 255 BGB einen Anspruch auf Abtre­tung ent­spre­chen­der Scha­dens­er­satz­an­sprü­che.[23]

6. Abding­bar­keit des § 616 BGB

Die Bestim­mung des § 616 BGB ist – anders als die meis­ten arbeits­recht­li­chen Rege­lun­gen – voll­stän­dig abding­bar. Es kann damit nicht nur eine Ver­bes­se­rung zuguns­ten der Arbeit­neh­mer vor­ge­nom­men wer­den, son­dern der Anspruch kann umge­kehrt auch beschränkt, sogar voll­stän­dig aus­ge­schlos­sen wer­den. Mög­lich ist dies sowohl durch Arbeits­ver­trag als auch Tarif­ver­trag, im Rah­men des § 77 Abs. 3 BetrVG auch durch Betriebsvereinbarung.

In Tarif­ver­trä­gen fin­det sich häu­fig eine kata­log­mä­ßi­ge Auf­zäh­lung von Frei­stel­lungs­fäl­len ein­schließ­lich der hier­für zu gewäh­ren­den Frei­stel­lungs­zeit. Eine sol­che Rege­lung wird im Regel­fall ein abschlie­ßen­der Kata­log sein, der die Anwen­dung des § 616 BGB im Übri­gen aus­schließt.[24] Ein voll­stän­di­ger Aus­schluss des § 616 BGB wird auch in einer tarif­li­chen Rege­lung gese­hen, nach der “tat­säch­lich geleis­te­te Arbeit” ver­gü­tet wird.[25] Der tarif­li­che Aus­schluss des § 616 BGB erstreckt sich auch auf nicht tarif­ge­bun­de­ne Arbeits­ver­hält­nis­se, wenn im Arbeits­ver­trag auf den Tarif­ver­trag ver­wie­sen wird.

Die Bestim­mung des § 616 BGB wird aller­dings durch eine tarif­ver­trag­li­che Auf­zäh­lung nicht ver­drängt, wenn der Tarif­ver­trag Ein­zel­fäl­le aus­drück­lich nur als Bei­spie­le auf­zählt.[26]

 

Pra­xis-Tipp Arbeits­ver­trag­li­chen Aus­schluss von § 616 BGB rich­tig ver­ein­ba­ren Die häu­fig in Arbeits­ver­trä­gen zu fin­den­de Klau­sel “Im Übri­gen gel­ten die Bestim­mun­gen des Tarif­ver­trags …” schließt also die Anwen­dung des § 616 BGB aus, wenn der in Bezug genom­me­ne Tarif­ver­trag einen Frei­stel­lungs­ka­ta­log wie zuvor beschrie­ben ent­hält. Soll § 616 BGB aus­ge­schlos­sen wer­den und kann das nicht durch eine Ver­wei­sung auf einen Tarif­ver­trag erreicht wer­den, müs­sen arbeits­ver­trag­li­che Aus­schlüs­se regel­mä­ßig klar und deut­lich im Arbeits­ver­trag fest­ge­hal­ten wer­den. Klau­seln wie die vor­ste­hend aus Tarif­ver­trä­gen zitier­ten dürf­ten ange­sichts des Über­ra­schungs­ver­bots (§ 305c Abs. 1 BGB) und der Unklar­hei­ten­re­gel (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) einer AGB-Kon­trol­le der Arbeits­ver­trä­ge nicht genügen.

Quel­le zum Bei­trag: Ent­gelt­fort­zah­lung bei per­sön­li­cher Ver­hin­de­rung BGB 616 : Hau­fe Per­so­nal Office

[1] BAG, Urteil v. 6.3.1974, 5 AZR 313/73

[2] BAG, Urteil v. 20.6.1979, 5 AZR 361/78

[3] BAG, Urteil v. 19.4.1978, 5 AZR 834/76

[4] § 3 Pfle­geZG – sog. “gro­ße Pflegezeit”.

[5] § 2 Pfle­geZG – sog. “klei­ne Pflegezeit”.

[6] So in der Lite­ra­tur aller­dings Preis/Nehring, NZA 2008, S. 729 ff.

[7] BAG, Urteil v. 27.4.1983, 4 AZR 506/80.

[8] BAG, Urteil v. 12.12.1973, 4 AZR 75/73; BAG, Urteil v. 25.2.1987, 8 AZR 430/84; vgl. auch BAG, Urteil v. 18.1.2001, 6 AZR 492/99.

[9] BAG, Urteil v. 25.10.1973, 5 AZR 156/73.

[10] LAG Bre­men, Urteil v. 14.6.1990, 3 Sa 132/89.

[11] BGH, Urteil v. 30.11.1978, III ZR 43/77; BAG, Urteil v. 13.12.2001, 6 AZR 30/01; a. A. LAG Düs­sel­dorf, Urteil v. 10.9.1971, 4 Sa 649/71.

[12] LAG Hamm, Urteil v. 24.11.1971, 8 Ta 78/71.

[13] BAG, Urteil v. 16.12.1960, 1 AZR 204/59.

[14] BAG, Urteil v. 25.4.1960, 1 AZR 16/58.

[15] LAG Hamm, Urteil v. 26.2.2002, 5 Sa 1582/01.

[16] BAG, Urteil v. 11.9.1985, 4 AZR 147/85.

[17] BAG, Urteil v. 27.6.1990, 5 AZR 365/89

[18] BGH, Urteil v. 30.11.1978, III ZR 43/77.

[19] BAG, Urteil v. 8.3.1961, 4 AZR 711/59.

[20] BAG, Urteil v. 16.3.1967, 2 AZR 64/66.

[21] ErfKomm/Dörner, 11. Aufl. 2011, § 616 BGB Rn. 11 unter Ver­weis auf Dör­ner, ebd. § 3 EFZG Rn. 23.

[22] BAG, Urteil v. 20.3.1985, 5 AZR 229/88.

[23] Im Ein­zel­nen sehr strit­tig in der Lite­ra­tur; nach ande­rer Auf­fas­sung hat der Arbeit­ge­ber einen unmit­tel­ba­ren Anspruch gegen den Schä­di­ger nach den Regeln der sog. Dritt­scha­dens­li­qui­da­ti­on (im Ein­zel­nen s. Staudinger/Oetker, Neu­be­ar­bei­tung 2011, § 616 BGB Rn. 128).

Was bedeutet es wenn 616 BGB ist ausgeschlossen?

Ein vollständiger Ausschluss des § 616 BGB wird auch in einer tariflichen Regelung gesehen, nach der "tatsächlich geleistete Arbeit" vergütet wird. Der tarifliche Ausschluss des § 616 BGB erstreckt sich auch auf nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse, wenn im Arbeitsvertrag auf den Tarifvertrag verwiesen wird.

Was fällt unter 616?

§ 616 BGB gilt für alle Dienstverhältnisse. Dazu gehört auch das Arbeitsverhältnis. Dies umfasst alle Vollzeit- und Teilzeit-, un- und befristete Arbeitsverhältnisse sowie kurzfristige Aushilfsarbeits- oder geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Sind Beschäftigte noch in der Probezeit gilt § 616 BGB ebenfalls.

Kann man 616 BGB im Arbeitsvertrag ausschließen?

Es ist unstrittig, dass § 616 BGB durch schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zumindest teilweise abbedungen werden kann. Dies ist gängige Praxis und wird meist beim Abschluss des Arbeitsvertrags vereinbart. Falls das bei Ihnen nicht geschehen ist, können Sie dies nachholen.

Kann der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung verweigern?

Verweigert der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung im Falle der unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit, muss die Krankenkasse, bei der der Arbeitnehmer krankenversichert ist, Entgeltersatzleistungen (Krankengeld) erbringen. Das gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung unberechtigt verweigert.

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